Asienkrise? Krise des globalen Kapitalismus!

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Peter Franke
Redakteuer der Südostasien - Informationen

"Das ist keine Asienkrise. Das ist eine Krise des globalen Kapitalismus"
[Eisuke Sakakibara, hoher Beamter im japanischen Finanzministerium (Spiegel 4/98, S.77)]

Seit Anfang dieses Jahres wird die »Asienkrise«, welche die meist pauschal als »Tigerstaaten" bezeichneten Länder Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Hongkong und Südkorea erfaßt hat, als eine Gefahr für die Weltwirtschaft in den deutschen Medien bezeichnet. Noch im Frühjahr letzten Jahres wurde in der deutschen Öffentlichkeit das anhaltende wirtschaftliche Wachstum dieser Länder von durchschnittlich fünf bis zehn Prozent seit Mitte der 80er Jahre zum »asiatischen Wirtschaftswunder" hochstilisiert und als Modell für Länder der sogenannten Dritten Welt und sogar für das stagnierende Europa hingestellt.

Genauso wenig wie man bisher von einem »asiatischen Wirtschaftswunder" sprechen konnte, handelt es sich ursächlich um eine »Asienkrise«, sondern um eine Krise des globalen Kapitalismus in Asien. Die betroffenen Länder tragen die Konsequenzen der Übernahme des kapitalistischen Wachstumsmodells und insbesondere ihre erfolgreiche Integration als globale Akteure in die internationalen Finanzmärkte. Gerade diese Märkte haben sich in den letzten zehn Jahren zu einem globalen wirtschaftlichen Risiko entwickelt und die betroffenen ost- und südostasiatischen Länder in ein finanzpolitisches Chaos gestürzt, das nun ihre Volkswirtschaft lahmzulegen droht.

Die Krise ist noch lange nicht überwunden. Trotz der bisher größten Stützungsaktivitäten durch den Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) sind auch die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft noch nicht absehbar. Warum es passieren konnte, darüber streiten sich Wissenschaftler wie Politiker. Zum augenblicklichen Zeitpunkt können hier nur Anhaltspunkte für eine Erklärung und Einschätzung der Ursachen des Erfolgs und des Mißerfolgs der südostasiatischen Wachstumsökonomien sowie ihrer möglichen weiteren Entwicklungen gegeben werden.

Was ist passiert?

Während des anhaltenden wirtschaftlichen Wachstumsbooms seit der 2. Hälfte der 80er Jahre wurden von Unternehmen und Privatpersonen in den betroffenen Ländern immense Summen von Krediten meist in US-Dollar aufgenommen, denn sie kosteten weniger Zinsen als Kredite in einheimischer Währung. Der Wechselkurs war fest an den US-Dollar gebunden, so daß man keine Schwierigkeiten bei der Rückzahlung der Kredite durch in einheimischer Währung gemachte Gewinne sah. Solange die Wirtschaft boomte, war das kein Problem. Als aber Mitte 1995 der Wechselkurs des US-Dollar gegenüber den meisten anderen Währungen anstieg, stiegen entsprechend auch die Wechselkurse der an den US-Dollar gebundenen asiatischen Währungen. Damit wurden die Waren dieser Länder auf dem Weltmarkt zunehmend teurer. Bereits die Abwertung des chinesischen Yüans Anfang 1994 um ein Drittel minderte ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den billigeren chinesischen Produkten.

Seit Anfang 1997 gelangten die internationalen Banken und die Währungshändler immer stärker zu der Überzeugung, daß die betroffenen asiatischen Währungen überbewertet seien und die Bindung an den US-Dollar aufgeben müßten, um die Exportbedingungen ihrer Waren auf dem Weltmarkt wieder zu verbessern. Gegen solch eine Abwertung wehrten sich die Regierungen, denn ihnen war klar, daß eine Abwertung die Zins- und Rückzahlung der in US-Dollar gemachten Schulden in einheimischer Währung erheblich erschweren würden und viele Firmen daran zusammenbrechen könnten. Trotzdem entwickelte sich ein allmählicher Trend, die einheimischen Währungen gegen US-Dollars einzutauschen.

