China-Informationen 6/2006, 9.10.2006
www.asienhaus.de/china

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In Kürze:
1) 15.10., 11.00, Essen: Film "Blinder Schacht" 

2) Neue Publikationen "China und der Süden" und "China und Lateinamerika"

3.) Hintergrund: Prävention von Grubenunglücken - Wie effizient ist die Regierungspolitik?

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ad 1) 15.10., 11 Uhr: Filmmatinee "Blinder Schacht"
Information: ulrike.bey@asienhaus.de, Einladungsflyer, mehr zum Film [siehe auch den Beitrag unter 3.]

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11 Uhr, Essen, Zeche Zollverein, Schacht XII [Filmstudio Glückauf auf Zollverein, Halle 2]

Die beiden Bergleute Song und Tang schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, die Arbeit unter Tage bringt nicht viel ein. So entwickeln sie einen teuflischen Plan, mit dessen Hilfe sie ihren kargen Lohn aufbessern können. 

Von den häufigen Grubenunglücken in China erfährt man hierzulande aus der Zeitung.
In China hingegen wurde Regisseur Li Yangs schonungsloser Blick auf die Schattenseiten des viel gelobten chinesischen Wirtschaftswunders verboten. Einen Blick hinter die Dreharbeiten wirft Filmemacherin Solveig Klaßen, Parallelen zum Ruhrbergbau verraten ehemalige Bergleute.
Veranstalter: Stiftung Zollverein, Asienstiftung, Essener Filmkunsttheater/ Lichtburg;
Info: www.stiftung-zollverein.de, Tel 02 01 . 8 30 36-0, Asienhaus, 0201-8303825

ad 2) INKOTA und ILA: China im Blickpunkt
ILA-Inhalt und Leseproben, INKOTA-Inhalt und Leseproben

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Mit dem Verhältnis Chinas zum Süden bzw. zu Lateinamerika befassen sich die neuesten Ausgaben der Zeitschriften INKOTA und ILA (Informationen Lateinamerika).

ad 3) Prävention von Grubenunglücken - Wie effizient ist die chinesische Regierungspolitik
von Sandra Désirée Theiß, Artikel als pdf-Datei

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Grubenunglücke mit Todesfolgen sind in China nahezu an der Tagesordnung. Allein 2005 sind dabei über 6.000 Menschen ums Leben gekommen. Der folgende Artikel von Sandra Dèsirèe Theiß stellt die Situation dar und beschreibt die Politik der chinesischen Regierung. Ihr Fazit: "Prävention von Grubenunglücken steht erst am Anfang und wird die chinesische Regierung langfristig beschäftigen. Erste Maßnahmen sind zwar getroffen worden, doch bei der Effizienz der Politik behindert sich der Staat noch selbst." In dieser Internetversion haben wir auf die Wiedergabe der in diesem Artikel genutzten Quellen verzichtet. In der pdf-Datei können Sie diese jedoch finden.

China ist mit einem Output von 2,11 Milliarden Tonnen (2005) der weltweit größte Produzent von Kohle. Gegen Ende des Jahres 2005 betrug der Kohlevorrat des Landes 140 Millionen Tonnen, damit 35,5% mehr als im Jahr 2004. Eine weitere Produktionssteigerung ist absehbar, da China auf die Versorgung mit Kohle angewiesen ist: mit diesem Rohstoff werden zwei Drittel seines Energiebedarfs abgedeckt.

Obwohl der Kohleindustrie eine sehr bedeutende Rolle zukommt, ist sie durch Ineffizienz gekennzeichnet. Die zehn besten Kohleunternehmensgruppen Chinas leisten nur 15% der gesamten Kohleproduktion, der Großteil der Versorgung wird von den 24000 kleineren Zechen abgedeckt. Diese zeichnen sich allerdings durch schlechte Arbeits- und Sicherheitsbedingungen aus, werden ohne Lizenzen betrieben und sind maßgeblich verantwortlich für die hohe Anzahl schwerer Unglücke. 2005 sind 4500 Menschen in 2500 Unfällen in kleineren Zechen getötet worden. Insgesamt kamen im Jahr 2005 bei über 3300 Unfällen in Bergwerken fast 6000 Menschen ums Leben. „China’s coal-mining industry is among the most dangerous in the world [].”

