Über die demokratischen Defizite der Globalisierung in Indonesien

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Amien Rais
Der Autor ist indonesischer Oppositionsführer
der Muhaadiyah

Heute werden wir die Gelegenheit haben, die Auswirkungen der Globalisierung auf Indonesien, auf seine Demokratie (oder auch Nicht-Demokratie) sowie die Auswirkungen auf die Bevölkerung, insbesondere die kleinen Leute, zu diskutieren. Ich bin aufgefordert worden, einige grundsätzliche Anmerkungen zum Verhältnis von Globalisierung und Demokratie zu machen. Dies ist natürlich ein weitreichender und vielschichtiger Punkt. Angesichts der begrenzten Zeit kann man die Aufmerksamkeit nur auf einige wenige, essentielle Punkte richten. Dementsprechend will ich mich auf einen Aspekt konzentrieren, den ich als das »Demokratiedefizit der Globalisierung« bezeichnen möchte.

Wenden wir uns zunächst der Tatsache zu, daß der Diskurs über Demokratie besonders wichtig für die indonesische Bevölkerung ist, unabhängig vom Phänomen der Globalisierung. Demokratie und Demokratisierung in Indonesien sind heutzutage gleichsam der Ausgangspunkt, um die Aspekte des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu diskutieren und zu hinterfragen. Dabei stellt der Prozeß der Globalisierung Indonesien auch vor Probleme und Herausforderungen. Ich möchte deshalb hier die Gefahren der Globalisierung für die Demokratie und den Demokratisierungsprozeß im gegenwärtigen Indonesien diskutieren.

Zu Beginn der Diskussion sollten wir kurz unseren Begriff von Globalisierung thematisieren, denn dies ist ein Begriff, der keine leichtfertige Definition erfahren sollte. Einige Gelehrte betonen den Prozeß des Zusammenwachsens zu einer Weltgesellschaft, in welcher Grenzen und staatliche Souveränität überwunden werden. Andere betonen den technologischen Aspekt von Globalisierung. Der technischnologische Fortschritt treibt die Globalisierung voran. und in diesem Prozeß wird Technologie selber globalisiert. Wiederum andere unterstreichen die kulturelle Bedeutung des Konzepts, wodurch eine globale Kultur entsteht.

Mein Vorschlag ist, daß wir uns heute mit dem ökonomischen Aspekt der Globalisierung beschäftigen. Der bedeutendste Aspekt der Globalisierung besteht im Prozeß der Globalisierung des Kapitals. Das heißt, daß die Schaffung von Wohlstand und ihre Verteilung auf Marktmechanismen beruhen. Große Kapitaleigner werden zu wichtigen Akteuren, unterstützt durch Bürokratie und Technokraten, sei es im nationalen oder internationalen Rahmen. Sie bereiten den Boden für die Globalisierung des Kapitals. Regierungen locken ausländisches Kapital an und bieten ein günstiges Klima für internationales Kapital, indem sie ihren Markt liberalisieren. Das Mitwirken ausländischen Kapitals wird als Hilfsmittel erachtet, um das Bruttosozialprodukt zu steigern, Jobs zu schaffen und den Einstieg in eine globale Technologie zu schaffen.

Wie und warum führte nun Globalisierung zu gewissen direkten und indirekten Rückschlägen für die Demokratie? Vor der Beantwortung dieser Frage müssen wir klären, wie Demokratien gewisse Geschäftspraktiken kontrollierten, bevor es zu einer Umwälzung in der heutigen globalen Ökonomie gekommen ist.

Schon immer gab es gewisse demokratische Spielregeln im Geschäftsleben.. Zuallererst regelt eine nationale Regierung den Wirtschaftssektor durch rechtliche und verfassungsmäßige Bestimmungen. Die Regierung spielt hier sowohl die Rolle eines Wegbereiters als auch die eines Regulators. Zum zweiten wirken Interessengruppen wie politische Parteien oder Verbände auf den Politikprozeß ein, inklusive die Wirtschaftspolitik. Schließlich und endlich dient das Parlament als Forum der Kontrolle über die Spielregeln des Wirtschaftslebens.

Globalisierung schwächt diese Instanzen. Infolge ihrer globalen Verflechtung operieren Geschäftswelt und internationale Konzerne in einem Umfeld, in welchem demokratische Kontrolle und Überwachung nicht möglich oder nur schwach sind. Geschäftsleute haben heute Einfluß auf Entscheidungen im nationalen wie auch im internationalen Rahmen, wo politische Weichenstellungen fern von nationalen Regierungen getroffen werden.

