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China. Dagegen. Dafür. Dazwischen.

Arbeit an den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen

Der China-Diskurs wird nicht erst seit dem Ausbruch von COVID-19 kontrovers geführt. Mit der Verschlechterung der chinesisch-amerikanischen, als auch der chinesisch-europäischen Beziehungen, entzieht eine Polarisierung jedoch vermehrt jenen die Sprache, die in der Kooperationsarbeit mit der Volksrepublik China tätig sind. Der Diskurs kategorisiert Positionen zu China aktuell in (kritische, realistische, wertloyale) „Falken“ und (unkritische, naive, opportunistische) „Tauben“. Andere Meinungen dazwischen, fern beider Pole, sind nicht mehr vorgesehen. Dieser Zweiteilung möchten wir uns mit einer Diskurskritik – aus Sicht der zivilgesellschaftlichen Kooperationsarbeit des China-Programms – entgegenstellen.

In ihrem Gastbeitrag für die ZEIT vom 2. Mai 2020 kritisiert Kristin Shi-Kupfer, Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft und Medien und des MERICS Labs in Berlin, „China-Versteher“ scharf. Unter ihnen seien „Politiker*innen, Unternehmer*innen, Wissenschaftler*innen, Ärzte*innen, Journalisten*innen und auch China-Experten*innen“, die China-Kritiker*innen pauschal als „Rassisten und Hetzer“ bezeichneten. Diese „China-Versteher“ missachteten die vielen regierungskritischen Stimmen in der chinesischen Gesellschaft.

Die Sinologin und Politikwissenschaftlerin wehrt sich insbesondere gegen die Darstellung von China-Kritiker*innen in Susan Arndts Artikel in der taz vom 21. April 2020. „Kritik an der Kritik“ an China unterstütze die Bemühungen der Regierung in Peking ein eigenes Narrativ zur Corona-Pandemie zu etablieren. „China-Versteher“, so Shi-Kupfer, beschwichtigten notwendige Kritik an Peking und machten so „alles noch schlimmer.“

Zu welchem sprachlichen Minenfeld der Diskurs über unsere Beziehungen zur Volksrepublik geworden ist, verdeutlicht Shi-Kupfers Verwendung des Wortes „China-Versteher“. Wir wurden in der Vergangenheit selbst so bezeichnet, jedoch im Sinne von Kommunikatoren*innen, die über Systemgrenzen hinweg Kooperationsräume mit China in der Praxis erschließen. In der englischen Übersetzung des ZEIT-Gastbeitrages für den MERICS Blog wird aus „China-Versteher“ einfach „China sympathizer“. „China-Sympathisant“ wird derzeitig als „Partei-Sympathisant“ gelesen. Der deutsche Begriff „China-Versteher“ ist somit in einer kritischen Auseinandersetzung mit China unbrauchbar, auch weil „Nicht-Falken“, wie Frau Shi-Kupfer festhält, offensiv in das Narrativ der chinesischen Regierung eingebunden werden.

Das China-Programm ist in der Dialog- und Kooperationsarbeit zwischen China und Europa tätig. Von 2012/13 bis 2019/20 führte es ein Austauschprogramm für zivilgesellschaftliche Organisationen durch, das EU-China NGO Twinning Programm. Es gewährte europäischen Organisationen einen seltenen Zugang zu der in den Medien nahezu unsichtbaren chinesischen Zivilgesellschaft. Inhaltlich ging es im Programm um die Themenkomplexe Klimawandel, sowie Sozial- und Umweltgerechtigkeit. Jedes Jahr hat das Programm bewiesen, dass systemübergreifender Dialog an gemeinsamen Themen nicht nur konstruktiv, sondern auch notwendig ist.

Menschen, die Dialog- und Kooperationsarbeit mit China leisten, sind eine heterogene Gruppe. Sie begreifen „China“ mitunter völlig unterschiedlich. Unter ihnen gibt es unkritische, verdeckt und offen kritische Stimmen. Gemeinsam ist ihnen die Eigenschaft, dass sie sehr bewusst entscheiden, was sie wie an welcher Stelle kommunizieren. Um staatliche Kontrollmechanismen zu überwinden und überhaupt erst Räume zur Kooperation und zum Austausch persönlicher Meinungen zu eröffnen, sowie Partner*innen zu schützen, stellen sie oft in erster und öffentlicher Instanz ihre persönliche Meinung hintenan. Gleichzeitig können wir behaupten, dass alle unsere Kooperationspartner*innen, einschließlich jene in China, sich darüber im Klaren sind, dass wir eine Parteidiktatur ablehnen und die Menschenrechtslage im Land verurteilen.

