"Suu Kyi frei – wo bleibt die Demokratie?"

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Ulrike Bey, Burma.Initiative Asienhaus
Vortrag auf dem Politischen Salon im Asienhaus, 27. Mai 2002

DIE FREILASSUNG

Anfang Mai, nach dem letzten Besuch des UN Sonderbeauftragten Razali verdichteten sich die Meldungen um eine mögliche Aufhebung des Hausarrests der Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi. Razali äußerte: "etwas Großes wird passieren, etwas wirklich bemerkenswertes". Die Militärs ließen Dutzende internationale Journalisten ins Land, die University Avenue, die Straße, in der sich Suu Kyis Haus befindet, wurde ausgebessert und Straßenmarkierungen erneuert, die Spekulationen nahmen zu. Am 6. Mai war es dann soweit, der Hausarrest wurde nach 19 Monaten aufgehoben.

Vorausgegangen waren 18 Monate geheimer Gespräche zwischen Suu Kyi und den Militärs, die bis heute nicht öffentlich erklärt wurden. Allgemein wurden sie als "vertrauensbildender Prozess" zwischen Militär und Oppositionspartei National League for Democracy (NLD) charakterisiert.

Es war das zweite Mal, dass ein über Suu Kyi verhängter Hausarrest aufgehoben wurde. Das erste Mal stand sie zwischen 1989 und 1995 aufgrund ihrer politischen Aktivitäten unter Hausarrest und erhielt danach - aus angeblichen Sicherheitsgründen - nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Im Herbst 2000 wurde ein erneuter Arrest verhängt, nachdem Suu Kyi versucht hatte, die Hauptstadt Rangun zu verlassen.

Im Unterschied zur letzten Freilassung ist diese bedingungslos erfolgt: Suu Kyi kann sich frei bewegen, wohin sie will, die Bewachung scheint gelockert und sie kann ihren Aufgaben als Führerin ihrer Partei NLD nachgehen. Wie die Bewegungsfreiheit dann tatsächlich aussehen wird, bleibt abzuwarten. Inzwischen ist sie auch außerhalb Ranguns gewesen.

Ein weiterer Unterschied zur ersten Freilassung ist, dass das Land vor sechs Jahren noch weit besser gestellt war. Die Währung verhielt sich relativ stabil zum Dollar, 6 Milliarden an ausländischen Investitionen wurden verzeichnet.

Heute herrscht ein chronisches Budgetdefizit und ein Mangel an ausländischer Währung. Die Deinvestitionen sind größer als Investitionen. Fakt ist, das Land steht ökonomisch kurz vor dem Ruin, eine humanitäre Krise scheint kaum noch abzuwenden: Ein Drittel aller Kinder unter 5 Jahren ist unter/fehlernährt, Kindersterblichkeit ist hoch, Krankheiten, wie Tuberkulose, Malaria greifen um sich und mehr als eine halbe Million der 50 Millionen Einwohner ist HIV-infiziert. Die Lebenshaltungskosten steigen, die Einkommen jedoch nicht. Damit steigt die Gefahr massiver sozialer Unruhen. Das Land ist einer der größten Opiumexporteure, Drogenhandel scheint fast die einzige Einkommensquelle, damit im Zusammenhang stehen natürlich zahlreiche Drogenabhängige.

Internationaler Druck und Sanktionspolitik seitens der USA und der EU haben Burma in die Isolation getrieben. Auch die sonst kooperativen ASEAN-Nachbarn sehen sich dem Druck der westlichen Partner ausgesetzt und werden kritischer gegenüber dem Regime. Bedingungslose Partner sind momentan nur noch China und Russland.

Dies liefert schon eine Erklärung für die Freilassung Aung San Suu Kyis, für die meisten ist es der Hauptgrund. Um aus der Isolation herauszukommen und die zahlreichen innenpolitischen Probleme zu lösen, ist Burma dringend auf internationale Hilfe angewiesen. Dabei scheint es nur zwei Möglichkeiten zu geben. Entweder die Umwandlung der gegenwärtigen Diktatur in eine demokratische Regierungsform, und zwar möglichst friedlich, oder aber die Militärs müssen mit ansehen, wie das Land innerlich und durch Sanktionen von außen zerreißt, bis es zu einem Machtwechsel kommt. Das könnte allerdings noch Jahre dauern.

Die Gründe für die Aufhebung des Hausarrests sind nun Auslegungssache. Es gibt vielerlei Spekulationen und kaum wirklich verifizierbare Analysen.

