Das Zentrum und seine Peripherie

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Gareth Api Richards
Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Politologie im Bereich „Government" an der Universität Manchester.

Bewegungen, die zu einem gewissen Ausmaß politische Autonomie von zentralisierten Staaten fordern, sind zu einem weit verbreiteten Phänomen der post-kolonialen Gesellschaften geworden. Nirgends wird dies besser illustriert als in der jüngeren Geschichte Südostasiens. Alle größeren Länder der Region – Burma, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Thailand – sind mit Forderungen verschiedener Art und unterschiedlichen Ausmaßes nach regionalen Formen von Regierung, nach Dezentralisierung der Macht oder sogar nach Abspaltung und Unabhängigkeit konfrontiert.

Diese Forderungen, die die Bewegungen wie Pilze aus dem Boden schießen lassen, erwuchsen aus politischen und kulturellen Revolutionen, die im zwanzigsten Jahrhundert die Region überzogen. Sie bildeten die Antwort auf drei Entwicklungen. Die erste war das "Reifen" von Kolonialstaaten, die Rechtsautorität und souveräne Macht innerhalb präzise markierter Grenzen, die von internationalem Gesetz ratifiziert wurden, etablierten. Die Zweite war das Aufbegehren des populären Nationalismus, der ironischerweise von seinem Antagonisten geborgt und gegen den Kolonialstaat eingesetzt wurde. Und Drittens wurden in der post-kolonialen Ära komplexe Verbindungen zwischen Bürokratie und Militär und ihrer gemeinsamen Interessen geschaffen, die innerhalb der autoritären Regimes Nahrung fanden.

Auf diesem Boden wuchsen die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Politik mit Schwerpunkt auf der „Nationalen Einheit„, auf gewachsenen Traditionen, die die Staatsinteressen mit den Interessen der Gesellschaft verbanden, auf politischen Strukturen, die die soziale und wirtschaftliche Macht der Staatseliten und ihrer Verbündeten mehrten und auf Voraussetzungen für eine schnelle kapitalistische Entwicklung. Jeder Punkt bildete eine Grundlage für die Unterdrückung jeglicher Opposition, einschließlich der sozialen Gruppen, die nicht einfach dem nationalen Projekt angeglichen werden konnten oder jener, die versuchten, die maßgebenden Muster sozialer, ökonomischer und politischer Dominanz herauszufordern.

Seit kurzem jedoch erscheinen die Gewissheiten, die einst mit autoritären Entwicklungsstaaten Südostasiens assoziiert wurden, in einem neuen Licht. Im Umfeld außergewöhnlich rasanten sozialen und wirtschaftlichen Wandels – die Konsequenzen der Krise 1997/98 eingeschlossen – sind die Staatseliten mit neuen Problemen hinsichtlich der Organisation des politischen Lebens konfrontiert. In Thailand, Indonesien und den Philippinen wurden in den letzten drei Jahren neue Regierungen gewählt. Die exzessive Konzentration entscheidungstragender Macht mit exekutiver Kontrolle ist in die Kritik geraten. Neue soziale Kräfte konkurrieren um Macht und um die Kontrolle der politischen Agenda. Das typische Bild einer duldenden Bürgerschaft wurde durch einen Zivilgesellschafts-Aktivismus ersetzt, der politische Reformen und Rechenschaft fordert und die Legitimität und moralische Autorität des Staates von Grund auf in Frage stellt.

In diesem Zusammenhang blühen politische Bewegungen, die auf größere Autonomie vom Staat drängen, erneut auf. Eine strittige Frage in der Region ist heute, ob die politischen Systeme auseinanderfallen und eine nationale Zerstückelung heraufbeschworen wird. Hinsichtlich der zunehmend fragilen politischen Ordnung stellt sich die Frage, wie sich die Beziehung zwischen Zentrum, welches uneingeschränkte Macht gewohnt ist, und seiner Peripherie gestalten wird. Werden die Staaten in der Lage sein, in gewissem Ausmaß ihnen obliegende Macht abzugeben, um die entstehenden Forderungen zu befriedigen, oder wird es einen Rückzug auf autoritäre Strukturen geben? Gerade die Art und Weise, wie diese schwer zu handhabenden Probleme angegangen werden, wird wichtige Hinweise auf die Qualität der allgemeinen Umgestaltung von Macht und Politik in der Region geben.