Das war die Stunde der Währungsspekulanten. Sie zeichneten Terminkontrakte, in denen sie versprachen, große Summen des thailändischen Baht nach einem oder mehreren Monaten auszuzahlen. Sie setzten darauf, daß sie bei Zahlungsfälligkeit den Baht weitaus billiger kaufen könnten als sie ihn bereits verkauft haben und rechneten so mit einem schnellen Gewinn.

Die Regierungen der betroffenen Länder versuchten durch die nationalen Banken dagegen zu setzen, indem sie aus ihren Reserven US-Dollar verkauften. Aber auch ihre Reserven waren begrenzt. Zuerst mußte die thailändische Regierung Anfang Juli 1997 den Kampf aufgeben und den Baht vom US-Dollar abkoppeln. Knapp 2 Wochen später folgte Malaysia und nach einem Monat Indonesien. Damit waren viele Banken und Wirtschaftsunternehmen gefährdet und die Aktienkurse in Bangkok, Kuala Lumpur, Jakarta und später selbst Hongkong und Seoul machten eine rapide Talfahrt.

Thailand, Indonesien und Südkorea sahen sich nicht mehr in der Lage, die Krise aus eigener Kraft zu bewältigen und haben den IWF um Hilfe angerufen. Um Kredite in der Höhe von mehreren Zehn Milliarden US-Dollar zur Stabilisierung ihrer Währungen zu erhalten und das internationale Vertrauen in ihre Wirtschaft zurückzuerlangen, müssen sie sich nun mehr oder minder ihre Wirtschaftspolitik vom IWF vorschreiben lassen: Höhere Zinsen gegen den Währungsverfall, Reformierung des Bankensystems, Liberalisierung und Öffnung der einheimischen Märkte, Einstellung von unwirtschaftlichen staatlichen Subventionen und Projekten sowie sparsame Haushaltsführung.

Für dieses Jahr sehen die Wirtschaftswachstumsprognosen für die meisten ost- und südostasiatischen Länder düster aus. Es wird mit Wachstumsraten von unter 4 Prozent gerechnet für Thailand und Indonesien sogar mit Wachstumsrückgang.

Kapitalüberschuß auf dem Weltmarkt: Segen und Verhängnis

Bereits Mitte der 80er Jahre hat sich in den »entwickelten" Industrieländern (Europas, Amerikas und insbesondere Japan) ein Kapitalüberschuß angehäuft, der nach profitablen Anlagemöglichkeiten suchte, die es im eigenen Land nur begrenzt fand.

In den 80er Jahren wurde das exportierte, überschüssige Kapital noch überwiegend direkt in produktive Bereiche (verarbeitende Industrie, Rohstoffgewinnung) investiert, um günstiger für den Weltmarkt produzieren zu können oder bessere Marktzugangsbedingungen für Produkte zu haben. Insbesondere japanische und US-amerikanische, aber mit Ende der 80er Jahre auch zunehmend europäische, koreanische und taiwanesische Firmen investierten vor allem in Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien.

Die Einführung des Systems der flexiblen Wechselkurse bereits Mitte der 70er Jahre und die seitdem weltweite Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs ermöglichte einhergehend mit der Entwicklung der Kommunkationstechnologie eine immense Ausweitung und ein Wachsen der internationalen Finanzmärkte. Gleichzeitig haben sich neue Formen für kurzfristige Geldanlagen entwickelt.

Der täglich in Devisengeschäften weltweit umgesetzten Summe von über 1 Billionen US-Dollar stehen heute aber nur noch in rund zwei Prozent der Fälle reale Geschäfte mit Gütern und Dienstleistungen gegenüber. Spekulative Operationen an den internationalen Finanzmärkten treten immer mehr an die Stelle möglicher Investitionen und beeinträchtigen damit die realwirtschaftliche Entwicklung.