Im Zeitalter der Globalisierung hat die Exekutive innerhalb des Staatsapparates eine Vorreiterrolle übernommen, im Verbund mit Bürokraten und dem »Big business«. Durch ihre Rolle bei der Bereitstellung grundlegender Infrastruktur, den Verhandlungen über Investitionen und Handelsabkommen sowie der Vereinfachung von Regelungen über Kapitaltransfer und Zusammenarbeit hat die Exekutive zunehmend an Einfluß gewonnen. Dies ist sogar in Ländern der Fall, wo die Exekutive bereits sehr stark und ohne demokratische Kontrolle ist, und wo die Angehörigen der Regierung selber Geschäfte machen, wie z.B. in Indonesien.

Gleichzeitig beobachten wir einen schwindenden Einfluß der Legislative und anderer staatlicher Institutionen außerhalb der Exekutive. Im Falle von Indonesien wurden geheime Absprachen und Entscheidungen über heimische Ressourcen wie Gold, Öl und Gas, fernab jeder öffentlichen Kontrolle und ohne Einbindung demokratisch legitimierter Institutionen getroffen. Diese Praxis reflektiert die Gewohnheit der indonesischen Regierung, das Parlament als eine Versammlung von Ja-Sagern zu betrachten mit der wesentlichen Aufgabe, Maßnahmen und Entscheidungen der Exekutive und der Bürokraten abzusegnen. Dies führte zu einer weiteren Erosion der demokratischen Kontrolle über wichtige öffentliche Angelegenheiten.

Die begrenzte Funktion öffentlicher Debatten zur Überwachung und Abwägung politischer Entscheidungen führte weiterhin zu einer Kluft zwischen öffentlichem Interesse und den Abmachungen der indonesischen Regierung mit ihren Partnern in einem globalisierten Markt. Die indonesische Verfassung sieht vor, daß Land, Wasser und alle natürlichen Ressourcen dem Staat gehören und der Wohlfahrt des Volkes dienlich sein sollen. Dieses Verfassungsgebot kann nicht umgesetzt werden, wenn die politische Arena von Großunternehmen und Regierungsbürokraten dominiert wird, die eigene Geschäftsinteressen verfolgen. Die Exklusivität dieser Entscheidungsebene verzerrt jeglichen Zusammenhang zwischen den Interessen und Sorgen der Bevölkerung einerseits und den Bestimmungen bei Investitionen und Handelsverträgen anderseits.

Letztendlich wird die Schwäche der demokratischen Kontrolle im Zeitalter der Globalisierung ein anderes Problem Indonesiens noch verstärken, nämlich den Mangel an Transparenz. Ausmaß und Schwere von Korruption, Filz und Nepotismus sind in Indonesien kein Geheimnis. Dem indonesischen Volk war dies klar und ebenso den internationalen Organisationen, welche Korruption und Mißmanagement in den internationalen Geschäftsbeziehungen beobachten.

Ich wende mich nun der Frage zu, wie wir dem demokratischen Defizit der Globalisierung begegnen können: wir müssen betonen, daß eine Lösung dieses Defizits weder in einer Abkopplung vom Globalisierungsprozeß durch Selbstisolation bestehen kann noch durch Unterwerfung unter diesen Prozeß. Die Lösung liegt in der Einrichtung und der Garantierung demokratischer Partizipation am Entscheidungsprozeß, beginnend auf der lokalen über die nationale bis hin zur globalen Ebene. Im Folgenden mache ich drei Vorschläge, die unterstreichen, was eine Agenda der Demokratisierung im Kontext von Globalisierung bedeuten kann.

Politische Einbeziehung ist ein Aspekt dieser Agenda. Aus der Perspektive der Demokratietheorie besteht eines der wesentlichen Probleme der Globalisierung in der Einengung dessen, was wir als das »Volk« [im Original: demos; Anm.d.Ü.] bezeichnen. Ein wichtiges Anliegen der Demokratisierung ist es daher, möglichst viele Gruppen des »Volkes« in den Entscheidungsprozeß mit einzubeziehen. Globalisierung beschränkt die Entscheidungsträger auf einflußreiche Geschäftsleute und eine Handvoll Regierungsvertreter, wodurch eine Beteiligung der Bevölkerung an Planung und Umsetzung von Entscheidungen ausgeschlossen wird. Demokratie lehrt uns aber gerade die Hinzuziehung und Erweiterung der beteiligten Parteien am politischen Prozeß.

Für Indonesien bedeutet dies mehr demokratische Kontrolle über die internationalen Vereinbarungen der Regierung und größere Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Bevölkerung. Mit anderen Worten: wenn Demokratie für etwas Gutes gehalten wird, wie ich jedem in diesem Raum einmal unterstellen möchte, dann ist ein Mehr an Demokratie etwas noch Besseres.

