Die deutsche "Asienpolitik" auf dem Prüfstand - Eine Initiative des Asienhauses

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Frithjof Schmidt
Vorstandsmitglied des Trägervereins der Südostasien Informationsstelle

Seit fast zwei Jahren ist nun die neue rot-grüne Bundesregierung im Amt und das Parlament nähert sich der Halbzeit der Legislaturperiode. Dies schien ein richtiger Zeitpunkt zu sein, um eine kritische Bestandsaufnahme der deutschen Asienpolitik in den neunziger Jahren vorzunehmen und Anforderungen an diese Politik für die Zukunft zu erarbeiten.

So wurde von einer Arbeitsgruppe im Asienhaus die Initiative zur Erarbeitung eines entsprechenden Memorandums ergriffen. Der Einladung zu einem Beratungsgespräch hierzu folgten Anfang April 2000 etwa 25 Personen, die in entwicklungspolitisch und menschenrechtlich engagierten Nichtregierungsorganisationen (NRO), in Stiftungen oder wissenschaftlichen Einrichtungen „zu Asien" arbeiten. Viele weitere äußerten ihr Interesse an diesem Projekt. Auf einem weiteren Treffen im Mai wurde intensiv ein Konzeptentwurf diskutiert.

Ziel des Arbeitsprozesses ist es, das Memorandum, mindestens aber einen Entwurf dazu, im Herbst vorzulegen, um öffentlich Impulse für notwendige Veränderungen zu geben. Dieser Artikel kann und will keine Ergebnisse vorwegnehmen, aber er soll einen - sicher persönlich gefärbten - Einblick in den Diskussionstand dieses Sommers geben.

Außenpolitik als gehobene Handelsvertretung: Das Asienkonzept von 1993

Seit Mitte der siebziger Jahre das Schlagwort von der „pazifischen Herausforderung" zu einem festen Bestandteil der Debatten über Außenwirtschafts- und Außenpolitik wurde, gab es immer wieder Vorstöße, ein zusammenhängendes politisches Konzept für die deutsche Politik in „Asien" zu formulieren. Aber ganz so groß, wie oft von Regierungsoffiziellen behauptet, war der Stellenwert des asiatischen Raumes für die deutsche Außenpolitik dann wohl doch nicht.

So dauerte es bis zum Oktober 1993, bis erstmals von der damaligen CDU / CSU / FDP Bundesregierung ein Konzept für die deutsche Asienpolitik verabschiedet wurde. Es erhob formal den Anspruch, die Grundlinien für die deutsche Außenpolitik im gesamten asiatischen Raum (Ostasien, Südostasien und Pazifik, Südasien, Zentralasien und die asiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion) zu formulieren. Dieser Anspruch wurde allerdings durch das Konzept in mehrfacher Hinsicht nicht eingelöst.

Es war praktisch begrenzt auf den ostasiatisch-pazifischen Raum (insbesondere Japan und China) und die Region Südostasien (ASEAN-Staaten).

Es ging deutlich von der Prämisse aus, dass Deutschland in diesen Regionen vor allem wirtschaftliche Interessen zu verfolgen hat und keine konkreten außenpolitischen Zielsetzungen. Es war im Kern mehr ein außenwirtschaftliches Konzept, dessen politischer Horizont auf Wirtschaftsförderung und Handelsabkommen ausgerichtet blieb.

Themen wie Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Stärkung einer nachhaltigen Entwicklung, Schutz der Umwelt, aber auch Grundfragen einer internationalen Sicherheitspolitik wie Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung von Atomwaffen, Regelungs- und Mediationsmechanismen für regionale Konfliktherde, kurz zentrale Fragen die unter dem Stichwort "Global Governance" die internationale Politik prägen, werden allenfalls am Rande behandelt

Das strategische Spannungsverhältnis zwischen Menschenrechtspolitik, Abrüstungszielen und Wirtschaftsinteressen wird nicht wirklich problematisiert, geschweige denn Lösungswege diskutiert.

Die genannten Defizite treffen im wesentlichen auch auf die 1994 vorgelegte „Asienstrategie der Europäischen Union" zu, wobei unterschiedliche Interessenschwerpunkte und daraus resultierende Differenzen – als Beispiel sei nur an die französische Pazifikpolitik erinnert – nicht problematisiert, sondern überdeckt werden.

Mehrere gravierende Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen haben sich seit der Verabschiedung des Asienkonzeptes 1993 ergeben.

Auf nationalstaatlicher Ebene gab es 1998 einen Regierungswechsel. Der Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung erhebt nachdrücklich den Anspruch, das Verhältnis von Menschenrechten, globaler nachhaltiger Entwicklung, Abrüstung und Wirtschaftsinteressen in der deutschen Außenpolitik neu zu justieren.