Die Politik der Abspaltung

Sezession ist kein neues Phänomen. Die derzeitigen politischen Bewegungen, die einen Rückzug aus der Zuständigkeit staatlicher Nationen fordern und die noch eindrucksvolleren erfolgreichen Versuche der Abspaltung sind jedoch beispiellos. Über das letzte Jahrzehnt gab es eine Zunahme von Sezessionsbewegungen, die Gewissheiten zu Zeiten des Kalten Krieges scheinen sozialen Unruhen, umstrittenen Grenzen, zerfallenden Staaten und ökonomischen Krisen gewichen zu sein. In Anbetracht dieser Umstände und der Globalisierungsprozesse, die jenseits der Kontrolle individueller Staaten zu liegen scheinen, zeigen die Menschen größere Tendenzen zur Absplitterung.

Normalerweise repräsentieren Sezessionsbewegungen die Bestrebungen der Minderheiten, eine Form von Selbstbestimmung zu suchen. Die Agendas solcher Bewegungen variieren – sie können religiös oder säkular sein, sie können ethnische Identität oder wirtschaftliche Faktoren hervorheben, sie können konservativ oder progressiv sein – oder sie kombinieren diese Elemente. Trotz der Unterschiede existieren zwei Schlüsselprinzipien, die alle gegenwärtigen Sezessionsforderungen tragen. Das erste basiert auf der Idee des Rechtes auf Selbstbestimmung, das in der liberalen Theorie der Gültigkeit von Autonomie und Gerechtigkeit verwurzelt ist. Im Wesentlichen ist dies ein normativer Standpunkt auf Basis der Idee, dass eine Berechtigung besteht, aus der territoriale Ansprüche abgeleitet werden. Das zweite Prinzip bildet das Konzept des Nationalismus als ideologische Basis für das Aufbrechen eines existierenden Staates und die Forderungen nach der Gründung einer separaten oder autonomen politischen Einheit.

Obwohl es schwierig ist, Muster der Abspaltungsbewegungen zu verallgemeinern, besonders in einer Region mit einer solchen Vielfalt wie in Südostasien, lassen sich verbreitete Charakteristika hinsichtlich der Forderungen finden.

Das erste ist die Forderung nach vollständiger Unabhängigkeit – nach nationaler Selbstbestimmung – die entsprechende Region wird zu einem neuen Staat mit eigenem Recht, mit eigener Verfassung und internationaler Anerkennung als Mitglied der internationalen Gemeinschaft. So gestaltete sich die einzigartige Errungenschaft des Unabhängigkeitskampfes in Osttimor. Obwohl erfolgreiche Sezession den neuen Staat mit einer Reihe internationaler Rechte ausstattet, bedeutet das nicht unbedingt, dass Verbindungen zum ehemaligen „Mutterstaat„ komplett abgebrochen werden. Eine Ausarbeitung der Bedingungen für die Beziehung Osttimors zu Indonesien wird erst den Abschluss dieses langwierigen Abspaltungsprozesses bilden.

Zweitens sind Forderungen zur politischen Abspaltung nicht statisch – sie reflektieren und reagieren auf veränderte Bedingungen auf lokaler, regionaler und zweifellos globaler Ebene. Solche Forderungen können dann modifiziert oder ausgetauscht werden. So kann das Ziel der nationalen Unabhängigkeit durch geringere Ziele wie regionale Autonomie, Machtbeteiligung, Dezentralisation oder kulturelle Unabhängigkeit ersetzt werden. Dies gilt für die Moro National Liberation Front (MNLF) auf den südlichen Inseln der Philippinen. Die 1969 ursprünglich mit dem Ziel eines seperaten Muslimstaates gegründete Organisation, die sich des bewaffneten Kampfes bediente, akzeptierte ein Waffenstillstands-Abkommen mit der philippinischen Regierung als Basis für ein Einverständnis hinsichtlich politischer Autonomie. Es ist jedoch ebenfalls wahr, dass ganz bescheidene Forderungen nach Autonomie durch das Drängen nach größerer politischer Freiheit und sogar Abspaltung ersetzt werden und eskalieren. Hierfür ist das beste Beispiel vermutlich die Unabhängigkeitsbewegung in Aceh, in Indonesiens Nord-Sumatra, eine Bewegung, deren Ruf nach Abspaltung von Indonesien nicht nur durch Repressionen des indonesischen Militärs angeheizt wurde, sondern auch durch den Vorbildeffekt der osttimoresischen Abstimmung für die Unabhängigkeit.

