Mediengestammel - Abu Sayyaf als Subunternehmer staatlichen Terrors

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von Rainer Werning

So viel hochdotierte und zelebrierte Konfusion war selten. Wie sehr hätte man sich in den bewegten und bewegenden Tagen des Geiseldramas auf der südphilippinischen Insel Jolo einen Egon Erwin Kisch gewünscht! Eines nur hatte die Medienberichterstattung mit dem "rasenden Reporter" gemein: sie war rasend. Und lag zumeist doch rasant daneben.

Kaum ein Vertreter der omnipräsenten und häufig live geschalteten Medienschar fühlte sich bemüßigt, dem Zuschauer das eigentlich Naheliegende auch nur ansatzweise zu erklären: Wieso gelingt es ein paar geiselnehmenden Desperados immer wieder, mit einem Großaufgebot von bis zu 5.000 philippinischen Militärs Katz und Maus zu spielen und gebetene sowie ungebetene Vermittler mühelos auflaufen zu lassen? Wer und was steckt hinter Abu Sayyaf?

Medienpräsenz in kriegerischer Frontstellung

Statt diesen zentralen Fragen nachzuspüren, gefällt sich der in Manila, Zamboanga und Jolo stationierte Medientross darin, Statements und Infohäppchen zu paraphrasieren, die ihm aus zivilen und militärischen Regierungsstellen in Manila und vom SouthCom, dem Südkommando der Armee, gesteckt wurden. Einige Journalisten waren zuvor im Kosovo und in Tschetschenien und lechzten nach spektakulären Bildern, zu denen ihnen, so sie diese schließlich von philippinischen Kollegen zugespielt bekamen, meistens nur Spruchblasen einfielen.

Bevor auch nur Genaues über den Tathergang bekannt war, waren bereits die Täter ausgemacht und lief die Feindbildprojektion auf Hochtouren. "Islamistische Terroristen", "Moro-Sezessionisten" und "moslemische Rebellen" seien dafür verantwortlich. Hartmut Idzko schwadronierte am 25. April in der Tagesschau vom "Rebellenführer Abu Sayyaf", was so präzise ist, als begrüßte im Gegenzug ein Moro den guten Korrespondenten mit "Hartmut Tagesschau".

Unzählige Male wurde der Vorsitzende der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), Hashim Salamat, als Abu Sayyaf-Chef ausgegeben. Da muss sich der Geheimdienstgeneral José Calimlim ob seiner famos geglückten Desinformation mächtig ins Fäustchen gelacht haben. Den Vorsitzenden der heute bedeutsamsten und größten Moro-Widerstandsbewegung, in einen Topf mit Abu Sayyaf zu werfen, ist gefährlicher Unfug - und hat doch Methode. Wir dürfen hier nicht vergessen, dass Präsident Joseph Estrada höchstpersönlich mehrfach öffentlich "den Moro-Rebellen den totalen Krieg" erklärt und Anfang Mai ihnen unterschiedslos mit ihrer "Pulverisierung" gedroht hat. [siehe: "Ich werde die MILF pulverisieren" - Estrada führt Krieg in Zentralmindanao] Besteht da eine Allianz zwischen offizieller Aufstachelung zum Staatsterrorismus und bellizistischer Pose und Gefügigkeit seitens der Medien?

Günter Ederer, von 1985 bis 1990 ZDF-Korrespondent in Ostasien, gelang in einem Beitrag für Die Welt (4. Mai) ein nachgerade müheloser Rückfall hinter Karl May. Darin heißt es u.a.: (...)mich fasziniert am meisten, wie der wilde und unzivilisierte Stamm der Tausugs (...) es geschafft hat, seine Räuberei und Piraterie international als islamischen Aufstand hoffähig zu machen. (...) Die Stunde von Nur Misuari schlug unter Präsident Ramos. Die Pfründen wurden neu verteilt. Seine bewaffneten Krieger übernahmen die Rolle der Ordnungsmacht, und seit er im Palast der autonomen Verwaltung in Zamboanga Platz nehmen durfte, sitzt er an den Einnahmequellen. Prompt entstand eine neu ‘Befreiungsarmee’, die Abu Sayyaf." Da verschränken sich rassistische Versatzstücke mit purem Unsinn, um in legere Geschichtsauslegung abzugleiten. Die Autonomous Region of Moslem Mindanao (ARMM), deren Gouverneur Misuari ist, hat ihren Sitz in Cotabato City. Seinen Frieden schloß Misuari mit Ex-Präsident und Ex-General Fidel V. Ramos am 2. September 1996. Laut Ederer ist also das Geburtsdatum der Abu Sayyaf nicht vor September 1996 festzumachen. Da muss er, dessen Beitrag mit einem postkolonialem Charme ausstrahlenden Privatfoto (zusammen mit waschechten Piraten) versehen wurde, fast ein Jahrzehnt dieser trüben Truppe übersehen oder "vergessen" haben.