Die sogenannte Asienkrise hat 1997 die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse in Ost- und Südostasien erschüttert. Der bis dahin beeindruckende ökonomische Erfolgsweg der sogenannten großen und kleinen „Tigerstaaten" (Südkorea, Taiwan, Singapur, Malaysia, Thailand, Indonesien, Philippinen) geriet in die Krise. Japan, der weltwirtschaftliche Riese Asiens – in den achtziger Jahren noch das Erfolgsmodell per se -, geriet durch die Erschütterung seines Bankensystems in schwere Turbulenzen. Politische Krisen in Thailand, Malaysia, den Philippinen und schließlich der Machtwechsel in Indonesien entwickelten sich in direkter Folge. In Bezug auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung der VR China blieben nach der Wiedereingliederung Hongkongs 1999 vor diesem Hintergrund erhebliche Fragezeichen.

Die im Mai 1998 durchgeführten Atomtests Indiens und Pakistans rückten mit einem Schlag wieder die Konfrontation in Südasien ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Die militärische Eskalation des Kaschmirkonfliktes 1999 und der fortdauernde ungelöste Konflikt in Sri Lanka zeigten eindringlich, wie akut die Gefahr für Frieden und Stabilität in Südasien ist. Sicherheitspolitische Auswirkungen auf die benachbarten Regionen Südostasien und den Nahen Osten stehen im Raum.

Sicherheit und Stabilität sind aber auch im übrigen Asien ständig bedroht. In Südostasien ist eine friedliche Entwicklung der Region für die Zukunft keineswegs gesichert. Die latenten Grenzkonflikte etwa um die Spratley-Inseln, die Loslösungsbewegungen in verschieden Regionen Indonesiens oder der Philippinen bergen ein akutes Potential an Instabilität. Die Politik der VR China gegenüber Tibet und Taiwan ist eine Quelle ständiger Spannung. Die Atompolitik und die tiefgreifende wirtschaftliche Instabilität Nordkoreas sind eine Herausforderung für die Sicherheit ganz Nordostasiens.

Die 1999 vereinbarte Intensivierung der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der Europäischen Union und ihre personelle Repräsentanz durch J. Solana (der inzwischen zugleich Generalsekretär der WEU geworden ist) stellt in doppelter Hinsicht in diesem Zusammenhang eine Herausforderung dar: Zum einen entsteht ein größerer Druck, die sich aus unterschiedlichen Interessenlagen der Mitgliedsstaaten ergebenden Politiken der Einzelstaaten zu harmonisieren. Zum anderen ist es dringend erforderlich, in dem begonnenen europäisch-asiatischen Dialog (ASEM) mindestens Südasien miteinzubeziehen und die bisherige starke Beschränkung auf Handels- und Wirtschaftsfragen zu überwinden. Die Ziele der Menschenrechtspolitik, der Stärkung einer nachhaltigen Entwicklung und einer abrüstungsorientierten Sicherheitspolitik müssen auch auf europäischer Ebene maßgebliche Faktoren für die gemeinsame Außenpolitik werden.

All dies macht eine Neuformulierung des „Asienkonzeptes" der Bundesregierung politisch zwingend erforderlich.

Sieben Thesen zur Neuausrichtung der deutschen „Asienpolitik"

1. „Asien" im klassischen geographischen Verständnis umfaßt einen Großraum, der unter den Aspekten der Verschiedenartigkeit der geschichtlichen Entwicklungen, der kulturellen, religiösen, sprachlichen, wirtschaftlichen Unterschiede sich politisch seit langem in mehrere Großregionen ausdifferenziert hat. Das pauschale politische Operieren mit dem Begriff „Asien" ist deshalb fragwürdig bzw. politisch kaum aussagekräftig. Es ist sinnvoll, pragmatisch an dem angeführten Differenzierungsprozeß anzusetzen. Es ist eine sinnvolle Begrenzung, ein politisches Konzept im Sinne einer Schwerpunktsetzung ausdrücklich auf den geographischen Rahmen von Ost-, Südost- und Südasien zu beziehen.

2. Die Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen und sozialer Gerechtigkeit; die Gleichstellung der Geschlechter, die Verwirklichung der Menschenrechte im umfassenden Sinn; das Bewahren bzw. das Wiederherstellen der natürlichen Lebensgrundlagen; zivile Konfliktbearbeitung, Krisenprävention und Friedenssicherung stellen Leitlinien der internationalen Politik dar, deren Umsetzung eine zentrale Aufgabe auch der deutschen Außenpolitik und ihrer regionalen Ziele sein muß. Diese Perspektive muß gerade auch im existierenden Spannungsverhältnis zu legitimen Wirtschaftsinteressen in einer globalisierten Ökonomie dominieren. Die deutsche „Ost-, Süd- und Südostasienpolitik" hat den politischen Stellenwert dieser Perspektive klar hervorzuheben. Die Herausarbeitung dieser Werte und Interessen ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen partnerschaftlichen Dialog und einen Austausch in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht mit den Ländern Ost-, Südost- und Südasiens.