Auch und gerade in die so erfolgreichen Wachstumsökonomien Südostasiens flossen zunehmend (kurzfristig angelegte) Gelder an die Börsen Bangkoks, Kuala Lumpurs, Singapurs, Jakartas und Manilas. Es wurden Kredite an private Finanzinstitute aber auch unmittelbar an die Verbraucher vergeben, insbesondere für den Erwerb von Immobilien, häufig ohne genauere Nachforschung über die Bonität der Kreditnehmer und die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Ein anhaltendes Wirtschaftswachstum wurde vorausgesetzt, das bis in die Mitte der 90er Jahre den Kapitalanlegern und Spekulanten — gerade auch aus dem Ausland — satte Gewinne bescherte. Aber mit dem anwachsenden Zahlungsbilanzdefizit seit Anfang der 90er Jahre aufgrund von weniger Investitionen im produktiven Bereich und stagnierenden Exporten, sowie dem Wettbewerbsnachteil der Exporte durch den Dollaranstieg entwickelte sich zunehmend eine pauschale Skepsis gegenüber den Volkswirtschaften aller »Tigerstaaten« Südostasiens. Hat sich diese »Skepsis« erst einmal bei den Spekulanten international durchgesetzt, reagieren sie panisch mit massivem Abzug ihres Geldes aus der ganzen Region, obgleich die wirtschaftliche Situation in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist und eine solche Panik nicht rechtfertigt.

Der »wundervolle« Erfolg der Tigerstaaten

Zweifellos waren in den südostasiatischen Staaten Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien die Regierungen mit ihrer auf Wirtschaftswachstum orientierten Modernisierungspolitik in unterschiedlicher Weise und Ausmaß erfolgreich. Noch in den 70er Jahren wurde die Möglichkeit einer »nachholenden Industrialisierung« von sogenannten Entwicklungsländern kaum für möglich gehalten. Bereits in den 80er Jahren wuchsen die Exportanteile dieser Länder auf dem Weltmarkt. Dabei handelte es sich weniger um Rohstoffe, sondern um verarbeitete Produkte zuerst im Bereich der Bekleidungsindustrie und später der Elektronik. Mit der 2. Hälfte der 80er Jahre wurde der riesige Markt China zu einem wesentlichen Wachstumsmotor der südostasiatischen Exportindustrien.

Erklärungen dieses »asiatischen Wunders« in einigen Ländern Ostasiens — wie es die Weltbank vor einigen Jahren euphorisch bezeichnete — sind vielfältig und häufig sehr widersprüchlich. Zum einen unterscheiden sich die Bedingungen der Stadtstaaten wie Hongkong und Singapur von denen der Flächenstaaten. Zum anderen waren die Ausgangsbedingungen der rohstoffreichen Länder in Südostasien (Thailand, Malaysia und Indonesien) andere als die der rohstoffarmen Länder Korea und Taiwan.

Für die Verfechter der freien (kapitalistischen) Marktwirtschaft ist die Öffnung dieser Volkswirtschaften für ausländisches Kapital und ihre Orientierung auf den Weltmarkt in Abgrenzung zu den »sozialistischen« Ländern entscheidender Grund für ihren Erfolg. Allerdings bedeutete das im Sinne der Marktwirtschaft in den südostasiatischen Erfolgsländern nicht automatisch weitgehende unternehmerische Freiheiten (ganz zu schweigen von den politischen Freiheiten).

