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Myanmar: Presseschau September 2022

Schon seit Beginn der Proteste, erwarten die Menschen mehr von der UN. (Foto: Henri Myrttinen)
Schon seit Beginn der Proteste, erwarten die Menschen mehr von der UN. (Foto: Henri Myrttinen)

HRW prangert Folter an; Junta greift Schule an; Rohingya weiter im Kreuzfeuer; ASSK, Vicky Bowman + Sean Turnell verurteilt; Entwicklungen in der UN

Widerstand & Repression

UNICEF veröffentlichte einen Bericht zur Menschenrechtssituation bis Ende August. Sie geben an, die Zahl der myanmarischen Vertriebenen sei auf 1,3 Millionen angestiegen und heben besonders den fehlenden Zugang zu Bildung sowie den Einsatz von Landminen hervor. Insgesamt waren 151,4 Millionen $ für die Finanzierung der Programme vorgesehen, davon stehen 119 Millionen $ noch aus.

In der Bago-Region kam es vermehrt zu Kämpfen zwischen der Junta und der Karen National Union. Die Luftschläge des Militärs zwingen die Bewohner:innen von 61 Dörfern zur Flucht. Schätzungen gehen von annähernd 19.000 zusätzlich Vertriebenen aus.

Frontier Myanmar beschäftigte sich in einer Reportage mit Kämpfen in der Tanintharyi-Region. Sie beschreiben die Situation im Süden Myanmars, wo Widerstandsgruppen versuchen eine weitere Front gegen die Junta zu eröffnen. Dabei zeigt sich allerdings, dass in Regionen, in der bisher selten bewaffnete Auseinandersetzungen stattfanden, die logistischen Hürden größer sind. Während viele Bewohner:innen dem Widerstand beitreten, sind die Strukturen des Widerstands hier weniger institutionalisiert als in anderen Teilen des Landes. Vereinzelt kommt es zur Zusammenarbeit mit Widerstandsgruppen der Karen, doch hauptsächlich sind die Menschen hier darauf angewiesen eigene Strukturen zu entwickeln.

Myanmar Now berichtete am 14. September über Angriffe des Militärs auf Sezin. Am 9. September hatte die Tatmadaw die Ortschaft angegriffen, 700 Haushalte in Brand gesteckt und mindestens 40 Menschen getötet. Anhaltende Konflikte in der Region verhindern auch eine Rückkehr der Bewohner:innen.

Nach Medienberichten wurde der Zugang für Hilfsorganisationen in manche Regionen des Rakhine-Staats durch das Militär abgeriegelt. In den letzten Monaten hatten die Spannungen zwischen der Arakan Army und dem Militär sowohl im Rakhine-, wie auchChin-Staat zugenommen. Die Junta nahm dies zum Anlass, die Bereitstellung humanitärer Güter auszusetzen.

In der zweiten Monatshälfte kam es zu stärkeren Vernetzungen unter den Ethnic Armed Organisations (EAO). Am 16. September berichtete The Irrawaddy über ein Treffen der neuen, jüngeren Riege von Vize-Kommandeuren der Arakan Army und der United Wa State Army (UWSA). Die UWSA hatte zuvor auch schon die Ta’ang National Liberation Army und die Myanmar National Democratic Alliance Army getroffen. Noch in derselben Woche fand sich auch die ältere Führungsgeneration von sieben EAOs auf dem Gebiet der UWSA zusammen. Nachdem die Arakan Army wieder komplett in den Konflikt involviert scheint, wird vermutet, dass gemeinsame Kooperationen und gegenseitige Unterstützung vorbereitet werden.

Untersuchungen durch Human Rights Watch dokumentierten, dass mindestens 6 Aktivist:innen in Polizei- und Militärgewahrsam durch Folter oder fehlende medizinische Versorgung gestorben seien. Dabei bezeichnen sie diese Zahl als ‚lediglich die Spitze des Eisbergs‘. Schätzungen der tatsächlichen Anzahl der in Gewahrsam Gestorbenen gehen von annähernd 700 Menschen aus. In Deutschland wurde die Nachricht unter anderem von der Deutschen Welle, dem Spiegel, der Zeit und der taz aufgegriffen.