Selbst in der sich seriös gebenden DIE ZEIT (11.5.00) prostet uns Michael Schwelien Tiefschürfendes über die Trinkgewohnheiten der Moros zu. "Die Muslime", schreibt er, "mischen ihn (gemeint ist der Whisky, R.W.) gerne mit Cola, dann, glauben sie, sieht Allah ihn nicht."

Gänzlich von der Rolle zeigte sich der Kölner Stadt-Anzeiger (8.5.), der in völliger Verkehrung der Realität seinen Philippinen-Beitrag mit "Moslems führen gegen Manila Krieg" betitelte! (...)

Die Krankheit im Zeitalter schneller Bilder und rasanter Globalisierung - Amnesie, das Vergessen und systematische Vergessen-Machen - trägt dazu bei, dass Recherche zur Reklame und Aufdecken in Zudecken verkommt. Gesellt sich dazu noch der Zwang, in höchstens drei Minuten Substanzielles zu sagen - wie ausgeprägt doch der Hang ist, dem Zuschauer nicht das längere und überlegte Wort zuzumuten! -, wird Plattitüde zum Programm.

Metamorphosen des Terrors

Abu Sayyaf ist ein komplexes Phänomen, das überdies einige Metamorphosen erlebte. Ihre Ursprünge reichen zurück in die Ära von Corazon Aquino, mit der der Gründungsvorsitzende der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) und langjährig im libyschen Exil weilende Nur Misuari 1986/87 Friedensgespräche führte. Sie scheiterten auf der ganzen Linie und führten vor allem auf der Insel Basilan - später auch auf Jolo und Tawi-Tawi - zur Desillusionierung einstiger Weggefährten. Misuari war dieser Gruppe von Ex-MNLF-Kämpfern suspekt geworden und hatte seine Führungsrolle verspielt. Als neue Leitbilder galten fortan Ayatollah Khomeini (Riesenposter von ihm prangten in Dschungelcamps, vermittelt von iranischen Missionaren) und die hauptsächlich von Pakistan aus operierenden Widerstandskämpfer gegen das Kabuler Regime und die sowjetischen Besatzertruppen. Einige Abu Sayyaf-Mitglieder erhielten dort ebenso eine militärische Ausbildung wie später unter den Taliban-Milizen.

Zu Beginn der 90er Jahre kam eine neue Komponente ins Spiel, die für das philippinische Militär und den Geheimdienst des Landes wenig schmeichelhaft ist – ihre aktive Beteiligung an der Gruppe. Das belegt etwa der Fall von Edwin Angeles. Dieser Agent der Sicherheitskräfte trat zum Islam über und avancierte alsbald zu einem der Feldkommandeure von Abu Sayyaf und war für mehrere deren Militäroperationen verantwortlich. 1995 kehrte Angeles der Abu Sayyaf den Rücken, tauchte unter und wurde im Januar 1999 von Sicherheitskräften erschossen aufgefunden zu werden – Abu-Sayyaf-Leute hatten ihn als "Verräter" liquidiert. Einen Monat zuvor hatte es den Gründer von Abu Sayyaf, Abdurajak Abubakar Janjalani, erwischt, der während eines Feuergefechts mit Armeeeinheiten ums Leben kam.