Die Rolle des Staates mit seiner Industrialisierungspolitik ist entscheidend mitverantwortlich für den »Wachstumserfolg«. Mit dem gewaltigen Reichtum an natürlichen Ressourcen konnten Thailand, Malaysia und Indonesien einen hohen eigenen Anteil an Kapital bilden. Die Sparquoten waren hoch und das wie auch immer erworbene Geld blieb in den 80er Jahren überwiegend im Land und stand als Kapital zur Verfügung. Das Wirtschaftswachstum war nur zum Teil auf das ausländische Kapital angewiesen. In den verschiedenen Ländern, außer vielleicht in Singapur, haben sich »Unternehmen« entwickelt, deren Erfolge häufig weniger auf wirtschaftliches Geschick zurückzuführen sind, sondern auf Beziehungen. Die wirtschaftliche Macht konzentriert sich in den Händen derjenigen, die die richtigen Verbindungen zu den politisch Herrschenden haben, nämlich ehemalige hohe Militärs, Staatsbeamte oder Politiker und deren Verwandte, alteingesessene chinesischstämmige Unternehmer, welche die Beziehungen zu den politisch Mächtigen sorgfältig gepflegt hatten, sowie den Verwaltern halbstaatlicher Unternehmen.

Eine grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche kapitalistische Industrialisierung war die Anpassung einer größeren Gruppe von Menschen an die erforderliche Disziplin der Industriearbeit und die Abhängigkeit von Lohnarbeit als einzige Überlebensmöglichkeit. Das wurde nicht etwa durch Demokratie erreicht, sondern durch eine zentralisierte, autoritäre Beherrschung der Lebens- und Arbeitsräume und deren Integration in den (Welt-) Markt.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Länder ging einher mit einer autoritären und repressiven Herrschaftsform einer kleinen Schicht von Militärs — in Korea, Taiwan, Thailand und Indonesien — oder Eliten aus der Kolonialherrschaft — in Hongkong, Singapur und Malaysia. Befreit wurde die Bevölkerung bestenfalls von einer unmittelbaren Fremd- oder Kolonialherrschaft. Ein wie auch immer geartetes Selbstbestimmungsrecht und eine demokratische Beteiligung an dem Entwicklungsprozeß wurde ihr verwehrt. In den südostasiatischen »Erfolgsländern« Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien konnte erst eine brutale Unterdrückung jeglicher Form demokratischer Beteiligung in den 50er bis 70er Jahre hinein zentrale Herrschafts- und Regierungsapparate hervorbringen, die vorbehaltlos eine Modernisierung und Integration in den Weltmarkt, nach dem Motto, »freier Markt, aber unfreie Menschen«, betreiben. Im Rahmen der Eindämmungspolitik gegenüber dem »kommunistischen Block« der Nachkriegszeit erhielten sie von den USA und aus Westeuropa dafür die notwendige Unterstützung.

Die Philippinen gehören bisher nicht zu den südostasiatischen »Tigern«, obgleich sie sich als eine der wenigen ehemaligen US-Kolonien wirtschaftlich eng an den USA orientierten. Zwischen 1983 und 1993 erlebten sie praktisch ein wirtschaftliches Nullwachstum. In diesen Jahren ging es darum die unter Marcos gemachten Auslandsschulden zurückzuzahlen, die etwa sieben bis zehn Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts ausmachten. Außerdem verfügen die Philippinen auch nicht über so große Ressourcen an Rohstoffen, die sich lukrativ auf dem Weltmarkt absetzen ließen, wie Thailand, Malaysia oder Indonesien. Somit konnte im Land weniger Kapital gebildet werden. Die Regierung auf den Philippinen war im Gegensatz zu den anderen südostasiatischen Nachbarn an einer Politik des freien Marktes nach den Rezepten der Weltbank und des IWF mit minimaler steuernder staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaftsentwicklung orientiert. Erst seit 1994 setzt eine Wachstumsrate von 4-6 Prozent ein, die allerdings nun mit der Wirtschaftskrise in den Nachbarländern auch wieder zurückgeht.

Schattenseiten des Aufstiegs der »Tiger«

Das fragwürdige kapitalistische »Wunder" in Südostasien hatte schon vor der wirtschaftlichen Krise seine Schattenseiten. Die Stabilität des ökonomischen Fundaments war auch schon früher erkennbar problematisch und es fehlte schon immer an Durchsichtigkeit und gesamtwirtschaftlicher Verantwortung im Wirtschaftsleben. Einheimische Kritiker wurden nicht sonderlich ernst genommen, solange Institutionen wie die Weltbank und der IWF die ökonomischen Grundlagen der heute so arg betroffenen Länder als vorbildlich hinstellten.

