Asienhaus-Rundbrief 11/2004, 27.5.2004 |
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In
Kürze:
1.) ASEM 5 Peoples's Forum nimmt Gestalt an
2.)9.-11.7.: Tagung "Indonesien - Demokratie
im zweiten Anlauf"
3.) Charlotte Wiedemann:
Auslandsberichterstattung im Zeitalter globaler Medien
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ad 1)
6.-9.9., Hanoi: ASEM 5 Peoples' Forum nimmt Gestalt an |
Wie bereits angekündigt, wird vom 6.-9. September 2004 in Hanoi das "ASEM 5 Peoples' Forum" stattfinden. Auf einem zweiten Vorbereitungstreffen, das am 15.-16. Mai in Hanoi stattfand, wurde ein vorläufiges Programm verabschiedet. Neben einführenden Plenarsitzungen zu den Themenbereichen "Peace and Security", "Economic and Social Security" und "Democratisation and Peoples' Rights" sind verschiedene Workshops geplant. Eine Zusammenstellung der bisher geplanten Veranstaltungen können Sie hier herunterladen.
Die Workshops werden von einer Dreiergruppe von je einem Vertreter einer europäischen und einer asiatischen NRO sowie einem Vertreter einer vietnamesischen Organisation vorbereitet. Wenn Sie sich mit Gestaltungsvorschlägen einbringen wollen, wenden Sie sich bitte an uns.
ad 2) 9.-11. Juli 2004:
Indonesien - Demokratie im zweiten Anlauf |
Vom 9.-11. Juli führt das EMS-Indonesien-Referat diese Tagung in der Evangelischen Akademie Arnoldshain durch. Im Zentrum steht die Analyse der Situation in Indonesien nach den Parlaments- und vor den Präsidentschaftswahlen. ReferentInnen aus Deutschland und Indonesien diskutieren die Situation.
Das Programm der Tagung kann aus dem Internet
herunter geladen werden unter:
www.evangelische-akademie.de/programme/046339.pdf
ad 5) Die gerahmte Welt -
Auslandsberichterstattung im Zeitalter globaler Medien |
Charlotte Wiedemann hielt sich von 1999 bis 2003 in Südostasien auf. Sie wohnte auf der malaysischen Insel Penang und unternahm ausgedehnte Reisen durch die ganze Region. Die Texte, die dabei entstanden, wurden in deutschen und Schweizer Magazinen und Wochenzeitungen veröffentlicht, darunter dem Freitag. Sie bilden die Grundlage ihres Buches, das in der Edition Freitag erscheint: Die Hütte der kleinen Sätze. Politische Reportagen aus Südostasien, in dem auch dieser Aufsatz erschienen ist. Wir danken der Autorin und dem Verlag für die Nachdruckerlaubnis.
Ferne Länder sind wie Erzählungen. Es ist
schwer, aus einer solchen Erzählung auszubrechen, wenn sie sich erst einmal
festgesetzt hat, wenn sie durch vielfaches Wiederholen rund geschliffen worden
ist zu einem handlichen Stück Gebrauchs-Wahrheit. Will ein Korrespondent die
Erzählung eigenmächtig ändern, dann reagieren die Redakteure in der Zentrale
so entrüstet wie Kinder, denen plötzlich eine veränderte Fassung ihres
Lieblingsmärchens erzählt wird. Indonesien hatte lange Zeit nur eine Pointe:
Wann zerbricht das Inselreich? Die Annahme, es zerbräche nicht, verriet
Leichtfertigkeit oder schlimmer: Unkenntnis. Die Pointe konnte nur verdrängt
werden durch eine andere, noch stärkere Pointe: Wird Indonesien islamistisch?
Falls der Terrorismus je aufhören sollte, die Perspektive unserer Weltsicht zu
bestimmen, wird gewiss das Zerbrechen des Inselreichs erneut ein drängendes
Thema.