Seitdem hat sein Bruder Khaddafy Janjalani die Führung der zirka 800 Mann starken, überwiegend aus Yakan rekrutierten Mitgliedern dieser militaristischen Gruppe übernommen. Auch er eine schillernde Person: Khaddafy diente einst in der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) und stand zeitweilig unter Aufsicht der Streitkräfte (AFP) in Manilas Camp Crame, dem Hauptquartier der PNP. Bis heute bleibt unklar, ob er auf freien Fuß gesetzt wurde, entfliehen konnte oder in bestimmter Mission tätig ist. Jedenfalls gehörten Kidnapping (zumeist reicher Geschäftsleute), Lösegelderpressungen und Terroranschläge gegen zivile Einrichtungen zum Repertoire dieser Gruppe. Die aus diesem "Business" erzielte Beute kam nach Einschätzungen zuverlässiger Quellen vor Ort auch lokalen und regionalen Politikern und Militärs direkt oder indirekt zugute. Diese revanchierten sich, indem kaum eine Aufklärung - von einer rechtskräftigen Verurteilung ganz zu schweigen - spektakulärer Abu Sayyaf-Aktionen stattfand.

Bei ihrem Angriff auf den Ort Ipil starben 1995 über 50 Menschen, und vor Weihnachten 1998 machten sie durch Granatenanschläge gegen Kirchen und ein Einkaufszentrum in Zamboanga City von sich reden, bei denen 60 Personen zum Teil schwer verletzt wurden.

Am 8. Mai hielt Senator Aquilino Pimentel - auch im Namen der anderen beiden aus Mindanao stammenden Senatoren Teofisto F. Guingona und Robert Z. Barbers - im philippinischen Senat eine bemerkenswerte Rede. In einer parteiübergreifenden Stellungnahme attackierten sie scharf die neuerliche Entfesselung des Krieges in Zentralmindanao. Und ihre Rede enthielt Pikantes zur Abu Sayyaf. Dort heißt es unter anderem: "Die MILF und Abu Sayyaf ständig zusammenzuwürfeln, als handele es sich um ein und denselben Hund mit unterschiedlichen Halsbänden, ist unstatthaft. Die MILF hat eine politische Agenda. Die Abu Sayyaf ist eine durch und durch kriminelle Vereinigung. Die MILF kämpft dafür, die eigene Kultur, Religion und Identität zu wahren. Abu Sayyaf kämpft hingegen, um ihre Verbrechen in ein Geschäft zu verwandeln, von dem einzig diese Gruppe profitiert. Abu Sayyaf-Kämpfer wurden ursprünglich als freiwillige Mudjahedin rekrutiert, um im amerikanischen Stellvertreter-Krieg in Afghanistan in den frühen 90er Jahren zu dienen. (...) Finanzielle und logistische Unterstützung erhielt Abu Sayyaf von US-Undercover Agents - mit eventueller Verbindung zur CIA. Osama Bin Laden könnte dabei der Hauptkurier gespielt haben, was entweder die finanzielle Unterstützung oder Waffenlieferung an Abu Sayyaf oder gar beides betrifft."

Sollte sich dies bewahrheiten, hieße das: Widerständskämpfer werden von einflussreichen politischen Kräften zuerst kreiert und politisch instrumentalisiert, um im Bedarfsfall zu Terroristen abgestempelt und zur Diskreditierung der Unabhängigkeitsbewegung benutzt zu werden.

Misuaris zum Scheitern verurteilte Mission

Die Entwicklungen lassen vermuten, dass es "Koordinationsschwierigkeiten" und Kompetenzgerangel zwischen zentralen und regionalen/lokalen Instanzen gibt - sozusagen ein Zentrum-Peripherie-Konflikt auf anderer Ebene.

Im Vorfeld der seit 1993 hauptsächlich in Indonesien geführten Gesprächsrunden zwischen der MNLF und der Ramos-Regierung, die am 2. September 1996 zur Unterzeichnung des endgültigen Friedensvertrages führten, war Abu Sayyaf ein wesentliches Destabilisierungselement, von sämtlichen reaktionären Kräften als eine Art Subunternehmen instrumentalisiert, um Chaos und interreligiöse Konflikte gezielt zu schüren und Misuaris "Kapitulation" (Hashim Salamat) zu beschleunigen. Ein halbes Jahr vor Unterzeichnung des Friedensabkommens hatte Misuari in einem langen Gespräch mit dem Autor in Jolo noch die Hoffnung gehegt, ein "Arafat der Moros" zu werden. Ein fataler Trugschluß: Sein Schulterschluß mit dem Korea- und Vietnamkriegsveteranen und an US-amerikanischen Militärakademien in PsyOp (psychologische Kriegsführung) geschulten Ramos ließ ihn schrittweise und unaufhaltsam zur Fußnote (einige seiner Weggefährten setzen das Adjektiv "lächerlich" hinzu) des Moro-Widerstandes herabsinken. Der Friede blieb brüchig und die Performance des als ARMM-Gouverneur vollständig ins System integrierten Misuari grotesk. Kein Wunder, dass Manila nunmehr alles daran setzt, die weiterhin für Unabhängigkeit kämpfende MILF zu "befrieden".