3. Um den gesellschaftlichen Dialog zu fördern und auszubauen sind insbesondere neue Initiativen zur Stärkung der Rolle der NRO wichtig. In den meisten Ländern Ost-, Südost- und Südasiens gibt es eine hohe Zahl von aktiven NRO, die sich den Zielen der sozialen Gerechtigkeit, der Armutsbekämpfung, der Förderung der Selbstorganisation, der demokratischen Partizipation und der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen verschrieben haben. Bisher war die politische Unterstützung organisierter zivilgesellschaftlicher Kooperation - etwa durch die Einrichtung von Handelskammern oder Wirtschaftsforen - stark auf den Bereich der Wirtschaft beschränkt. Hier sollte zu einem umfassenderen Ansatz übergegangen werden, der die wachsende Interdependenz von Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik reflektiert.

4. Die Globalisierung der Märkte für Güter, Finanzwirtschaft und Dienstleistungen hat gerade in Bezug auf Ost-, Süd- und Südostasien eine starke Interdependenz von Handel, Investitionen, Finanz- und Entwicklungspolitik hervorgebracht, die die Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ethischer Maßstäbe zum notwendigen Gestaltungselement der wirtschaftlichen und politischen Kooperation macht.

Legitime wirtschaftliche Interessen müssen sich im Rahmen dieser Vorgaben bewegen. Wichtige Instrumente sind hier die staatliche Bürgschaftspolitik zur Absicherung außenwirtschaftlicher Risiken (Hermes) und die konsequente Umsetzung der seit kurzem überarbeiteten, besonderen gesetzlichen Bestimmungen und Richtlinien für Rüstungsexporte und Rüstungskooperation.

5. Tourismus ist ein bedeutender Faktor der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und vielen Ländern der Region geworden. Der Kampf gegen frauen- und kinderfeindliche Abarten des Massentourismus im Umfeld von Menschenhandel und Prostitution hat in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Insgesamt geht es jedoch auch um eine qualitative Veränderung des Reiseverhaltens und des Massenfernverkehrs. Der Vorschlag der Bundesregierung von 1998 für die Entwicklung globaler „Richtlinien für Tourismus und Biodiversität" war ein richtiger Schritt, für dessen Umsetzung weitere Initiativen im Dialog mit Regierungen und NRO der Region ergriffen werden müssen.

6. Die zahlreichen Spannungsgebiete in Ost-, Südost- und Südasien, die militärische Aufrüstung und insbesondere die bestehenden Nuklearwaffenpotentiale stellen eine große Gefahr für den Weltfrieden und eine direktes Bedrohungspotential für die gesamte Menschheit dar. Die Entwicklung einer stabilen Friedensordnung ist deshalb ein überragendes gemeinsames Interesse Deutschlands, Europas und der Länder Ost-, Süd- und Südostasiens. Dem Einbringen entsprechender Erfahrungen aus dem KSZE-Prozeß, bzw. der Arbeit der OSZE, insbesondere hinsichtlich ziviler Konfliktbearbeitung und Abrüstung und auch entsprechender Folgerungen für eine Reform der Vereinten Nationen, muß in der Zusammenarbeit mit den Ländern der Region durch die deutsche Außenpolitik besonderes Gewicht beigemessen werden.

7. Der organisierte politische Dialog zwischen zehn Staaten Ost- und Südostasiens und den Ländern der Europäischen Union sowie der EU-Kommission seit 1996 in Form des „Asia-Europe-Meeting" (ASEM) alle zwei Jahre, stellt eine neue Stufe der partnerschaftlichen Kooperation globaler Großregionen dar. Die deutsche Regierung sollte bei der Weiterentwicklung des ASEM-Prozesses entsprechend initiativ werden. Ein entscheidender Schritt hierzu wäre auch die offizielle Anerkennung und Unterstützung des unabhängigen ASEM-NRO-Dialoges. Ebenso sollte sie die Forderungen nach der Einrichtung eines „ASEM Social Forum" aufgreifen und grundsätzlich unterstützen.

Die deutsche Außenpolitik stellt heute an sich selbst den Anspruch, der Maxime der „globalen Zukunftssicherung" zu folgen. Dies ist politisch als allgemeine Leitlinie sicher sinnvoll. Aber die Nagelprobe auf die Glaubwürdigkeit erfolgt in einzelnen Politikfeldern und in der konkreten Politik gegenüber Ländern und bestimmten Regionen. Die Erarbeitung und Umsetzung eines neuen Konzeptes für die deutsche Ost-, Süd- und Südostasienpolitik ist eine solche Nagelprobe. Und sie ist überfällig.

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Stand: 10. Oktober 2000, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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