Framing nennen Medienwissenschaftler diesen Mechanismus: Journalisten
beschreiben die Realität innerhalb eines Rahmens, der sich im Laufe der Zeit
eher unbewusst etabliert hat. Das Bild innerhalb des Rahmens ist nicht falsch im
engen Sinn des Wortes, auch nicht gefälscht, aber es wirkt verfälschend, weil
es nur eine sehr verengte Perspektive auf die Realität erlaubt. Und das Fatale
ist: Wir, die Mediennutzer, bemerken es nicht. Auch wenn wir uns für gebildet
und kritisch halten. Der ständigen Wiederholung und der Macht der Bilder kann
sich niemand entziehen. Ein Fernsehzuschauer, der aus Pakistan nur Fäuste schüttelnde,
bärtige Männer zu sehen bekommt, hält dieses Land naturgemäß für
intolerant und bedrohlich. Er weiß nicht, dass jedem Trupp bärtiger Männer
ein Trupp Kameramänner auf den Fersen ist. Als die Amerikaner im Irak Saddam
Hussein in seinem Erdloch gefangen nahmen, brach in Bagdad helle Begeisterung
aus, wer eine Waffe hatte, schoss in die Luft vor Freude. So sah es jedenfalls
bei BBC aus; stundenlang, in jedem Nachrichtenblock, wurde gefeiert und
geschossen. Eine deutsche Kollegin vor Ort fuhr mit dem Wagen durch Bagdad,
suchte die Feiernden und fand so gut wie keine. Die BBC-Bilder zeigten nur die
Reaktion eines kleinen Segments der irakischen Gesellschaft.
Oft sind sich die Journalisten des Framing selbst gar nicht bewusst. Im
Kreislauf der sich selbst bestätigenden Gebrauchswahrheiten sind sie sowohl
Treiber als auch Getriebene, Täter wie Opfer. Aufgrund der
Umsatzgeschwindigkeit und des Umsatzvolumens von Nachrichten ist auch der
Korrespondent vor Ort in großem Maße ein Medienkonsument auf dem Gebiet, wo er
oder sie eigentlich Produzent ist.
Zeit ist ein seltener Luxus in der Auslandsberichterstattung - und ein Luxus ist
auch, so seltsam es klingt, das Reisen. Viele Korrespondenten verbringen die
meiste Zeit am Computer ihres Büros, sie müssen sich ständig bereithalten,
sich auf dem Laufenden halten, so erfordert es die globale Hetzjagd der
Nachrichten rund um den Globus. Die sekündlich aktualisierte, weltweit
abrufbare Berichterstattung ist wie ein reißender Fluss, in dessen Mitte der
Korrespondent auf einem winzigen Floß exklusiven Wissens hockt - und kämpft,
nicht unterzugehen. Die Region, für die ein Korrespondent zuständig ist, einst
niedlich "Beritt" genannt, wird zugleich immer größer, eine Folge
des Zwangs zum Sparen in vielen Redaktionen - weshalb auch der Etat für
Recherche-Reisen schrumpft. Zusammengefasst: Es wird immer schneller über immer
mehr berichtet, was immer weniger Berichterstatter mit eigenen Augen gesehen
haben.
Von Bangkok aus die Geschehnisse in Afghanistan vermelden, von Delhi aus die
Motive der Freischärler in den südlichen Philippinen analysieren, das ist längst
kein Notbehelf mehr, sondern oftmals Alltag.
Wenn indes an den Schauplätzen jener Krisen und Kriege, die als vorrangig
gelten, tatsächlich Hunderte oder Tausende Berichterstatter vor Ort sind,
geschieht etwas Erstaunliches: Die Konkurrenz führt in der Regel nicht zur
Vielfalt, sondern im Gegenteil zur Einfalt. Beim Kampf der vielen um die knappen
Bildmotive und die kargen Informationen wird framing zum Überlebensprinzip.