Einige Thesen sind hier zusammengefasst:

Die Regierungsseite spaltet sich in reformbereite oder zumindest flexible "Softliner" um Generalleutnant und Geheimdienstchef Khin Nyunt (Wegbereiter aus Isolation, er gilt als reformbereit) und kompromisslose Hardliner um Armeechef Maung Aye, die jegliche Zugeständnisse für die Opposition ablehnen. Beiden wird nachgesagt, dass sie die Nachfolge des Staatschefs Than Shwe anstreben.

Auch dieser Diskurs wird einen Niederschlag in den jüngsten Ereignissen haben. Eine Reformbereitschaft ist in diesem Fall ein "Sieg" der Softliner gegenüber den Hardlinern.

Hierfür spricht auch die Restrukturierung des Militärs und der Regierung in der letzten Zeit: Verschiedene Minister wurden wegen Korruption gefeuert, Regionalkommandeure durch jüngere Offiziere ersetzt. Dies wird als Stärkung Khin Nyunts betrachtet.

Außerdem wurden im März Ne Wins Schwiegersohn und drei seiner Enkelsöhne angeklagt, einen Staatsstreich gegen die obersten drei geplant zu haben. Wichtigstes Beweisstück in diesem Fall, der u.a. mit Mitteln der schwarzen Magie angeblich zum Ziel führen sollte, waren drei Puppen in Gestalt der von Than Shwe, Khin Nyunt und Maung Aye. Gegenwärtig befinden sich die Angeklagten in einem Gerichtsverfahren. Die Vorwürfe scheinen allerdings mehr die internen Konflikte innerhalb des Militärapparates widerzuspiegeln, als einen Versuch, die drei Topleute zu treffen. Die Vorwürfe waren aber Anlass eines Personalaustauschs in Armeekreisen und wurden wiederum als eine Stärkung der Position Khin Nyunts angesehen. Der Irrawaddy titulierte die Aktion als die letzte große PR-Kampagne des Regimes.

Suu Kyi selbst nimmt als Ursache für ihre Freilassung in einem Interview – offiziell - auch einen Gesinnungswandel an.

Die Militärs verabschiedeten am Tag der Aufhebung des Hausarrests eine Erklärung an die internationale Gemeinschaft:

"Heute haben wir eine neue Seite für das Volk von Myanmar und die internationale Gemeinschaft aufgeschlagen. Wir sehen in eine bessere Zukunft, werden zu größerer internationaler Stabilität hinarbeiten und den sozialen Wohlstand unseres vielfältigen Volkes erhöhen."

"Alle Bürger können am politischen Prozess frei teilnehmen, während wir die Priorität der nationalen Einheit, dem Frieden und der Stabilität geben."

Der Botschafter in Kanada formulierte die Begründung von Suu Kyis Freilassung so:

"Jetzt ist die richtige Zeit für sie, ihre politischen Aktivitäten frei auszuführen. Die Regierung hat unser Land erst befriedet. Dann ist die Infrastruktur und damit die Ökonomie gewachsen. Nun ist unser Land friedlich, stabil und die Ökonomie ist gut. Und nun ist das politische System für Reformen bereit. Wir haben das Kapitel der Konfrontationen abgeschlossen. Wir sehen der Versöhnung zwischen Aung San Suu Kyi und unserer Regierung entgegen."

In die lokalen Medien fanden diese Erklärungen jedoch genauso wenig wie Meldungen über die Aufhebung des Hausarrests Eingang. Am Tag nach der Freilassung zierten Bilder der Generäle mit dem vietnamesischen Staatsbesuch die Titelblätter der Zeitungen.

REAKTIONEN

Suu Kyi selbst und ihre Partei sowie die Demokratiebewegung im Ausland betonen, dass die Aufhebung des Hausarrests keineswegs ein Durchbruch der Demokratiebewegung sei, bestenfalls ein Schritt in diese Richtung. Die Forderung der Opposition sei nie die Freilassung Suu Kyis gewesen, sondern, dass alle Bürger des Landes die grundlegenden bürgerlichen Freiheiten erhielten.

Die Freilassung bildet lediglich das "Ende der vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Militär und Opposition".