Drittens kann man argumentieren, dass die Stärkung der demokratischen Institutionen und die Verbreitung normativer Ideale hinsichtlich eines demokratischen Regierens im letzten Jahrzehnt selbst verstärkte Forderungen nach Abspaltung hervorgebracht haben. Mit anderen Worten: Demokratie und Sezession werden als eng miteinander verbunden angesehen. Wenn Demokratie mit Souveränität des Volkes gleichgesetzt werden kann, so die Argumentation, dann kann Sezession als Bestreben verschiedener Völker angesehen werden, sich selbst zu regieren, buchstäblich politisch selbstbestimmt zu sein, indem sie ihre eigenen Staaten gründen. So begünstigen die Prinzipien von Demokratie selbst die Idee, sich abzuspalten und ein Recht hierauf zu haben, wenn eine Bewegung in einem bestimmten Teil innerhalb des Staatsterritoriums eine Mehrheit hinsichtlich Sezession aufbieten kann. Auch wird häufig behauptet, dass der sogenannte Wandel zur Demokratie in Südostasien mit Wahrscheinlichkeit die Regierungen dazu bringen wird, ihre autoritären Masken herunterzureißen und den Mantel der liberalen Demokratie anzulegen. Unerlässlich hierfür ist die größere Bereitschaft der Staaten, zumindest einigen Sezessionsforderungen nachzugeben, wenn sie die Unabhängigkeit nicht akzeptieren wollen.

Diese drei Charakteristika der Sezessionsbewegungen und ihrer Forderungen – die maximale Forderung nach politischer Abspaltung, die Modifizierung der Forderungen über einen Zeitraum hinweg und die offensichtliche Verbindung zwischen Demokratie und Sezession – stürzen die Staaten in komplexe Dilemmas. Die Geschichte Südostasiens zeigt, dass es für nationale Regierungen unerhört ist, die Abspaltung einer Region von der staatlichen Nation zu gewähren, vor allem wenn die Besonderheit der betroffenen Region ihren Reichtum an wertvollen natürlichen oder ökonomischen Ressourcen bildet. Es spielt keine Rolle, wie plausibel die Ansprüche „des Volkes„ und die territorialen Einheiten sind, stets konkurrieren sie mit der mächtigen und eingefleischten Staatselite und deren Interessen.

Üblicherweise haben die Regierungen Südostasiens versucht, Forderungen nach größerer politischer Autonomie mit einer Reihe von Zwangsmaßnahmen niederzuschlagen. In Burma, zum Beispiel, führt die militärische Regierungsallianz schon seit fast 50 Jahren einen brutalen Unterdrückungs-Feldzug gegen die Karen National Union. Ähnlich in Indonesien, wo der Kampf der östlichsten Provinz Papua um Unabhängigkeit mit einer Kombination aus Armee und bewaffneten Milizen, die die indonesische Verbindung unterstützen, in Schach gehalten wird. Selbst in Malaysia, dessen Bundesverfassung scheinbar größeren Raum für ein Ausbalancieren unterschiedlicher politischer Interessen lässt, zögerte die zentrale Regierung nicht lange, das drakonische Internal Security Act (ISA) oder andere Strafmaßnahmen anzuwenden, um die oppositionellen Bewegungen zu bändigen. Kurz, das übliche Mittel, Autonomieforderungen zu verweigern, beinhaltet Repressionen mittels Genozide, Zwangsabschiebungen, Assimilation, Verfremdung, polizeiliche Restriktionen, verfassungsrechtliche Hürden und Wahlbetrug.

Mit den Veränderungen, die die Region in den letzten Jahren erfasste, hat jedoch die Suche nach alternativen Strategien begonnen. Kurz, statt der Gewährung der völligen Unabhängigkeit – dies wurde nur in Osttimor erreicht – wird das übliche Allheilmittel für das Dilemma, das aus dem Anspruch nach größerer politischer Autonomie und Sezession erwächst, die Dezentralisierung sein.

Dezentralisierungsstrategien und ihre Grenzen

Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass Dezentralisierung als angemessene Strategie im Umgang mit politischen Forderungen nach Autonomie angesehen wird. Erstens sind viele sezessionistische Bewegungen und regionale Organisationen in Anbetracht der Schwierigkeit, politische Unabhängigkeit von etablierten Staatsnationen zu erhalten, darauf vorbereitet, eine verfassungsgebundene Autonomie als eine realistische und als „zweitbeste„ Lösung zu akzeptieren. Zweitens üben multilaterale Organisationen beträchtlichen Druck auf die Regierungen aus, Dezentralisierungsstrategien zu entwickeln, um effiziente öffentliche Entscheidungsprozesse und marktfreundliche ökonomische Reformen voranzutreiben. So sponserte zum Beispiel die Weltbank kürzlich ein Projekt, welches sie „greater localization„ nennt, um administrative Funktionen zu dezentralisieren und Befugnisse auf subnationale Einheiten zu übertragen. Ein nicht unwichtiger Anspruch der Bank ist, dass solche Formen der Dezentralisierung innovative Wege zur Neuordnung des Staates bilden, die eine unterstützende Rolle für marktfreundliche ökonomische Reformen spielen. Drittens betrachten Nichtregierungsorganisationen Dezentralisierung als Voraussetzung für wirklichen Fortschritt hinsichtlich der alten Probleme von Armut, ethnischen und religiösen Spannungen, Korruption und Verunstaltungen von Demokratie.