Wer will den zögerlichen Zeugen interviewen, die friedlichen Demonstranten
filmen, wenn die Kollegen daheim in der Zentrale schon den Brandgeruch in der
Nase haben? Bloß einen Konflikt nicht verharmlosen, im Zweifelsfall lieber
dramatisieren, damit ist man auf der sicheren Seite. So treibt die Konkurrenz
das Worst-case-Denken voran, schürt später Paranoia beim Zuschauer. Jeder muss
die Fäuste schüttelnden Bärtigen im Kasten haben - und die genießen das natürlich.
Die Machos aller Länder straffen sich vor den Augen der Kameras zu echten
Kriegshelden.
Die Vermutung, Gewalt sei das beste Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen, hat
sich seit dem 11. September 2001 zur Gewissheit verdichtet. Eine Bombe
garantiert den schnellsten Zugang zur Weltöffentlichkeit. Es nur gelinde übertrieben
zu sagen, dass wir nur jene Regionen und Konflikte wahrnehmen, die in unser
Bewusstsein gebombt werden. Die Bombenleger überschätzen allerdings die Dauer
der so errungenen Aufmerksamkeit.
Die Macht der europäischen und amerikanischen Medien und Networks wird als überwältigend
empfunden, und wer sich in ihrem Weltbild nicht wiederfindet - wie gegenwärtig
viele Muslime -, mag hassen allein aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus.
Ins Überdimensionale kann indes auch die Erwartung schießen, der Ohnmacht könne
abgeholfen werden. In unserer medienübersättigten Gesellschaft machen wir uns
keine Vorstellung, welche Hoffnung das Auftauchen einer westlichen Journalistin
auslöst bei Menschen, die in irgendeinem gottverlassenen Winkel für ihre
Interessen kämpfen. Dass mein Bericht über ihre drängenden Nöte in einer
Redaktion warten wird, bis diese Nöte in die sogenannte
"Blattmischung" passen, und sie hernach ein Nanopartikelchen im
globalen Strom des rasch Konsumierten und rasch Vergessenen sein werden - wie
soll ich das vermitteln, wenn doch meine Hautfarbe, meine guten Schuhe und die Länge
meiner Anreise unbestreitbare Indizien von Macht und Einfluss sind?
Internet und Satellitenfernsehen haben die Bedeutung geografischer Entfernung
von Grund auf verändert - aber ist unser Wissen von der Welt deshalb größer?
Zunächst fällt auf: Distanzen schrumpfen asymmetrisch. Ein Korrespondent
"draußen" soll einen ganzen Kontinent im Griff haben, während sich
daheim die Abmessungen der Kleingärten keineswegs ändern: Wehe, wenn der
Hessen-Reporter in Thüringen wildert!
Dank Internet und Satellitenfernsehen kann ein schreibender Korrespondent, der
in Jordanien sitzt, die Folgen eines Erdbebens im Iran so farbig schildern, als
wäre er dort. Weinende Angehörige und die Trümmer einer Stadt lassen sich
auch vom Fernsehschirm weg beschreiben. Nur: Es sind Informationen aus zweiter
Hand, Framing ist unvermeidbar. Eine englischsprachige indische Zeitung
zitiert in ihrer Online-Ausgabe einen namenlosen Mann von der Straße zum
Kaschmir-Konflikt; es ist ein Rikschafahrer aus Delhi, willkürlich
herausgegriffen. Binnen Stunden radelt unser Rikschafahrer durch die Weltpresse,
nun das indische Volksempfinden repräsentierend. Es ist in Mode gekommen,
Berichten derart eine Als-ob-Authentizität zu verleihen. Die Nähe zum
Geschehen muss simuliert werden, das Erkennenlassen der realen Distanz wäre
verdächtig.
Das Internet legt auch neue Schienen für die Interpretation fremder Kulturen.
