Geschlechtsspezifische Perspektiven des Konflikts in Mindanao. Die Suche nach einer alternativen Friedenssicherung

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Carmen A. Abubakar    

Dekanin des Institute for Islamic Studies Überblick über den Inhalt der
Zeitschrift südostasien 4/2000

Auf dem Höhepunkt des jüngsten Konflikts in Mindanao, in der Zeit vom 28. April bis zur Zerstörung von Camp Abubakar, erschöpfte sich die Kriegsberichterstattung auf den Bildschirmen oder in den grellen Schlagzeilen der Zeitungen und Sensationsblätter in Darstellung dröhnender Haubitzen und Granatwerfer.

Da sah man große, durch Bomben von Militärhubschraubern verursachte Krater, zerstörte Häuser und Bauernhöfe und anrührende Bilder von verängstigten Flüchtlingen, meist Frauen und Kinder, die auf staubigen Bergwegen Flüchtlingslager zu erreichen suchten. In Kriegszeiten wird die Linie zwischen Opfern und Siegern, zwischen Mächtigen und Machtlosen oft scharf markiert. Dann bringen die Medien Bilder, in denen die Demütigung und Entwürdigung der Opfer neben der Übermacht der Sieger gezeigt wird. So werden Frauen oft einseitig in die Kategorie der Opfer gezwängt, als machtlose Wesen angesichts der Gewalt, die plötzlich in ihr Leben getreten ist.

Teresita Quintos Deles beschrieb im Juli 1999 in ihrer Monographie »Filipino Women’s Advoca­cy and Action for Peace« die vielfältige Art und Weise, in der Frauen sowohl direkt wie auch indirekt Opfer des Krieges werden: ökonomisch, psychologisch, kulturell und politisch.

Wirtschaftliche Aspekte

Da der jüngste Konflikt während der Erntezeit einsetzte, mussten viele Bauern ihre Feldarbeit liegen lassen. Viele wollten zurückkehren und gerieten zwischen die feindlichen Linien; manche wurden gar als Rebellen verdächtigt. So bleiben die Familien auf Flüchtlingslager angewiesen, die sie nur dürftig unterstützen können.

Die Hauptlast der täglichen Fürsorge liegt bei den Frauen, besonders den Witwen, die sich um die Kinder und zugleich um Nahrung und medizinische Versorgung kümmern müssen. Dabei werden Lebensmittelhilfen und andere Formen der Unterstützung ebenfalls von Frauen organisiert.

Da viele Häuser und Äcker zerstört sind, wird das wirtschaftliche Desaster voraussichtlich noch weit über das Kriegsende hinaus bestehen. Die Regierung will lediglich 200 Millionen Pesos aufbringen, um 250.000 Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Häuser und Hütten zu ermöglichen. Doch Roberto R. Calingo, Geschäftsführer des Philippine Business for Social Progress geht davon aus, dass mindestens 30 Milliarden Pesos als Wiederaufbauhilfe für die besonders betroffenen Gebiete Mindanaos benötigt werden — über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Denn diese Gebiete sind im Vergleich zur Gesamtregion und erst recht zum ganzen Land sehr unterentwickelt (siehe: Kolonialkrieg im Schatten der Geiselnahme, südostasien 3/2000). Doch wo sollen die Gelder bei der gegenwärtigen Wirtschaftlage herkommen?

Psychologische Aspekte

Das Kriegstrauma entsteht aus der unmittelbaren Erfahrung von Ungewissheit, Unsicherheit und Furcht. Seit Kriegsbeginn haben viele Frauen, wehrlos zwischen den Fronten, ungenanntes Leid erduldet. Da war vor allem die Angst vor verirrten Kugeln. Die NGO Kalinaw Mindanao spricht in dem Bericht ihrer Untersuchung vor Ort von Vergeltungsangriffen militärischer Einheiten, die Häuser zerstörten und Zivilisten, die sie in ihre Gewalt gebracht hatten, »kaltblütig töteten«.

 Kalinaw Mindanao dokumentierte Fälle von gezielten Attacken des Militärs auf die Zivilbevölkerung, zum Beispiel auf Tabako Island oder dem Bezirk Calaganan in Cotabato City. »Trotz einer Vereinbarung, die betreffenden Orte nicht in Mitleidenschaft zu ziehen«, hätten Marinesoldaten Berichten zufolge das Feuer auf 20 Wohnhäuser eröffnet. Die flüchtenden Bewohner/innen seien »von einem Hubschrauber aus mit Kugeln und Granaten beschossen worden«.

Die Flüchtlingslager stellten ebenfalls keinen sicheren Hort für die Flüchtlinge dar. Aufgrund der Überfüllung und der mangelhaften sanitären Einrichtungen starben Menschen, darunter Kinder vom Babyalter bis zu 14 Jahren, wegen fehlender Medikamente an sonst leicht zu kurierenden Übeln wie Durchfall.