Die internationale Gemeinschaft begrüßte die Freilassung einhellig als einen Schritt in Richtung Demokratisierung, behält sich aber eine Erwartungshaltung vor. USA und EU haben ihre Sanktionen nicht aufgehoben, die USA haben vielmehr ihre Sanktionen noch ausgedehnt. Die EU hatte in ihrer Gemeinsamen Erklärung im April eine Verschärfung der Sanktionen angedroht, wenn es innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu entscheidenden Reformen kommt. Für eine positive Entwicklung in der Beendigung der "politischen Sackgasse" ist eine "Belohnung" in Aussicht gestellt.

Eine politische Sackgasse war schon lange erreicht, als Suu Kyi im Frühherbst 2000 unter Hausarrest gestellt wurde. Im Juni desselben Jahres war der malaysische Ex-Diplomat Razali Ismail zum UN-Sonderbeauftragten ernannt worden, um den Dialogprozess zwischen Opposition und Militär voranzutreiben. Insgesamt war er 7mal dort und seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass es überhaupt zu Gesprächen und sicherlich auch zu der jetzigen Freilassung gekommen ist.

Razali hatte allerdings nebenbei ein Beispiel für die ASEAN-atische Einstellung des "constructive engagement" in Burma geliefert: Die Technologiefirma IRIS company, in deren Vorstand Razali ist, hat etwa zeitgleich mit der Freilassung Suu Kyis mit dem Militär einen Vertrag zur Bereitstellung von 5000 Chip-Passports unterzeichnet. Die Meldung erschütterte Menschenrechtsgruppen im Ausland. Razali selbst und ein Sprecher der UNO betonten jedoch, dass Verhandlungen und Razalis Geschäftsbeziehungen in keinerlei Zusammenhang miteinander stünden.

WIE GEHT ES WEITER?

Inzwischen hat Suu Kyi ihre Arbeit als Generalsekretärin der NLD wiederaufgenommen, ist auch schon außerhalb Ranguns gewesen. Die NLD will ein Partei-Bulletin herausgeben, muss nun auf die Reaktion der Militärs warten.

Das kurzfristige Ziel ist vor allem ein Ende der politischen Sackgasse, beide Seiten müssen jetzt Kompromisse eingehen. Die NLD will die volle Demokratie, das Militär will seinen privilegierten Status beibehalten. Jetzt wird jedoch – im Vergleich zu früheren Zeiten auf beiden Seiten eine moderatere und versöhnlichere Sprache gesprochen.

Suu Kyi: "Die Zeit ist besser. Es gibt ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen NLD und Regierung als bei der letzten Freilassung."

Es ist sogar Rede von einer Kooperation mit dem Militär. Suu Kyi äußerte dazu, dass es Übereinkommen geben werde, die für beide Seiten akzeptabel sind und dem Wohl des ganzen Volkes dienen. Die Kooperation könnte darin bestehen, dass Suu Kyi einen Posten in der Verwaltung von Humanitärer Hilfe, im Gesundheits- und Bildungsressort erhält.

Darin liegt sicherlich eine große Schwierigkeit auch im Umgang mit einigen Parteikollegen und Leuten aus der Demokratiebewegung im In- und Ausland, die eine Kompromissbereitschaft nicht unterstützen/akzeptieren werden. Denn genauso wie in regierenden Militärkreisen gibt es auch bei den demokratischen Kräften Hard- und Softliner. Daher ist es schwer zu sagen, wie viel politischer Wandel erreicht werden kann.

Die Hauptforderung der NLD lautet, alle politischen Gefangenen freizulassen (Zahlen schwanken, amnesty international: 1500). Erst dann können weitere Gespräche mit den Militärs stattfinden. Seit Beginn der Gespräche wurden ca. 250 politische Gefangene freigelassen, darunter rund 140 NLD-Mitglieder. Eine weitere Forderung ist die größere Freiheit für politische Aktivitäten für alle Parteien nicht nur NLD. Offiziell gibt es 10 politische Parteien.

Anders als zuvor wurde jetzt Abstand von der jahrelangen Forderung genommen, die Ergebnisse der Wahlen von 1990 anzuerkennen. Diese Forderung hatte lange Priorität im Kampf der NLD.

Langfristig geht es natürlich um Versöhnung zwischen Militär, Opposition und schließlich den ethnischen Gruppen.

Das allerwichtigste ist, möglichst schnell wieder die Gespräche aufzunehmen und in eine Phase von politischen Verhandlungen einzutreten. Die nächsten Schritte werden dann die Aushandlung einer Verfassung beinhalten müssen (Verfassungsfrage immer schon Kernproblem – damals auch offizielle Begründung des Militärs für die Annullierung des Wahlergebnisses).