Heute stellen plötzlich viele kluge Beobachter fest, welch skandalöse Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik bestehen und »enthüllen« diese Tatsachen, die schon lange bekannt waren, aber immer als »Eigenart« akzeptiert wurden. Sie kritisieren in den betroffenen Ländern die Vetternwirtschaft, die fehlenden Auflagen für die Banken und die mangelhaften Überprüfun-gen durch die Banken bei der Ver-gabe von Krediten. Es handelt sich hierbei um eine »Eigenart«, die
mehr oder minder ausgeprägt auch in allen entwickelten kapitalistischen Industrieländern vorhanden ist. Man denke in Deutschland nur an die Kredite an den Baulöwen Schneider durch die Deutsche Bank, an die Mißbräuche von EU-Geldern durch die Bremer Vulkan oder an die »Sanierung« der ehemaligen DDR-Wirtschaft.

Ganz zu schweigen von den ȟblichen" Auswirkungen kapitalistischen Wirtschaftswachstums:

Diese Entwicklung nimmt perspektivisch eine Marginalisierung von Teilen der Bevölkerung durch direkte Unterdrückung und Verelendung aufgrund von struktureller Gewalt und Ungleichheit bewußt in Kauf. Die wachsenden Einkommensdisparitäten sind nicht nur weltweit zwischen den Nationen zu beobachten, sondern gerade auch in den mehr oder minder eigenständigen neuen Industrienationen.

Wer sind die Hauptbetroffenen?

Man liest zwar einige rührende Schilderungen über bankrott gegangene Unternehmer und arbeitslose Manager, aber es sind die Massen der Menschen, die als Lohnarbeiter/innen vom In- und Ausland angelockt durch den angestiegenen Lebensstandard des urbanen Lebens, in die städtischen Regionen strömten, um an dem wachsenden Wohlstand teilzuhaben. Ihre Überlebensmöglichkeiten in der Landwirtschaft waren zuvor systematisch zerstört worden. Nun müssen sie mit Arbeitslosigkeit rechnen, allerdings ohne soziale Absicherung und Rechte.

In Thailand liegt ein großer Teil der Bauindustrie lahm und die Industrie hatte aufgrund des Rückgangs der Inlandsnachfrage bereits 1997 Produktionsrückgänge zwischen zehn und 20 Prozent zu verzeichnen. Bis zum Jahresende 1997 sollen nach Schätzungen etwa eine Millionen Menschen arbeitslos geworden sein.

In Indonesien wird noch in diesem Jahr mit Entlassungen von mehre-ren Millionen Arbeiter/inn/en und Angestellten gerech-net. Nach Schätzungen des Arbeitsministeriums wird die Zahl der Arbeitslosen von 4,4 Millionen 1997 auf sechs Millionen 1998 ansteigen. Andere Schätzungen gehen von neun Millionen Arbeitslosen zum Endes des Jahres aus.

Die Gewerkschaften in den betroffenen Ländern sind schwach und waren in den letzten 20 Jahren immer wieder systematisch durch repressive Gesetzgebungen behindert wenn nicht zerschlagen worden, um die friedliche Wirtschaftsentwicklung nicht zu stören.

Völlig ohne Rechte sind die Arbeitsmigrant/inn/en. In Thailand wird ihre Zahl auf über eine Millionen (legal und illegale) — überwiegend aus Burma — geschätzt, von denen bereits viele abgeschoben worden sind. In Malaysia sind es mehr als 2 Millionen, überwiegend aus Indonesien, aber auch aus Thailand, Bangladesch und Indien. Hier ist vor allem mit Entlassungen im Bausektor zu rechnen und die Abschiebung der Arbeitsmigranten ist bereits angekündigt, in der Hoffnung, ihr Platz könnte von zu erwartenden und bereits vorhandenen einheimischen Arbeitslosen eingenommen werden. Die Arbeitsmigranten müssen außerdem bei anhaltender Verschlechterung der Lebensbedingungen mit
einem Anwachsen der bereits vorhandenen Diskriminierung von Seiten der einheimischen Bevölkerung rechnen.