Oberflächlich gesehen scheint jeder der genannten Aspekte einen anderen Grund für die Unterstützung der Dezentralisierung zu bieten. Ihnen gemeinsam ist jedoch, Dezentralisierung im Wesentlichen als Aspekt öffentlicher Verwaltung oder des Managements anzusehen. In diesem Sinne wird Dezentralisierung einfach als Übertragung der Verantwortung in Sachen Planung, Ressourcen, Entscheidungsgewalt oder administrativer Autorität von der Zentralregierung und seinen Organen auf lokale Verwaltungseinheiten, semi-autonome Organisationen oder Nichtregierungsorganisationen gesehen. Diese Sichtweise impliziert, dass Dezentralisierung hauptsächlich die Übertragung einiger administrativer Befugnisse oder Verantwortungen auf eine niedrigere Ebene innerhalb der zentralen oder regionalen Regierungsministerien und- behörden und die daraus entstehenden subnationalen Regierungseinheiten umfasst. Lokale politische Eliten, multilaterale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Reformpolitiker können alle einen Gewinn aus den erwarteten Vorteilen besserer Entscheidungsfindung, größerer politischer Effizienz und Verantwortung, Partzipierung und Einbeziehen der Bürger hinsichtlich der Verteilung öffentlicher Güter ziehen.

Dies ist ein bemerkenswert enger Blickwinkel auf den gesamten Themenkomplex, der durch die Forderungen nach größerer politischer Autonomie aufgeworfen wird. Nach gegenwärtiger Auffassung ist Dezentralisierung zur Management-Frage geworden, die in einer sehr diffusen und unbestimmten Art und Weise als universal vorteilhafte Entwicklung präsentiert wird. Sie widmet sich Fragen von Dienstleistung und „Effektivität„, vernachlässigt jedoch eine wirkliche Neuordnung der staatlichen Macht. Was diesem Ansatz von Dezentralisierung und dem Vokabular der politischen Reformen fehlt, ist die Konfrontation mit den Strukturen von Zwang und Ausbeutung, die sich bis in die kleinste Ecke des Alltags der Menschen auswirken.

Wenn Dezentralisierungsstrategien geeignet sein sollen, mit ernsthaften Forderungen nach mehr Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit umzugehen – und nicht lediglich der Verbesserung der Regierungseffizienz dienen sollen – dann müssen sie eine wirksame Plattform bilden, von der aus die Machtverhältnisse innerhalb der Politik neu gestaltet werden können. Die Forderungen der Minderheiten sind auch die Forderungen der Mehrheit. Anders ausgedrückt: Jedes Projekt, das die emanzipatorischen Bestrebungen nach größerer politischer Autonomie und demokratischer Selbstbestimmung ernst nimmt, wird die Veränderung der ökonomischen und sozialen Strukturen mit einbeziehen müssen.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet stimmt die Gegenwart hinsichtlich eines ernsthaften politischen Wandels in Südostasien nicht gerade optimistisch. Für den größten Teil [der Region] gibt es keinen Grund anzunehmen, dass der grundlegend autoritäre Charakter der südostasiatischen Staaten sich wirklich verändert hat, trotz neuer Rhetorik von Demokratie und Dezentralisierung. Zweifellos gibt es einige Politiker, Bürokraten und Militäroffiziere, die an neue Richtungen glauben und die sich kurzzeitig gegen die alten Koalitionen von Macht und Reichtum stellen werden. Bisher ist für die meisten das Bedürfnis, die eigenen Privilegien und langfristigen Interessen zu sichern, wahrscheinlich ausreichender Grund, weiterhin eine Position mit einzigartiger Macht zu fordern und die Möglichkeiten für eine Zukunft in Gerechtigkeit und Gleichheit einzuschränken. In den letzten zehn Jahren und speziell seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise von 1997/98 gibt es viele Beweise für die Konsolidierung alter Machtkoalitionen und illiberaler Regierungsformen. Als Folge ist der Zugang selbst zu grundlegenden Prinzipien gesetzlicher Sicherheit und Gleichheit weit schwieriger geworden, ganz zu schweigen von der Anwendung ziviler und politischer Rechte auf lokaler oder regionaler Ebene.

