Teilen, tauschen, sammeln
Konsum« und (Über-) Lebensstile am Rande der philippinischen Gesellschaft

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von Bettina Beer
Seit 1993 forsche ich als Ethnologin auf der Visaya-Insel Bohol (siehe Karte). Dort lebt eine kleine Gruppe von Ati, sogenannten »Negritos«, die innerhalb der Visaya-Region von Insel zu Insel ziehen. Heimat der Ati war die Insel Panay. Heute verkaufen sie Medizin (Kräuter, Amulette und auch Zauberei) an die philippinische Mehrheitsbevölkerung.

Meine Familie«, die mich für die Zeit der Forschungsaufenthalte aufnahm, und zu der seit Beginn meiner Forschung ein enger Kontakt besteht, hat mich immer wieder in Staunen versetzt: Wie leben Menschen ohne festes Einkommen und eigenes Land, die nur wenig zu verkaufen haben? Wovon schaffen sie die Dinge des täglichen Lebens an? Wie kleiden sie ihre Kinder? Wofür geben sie ihr Geld aus? Durch teilnehmende Beobachtung, das Mitleben in der Familie von Joe und Alma Pineda, aber auch durch viele Briefe,1) die Alma mir während meiner Abwesenheit schickte, sowie ihr Tagebuch, das sie seit 1996 führte, erhielt ich nach und nach Antworten auf meine Fragen. Auch die Aufnahme eines Inventars aller Dinge, die im Haushalt vorhanden waren, mit Informationen über Herkunftsort, Preis und Vorbesitzer der Gegenstände war aufschlußreich.

Die Quellen, aus denen sowohl Alltägliches als auch »Luxusgüter« kommen, sind sehr unterschiedlich. Eine Beschreibung von Überlebensstrategien der Ati gibt einen kleinen Einblick in ihre Lebensweise am Rande der philippinischen Gesellschaft:

1.
Teilen ist eine wichtige Strategie, den alltäglichen Bedarf an Nahrungsmitteln zu decken. Am Neujahrstag 1996 notiert Alma beispielsweise in ihrem Tagebuch: »Wir haben Neujahr gefeiert, und Joe und ich hatten beide Fieber. Unser Essen haben wir mit Maja — schließlich ist sie Joes Enkeltochter — und ihrer Familie geteilt, weil sie wirklich überhaupt nichts hatten.« Beim Teilen von Nahrungsmitteln sind gegenseitige Verpflichtungen in verwandtschaftlichen Beziehungen eine »Versicherung« für alltägliche Engpässe. Eine der Familien erhält »von außen« etwas und gibt »Überschüsse« an die anderen weiter.

2.
Anbau von Gemüse auf Land, das der Familie gegen Abgaben zur Nutzung überlassen wurde, und das Sammeln von Feuerholz oder Nipa-Palmwedeln decken den Eigenbedarf an diesen Produkten. Mit dem Erlös aus dem Verkauf von angebautem Gemüse, gesammeltem Holz und kleinen Mengen Kopra oder Nipa kauft Alma zusätzliche Nahrungsmittel, Kleidung oder Dinge, die ihre Kinder in der Schule brauchen.

3.
Der Tausch ist eine weitere Möglichkeit von anderen armen (nicht verwandten) Familien etwas zu bekommen. So tauschte Alma etwa im Januar 1996 mit Reisbauern im Inland von Bohol. Sie notierte: »Ich verkaufte ein Huhn, damit ich Geld bekam, um einen Reissack zu kaufen, um ihn gegen Reis in den Bergen bei Carmen einzutauschen.« Zur Erntezeit fährt sie häufiger zu den Reisbauern und treibt deren Abgaben (mehrere Säcke Reis) an die Landbesitzerin ein, die in Almas Ort lebt und eine »Gönnerin« der Familie ist.

4.
Solche Gelegenheitsarbeiten sind keine verläßliche, aber eine der möglichen Einnahmequellen. Die Bezahlung ist niedrig und wird nicht immer vorher ausgehandelt. Als Alma etwa einmal fuhr, um die Reisabgaben der Bauern zu holen, schrieb sie in ihr Tagebuch: »Als ich nach Hause gehen wollte, gab Marege [ihre Arbeitgeberin] mir 30 Pesos. Ich war sehr enttäuscht, weil sie mir nur 30 Pesos gegeben hatte und wir noch nicht einmal Reis hatten. Wir kochten Bananen zum Abendessen.« Dazu muß man wissen, daß Bananen auf dem von ihr genutzten Land stehen und meist ein ausreichender Vorrat vorhanden ist. Reis ist jedoch sehr viel beliebter, und die Familie betont, von Bananen werde man nicht satt.

