Brief aus Indonesien: "Ihr habt es so gewollt!"

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Warsito Ellwein    

Der Autor ist Mitglied im Vorstand des Trägervereins der Südostsien Informationsstelle

Überblick über den Inhalt der
Zeitschrift südostasien 4/2001

Liebe Freundinnen und Freunde,

drei Wochen bin ich jetzt in Indonesien und habe mit vielen Leuten in mehreren Städten lange Diskussionen geführt. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, einen guten Überblick über die politische Landschaft unter Megawati Sukarno Putri erhalten zu haben. Die politischen Gruppierungen ändern sich ständig und mit hoher Geschwindigkeit. Man weiß nicht mehr, wo sie die Prioritäten für ihre politische Arbeit setzen. Alle kämpfen für das eigene Leben, falls sie für andere etwas tun, basiert dies mehr auf Sympathiegefühlen als auf dem Wunsch, den politischen Reform- und Demokratisierungsprozess in Indonesien weiter fortzusetzen.

Politische Orientierungslosigkeit ist überall verbreitet; in der Regierungsmannschaft sind die meisten nicht einverstanden mit dem alten System. Es scheint aber auch niemand in der Lage zu sein, grundsätzliche Veränderungen vorzunehmen. Beispiel: Dem Innenministerium ist dringend an einer Reform des Gesetzes zur Autonomie der Regionen (Undang-undang Otonomi daerah) gelegen, aber schon über einen Monat wartet die Öffentlichkeit auf den neuen Gesetzentwurf. Die Volksversammlung (MPR) hatte fast einstimmig ein neues Gesetz zur Direktwahl des Präsidenten verabschiedet, aber niemand kümmert sich um die Durchführungsbestimmungen für diese Direktwahl. Die Staatsanwaltschaft wollte alle Finanzskandale der jüngsten Vergangenheit vor Gericht bringen, aber auch hierzu fehlte es an Mut, weil es ein offenes Geheimnis ist, dass hinter diesen Finanzskandalen viele einflussreiche Männer, wie der Parlamentsvorsitzende Akbar Tanjung, der ehemalige Verteidigungsminister Wiranto, Ex-Präsident Habibi und andere stecken. Es ist unklar, ob die Anklage gegen den abgesetzten Präsidenten Suharto weitergeführt wird. Immerhin wurde Tommy Suharto, der vor einem Jahr verschwand obwohl er zu 18 Monaten Haft verurteilt worden war, kürzlich von der Polizei verhaftet.

Ruhe und Ordnung haben Priorität

Nachdem Megawati mit Unterstützung des Militärs und aller politischen Parteien außer der PKB von Abdurachman Wahid das Präsidentenamt übernommen hat, ist die politische Lage in Indonesien ruhiger geworden. Und dies hat nicht unbedingt damit zu tun, ob Megawati tatsächlich in der Lage ist, die zahlreichen politischen und wirtschaftlichen Probleme Indonesiens zu lösen. Unzufriedenheit kommt, soweit ich das verfolgen kann, vor allem von den prodemokratischen Gruppierungen. Meinungs- und Pressefreiheit sind wieder eingeschränkt worden, Sicherheitsbeamte haben wieder AktivistInnen verhaftet, in Aceh und West Papua wurden wieder unabhängige Befreiungskämpfer ermordet, wirtschaftliche Verbesserungsmaßnahmen lassen auf sich warten etc. Viele Leute sagen sogar, dass die politische Lage in Indonesien sich wieder der Suharto Zeit annähert: Ruhe und Ordnung haben erste Priorität, alles andere ist nicht so wichtig.

Liebe Freundinnen und Freunde, mit einem Wort: Viele AktivistInnen haben mir erzählt, dass das politische Leben in Indonesien wieder repressiver geworden ist. Meine Antwort darauf: »Ihr wolltet es ja so! Ihr wolltet die Ablösung von Abdurachman Wahid, obwohl man in seiner Amtszeit frei und ruhig für Reformen und Demokratisierung arbeiten konnte«. Sie sagten: »Wir waren enttäuscht von Abdurachman Wahid, weil er der Öffentlichkeit kein klares politisches Programm vorgestellt hat, und außerdem hat er nur seine eigene Meinung gelten lassen, ohne Rücksicht darauf, ob man ihn überhaupt verstehen konnte und ohne Rücksicht auch auf seine politischen Freunde. Von Megawati sind wir jetzt auch enttäuscht, weil sie dazu beigetragen hat, das Selbstbewusstsein des Militärs und der islamischen Fundamentalisten zu stärken. Außerdem zeigt sie wenig Engagement für die kleinen Leute.«

Ein Beispiel: In der letzten Zeit kam es zu gewalttätigen Razzien gegen Slumbewohner in verschiedenen Stadtvierteln von Jakarta. Die Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben, die anschließend unter der Aufsicht von Sicherheitsbeamten sofort dem Erdboden gleichgemacht wurden. Jetzt im Fastenmonat Ramadan gibt es keine derartigen Übergriffe, aber es wird davon ausgegangen, dass dies nur die Ruhe vor dem nächsten Razzia-Sturm ist.