Wir stellen uns einer Pauschalisierung von Kooperationsarbeit als unkritische Beschwichtigung, einer Instrumentalisierung unserer Arbeit für eine „differenzierte“ Betrachtung Chinas und dem „Entweder-Oder-Narrativ“ in einem polarisierten Diskurs entschieden entgegen. Aus unserer Sicht ist Frau Shi-Kupfers Position gegen eine pauschalisierte Art von „Kritik an der Kritik“ an China nur zum Teil hilfreich. Sie pauschalisiert Dialog- und Kooperationsarbeit ebenso, zuweilen mit dem Stilmittel der Polemik. Wir ergänzen daher ihre Position um drei Perspektiven aus unserer praktischen Arbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in China.

Kooperationsräume zu schaffen, bedeutet nicht, die chinesische Führung in Schutz zu nehmen. Kollegen*innen und Partner*innen in unserem Arbeitsbereich besitzen alle einen ausgeprägten Sinn dafür, was eine Demokratie und was eine Diktatur ist. Menschen in der Dialog- und Kooperationsarbeit reflektieren ständig darüber, welches Format noch konstruktiv geführt werden kann und darf. Selbstverständlich sollen kritische Stimmen aus China bestärkt werden. Wenn wir diese Stimmen aber in ihrem Kontext verstehen wollen, so brauchen wir einen Dialog vor Ort in China. Dazu müssen wir uns an die staatlichen Strukturen zur internationalen Kooperation halten und so schließt Kooperationsarbeit eine Zusammenarbeit mit dem chinesischen Staat ein. Anders wäre aufgrund der Gesetzeslage ein zivilgesellschaftlicher Dialog überhaupt nicht möglich.

Kooperationsräume zu schaffen, bedeutet nicht, feige zu sein und unangenehme Wahrheiten nicht beim Namen zu nennen. Kommunikatoren*innen bedienen eine Vielzahl von Ebenen. Sie helfen dabei gemeinsame Inhalte zu kodieren und was dazu aus China kommt, zu dekodieren. Auf unterschiedlichen Ebenen werden unterschiedliche Dinge gesagt: von den großen Bühnen, die stets wenig Raum für Tiefe und Konkretes bieten, bis zu geschlossenen Besprechungen und persönlichen Gesprächen, bei denen mehr angesprochen werden kann, als die meisten Menschen denken. Europäische Teilnehmer*innen unseres Austauschprogramms wissen häufig wenig über Chinas zivilgesellschaftliche Strukturen. Oft wird chinesischen Organisationen ein konstruktiver Einfluss abgesprochen. Sie werden lediglich als Weisungsempfänger der Regierung angesehen. Schnell wird im direkten Dialog unter persönlichem Vertrauen klar, wie heterogen soziale und politische Themen wahrgenommen, erörtert und bearbeitet werden.

Kooperationsräume zu schaffen, bedeutet nicht, die Existenz universeller Menschenrechte abzustreiten. Menschen in der Dialog- und Kooperationsarbeit sind sich der Ambivalenz ihrer Tätigkeit bewusst. Viele sind aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen im Land innerlich gespalten, nicht in kontra-Partei und pro-Bevölkerung oder kontra-China und pro-US. Ihre Meinung ist ausdifferenziert auf Basis ihrer Begegnungen mit Chinesinnen und Chinesen. Als Kommunikatoren*innen arbeiten sie mit Strukturen, die auf der politischen Ebene festgelegt werden. Selbstverständlich verstetigen sie diese, durch ihre Arbeit, aber sie ermöglichen auch einen Wandel dieser Strukturen. So konnten wir unsere Austauschprogrammteilnehmer*innen auch an sensible „Tabuthemen“ wie z.B. Arbeiter*innenrechte, Genderfragen und HIV/AIDS heranführen und eine Verständigung darüber erlangen, wie an ihnen in China gearbeitet werden kann.

Menschen, die Dialog- und Kooperationsarbeit mit China leisten, aber weder „Falken“ noch „Tauben“ sind, können sehr wohl konstruktiver Bestandteil bei einer Neuordnung unserer Beziehungen mit der Volksrepublik China sein. Ihre Arbeit bedeutet keinesfalls, dass sie die chinesische Regierung stillschweigend billigen oder aktiv unterstützen. Eine Tatsache ist jedoch, dass ihre Arbeit weniger gut sichtbar ist. Dies kann aus freien Stücken gewählt sein, aber auch Ergebnis davon sein, dass das „Dazwischen“ im aktuellen China-Diskurs nur noch wenige interessiert. Dieser Text wurde der ZEIT und der taz vorgelegt. Nun ist er hier als Eigenpublikation zu lesen.

Joanna Klabisch und Christian Straube

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