Am nächsten Tag notiert sie: »Am frühen Morgen ging ich beim Wasserholen bei Marege vorbei. Als sie mich hörte, rief sie mich vom Fenster aus, und ich ging hinauf. Sie lag noch in ihrem Zimmer. Als ich ankam, fügte sie meinem Lohn für den Weg nach Carmen 20 Pesos hinzu, weil sie mir nur 30 gegeben hatte.« Am Vorabend hatte das der Familie nicht geholfen, aber das ist für andere Filipinos häufig schwer vorstellbar.

5.
»Geschenke« von reichen Familien, mit denen Beziehungen gegenseitiger Verpflichtung (sogenannte Patron-Klient Beziehungen) bestehen, sind eine Bereicherung, die immer willkommen ist. Im Februar ‘96 merkt Alma an: »Heute bekam ich von Marege zwei T-Shirts.« Dies sind gebrauchte Sachen. Manchmal gibt es auch welche von Hilfsorganisationen — nicht immer sind sie zu verwenden, können aber bei anderen wiederum eingetauscht werden. Mitglieder reicher Familien wurden zu Taufpaten der Kinder gemacht, so daß mit Sicherheit an Weihnachten und manchmal auch an den Geburtstagen mit kleinen und größeren »Extras« zu rechnen ist.

6.
Auch Abfälle jeder Art werden verwertet. Sei es, daß »bessere Familien« ihre alte Kleidung aussortieren, vor der jährlichen fiyesta einen Hausputz machen oder bei anderen Gelegenheiten entrümpeln: Alma und Joe können fast alles noch verwenden. Aus einem alten Kalender wird aus den einzelnen Seiten Wandschmuck, Plastikplane wird zur Tischdecke, verbogenes Blechgeschirr wird weiter benutzt. Auch nach einem Taifun werden am Fluß und am Strand jede Menge nützliche Dinge angeschwemmt; am wichtigsten sind gute Holzbretter, -planken oder -stämme. Beinahe alle Möbel in Almas Haus sind aus solchem Treibholz gefertigt.

Viele Dinge legen einen weiten Weg bis zu ihrem Endverbraucher zurück: Eine Migrantin aus Deutschland schickte ihrer Schwester in Manila T-Shirts. Diese gab ihrer Cousine »aus der Provinz« zwei davon ab, die sie einige Zeit trug. In deren Hausmüll fanden Alma und Joe die Hemden, eins davon gab Alma ihrer ältesten Tochter, die wuchs jedoch schnell heraus. Nun trägt es die Jüngste als »sexy Minikleid«, zusammengehalten mit einem Knoten am Saum.

7.
Die Ati sind für die magischen Heilkräfte bekannt, die man ihnen zuschreibt. Sie verkaufen Heilmittel gegen Rheuma, Kopfschmerzen, Schwäche und Müdigkeit; sie kennen sich aus mit Liebeszauber, Mitteln für eine leichte Geburt und Amuletten zum Schutz der Babys vor bösen Blicken und alten Hexen. Alma und Joe gehen schon lange nicht mehr von Haus zu Haus, um an der Tür Medizin anzubieten. Hin und wieder kommen jedoch Kunden bei ihnen vorbei, die Joes Rat suchen. So schrieb Alma etwa »...es kam jemand, der von Joe Hilfe wollte. Seine Freundin ist schwanger, und sie geht noch zur Schule. Er hat Angst vor dem Vater seiner Freundin, weil der beim Militär ist, er ist schon alt. Der Vater des Mädchens hatte zu ihm gesagt: ‘Belästige mein Kind nicht! Wenn Du meine Tochter belästigst, dann schießen wir Dir eine Kugel in den Kopf.‹ Deshalb hat der Mann um Medizin gebeten, um die Schwangerschaft zu beenden. Und Joe hat dem Mann kamias gegeben, damit die Frau es einnimmt. Der Mann hat Joe 20 Pesos gegeben.«

Anmerkung:

1) Ein Buch mit Almas Briefen, Kommentaren und Erklärungen erscheint 1998 unter dem Titel »Post von den Philippinen. Ethnologische Forschung durch Briefe.« im Lit-Verlag, Hamburg.

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Stand: 10. August 1998, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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