Ein Anstieg der Lebenshaltungskosten, insbesondere der Preise für Grundnahrungsmittel, die z. T. wie in Indonesien durch staatliche Subventionen niedrig gehalten werden konnten, trifft im Prinzip alle gemeinsam, aber diejenigen, die sich sowieso schon an der Grenze des Existenzminimums bewegen, besonders hart.

Mögliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft

Das globale Finanzsystem hat nicht zuletzt auch Devisenhändler und Banken aus Europa und den USA an dem Wachstum der asiatischen Volkswirtschaften mitverdienen lassen. Nun besteht aber zunehmend die umgekehrte Gefahr, daß die Finanzkrisen einzelner asiatischer Länder vor allem Japans bereits seit Jahren stagnierende Wirtschaft noch stärker in Mitleidenschaft ziehen. Gerät die japanische Wirtschaft trotz staatlicher Unterstützung in eine Krise, könnte ein Verkauf von US-amerikanischen Staatsanleihen in den Händen japanischer Banken zur Finanzierung von Defiziten die gesamte Weltwirtschaft empfindlich treffen und zur weltweiten Rezession führen.

Europäische Banken sind mit einem Kreditvolumen von zusammen US-Dollar 365 Mrd. die größten ausländischen Kreditgeber für Unternehmen und Banken in den sogenannten Tigerstaaten, noch vor Japan und den USA. Deutsche Banken haben mit über 100 Mrd. US-Dollar dabei den größten Anteil. Die Deutsche Bank hat bereits Ende Januar angekündigt, daß sie in diesem Jahr 1,4 Mrd. DM mehr Rücklagen für mögliche Verluste im Asiengeschäft bilden wird. Bei der Commerzbank sind es eine Milliarde DM und bei der Bayerischen Landesbank 500 Mio. DM.

Auch der deutsche Steuerzahler könnte aufgrund der Ausfallbürgschaften durch Hermeskredite der Bundesregierung direkt für Verluste deutscher Unternehmen vor allem im Indonesiengeschäft zur Kasse gebeten werden. Die Gesamtsumme bewilligter Hermesbürgschaften für den südostasiatischen Raum beträgt 25 Mrd. DM, davon allein 14 Mrd. für Indonesien. Zahlungsausfälle im Bundeshaushalt in Milliardenhöhe werden für die kommenden Jahre befürchtet.

Aber man hört nicht nur Jammern über mögliche Verluste der Banken, sondern auch Frohlocken, denn nun besteht auch die Möglichkeit, günstig finanziell ruinierte, aber durchaus wirtschaftlich arbeitende Unternehmen in den von der Krise betroffenen Ländern aufzukaufen und damit langfristig die eigene Position auf den asiatischen Märkten zu stärken.

Helfen die IWF-Aktivitäten?

Trotz der Kreditzusagen des IWF mit den entsprechenden drastischen wirtschaftspolitischen Auflagen für Thailand, Indonesien und Südkorea, kann von einer Überwindung der Krise noch keine Rede sein. Der IWF ist mit seinen pauschalen »Rettungsmethoden« inzwischen auf massive Kritik selbst aus Reihen der Weltbank gestoßen. Die Programme seien auf die Schuldenkrise Lateinamerikas ausgerichtet, wo immense staatliche Auslandsschulden das Problem waren und nicht Privatschulden. Man befürchtet, daß die Maßnahmen die wirtschaftliche Lage noch verschlechtern werden und zu politischer Instabilität führen.

