Vom Ende einer Wachstumsutopie: Krise und soziale Spannungen auf den Riau-Inseln

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Rolf Jordan
Doktorand am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel. Seine Schwerpunkte: Sozialer und Politischer Wandel in Südostasien, speziell in Singapur; internationale Migration; stadtsoziologische Forschungen. Migrationssysteme in Global Cities.

Bei gutem Wetter kann man vom Fährhafen in Batu Ampar auf der indonesischen Insel Batam die Skyline der nur wenige Kilometer entfernten Metropole Singapur sehen. Lange Zeit war der Stadtstaat für die regionalen Entwicklungsplaner vor Ort mehr als nur eine glitzernde Silhouette am Horizont; bereits in den späten siebziger Jahren zielten die Entwicklungsplanungen für Batam auf nicht weniger als den Bau eines zweiten Singapur auf dem etwas mehr als 400 km2 großen Eiland ab. Ende der achtziger Jahre schließlich engagierte sich der Stadtstaat im Rahmen seiner eigenen Regionalisierungsziele vor allem in industriellen und touristischen Projekten auf Batam und der Nachbarinsel Bintan. Doch schon lange vor dem Beginn der schweren wirtschaftlichen Krise begann sich die Regionalisierungspolitik auch auf andere Länder in der Region, etwa auf Vietnam und die VR China, zu konzentrieren, so dass viele der einstigen Planungsziele letztlich nicht verwirklicht wurden. Die Krise der letzten Jahre hat dann die sozialen Folgen der rapiden ökonomischen Entwicklung auf Batam und Bintan nur noch deutlicher zu Tage treten lassen. Das Fortschrittsideal von einst ist längst auch zur Kontrastfolie der eigenen sozialen Probleme geworden.

Die Insel Batam gehört, wie die größere Nachbarinsel Bintan, zu den der Nordküste Sumatras vorgelagerten Riau-Inseln. Bereits in den frühen siebziger Jahren hatte der Ausbau der Ölindustrie durch staatliche und ausländische Unternehmen zur Herausbildung von industriellen Strukturen in der Riau-Provinz geführt. Ende der siebziger Jahre folgten schließlich die Gründung einer eigenen Planungsbehörde für die weitere industrielle Entwicklung Batams und erste Planungen für den Ausbau der Insel zu einem Industriestandort und Logistikzentrum in der Region. Doch trotz staatlicher Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur blieb vieles lange Zeit im Planungsstadium; nennenswerte Investitionen im Industriesektor waren kaum zu verzeichnen. Das Fortschrittsideal der Planer bekam schließlich Ende der achtziger Jahre eine neue Bedeutung, als die Regierungen Singapurs und Indonesiens offiziell ihre Wirtschaftskooperation auf Batam begannen. Zusammen mit Bintan wurde die Insel Teil des Indonesia-Malaysia-Singapore Growth Triangle (IMS GT), zu dem neben Singapur auch der südmalaysische Bundesstaat Johor gehört. Große Mengen ausländischer Investitionen — vor allem aus Singapur — flossen seither in den Bau von Industrieparks und Tourismus Resorts.

Zu den wichtigsten Entwicklungsprojekten gehören der BatamIndo Industrial Park, das Bintan Industrial Estate und das Bintan Beach International Resort. Gemeinsam ist diesen Projekten nicht nur, dass sie das Ergebnis enger wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf höchsten Regierungsebenen sind, sondern auch, dass sie in ihrer deutlichen Außenorientierung von Beginn an nur sehr geringe Spill-Over-Effekte für die lokalen wirtschaftlichen Strukturen aufzuweisen hatten. Diese und eine Reihe anderer, bisher jedoch unvollständig gebliebener, Projekte haben dazu geführt, dass sich das Erscheinungsbild und die sozialen Strukturen der beiden Inseln in den letzten Jahren nahezu vollständig gewandelt haben: wo einst dichter Regenwald stand, finden sich jetzt weite Brachflächen; eine moderne Verkehrsinfrastruktur verbindet die Projekte miteinander und vor allem mit der Kernregion Singapur; von etwa 6.000 in den frühen siebziger Jahren ist die Zahl der Bewohner Batams bis Mitte der neunziger Jahre auf nahezu 200.000 angestiegen; in der Boom-Phase arbeiteten mehr als 120.000 Menschen in den Weltmarktfabriken und Tourismusunternehmen der Insel. Hinzu kommen eine große Zahl von Touristen — 1996 allein mehr als eine Million — und eine unbekannte Zahl illegaler Migranten.

Soziale Brüche als Folgen des rapiden Wandels

In den Fabriken der großen Industrieparks arbeiten vor allem junge Frauen, die für einen begrenzten Zeitraum aus vielen Teilen Indonesiens angeworben werden. Ein Großteil von ihnen lebt in den eigens dafür bereitgestellten Unterkünften auf den Industriearealen. Doch viele wohnen auch, zusammen mit der großen Zahl illegaler Migranten, in den Squattersiedlungen, die sich überall auf der Insel entlang der Zufahrtsstraßen zu den Industrieparks finden lassen. Diese ›wilden Häuser‹ (rumah liar) waren auch schon in der Aufschwungphase der wirtschaftlichen Entwicklung Batams das offensichtlichste Zeichen zunehmender sozialer Brüche als Folge des rapiden Wandels auf der Insel.