Grund, sowohl für die mangelnde Effizienz als auch die erheblichen Sicherheitsmängel, ist die niedrige Investition in die Kohleindustrie durch die Regierung. In den letzten 15 Jahren wurden jährlich nur 1,57 Milliarden US$ in den Bau von Bergwerken mit einem Output von 30 Kilotonnen investiert. Problematisch ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass China 75% der Energie von hochgradig umweltverschmutzenden Kohlekraftwerken erhält, da auch dort an Investitionen gespart wurde. 

Es ist davon auszugehen, dass sich die Vernachlässigung der Reformierung des Kohlesektors nachteilig auf sämtliche andere Industriefelder und somit auf das Wirtschaftswachstum auswirken wird. Daher hat sich die chinesische Regierung die Restrukturierung der Kohleindustrie und Stärkung der Sicherheit am Arbeitsplatz seit 2005 zu einer Hauptaufgabe ihrer Politik gemacht.

Im Jahr 2006 solle die Anzahl der Grubenunglücke um 7%, die Anzahl der Todesopfer um 3,5% reduziert werden, so Li Yizhong, Direktor der State Administration of Work Safety (SAWS). Bereits 2005 beschloss man über 8500 oder 40% aller Gruben zu schließen, setzte sich darüber hinaus ein Dreijahresultimatum zur Stilllegung von 12000 gefährlichen Zechen. 

Diese Zahlen sprechen für sich, doch das Ursachenfeld der Grubenunglücke ist weit gefächert und reflektiert zahlreiche Probleme Chinas. Von der Makroebene betrachtet, verursachen die Überhitzung des Kohlemarktes und die daraus resultierende Überspannung der Kohleproduktion, das heißt der Kapazitäten der Bergwerke, die vielen Grubenunglücke. „Over-burden in production became one of the main causes that gave rise to frequent severe coal mine accidents.” 

Für Einstürze von Schächten, Explosionen, Überflutungen und Gasvergiftungen sind auf der Mikroebene weitere vielfältige Probleme verantwortlich. Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen sowie Managementprobleme bei Produktion und Krisenintervention fordern die vielen Menschenleben. Zum einen ist die Ausrüstung und Ausstattung der Zechen aufgrund mangelnder Investitionen desolat. Zum anderen sind sowohl das Führungspersonal als auch die Arbeiter in Verfahren betreffend der Sicherheit nicht gut genug ausgebildet, bei Unglücken wegen des Unwissens überfordert, um vorzeitige Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Spezialisten für Bergwerkstechnik abnehmen. 1998 haben noch 2500 in diesem Industriebereich graduiert, im Jahr 2000 waren es nur noch rund die Hälfte. 

Als Hauptgründe für die hohe Anzahl von Unglücken und die häufige Verschleierung dergleichen sind der Bürokratieapparat und die Korruption zu nennen. Die Dezentralisierung der Verwaltung hatte die Abnahme der Kontrolle der lokalen Regierungen zur Folge, denn die chinesische Regierung übte keinen direkten Druck mehr auf die lokalen Verwaltungs- und Regierungsbeamten aus. Diese erkannten jedoch den Profit der Kohleindustrie und investierten in die Kohleproduktion. Im eigenen Interesse behindern sie deswegen die Aufklärung von Unfällen oder verheimlichen sie ganz. Die schlechte Durchdringung der Gesetze von der nationalen auf die lokale Ebene, bedingt durch den bürokratischen Apparat, begünstigt und fördert das Verhalten der Beamten. Solange sie keine Strafverfolgung durch den Staat für ihre Taten zu fürchten haben, wird sich an dieser Tatsache nichts ändern können.

„Some of them love money so much they have stopped caring about the lives of coal miners, and disregard State rules on work safety.” 

Es ist belegt, dass gerade Bergwerke in kleineren Städten wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen und der Gleichgültigkeit der Betreiber die gefährlichsten Produktionsstätten sind. Fast 70% der Unfälle passieren in diesen Zechen und verantworten fast 80% aller Todesopfer.