In Indonesien zum Beispiel ist die Riege der Post-Suharto-Politiker nach der Abstimmung in Osttimor eher vorsichtig hinsichtlich der Ermutigung zu größerer politischer Autonomie. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass Politiker Gesetze zur nationalen Sicherheit verabschiedet haben, die dem Militär in Zeiten der „Instabilität„ weitreichende Befugnisse zugestehen und ihm Autorität verleihen, sich mit Sezessionsbewegungen und Arbeiteraufständen auseinanderzusetzen. Inzwischen erwartet man ein neues Autonomiegesetz. Ob irgend jemand in autorisierter Stellung bereit ist, den Absprung von dem ausbeutenden und kolonialen Modell, das die Existenz des modernen Indonesiens so vergiftet hat, zu wagen, ist völlig unklar. In Malaysia konsolidiert Premierminister Mahathir mittels Einschüchterung und Zwangsmaßnahmen seine Kontrolle über die Staatsmacht.

Als Reaktion auf die Stimmengewinne der Opposition verweigerte er dem Bundesstaat Terengganu, da er nun unter die Kontrolle der muslimischen PAS gestellt ist, den Transfer der Einnahmen durch Öl. Das zeigt, die Zentralregierung behält das absolute Kommando über Schlüsselentscheidungen hinsichtlich der Ausgaben für Entwicklung. Selbst an Orten wie den Philippinen, wo mehr gemeinschaftliche Anstrengungen unternommen wurden, politische Reformen mittels Übertragung von Befugnissen auf lokale administrative Ebenen zu fördern, wurden diese Institutionen von den Überbleibseln der alten Elite schlicht enteignet, damit sie ihre Macht und ihre Privilegien reorganisieren konnte. Das Motiv hinter dieser Dezentralisierung ist eng verwandt mit der Liberalisierung der Wirtschaft und hat den lokalen Eliten Vorteile gebracht, die ihre neue Macht nutzen, ihre Position auf Kosten von Gruppen mit niedrigerem Einkommen zu stärken.

Abschließend könnte man argumentieren, dass Dezentralisierungspolitik eigentlich unerheblich in Anbetracht der politischen, sozialen und ökonomischen Probleme ist, die zu Forderungen nach Autonomie und Demokratie führen. In diesem Zusammenhang verfehlen unzählige Debatten über die Vorzüge und die unterschiedlichen Formen von Dezentralisierung der Staatsmacht ihr Ziel. Ohne grundlegenden sozialen Wandel, ohne eine Neuordnung der Staatsmacht gibt es schlichtweg keine Garantie, dass regionale Regierungsformen die Ziele größerer demokratischer Selbstbestimmung und sozio-ökonomischer Gleichheit erreichen werden.

Schlussfolgerung

Die Politik der Sezession ist niemals eine unkomplizierte Angelegenheit. Die beiden Prinzipien, die die sezessionistischen Forderungen tragen – der berechtigte Anspruch auf Autonomie und das Konzept des Nationalismus als ideologische Basis – sind wichtige Wege, Herausforderungen für jene Staaten zu sein, die zu oft Zwang und Gewalt ausübten, um legitime und populäre Forderungen niederzuwalzen. Die Prinzipien sind jedoch in sich unzureichend, die Voraussetzungen für eine radikal andere Sozialordnung zu schaffen. Deshalb deutet ein kritischeres Lesen darauf hin, dass Dezentralisierungsstrategien unwahrscheinlich zu einer langfristigen Lösung für die tief verwurzelten Probleme, die mittels Bestrebungen nach Autonomie, Wahl-Freiheit und Demokratie aufgeworfen werden, führen.

Dezentralisierung sollte nicht aus seinem Kontext isoliert betrachtet werden. Sie ist nicht einfach eine administrative oder eine Management-Frage, deren Resultat an dem Ausmaß gemessen werden kann, zu dem Reformpolitiker, multilaterale Organisationen oder auch sezessionistische Bewegungen selbst die vermeintlichen Vorteile gutheißen. Das Problem der Sezession, die Rufe nach mehr Autonomie und demokratischer Partizipierung in Südostasien sind, wie überall, durch die Verschmelzung ökonomischer, sozialer und politischer Macht geformt. Wenn Dezentralisierung zu einem neuen emanzipatorischen Projekt beiträgt, muss es auch als Strategie verstanden werden, die die Natur von Macht innerhalb des Staates und seiner Peripherie grundlegend ändert.

Aus dem Englischen übersetzt von Gudrun Witte

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Stand: 20. Dezember 2000, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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