So können wirtschaftlich durchaus gesunde Industrieunternehmen nicht mehr weiter produzieren, weil die üblichen kurzfristigen Kredite zur Aufrechterhaltung der Produktion durch den Zinsanstieg viel zu teuer oder weil ihre Banken ruiniert sind. Die Rücknahme von staatlichen Investitionen, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten, führten zur weiteren Schwächung der einheimischen Wirtschaft. Ferner könnten die Rücknahme von staatlichen Subventionen z. B. zur Stabilisierung von Lebensmittelpreisen zu gefährlichen sozialen und politischen Problemen führen. Beide Maßnahmen sind aufgrund der niedrigen Staatsverschuldung und der weitgehend ausgeglichenen Haushalte nur sehr eingeschränkt notwendig gewesen.

Henry Kissinger warnte Anfang Februar, der IWF dürfe die Wirtschaftskrise durch seine undifferenzierten Maßnahmen nicht zu einer politischen Krise werden lassen und damit nationalistische Reaktionen hervorrufen, die sich gegen das Weltwirtschaftssystem richten, das er zu verteidigen versucht.

Chancen für Neubeginn oder Anfang des Niedergangs

Welche Konsequenzen zeichnen sich für die betroffenen Länder ab? Die Wirtschaftskrise könnte eine reinigende Wirkung im Sinne des Marktes haben, indem wirklich unrentable Unternehmen schließen und unsinnige Megaprojekte eingestellt werden müssen. Die Forderungen nach Transparenz in der Wirtschaft und mehr volkswirtschaftlicher Gesamtverantwortung fördern auch demokratische Strukturen.

So erleichterte in Thailand die offensichtliche Unfähigkeit des korrupten politischen Systems, welches für die Wirtschaftskrise mitverantwortlich ist, im letzten Jahr die Verabschiedung einer neuen, demokratischeren Verfassung, was auf eine demokratischere Wahl im Sommer dieses Jahres hoffen läßt.

In Indonesien wird die seit über 30 Jahren scheinbar unantastbare Herrschaft Präsident Suhartos mit seiner Vettern- und Günstlingswirtschaft massiv in Frage gestellt. Viele seiner Familienmitglieder und Günstlinge, die in den letzten 20 Jahren Wirtschaftsunternehmen aufbauen und zu den wichtigsten des Landes ausweiten konnten, müssen bei Einhaltung der Auflagen des IWF mit erheblichen Einbußen und z.T. Schließungen rechnen. Aus allen Kreisen der indonesischen Gesellschaft wird anders als früher offene Kritik geäußert und Suhartos Abgang gefordert. Allerdings gibt es bisher noch keine erkennbare politische Alternative zu Suharto.

Es muß aber auch klar gesehen werden, daß solche möglicherweise positiven Chancen für eine Veränderung auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung gehen. Seit Ende des letzten Jahres wird insbesondere aus Indonesien über Unruhen und Plünderungen berichtet. Zusätzliche Einsparungen in sowieso sehr dünn ausgestatteten sozialen Bereichen werden soziale Spannungen anheizen einhergehend mit einem Wiederaufleben alter, ethnisch-kultureller Konflikte, die schon früher z. T. blutig ausgetragen wurden. Chaotische Verhältnisse in Indonesien, dem mit 200 Mio. Menschen bevölkerungsreichsten Land Südostasiens, könnten die politische Stabilität der Region auf Jahre hinaus erheblich beeinträchtigen mit unabsehbaren Folgen für die Menschen dort wie für die Weltwirtschaft.

Die Wirtschaftskrise ist weder in den einzelnen Ländern behoben, noch sind die politischen Auswirkungen schon voll zum Tragen gekommen.. Entscheidend für die weitere Wirtschaftsentwicklung in Südost- und Ostasien werden nicht nur die Maßnahmen in den betroffenen Ländern sein, sondern vor allem auch die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und Japans. Noch gar nicht gebannt sind die Gefahren, welche die Finanzmärkte mit ihren spekulierenden Kapital auch weiterhin global anrichten können. Hier besteht allerdings vor allem Handlungsbedarf der sogenannten G7-Länder.

(Quelle: südostasien 1-98, S.4-9)

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Stand: 15. Oktober 1998, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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