Korruption findet in allen Bereichen der Kohleindustrie statt: in der Lizenzverteilung von Bergwerken sowie der Produktion und dem Verkauf der Kohle. Deshalb sei „the punishment of corruption [] the key to the final solving of problems existing with coalmine work safety”, so Li Yizhong (SAWS). Nur dadurch könne man die schlechten Arbeitsbedingungen verbessern, nachhaltig Leben und Besitz der Menschen sichern und die Entwicklung der Kohleindustrie stärken. Dies sei Voraussetzung für wirtschaftliche und soziale Stabilität. 

Anfang 2006 legte Premierminister Wen Jiabao umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz vor. Diese zeigen deutlich, dass die chinesische Regierung die vorherrschenden Probleme der „Kohleindustrie“ erkannt hat.

Erstens müsse sich in der Gesellschaft und auf allen Ebenen der Bürokratie ein Verantwortungsbewusstsein für die Sicherheit der Arbeiter etablieren. Deshalb sei es notwendig, den lokalen Akteuren mehr Verantwortung zu übertragen, sie bezüglich der Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen mehr zu aktivieren. Der Staat müsse dabei eine Kontrollfunktion einnehmen und die Ausführung der Gesetze evaluieren. 

Zur Aufdeckung von illegalen Aktivitäten wurden ausdrücklich auch Presse und Öffentlichkeit ermuntert. Sie könnten Informationen über die Vorgänge liefern und die Schuldigen dadurch mit überführen.

Zweitens solle die soziale Absicherung der Arbeiter und ihrer Familien verbessert und gesichert werden. „All state-owned mining enterprises have bought industrial injury insurance in coal-rich provinces […]”, so ein Sprecher des Ministeriums für Arbeit und Soziale Sicherheit. Nun müssen auch private Betreiber von Bergwerken ihre Arbeiter absichern. Diese Maßnahme wird einen entscheidenden Beitrag für Gerechtigkeit und soziale „Harmonie“ leisten, da sie doch die Lebensumstände der Arbeiter verbessert.

Es sollen drittens auch die Ausbildung und das „Sicherheitstraining“ der Arbeiter gefördert und gestärkt werden. Für besondere Posten werde vor dem Beginn der Arbeit ein Zertifikat, welches das Wissen über Sicherheitsrichtlinien bescheinigt, zu beantragen sein.

Viertens werde die Regierung mehr in die Förderung neuer Sicherheitstechnik und die Infrastruktur der Zechen investieren. Innerhalb von zwei Jahren solle in allen staatseigenen Kohlebergwerken die erforderliche Sicherheitsausstattung eingebaut werden. Allein 2005 sind bereits 360 Millionen US$ für die technische Ausstattung von staatseigenen Kohlebergwerken, vor allem betreffend der Unglücke mit Gasexplosionen, geflossen. Außerdem solle das 2005 initiierte Programm zur Überprüfung und Schließung illegaler oder unsicherer Zechen in diesem Jahr abgeschlossen werden.

Zur Effizienz- und gleichzeitiger Sicherheitssteigerung werde fünftens die Kohleindustrie restrukturiert. Zur Diskussion stehen die Bildung von sechs bis acht großen kohleproduzierenden Unternehmensgruppen, die mit mehr Kapital mehr in die Sicherheitsausstattung der Bergwerke investieren können.

Doch um den Veränderungen auf der Mikroebene eine reelle Chance zu geben, müssen auf der Makroebene Rahmenbedingungen geschaffen werden. Deswegen solle eine Balance zwischen Angebot und Nachfrage von Kohle realisiert, der Druck auf die Kohleproduzenten also verringert werden. 

Um die Hilfeleistung bei Unglücken zu verbessern, wurde im Februar 2006 ein  „National Control Centre for coordination Work Safety and Rescue Operations“ eingerichtet, welches der chinesischen Regierung direkt unterstellt ist. Hauptaufgabe des Kontrollzentrums ist es, Pläne für Notfallinterventionen und Rettungsvorgänge zu erstellen. Die Beschäftigten sind dabei auch angewiesen, „to supervise rescue and evacuation drills at enterprises and local authorities“. Alle Informationen betreffend den Umgang mit Notfallsituationen sollen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Dieses Maßnahmenpaket zeigt, dass sich die Regierung für die Gewährleistung der Sicherheit an Arbeitsplätzen einsetzt und “nobody doubts the sincerity in the government's determination but there is still scepticism about whether the problem can really be solved.” Denn weiterhin ereignen sich schwere Unglücke, auch in Kohlebergwerken. Dadurch eröffnet sich zwangsläufig die Frage, wie nachhaltig die Maßnahmen der Regierung tatsächlich sind.