Viele Menschen, wie diese Slumbewohner von Jakarta, haben übrigens bei der letzten Parlamentswahl Megawatis Partei, die Partai Demokrasi Perjuangan Indonesia (PDI-P), gewählt. Megawati jedoch hat auf ihre Situation überhaupt nicht reagiert. Ironischerweise erhielten die Slumbewohnern die Kopie eines Briefes von der Stadtverwaltung Jakarta, aus dem deutlich wurde, dass diese Übergriffe von der PDI-P Fraktion abgesegnet worden seien. Die öffentliche Reaktion ist sehr dürftig: Die Massenmedien haben nur kurz über den Fall berichtet. Die Vertriebenen sind sehr enttäuscht. Sie machen auf ihre Lage aufmerksam, indem sie in einfachen Behausungen aus Karton oder Plastik an Straßen oder im Hof der Rechtshilfeorganisation YLBHI zelten. Rund 800 Menschen haben ihre Zelte im Hof von Komnas HAM, der Nationalen Kommission für Menschenrechte, aufgeschlagen. Sie versuchen natürlich, auf ihre elende Situation im Parlament aufmerksam zu machen, aber wie immer gibt es dort wichtigere Dinge zu behandeln als die Probleme von Slumbewohnern.

Die Falle der Orientierungslosigkeit

Zur Eskalation der politischen Situation trägt nicht zuletzt die Krise bei, in der sich die politischen Parteien befinden: Abdurachman Wahids Partei, die PKB, hat sich gespalten in die PKB mit dem ehemaligen Außenminister Alwi Sihab als Vorsitzenden und die PKB mit dem jetzigen Verteidigungsminister Abdul Jalil. Bei der islamischen Partai Persatuan Pembangunan (PPP) gibt es den Flügel um Hamsa Haz, den Vizepräsidenten von Megawati, und den Flügel um den Muslimprediger Zainudin MZ. Bei der regierenden PDI-P sieht es auch nicht besser aus: Hier gibt es einen Konflikt zwischen dem alten Kader der PDI-P und den neuen Mitgliedern, die von der Partai Golongan Karya (Golkar) zur PDI-P übergewechselt sind und zum Unwillen der ersteren die Partei nun dominieren. Kein besseres Bild gibt die Golkar-Partei ab: Ihre Mitglieder fordern, dass der Vorsitzende Akbar Tanjung wegen des Finanzskandals so schnell wie möglich vor Gericht gebracht werde. Bei der Partai Amanat Nasional (PAN) ist es besonders kompliziert, weil die Konflikte hier auf regionaler Ebene stattfinden. Außerdem haben sich viele neue, kleine Parteien gegründet. Derzeit gibt es mehr als 160 Parteien, die an den nächsten Wahlen teilnehmen wollen und dafür jetzt die notwendigen Vorbereitungen treffen.

Die Bewegung der Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) stellt sich leider auch nicht einheitlicher dar. Auch sie ist aufgrund unterschiedlichster Meinungen gespalten, es gibt kein gemeinsames Handlungsprogramm. Eine Gruppe vertritt die Meinung, jetzt sei für NGO AktivistInnen der richtige Zeitpunkt gekommen, sich und ihre Arbeit in staatliche Organisationen zu integrieren. Andere sind der Ansicht, dass ihre klassische Arbeit an der Basis (People Empowering), im Rechtshilfebereich und als Pressure Groups gegenüber den Machthabern weiterhin unverzichtbar sei. Viele AktivistInnen kennen die Richtung ihres Weges nicht mehr, sind in die Falle der Orientierungslosigkeiten hineingetappt. In der gleichen Situation befindet sich auch die Studentenbewegung. Die politische Lage ist sehr kompliziert. Viele AktivistInnen fühlen sich ausgelaugt und würden gern einmal ein normales Leben führen. Leider können sie sich das auch nicht leisten, denn sie haben ihren Kampf gegen das zunehmend repressiver werdende Regime vor Augen oder sie fühlen sich verpflichtet, die Reform- und Demokratisierungsprozesse weiter zu begleiten.

Liebe Freundinnen und Freunde, welche Richtung die weitere politische Entwicklung in der nahen Zukunft einschlagen wird, ist schwer zu prognostizieren. Vielleicht hat Ben Anderson, der amerikanische Indonesien-Experte, recht, wenn er sagt, dass Indonesien eine »unberechenbare Nation« sei.

Mit besten Grüßen

Warsito Ellwein

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Stand: 27. Januar 2002, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
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