Die 1997 einsetzende schwere wirtschaftliche Krise schließlich hat die rasante Entwicklung Batams vorerst gestoppt. Gelder für den weiteren Ausbau der Infrastruktur aus Jakarta blieben nun ebenso aus wie Investitionen ausländischer Unternehmen im Industrie- und Tourismussektor. Und auch Singapur — bis dahin der wichtigste Investor auf Batam — hatte im Rahmen der Regionalisierungspolitik die Schwerpunkte der Auslandsaktivitäten längst in Länder wie Vietnam und die VR China verlagert. Geblieben sind lediglich die großen Industrieparks, während viele kleinere Projekte sich in der Krise zurückgezogen haben. Auch die Tourismusindustrie ist von den wirtschaftlichen Problemen des Landes nicht verschont geblieben; viele Touristen bleiben angesichts der sozialen und politischen Spannungen im Land den Stränden und Golfplätzen Batams und Bintans fern.

Die Fortschrittseuphorie von einst scheint längst der Ernüchterung über die Folgen des rapiden sozialen Wandels und der wirtschaftlichen Krise gewichen. Heute bestimmt vor allem steigende Arbeitslosigkeit den Alltag der meisten Menschen auf Batam und Bintan. Die vielen Squattersiedlungen am Rande der verbliebenen Industrieansiedlungen beherbergen zwar noch immer eine große Zahl von illegalen Migranten, doch nur noch wenige von ihnen kommen auf die Inseln auf der Suche nach einer Beschäftigung in den Weltmarktfabriken des BatamIndo Industrial Park oder des Bintan Industrial Estate; ihr Ziel sind nun die Arbeitsmärkte von Singapur und vor allem Malaysia. Tanjung Pinang, politisches und wirtschaftliches Zentrum Bintans und der gesamten Riau-Inseln und wichtigster Hafen für Fährverbindungen nach Singapur und Johor, hat sich mittlerweile zu einem Ausgangspunkt für illegale Migranten aus Indonesien nach Malaysia entwickelt. Mehr als 20.000 von ihnen sollen sich nach offiziellen Schätzungen noch Anfang des Jahres allein auf Batam aufgehalten haben. Der Schmuggel von Menschen und Waren hat sich mittlerweile zum wichtigsten Industriezweig der Inseln entwickelt.

Ein weiterer wichtiger Industriezweig auf den Inseln ist wohl das Prostitutionsgewerbe. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse, hohe Lebenshaltungskosten und das Fehlen von intakten Sozialstrukturen haben schon in der wirtschaftlichen Boom-Phase zu einer Ausbreitung von Prostitution auf Batam und Bintan geführt; die anhaltende Wirtschaftskrise dürfte die Zahl der Frauen, die in den Bars und Massagesalons, den Restaurants und Hotels dieser Beschäftigung nachgehen, noch weiter erhöht haben. Ihre Kunden kommen vor allem aus dem nahen Singapur, aber auch aus Johor.

Erste Proteste gegen die Erschließung von neuen Projekten

Bereits Anfang des Jahres kam es auf Bintan zu ersten Protesten gegen die teilweise Enteignung von Land für die Erschließung von Entwicklungsprojekten auf der Insel. Diese Proteste, die sich vor allem gegen die Betreiber des Bintan Beach International Resort richteten, waren die ersten dieser Art, von denen auch in der örtlichen Presse berichtet wurde. Etwa 20 Todesopfer, so aktuelle Schätzungen, haben schließlich die jüngsten Kämpfe zwischen Gruppen von Migranten auf der kleinen Insel Batam Ende Juni gefordert. Über die Gründe, die zu den blutigen Kämpfen zwischen den aus der Region Medan im Norden Sumatras stammenden Bataks und den aus dem Osten Indonesiens kommenden Flores führten, gibt es bisher noch keine Angaben. Doch es ist zu vermuten, dass auch hier der rapide Wandel der letzten Jahre zu sozialen Spannungen führte, die die anhaltende wirtschaftliche Krise im Land noch deutlicher hat zutage treten lassen. Starke Polizei- und Militärpräsenz haben die Ausschreitungen nach zwei Tagen beendet; ob es an den Ursachen des blutigen Konfliktes etwas geändert hat, darf bezweifelt werden.

Die von Singapur aus gemanagten Industrieparkprojekte sind von der wirtschaftlichen Krise und den politischen Unruhen im Land bisher noch kaum betroffen; anlässlich der aktuellen Ausschreitungen entsandte die Provinzregierung eigens Polizeikräfte zum Schutz der Industrieanlage und zur Aufrechterhaltung der Produktion.

In Singapur ist in Bezug auf die Riau-Inseln von der einstigen Fortschrittsutopie längst nicht mehr viel zu spüren; die Regionalisierungsbemühungen der Planer im Stadtstaat zielen schon länger eher auf andere Projekte in der asiatisch-pazifischen Region. Die von Singapur aus gemanagten Industrieparkprojekte sind von der wirtschaftlichen Krise und den politischen Unruhen im Land bisher noch kaum betroffen; anlässlich der aktuellen Ausschreitungen entsandte die Provinzregierung eigens Polizeikräfte zum Schutz der Industrieanlage und zur Aufrechterhaltung der Produktion. Zu einem ›Problem‹ ist die einstmals propagierte enge Wirtschaftskooperation in der Region heute vor allem dort geworden, wo die Bewohner Batams und Bintans die gut ausgebauten Fährverbindungen dazu nutzen, illegal nach Singapur oder auch in das nahe Johor zu migrieren, um dort Arbeit und bessere Lebensbedingungen zu suchen. Die Patrouillen entlang der Küsten sind verschärft worden und regelmäßig wird in der Tagespresse von Festnahmen illegaler Migranten berichtet. So herrscht in Singapur heute bestenfalls Desinteresse an der Entwicklung auf den Riau-Inseln vor. Viel öfter aber schüren neuerliche Schübe illegaler Migration und zunehmende Kriminalität und Gewalt auf den Inseln Ängste bei jenen, die noch wenige Jahre zuvor wachsenden Wohlstand für alle in der Region propagierten.

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Stand: 16. November 1999, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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