Ein Problem scheint der bürokratische Apparat Chinas zu sein. Allein an der Prävention von Grubenunglücken sind die State Administration of Work Safety, die State Administration of Safe Production and Supervision, die National Development and Reform Commission, die State Administration of Coalmine Safety Supervision sowie die General Administration of Work Safety und der National Control Center for coordinating Work Safety and Rescue Operations beteiligt. Zu ergänzen ist diese Liste zusätzlich von den auf Provinz- und Lokalebene fungierenden Akteuren. Diese Aufzählung zeigt sehr deutlich, dass die Kompetenzverteilung weit verzweigt ist. Ob dies zu einer Effizienzsteigerung der Politik führt, ist fraglich.

„China has enacted nearly 200 laws and administrative decrees concerning industrial production safety.” Zu dieser hohen Anzahl von nationalen Gesetzen kommen des Weiteren die Eigeninitiativen der Provinzen. Dies wirft gerade für die Beamten die Frage auf, nach welchen Gesetzen sie sich zu richten und vor wem sie ihr Handeln zu verantworten haben. Die hohe Anzahl an Gesetzen und Dekreten ist noch aus einem weiteren Grund problematisch. Werden die Präventionskonzepte langfristig durchgeführt und evaluiert oder sind sie nur solange präsent bis die Regierung wieder neue Konzepte erarbeitet hat? 

„The government doesn’t want more highly publicized disasters, […] but it needs more coal.” Dieses Dilemma wird sich entscheidend auf die Nachhaltigkeit der Präventionskonzepte von Grubenunglücken auswirken. Die chinesische Regierung will zwar keine weiteren Unglücke mit hohen Todeszahlen, aber um die Energieversorgung zu garantieren wird die Steigerung der Kohleproduktion unvermeidlich sein. 

Die Bergwerksbesitzer und Beamten wissen jedoch nicht, wonach sie sich richten sollen. Auf der einen Seite müssen sie den Output halten bzw. steigern, erhalten für eine hohe Produktionsleistung sogar finanzielle Belohnungen. Auf der anderen Seite sollen sie unbedingt die Sicherheitsvorkehrungen einhalten und die umfangreichen neuen Gesetze beachten, da ihnen sonst Strafverfolgung droht. Wofür sollen sie sich aber entscheiden? „But what if these local leaders, burdened with too many responsibilities for workplace safety, environmental protection, family planning and so on are bewildered and do not know where to focus their attention?” 

Abschließend ist außerdem festzustellen, dass die chinesische Regierung bei der Prävention von Grubenunglücken ihre Hauptaufmerksamkeit auf die staatseigenen Bergwerke legt. „China should strengthen its basic safety management work in coal mines production sites at various levels, especially the key state-owned coal mines“, so Li Yizhong (State Administration of Work Safety). Dabei sind doch gerade die privaten Zechen aufgrund der schlechten Ausstattung unsicherer. Diese Diskrepanz könnte in Zukunft zu weiteren Problemen führen.

Die Prävention von Grubenunglücken steht erst am Anfang und wird die chinesische Regierung langfristig beschäftigen. Erste Maßnahmen sind zwar getroffen worden, doch bei der Effizienz der Politik behindert sich der Staat noch selbst. Nur eine klare Kompetenzverteilung und die Internalisierung eines Verantwortungsgefühls auf jeglicher politischer Ebene und Verwaltungsebene können eine gute Ausgangsposition für die Prävention von Grubenunglücken bieten. Die Abstimmung von nationaler und lokaler Ebene sowie eine konsequente Problemvermittlung an die Bevölkerung sind dringend erforderlich, um die neuen Gesetze und Richtlinien auszuführen und das Verständnis für die Notwendigkeit der Sicherheit am Arbeitsplatz zu etablieren.

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