Wenn sie online verfügbar ist, kann eine einzige englischsprachige Zeitung das
internationale Bild dieses Landes mehr prägen als alle Medien in der
Landessprache zusammen genommen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Das
Internet hat die Möglichkeiten, sich über andere Länder zu informieren, enorm
verbessert. Ich habe vier Jahre in Malaysia gelebt, keine vernünftige Zeitung,
keine große Bibliothek nahebei; ich hing am Internet wie am Tropf, erkundete
die Länder der Region erst online, dann offline. Ich war erstaunt, wie blendend
man sich vorbereiten kann mithilfe des Internet - und wie sehr sich die
virtuelle von der wirklichen Realität jedes Mal unterschied.
Im virtuellen Kambodscha ist ein Internationales Tribunal gegen die verbliebenen
Anführer der Roten Khmer längst überfällig. Das Internet überträgt nicht
das große traumatisierte Schweigen, das zu diesem Thema im Lande herrscht,
jenseits einer kleinen Schar von Aktivisten. Man kann sich online mit den
Ansichten hochinteressanter Leute vertraut machen - im Land angekommen, stellt
man fest: Kaum jemand kennt sie. Es handelt sich um eine virtuelle Prominenz. In
vielen Ländern markiert der Digital Divide eine innere Spaltung, eine
Spaltung im Denken, in der Wahrnehmung, eine soziale ohnehin. Nur mit ihren
virtuellen, geruchslosen Seiten scheint die Welt zusammenzurücken, kleiner zu
werden - nicht mit ihren staubigen.
Mancherorts ist die politische Opposition nur im Internet stark. Manche
ethnische Minderheit demonstriert online einen Zusammenhalt, den sie offline längst
verloren hat. Separatisten, die im Dschungel aussichtslos kämpfen, präsentieren
sich triumphal auf der virtuellen Bühne. Individuen, Gruppen, ganze Völker dürfen
sich im Internet eine Traum-Identität schaffen.
Was also gilt? Was wissen wir? Eine Mittelklasse-Gegend in den Philippinen mag für
unsere Augen aussehen wie ein Armutsviertel. Wir sind Blinde, sobald wir unseren
vertrauten Kulturkreis verlassen, die Zone der uns vertrauten Zeichen. Simpler
und zugleich schwerer als die Deutung eines tibetanischen Rollbildes ist: Alltag
entziffern. Zäune, Feldgröße, Straßenbreite interpretieren. Dächer lesen.
Was ist arm? Wie viele Kochtöpfe verraten sozialen Aufstieg? Wie riecht gutes
Leben im Schlechten? Die Maßstäbe dafür kommen nur offline in unsere Köpfe,
durch beobachten, vergleichen. Wie viele unserer journalistischen Urteile
entstehen aufgrund falscher Wahrnehmung, falscher Maßstäbe?
"Und plötzlich eine andere Welt ...", so lautet eine beliebte
journalistische Wendung, wenn es gilt, die Überraschung darüber zu vermitteln,
welche Unterschiede, gar Gegensätze sich innerhalb eines Landes, einer Stadt,
einer Kultur auftun. Hier das Hochhaus, dort die Hütte; hier die Disko, dort
der Schleier. Wie banal! In der fantasiearmen Formulierung von den zwei Welten
verbirgt sich eine unnötige Entschuldigung: Wir belästigen den Leser oder
Zuschauer mit Schattierungen, wir verweigern jene Eindeutigkeit, die zu liefern
von unserem Berufsstand erwartet wird. So dumm die Floskel sein mag, sie
dementiert eine noch dümmere, die von der "einen Welt". Die eine Welt
mag es als ökologische Verantwortungsgemeinschaft geben oder als Schöpfungsidee,
aber in der sozialen und politischen Wirklichkeit gibt es sie im Zeitalter der
globalen Bilder genauso wenig wie zuvor.
Wofür ich plädiere: den Rahmen weit machen, Entfernungen wieder anerkennen,
Zweifel honorieren. Nichts ist so lächerlich wie der Glaube, durch unser Rähmchen
würden wir die Welt erkennen.
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