Doch das Kriegstrauma ist auch in anderen Gebieten präsent. So können sich etwa die Bewohner/innen von mindestens drei Städten in Maguindanao nur mit Passierscheinen des Militärs bewegen. Besonders Frauen sind dadurch gefährdet, können sie sich doch gegen körperliche Belästigungen am wenigstens zur Wehr setzen.

Vielleicht bleibt das Trauma, wegen des Krieges zur Unzeit Witwe geworden zu sein, die stärkste Belas­tung für Frauen, ganz gleich, ob sie nun Ehefrauen von Soldaten, Rebellen oder Zivilisten sind. Ganz plötzlich sind sie auf sich gestellt und müssen, so gut es geht, mit ihren Problemen allein klarkommen. Wiedergutmachung für erlittene Pein, Schadenersatz oder gar offizielle Totenscheine für ihre männlichen Angehörigen sind schwer zu erlangen.

Soldatenwitwen geht es aufgrund von Witwenrenten und Schadenersatzgeldern wirtschaftlich besser, aber die Witwen von Zivilisten wie von Rebellen können lediglich auf die Unterstützung von Familienangehörigen und engen Verwandten hoffen.

Kulturelle Aspekte

Der Konflikt berührt auch die kulturelle Ebene. Muslimen ist die Gefahr sexueller Gewalt gegenüber Frauen als Konsequenz der Militarisierung ständig bewusst. Frauen und Kinder zu verstecken, ist darum auch eine der am meisten verbreiteten Methoden, um diese Konsequenz zu vermeiden. Aber in Kampfsituationen ist das nicht immer einfach, daher wurden insbesondere Frauen und Kinder aufgefordert, den Kriegsschauplatz zu verlassen.

Die Militarisierung der Südphilippinen haben sie gerade für Frauen zu einem gefährlichen Platz werden lassen. Berichte über Vergewaltigungen sind zwar an die Öffentlichkeit gedrungen, eine Untersuchung hat aber nicht stattgefunden, schlicht und einfach, weil die Opfer schweigen und die Täter nicht angezeigt haben. Andererseits haben Frauen auch eine bemerkenswerte Rolle als Soldatinnen gespielt. Über ihre Teilnahme an Angriffen auf die Lager der MILF wurde ausführlich berichtet. Normalerweise wurden Frauen in der Armee bisher nur fern von kämpfenden Einheiten als Hilfstruppen eingesetzt — heute jedoch nicht mehr. Der Krieg hat hier den Bann gebrochen. Wahrscheinlich wird sich der Kampfeinsatz von Frauen eher noch steigern als abnehmen.

Eine »Kultur« des Krieges gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sie betrachtet etwa Frauen als Erholungsfaktor für müde Krieger. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe unterhielten Entertainerinnen die Soldaten in den Militärlagern. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis die Sex­industrie im südlichen Mindanao ebenso Fuß gefasst hat wie einst in der Clark Air Base oder der Subic Bay.

Folgt man den Kolumnist/innen, Journalist/innen in Funk und Fernsehen und den Leserbriefspalten, scheint sich das ganze Land im Kriegsfieber zu befinden. Worte wie »pulverisieren« und »fertig machen« werden in die Umgangssprache aufgenommen und spiegeln die öffentlichen Gefühle in diesen Kriegszeiten wider. Und auch die verbesserten Umfragewerte für Estrada sind ein Indiz jener Kultur des Krieges.

Die wahllosen Bombardements und Zwangsevakuierungen durch das Militär sind der beste Beweis für die zunehmende Kriegshysterie und die wachsende Spaltung der verschiedenen Ethnien und in den einzelnen Gemeinden.

Politische Aspekte

Das immer stärker werdende identitätsstiftende religiöse Bewusstsein vertieft auch die Trennung zwischen Moslems, Muslimas und Christ/innen und kann zu allen möglichen religiösen und ethnischen Antagonismen führen, zu bewaffneten Überfällen, Angriffen auf Gemeinden, verwüsteten Feldern und brennenden Häusern, zu Mord und Totschlag. Gemeinden, die einst friedlich zusammenlebten, trennen heute tiefe Gräben. Und bei denen, die darunter leiden, wächst der Hass.

Auf einer anderen politischen Ebene ist das Friedensabkommen, das 1996 zwischen der Regierung und der MNLF vereinbart wurde, weitgehend diesem Konflikt zum Opfer gefallen. Für die meisten von der Regierung und anderen Organisationen in Gang gebrachten Programme gilt Ähnliches.

