Das Sanktionsregime hat ausgedient
Interview mit Angelika Köster-Loßack (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

symbol.gif (711 Byte)
Home

Das Gespräch führt Ulrike Bey, Burma.Initiative Asienhaus

Nur drei Wochen bevor der neunzehnmonatige Hausarrest von Aung San Suu Kyi aufgehoben wurde, bereiste eine Delegation des Bundesausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Indien und Myanmar/Burma*. Die Abgeordneten sprachen in Myanmar/Burma mit Politikern aus Regierungskreisen, mit Vertretern der Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) sowie ethnischen Minoritäten. Nachdem vor einem Jahr eine Reise nach Myanmar/Burma daran gescheitert war, dass eine Genehmigung zum Besuch der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi nicht gewährt wurde, war es diesmal für zwei Abgeordnete — Angelika Köster-Loßack (Bündnis 90/ Die Grünen) und Norbert Blüm (CDU) — möglich, die Friedensnobelpreisträgerin in ihrem Haus zu besuchen.

In den Gesprächen ging es unter anderem um entwicklungspolitische Projekte, die als Teil internationaler Sanktionspolitik seit Jahren größtenteils eingefroren waren. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hatte sich der Aufforderung Aung San Suu Kyis und der NLD sowie der Opposition im Exil angeschlossen und die Kooperation eingestellt. Im Bereich der humanitären Hilfe hatte sich die Opposition jedoch kompromissbereit gezeigt. Mit der Freilassung Aung San Suu Kyis erhält die Diskussion um die Beibehaltung von Sanktionen eine neue Aktualität, hatte doch beispielsweise der amerikanische Nachrichtensender CNN unmittelbar nach der Ankündigung einer möglichen Freilassung Aung San Suu Kyis im Internet eine Umfrage zu deren Aufhebung durchgeführt. Menschenrechtsorganisationen und Politiker plädieren weiterhin dafür, den Druck auf die Militärregierung nicht zu lockern. Über ihre Reise und ihre Sicht auf die Sanktionspolitik sprach Angelika Köster-Loßack mit Ulrike Bey.

U.B.: Frau Köster-Loßack, was haben Sie sich von der Reise versprochen?

A.K.L.: Ich selbst habe mich nun seit acht Jahren mit Myanmar /Burma beschäftigt, auch viele Gespräche mit der Exilregierung geführt. Da Etliche aus unserer Delegation auch im Menschenrechtsausschuss sind, waren wir an der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Frage interessiert, inwieweit sich die Opposition, die NLD, aber auch die Minderheitenvertreter gegenüber der Regierung inzwischen behaupten konnten. Die Nachrichten, die uns aus diesem Lande erreichen, sind ja je nach Quelle äußerst widersprüchlich. Und es ist vor allem bei Sanktionsregimes, die seit langer Zeit greifen, von allergrößter Wichtigkeit, immer wieder nachzusehen, inwiefern die Zivilbevölkerung betroffen ist. Außerdem kam die Frage auf, inwieweit es nicht die Potentiale aushöhlt, die im Land bei der Opposition gegeben sind, wenn man lediglich auf das Sanktionsregime setzt und sich trotzdem nichts bewegt!

U.B.: Und wie waren Ihre Eindrücke?

A.K.L.: Ich war erstaunt, dass bestimmte Gesprächspartner, auch von der Regierungsseite, sehr offen über diese ganzen heiklen Fragen bereit waren zu reden. Ich hatte einen strengeren Stil erwartet, es war aber nicht so: Wir wurden sehr offen empfangen. Wir haben gleich am ersten Tag Gespräche mit der Regierungsseite geführt, mit dem Außenminister, dem stellvertretenden Außenminister und Vertretern anderer Ministerien, die mit uns auch offen debattiert haben.

Wir hatten vor unserem Besuch bei Aung San Suu Kyi am letzten Tag unseres Aufenthalts natürlich noch eine ganze Reihe von Begegnungen, von Diskussionen und Einladungen. Wir haben auch mit Deutschen vor Ort gesprochen, die dort Projekte auf privater Basis unterstützen, und auch Projekte besucht.

Der bittere Aspekt unserer Eindrücke war, dass alles, was bisher an Ansätzen auf Projektprogrammebene oder im Bereich dieser wirtschaftlichen Initiativen versucht worden ist, natürlich darunter leidet, dass das Sanktionsregime weiterhin relativ effektiv gehandhabt wird, insbesondere von Seiten der EU und der USA auf offizieller Ebene.