Es ist nicht erstaunlich, dass Misuari als Vermittler im Geiseldrama von Anfang an strikt abgelehnt und selbst unter seinen Tausug-Gefolgsleuten als "parenta" gilt - frei übersetzt: "der hat denselben Stallgeruch wie die Regierung". (...) Es sind zu Misuari auf Distanz gegangene Ex-MNLFler, die direkt oder indirekt mit Abu Sayyaf kooperieren. Das Friedensabkommen zwischen MNLF und Manila von 1996 sieht als einen wesentlichen Bestandteil die Integration 7.500 früherer MNLF-Kämpfer in die Streitkräfte (AFP) und Nationalpolizei (PNP) vor. Dieser Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen. (...) Talipao und Patikul auf Jolo, wo sich das Geiseldrama abspielt, aber sind seit langem einige der zahlreichen Domänen von MNLF-Kämpfern, die sich von Misuari verschaukelt fühlen, da dieser sie 1996 wie eine heiße Kartoffel fallen ließ.

Kommander Robot

Als Hauptverantwortlicher der Geiselnahme gilt Galib Andang alias Kommandeur Robot. Andang ist ein notorischer Krimineller, der seit längerem im Sulu Archipel sein Unwesen treibt und als Drahtzieher in mehreren Erpressungs- und Kidnapping-Fällen gilt. Was Misuaris Verhandlungsrolle erschwert(e) ist die Tatsache, dass hinter Andang mit Mujib Agga Susukan, Said Suaib und Abu Pula Jumdail drei Kommandeure stehen, die alte Rechnungen mit Misuari, mithin also mit dem Staatsapparat, zu begleichen haben. Der Vater von Mujib beispielsweise, ein alter Kampfgefährte Misuaris und MNLF-Provinzkommandeur, kam vor einigen Jahren in einem Feuergefecht mit Regierungstruppen ums Leben. Und Mujib selbst, der Misuari nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1996 um politische und finanzielle Unterstützung bat, fühlte sich maßlos brüskiert, als dieser ihn einfach links liegen ließ.

(...)Misuari blockierte letztlich eine sensible und diskrete Verhandlung mit unkonventionellen Mitteln. Das heißt, die Kanäle waren blockiert für solche Avancen, die jenseits des Scheinwerferlichts hätten genutzt werden können, doch aufgrund der auf eine Kriegslogik eingeschworenen Regierung nicht zum Zuge kamen. So ist denn die Zentralregierung Opfer und Täter zugleich einer Politik, die auf zentraler Ebene aus den Fugen gleitet, und regional/lokal tatkräftig den Geiselnehmern zuarbeitet.

Das eigentlich Skandalöse an der ganzen Geschichte aber ist, dass offensichtlich das Schicksal von 21 Geiseln schwerer wiegt als das der über 200 000 zwangsevakuierten Opfer staatsterroristischer Aktionen in Zentralmindanao.(...) Der Präsident folgt mit seinen Militärs einer Kampf- und Kriegslogik, die der Ex-Schauspieler früher bevorzugt in Billigproduktionen zelebrierte. Verantwortlich ist letztlich er, dem das Auswärtige Amt und die Europäische Union (vertreten durch Javier Solana) noch immer Friedfertigkeit unterstellen und ihn hofieren. (...)

So hätte eigentlich die in der Nähe konzentrierte Medienschar reichlich Stoff und Gelegenheit gehabt, das Bestmögliche ihrer Zunft dem interessierten Publikum nahe zu bringen. *

* Das vorliegende, gekürzte, Manuskript wurde am 10. Mai abgeschlossen.

Dr. Rainer Werning, Geschäftsführer der Stiftung für Kinder (Freiburg i.Br.), befasst sich seit 1970 intensiv mit der Mindanao- und Moro-Problematik. Erst kürzlich kehrte er von einer neuerlichen Reise nach Mindanao, Sabah (Ostmalaysia) und Jolo zurück.

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Stand: 24. Mai 2000, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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