Durch den Konflikt ist auch das wichtige Anliegen des Föderalismus in die Diskussion gekommen. Senator Aquilino Pimentel Jr. meint, es würde den Jahrzehnte langen Konflikt zwischen der Regierung und den Rebellen im Süden der Philippinen lösen. Die MILF lehnt sowohl Föderalismus wie Autonomie ab. Der MILF-Vorsitzende des regionalen Kommandos für West-Mindanao erklärt dazu, vielmehr »sichere die Errichtung eines unabhängigen islamischen Staates in Mindanao eine politische, ökonomische, stabile und endgültige Lösung des Problems der Bangsamoro-Bevölkerung« (Manila Times, 9.2.2000).

Wie auch immer die politische Lösung aussehen wird — die Lage der Frauen ist dabei bisher nicht deutlich zur Sprache gebracht worden.

Alternative Friedenssicherung

Seit der Krieg eskalierte, haben die Frauen ihre Stimme für den Frieden erhoben. Doch weithin ohne Echo.

Schon früh versuchte eine Gruppe von Frauen, Präsident Estrada und den MILF-Vorsitzenden Hashim Salamat zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Dieselbe Gruppe, die als »Rat führender Frauen in Mindanao« bekannt wurde, forderte später dazu auf, Camp Abubakar zur Friedens- und Freihandelszone zu erklären.

In Metro Manila haben Mitglieder der Kampagne »Frauen in Weiß« zu einer fünfundvierzigtägigen Waffenruhe aufgerufen. Doch dieser Appell wurde von den Medien und erst recht wohl vom Malacanang-Palast ignoriert.

Eine der frühesten Frauen-Organisationen war die 1989 gegründete Sarang Bangun-Stiftung, die sich während der letzten zehn Jahre für bessere Lebens- und Lernbedingungen der Moro-Frauen und -kinder im Sulu-Gebiet und in Zamboanga einsetzte. Mit ähnlicher Zielsetzung wurde 1996 die Bangsamoro-Frauenstiftung für Frieden und Entwicklung ins Leben gerufen. Frauen — so zeigt sich hier — gewinnen in der Gesellschaft Profil, indem sie Projekte anstoßen und deren Organisation selbst in die Hand nehmen. Allerdings haben inzwischen einige dieser Projekte, die sich auf MILF-Gebiet befanden, ihre Arbeit aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zeitweise einstellen müssen.

 Es gibt noch wesentlich mehr Frauenorganisationen, die sich auf Mindanao den verschiedensten Aufgaben widmen, vor allem der Gemeinwesen- und Lobbyarbeit, um Frauen zu ermöglichen, an Entscheidungen in der Gemeinde mitzuwirken. Diese Organisationen können dazu beitragen, dass Frauen ein politisches Bewusstsein entwickeln, um ihr Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände zu nehmen; und sie können die Kluft überbrücken, die zwischen Frauen der verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften besteht.

Schlussfolgerungen

Der Konflikt in Mindanao hat offensichtlich dazu beigetragen, dass Frauen stärker in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses kamen. Das ist gut so.

Das Aktionsprogramm der 4. Weltkonferenz der Frauen in Peking hat überdies 1995 das Thema »Frauen und bewaffnete Konflikte« als wesentliches Problem herausgestellt. Hier wird erkannt, dass dieses Thema Frauen in aller Welt angeht.

In ähnlicher Weise kamen die versammelten Frauen des Asia Pacific Regional Symposium on the Beijing +5 process darin überein, dass bestimmte Themenschwerpunkte in den nächsten Jahren vorrangig berücksichtigt werden sollten:

-     Die Verweigerung bürgerlicher und politischer Rechte gegenüber Flüchtlingen und Vertriebenen;

-     Der mangelnde Schutz sexueller und Reproduktionsrechte von weiblichen Flüchtlingen und Vertriebenen;

-     Die ständige Berufung auf »die Tradition«, um verschiedenartige Aggression und Gewalt zu rechtfertigen;

-     Die ständig erzwungene Prostitution und sexuelle Versklavung von Frauen in militärischen Konfliktsituationen;

-     Die ungenügende Repräsentation von Frauen bei Entscheidungsfindungen in solchen Konfliktsituationen; ferner der Mangel an staatlichen und nichtstaatlichen Aktivitäten, durch die die Regeln der Internationalen Menschenrechte für Zivilisten in Konfliktsituationen zur Geltung gebracht werden könnten.

Von diesen Anliegen ist das zuletzt genannte das wohl wichtigste. Aus dieser Sicht ist es nützlich und notwendig, Frauen Erfahrungen, Ausbildung und Fertigkeiten zu ermöglichen, die sie befähigen, erfolgreicher als bisher an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

(gekürzte) Übersetzung: Klaus Schmidt

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Stand: 14. Mai 2001, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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