Wir waren über die Informationen, die wir von Geschäftsträgern der Vereinten Nationen vor Ort über die Lage der Bevölkerung bekommen haben, sehr bestürzt. Es ist schon klar, dass ein Land, das weitgehend noch auf Subsistenzwirtschaft aufgebaut ist, nicht einer Hungersnot im üblichen Sinne ausgesetzt ist. Es wurde aber doch ein Mangel und eine Fehlernährung konstatiert, die insbesondere die Kleinkinder betrifft. Die Informationen, die wir von UNICEF erhalten haben, zeigen, dass unter dem Sanktionsregime sehr viele Kinder nicht die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln: Physisch, physiologisch, mental und - auf anderer Ebene — Schulbildung zu erwerben, weil das Land nicht in der Lage, man kann auch sagen, nicht Willens ist, unter den jetzigen Bedingungen der Bevölkerung eine Grundversorgung in Bildung und Gesundheit anzubieten.

U.B.: Sie haben die Sanktionspolitik des Westens jahrelang unterstützt, ändert sich durch diese Eindrücke etwas an Ihrer Einstellung?

A.K.L.: Ich habe dadurch jetzt einen anderen Blick auf die Sanktionen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass gerade im Fall Myanmar/Burma dieses Sanktionsregime wohl doch in gewissem Maße unverzichtbar wäre, weil sich sonst nichts bewegen würde. Inzwischen, nach dieser Erfahrung, die zugegebenermaßen nur wenige Tage gemacht werden konnte, bin ich der Meinung, dass unterhalb der staatlichen Ebene der Zusammenarbeit auf jeden Fall alle Mittel und Wege ausgeschöpft werden müssen, um der Bevölkerung in diesen Bereichen, Entwicklung und Gesundheit, Angebote machen zu können; dass alles ausgeschöpft werden und alles getan werden muss, um auch in Zusammenarbeit mit der Opposition und den ethnischen Minderheitenvertretern diesen Demokratisierungsprozess von innen heraus voranzutreiben. Weil ich glaube, in vielen anderen Fällen kann man das auch studieren, dass die Opposition von außen im Laufe der Zeit doch einen ganz anderen Blick auf die Verhältnisse entwickelt. Das ist zwangsläufig so, wenn man nicht mehr im Lande selbst ist und nur noch theoretisch, also abstrakt über die Verhältnisse informiert wird. Man kann es sich einfach nicht vorstellen, wie die internen Dynamiken sind.

U.B.: Was haben Sie von Ihren Gesprächspartnern mitgenommen?

A.K.L.: Wir haben von allen Seiten, sowohl von den gesprächsbereiten Regierungsleuten, aber insbesondere auch bei den Minderheitenvertretern und bei der Führung der NLD, als auch bei Daw Aung San Suu Kyi, die deutliche Botschaft mitgenommen, die Zusammenarbeit zu verstärken, alle Initiativen in den Bereichen zu unterstützen, wo die größten Defizite sind, um der Bevölkerung zu Hilfe zu kommen. Wobei natürlich eine ausdrückliche Bedingung von Aung San Suu Kyi gestellt wurde: Wenn es zu der Erweiterung solcher Kontakte kommt, meinetwegen im Bereich der Stiftungen, meinetwegen im Bereich privater Projekte oder Programme, dann muss auf jeden Fall die Opposition mit einbezogen werden.

Sie hat gesagt, die Opposition, ich würde sagen, auch die Minderheitenvertretungen müssen einbezogen werden. Es kann natürlich nicht sein, dass nur von Regierungsseite die Counterparts da sind, sondern das muss breit gestreut und öffentlich sein.

U.B.: Wie ist Ihr Blick nun auf das Land?

A.K.L.: Insgesamt glaube ich, dass, wenn man wirklich für das Land eine Öffnung erreicht in Bezug auf eine größere Zusammenarbeit im Bereich Gesundheitsvorsorge und Bildung, im Bereich Zusammenarbeit mit Stiftungen mit der Zivilgesellschaft dort, soweit sie vorhanden ist, auch der Demokratisierungsprozess simultan bessere Chancen hat, sich zu entwickeln, als das bisher der Fall war. Dieser Stillstand, der jetzt für lange Jahre gegeben war, muss dringend zugunsten der Bevölkerung und der nachwachsenden Generation überwunden werden, auch zugunsten des Entwicklungspotentials, das das Land hat.

U.B.: Die Frage ist jetzt natürlich auch, wie man hier weiterarbeiten kann, wie man hier die Politik gestaltet?

A.K.L.: Ich glaube, mit der positiven Botschaft von jeder Seite, auch von Aung San Suu Kyi, können wir mit unserem Bericht und den Einschätzungen, die wir mitbringen, jetzt vorsichtig sowohl auf der Ebene des BMZ als auch auf der Ebene des Auswärtigen Amtes versuchen, so ein paar Punkte vielleicht etwas anders zu setzen, als das vorher der Fall war.