Ein weiterer Punkt der Demokratisierung im globalen Zeitalter betrifft die Stärkung öffentlicher Kontrolle über Inhalt und Vorrangigkeit des Entscheidungsprozesses. Demokratietheorie erachtet es als das grundlegende Recht der Bevölkerung, Kontrolle und Entscheidungsgewalt darüber auszuüben, was und in welcher Vorrangigkeit in die politische Tagesordnung aufgenommen wird. Es kann deshalb nicht hingenommen werden, wenn nur eine Seite ihren Willen und ihre Interessen durchsetzt, sei diese Partei nun national, wie z.B. Regierungsvertreter oder Geschäftsleute, oder international, wie etwa eine Großmacht oder eine internationale Finanzinstitution.

Um die Kontrolle der Bevölkerung über Geschäfts- und Investitionsvorhaben zu verstärken, sollte das Volk oder seine Repräsentanten eine größere Rolle bei der Überwachung der Regierung, des heimischen »Big business« sowie der multinationalen Konzerne spielen. Die Bevölkerung soll beispielsweise ein Vorschlagsrecht erhalten in der Vorphase von Verhandlungen, welche die Regierung über Investitionen und Rohstoffabbau mit ihren Partnern führt, und über die Bedingungen und den Inhalt der Verhandlungen mitentscheiden können. Der Regierung soll keine umumschränkte Vollmachten auf Kosten der Volksinteressen und einer Beteiligung des Volkes und ihrer Repräsentanten an dem Prozeß haben. Ebenso wichtig ist, die Beteiligung von Volksrepräsentanten an Schulden- und Investitionsverhandlungen oder anderen öffentlichen Belangen in Erwägung zu ziehen.

Indessen, um von wirklich demokratischen Merkmalen zu sprechen, muß die Einbeziehung der Bevölkerung auch effektiv sein. Es scheint, daß der Prozeß der Entscheidungsfindung im globalen Zeitalter, in dem transnationale Konzerne sich frei über den Globus bewegen, hier joint ventures beginnen und dort Industrien verlagern, weniger und weniger im nationalen Rahmen stattfindet. In diesem Zusammenhang wird die Einbeziehung der Bevölkerung problematisch. Sie kann als Einmischung in die Geschäftsaktivitäten aufgefaßt werden und wird durch Kapitalflucht und Auslagerung der Produktion aus dem Land bestraft.

Dennoch kann und soll die Wirkung der Einbeziehung verstärkt werden. Die Öffentlichkeit und ihre Repräsentanten sollen Vereinbarungen, die von der Regierung getroffen worden sind, in Frage stellen können, wenn man zu der Auffassung gekommen ist, daß diese Vereinbarungen dem Gemeinwohl schaden. Im Hinblick auf multinationale Konzerne können auch öffentliche Kampagnen gestartet werden gegen Firmen, ihre Dienstleistungen und Produkte, wenn diese öffentliche Belange und Anliegen mißachten.

Aufmerksamkeit muß auch den Auswirkungen der Globalisierung auf die Armen und Schwachen gegeben werden. Dies schließt Bauern und Fischer, die städtischen Arbeiter und überhaupt alle kleinen Leute mit ein. Die Geschichte lehrt uns, daß die Größe einer Nation daran gemessen wird, wie sie die Armen und Schwachen behandelt und nicht daran, wie sie die perversen Wünsche und Interessen der Reichen und Wohlhabenden erfüllt. Globalisierung stellt uns vor die Frage, ob Indonesien aus der Geschichte lernen kann.

Letztendlich sind die Auswirkungen der Globalisierung auf das indonesische Bevölkerung abhängig von der Belastbarkeit der indonesischen Demokratie und der Reaktion der kleinen Leute auf den vielschichtigen Prozeß der Globalisierung. Eine der größten Herausforderungen für das kommende Jahrzehnt ist die Frage, wie das Volk demokratisch erzogen und demokratische Prozesse verbessert werden können sowie die Frage, welche Rolle Einzelpersonen, Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen in diesem Prozeß spielen werden. Dies ist in der Tat eine Herausforderung, der Menschen wie Sie und ich begegnen müssen. Wir können und müssen diese Herausforderung annehmen, wo immer wir sind, in unseren Berufsgruppen, in unseren Aktivitäten als Bürger und an den kleinen Orten direkt um die Ecke; Orte so klein und nah, daß man sie auf der Weltkarte nicht sehen kann.         

[Übersetzung aus dem Englischen von Markus Gerboth]

(Quelle: südostasien 2-98, S. 50-52)

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Stand: 10. August 1998, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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