Das ist auch der größte Test für die Glaubhaftigkeit der Militärführung: Wird sie weiterhin mit Suu Kyi zusammenarbeiten und politische und ökonomische Reformen einführen?

Auch die ethnischen Minderheiten, die die Freilassung Suu Kyis begrüßten, haben sehr schnell deutlich gemacht, dass sie bald in den Dialog/Versöhnungsprozess einbezogen werden wollen. Sie unterstützen die NLD-Führerin und schenken ihr vollstes Vertrauen im Engagement für ethnische Belange. Ihre integrative Position ist auch Resultat ihrer Stellung als Tochter Aung Sans, dem "Vater der Unabhängigkei" und Gründer der Nation. Er legte mit dem Panglong Agreement 1947 den Grundstein für eine föderative "Union von Burma". Suu Kyi hat sich schon mit einer Gruppe ethnischer Führer getroffen und mit ihnen über ihre Wünsche und Forderungen diskutiert.

Die größte Angst der Militärs ist das Auseinanderbrechen des Landes. Ihrer Meinung zufolge riskiert eine zu schnelle Demokratisierung Anarchie. Deshalb ist gegenseitiges Vertrauen wichtig. Es wird entsprechend immer auch im Ermessen der Militärs liegen, wie die politische Teilnahme aller Bürger vor dem Hintergrund von "Frieden, Stabilität und nationaler Einheit" aussehen wird.

Langfristig stehen auch Wahlen an. Über die Wahlen sagt Razali: "Es bedarf vieler Vorbereitungen, die Parteien müssen Vertrauen ineinander haben. Daran wird gearbeitet. Zunächst müssen erst einmal mehr politische Freiheiten gewährt werden, vielleicht sogar ökonomische Reformen. Ökonomische Reformen könnten politischen Reformen vorausgehen." Razali wird zurückkehren, um die Freilassung der politischen Gefangenen voranzutreiben. Er betont vor allem, dass der Demokratisierungsprozess von INNEN heraus kommen muss, da jede andere Bemühung keinen Sinn hat. "Die Bewegung zur Demokratisierung muss "homegrown" sein, sie kann nicht von außen aufgedrückt werden." Die Rolle der Vereinten Nationen besteht jetzt darin, die Militärführung immer wieder an das Vorhaben zu erinnern und zu kontrollieren, einen friedlichen Übergang zu einer verfassungsmäßigen Regierung anzustreben.

Suu Kyi kennt keinen Zeitplan für Reformen. Sie möchte sich erst ein Bild von der humanitären und politischen Situation im Land machen. Solange wird sie auch weiterhin ausländische Investitionen, Tourismus, und auch humanitäre Hilfe nicht oder nur bedingt befürworten. Eine Änderung ihrer Meinung in dieser Hinsicht schließt sie aber nicht aus. Sie hatte selbst kürzlich in Gesprächen mit Delegierten des Bundestagsauschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit angedeutet, dass Hilfe und auch das Engagement politischer Stiftungen in Kooperation mit der NLD, willkommen sei.

Die internationale Gemeinschaft ist über diese Frage nach wie vor gespalten. Auch jetzt stehen sich Befürworter des internationalen Drucks/Sanktionspolitik und Verfechter eines Engagements in Burma gegenüber. Viele westliche Beobachter sehen inzwischen die humanitäre und ethische Verantwortung für das Land.

Die internationale Gemeinschaft sollte aber positive Entwicklungen signalisieren, wenn es zum Reformprozess kommt. Was dabei als positiv bewertet wird, muss dabei sicherlich noch ausgehandelt werden.

Wie auch immer: Solange die Situation im Land weiter unklar und instabil ist, werden sich Investoren auch noch zurückhalten. Und auch die großen Touristenströme werden ausbleiben.

Viele Fragen bleiben unbeantwortet, beispielsweise, wie die Militärjunta die politischen Fragen behandelt, die den Kurs der Nation beeinflussen werden. Wie es mit dem wirklichen Reformwillen der Militärs aussieht wird sich erst zeigen. Einige Ereignisse nähren die Zweifel:

Suu Kyis größte Bitte und Forderung an die Opposition im In- und Ausland ist es, demokratisch und friedlich miteinander umzugehen und vor allem eng zusammen zu arbeiten. Auch ein "Generationswechsel", der in Armeekreisen bereits durchgeführt wurde, steht der NLD bevor.

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Stand: 02. Juli 2004, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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