Wir werden im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aber auch im Menschenrechtsausschuss und vielleicht auch im Auswärtigen Ausschuss über die Reise berichten und hoffen, besonders herausstellen zu können, dass wir nicht nur eine entwicklungspolitische Verantwortung haben für das Land, eine menschenrechtliche, sondern dass wir auch außenpolitisch verantwortlich sind. Das Land ist geostrategisch von enormer Bedeutung zwischen Indien und China direkt eingepasst, und diese Überlegungen werden oftmals bei der Diskussion über Myanmar/Burma nicht berücksichtigt. Dessen ist sich die gesamte Opposition natürlich bewusst, aber auch die Regierung.

Nachdem der Bericht mit diesen Schlussfolgerungen vorgetragen wurde, muss ein Prozess eingeleitet werden auf der EU-Ebene hier von unserer Seite, der dazu führt, dass im Zusammenhang mit der Unterstützung von Razalis Vermittlungsarbeit die wichtigsten grundlegenden Erwartungen dort erfüllt werden.

Das heißt auch, dass die Stiftungen von uns je nach Parteizugehörigkeit informiert werden über die Ergebnisse der Reise, und dass von daher auch überlegt werden kann, wie man eventuell Kooperationsformen gestaltet.

Es geht auch um die Gewährleistung von Stipendien z.B. für Studierende. Das A und O ist, dass die jungen Leute ein Ausbildung bekommen. Das sind natürlich jetzt alles Dinge, die stoßen an Grenzen wegen des Sanktionsregimes, und meines Erachtens muss das alles gründlich überdacht werden auf dem Hintergrund der Botschaften, die wir da jetzt mitgebracht haben. Und ich persönlich würde sagen, dass nach all den Gesprächen in den acht Jahren, die ich geführt habe, und nach all den Boykottaufrufen und allem, was ich mitgetragen habe, die Entwicklung jetzt so ist, dass man alle Schritte überdenken muss, die helfen können, dieses Sanktionsregime zu überwinden.

Das geht natürlich nur, wenn auch der Demokratisierungsprozess entsprechend dann mit voranschreitet.

U.B.: Würde sich die Regierung auf beispielsweise öffentlich angelegte Bildungsseminare einlassen?

A.K.L.: Wir haben nicht über einzelne Projekte gesprochen, wir haben nur erst mal im Gesamtgespräch mit der Führung - wir haben nicht mit allen aus der Führung gesprochen, auch nicht mit Generalleutnant Khin Nyunt und dem Staatsoberhaupt Than Shwe — mehrmals betont, wir würden es begrüßen, wenn in bestimmten Bereichen eine stärkere Zusammenarbeit möglich gemacht werden würde. Wir haben auch nicht gesagt, Aufhebung der Sanktionen oder so was, um Himmels Willen! Nein, wir haben davon gesprochen, dass wir der Meinung sind, dass in bestimmten Bereichen eine Zusammenarbeit eben notwendiger wäre.

Man muss dringend auf die Kräfte in der Regierung setzen, die reformbereit sind, gesprächsbereit! Reformbereit ist zu viel gesagt. Es gibt einige jüngere Leute, Diplomaten, die im Ausland waren, und die genau sehen, was im Ausland passiert. Die wissen ganz genau, dass es so nicht weitergeht. Auch wenn es nur darum geht, das eigene politische Überleben zu sichern. Wir haben auch von Seiten der Regierung den ausdrücklichen Wunsch mitgenommen, im Dialog zu bleiben.

Die Strategien, wie man weiter vorgehen kann, sind noch nicht ausgearbeitet. Mir liegt am Herzen, dass die Demokratisierung vorankommt, dass es einen Modus Vivendi gibt zwischen NLD und Militär, und dass die Minderheitenvertreter die Möglichkeiten, die sie für sich erwarten, mit entwickeln können. Dies sind Themen und Fragestellungen, wo auch die Stiftungen vorrangig mit einsteigen können!

Mich würde es jetzt vor allem interessieren, mit der Exilregierung ins Gespräch zu kommen, denn ich denke, dass die Opposition im Ausland und in Myanmar/Burma dringend ins Gespräch miteinander kommen muss.

* Auf ausdrücklichen Wunsch von Angelika Köster-Loßack wurde die Bezeichnung Myanmar/ Burma verwendet.

 

südostasien 2/02, Seite 26

 

ah_linie.gif (1558 Byte)

Stand: 04. Juli 2002, © Asienhaus Essen / Asia House Essen
Webspace and technical support provided by Asia Point Network

Volltextsuche auf der Asienhaus-Homepage