Auch im Gerichtsprozess um Aung San Suu Kyi gab es weitere Entwicklungen: Anfang des Monats wurde sie im Verfahren um den angeblichen Wahlbetrug im November 2020 zu weiteren drei Jahren Haft sowie Zwangsarbeit verurteilt. Wie in der letzten Presseschau schon angesprochen, erging im selben Zeitfenster auch das Urteil gegen die ehemalige britische Botschafterin Vicky Bowman und ihren Lebensgefährten Htein Lin. Sie wurden wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Visabestimmungen zu jeweils einem Jahr Haftstrafe verurteilt. In der deutschen Presse berichteten unter anderem die Deutsche Welle, der Spiegel, die Tagesschau und die taz.
Am 29. September erfolgte auch im gemeinsamen Prozess gegen Aung San Suu Kyi und den australischen Wirtschaftsberater Sean Turnell ein Richtspruch. Beiden wurden jeweils drei Jahre Haft auferlegt, da sie angeblich gegen den Official Secrets Act verstoßen hätten.

Das International Journalist Network schrieb am 9. September über die anhaltende Bedrohung für Journalist:innen. Es sind weiterhin 70 Journalist:innen in Haft und mindestens vier wurden durch das Militär getötet. Sie sind Folter und Verhaftungen aus politischen Motiven ausgesetzt. Darüber hinaus stellt die Situation im Land sie vor logistische Herausforderungen: Strom und Internet sind nur unzuverlässig verfügbar und ihre Büros werden in Razzien durchsucht.
Am 15. September ergingen weitere Urteile gegen Journalist:innen, darunter eine ehemalige Moderatorin für die britische BBC. Die Internationale Journalisten-Föderation, das Komitee zum Schutz von Journalisten und BBC Media Action veröffentlichten daraufhin Stellungnahmen, in denen sie den Umgang der Junta mit der Presse kritisieren.

Arbeiter:innen sehen sich immer stärkerem Druck ausgesetzt. Häufig versuchen sie ihre Familien zu unterstützen, aber Ressourcenknappheit, Inflation und die schlechte ökonomische Lage machen ihren Lohn weniger wert. Firmen nutzen die Notsituation aus und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Inzwischen liegen sowohl Tagelöhner:innen wie auch Vertragsarbeiter:innen sogar in städtischen Gebieten im Schnitt unter der internationalen Armutsgrenze. Auch die Gewerkschaften werden weiter unterdrückt. Zu illegalen Organisationen erklärt, ziehen sie sich in Gebiete außerhalb der Kontrolle der Junta zurück. Die unter dem junta-kontrollierten Arbeitsministerium eingerichteten Gewerkschaften sind keine sicher Anlaufstelle für Arbeiter:innen. Teilweise kooperieren Fabrikbesitzer:innen auch mit der Junta und verraten Aktivist:innen. Viele Gewerkschafter:innen werden weiter mit Haftbefehl gesucht.

In einem Luftangriff des Militärs auf eine Schule wurden mindesten 11 Kinder getötet. Die Tatmadaw hatte das das Gebäude in der Sagaing-Region am 16. September mit zwei Kampfhubschraubern beschossen. Die Junta gibt an, Einheiten in das Dorf geschickt zu haben, nachdem sie Informationen über Widerstandsaktivität erhalten hätten.

 

Internationale Reaktionen

Der Angriff rief eine Reihe internationaler Reaktionen hervor: Unter anderem verurteilten UNICEF, der Independent Investigative Mechanism for Myanmar, der Generalsekretär der UN, die EU, Save the Children und das Special Advisory Council Myanmar die Gräueltaten des Militärs.

Die EU äußerte sich auch zu den erneuten Haftstrafen für Aung San Suu Kyi. Dabei bekräftigen sie, dass die Gerichtsverfahren ausschließlich politisch motiviert seien und rufen die Junta auf alle politischen Gefangenen freizulassen. Die Sondergesandte der UN für Myanmar, Noeleen Heyzer, äußerte ebenfalls Bedenken über Aung San Suu Kyis Inhaftierung und ihre Gesundheit. Sie betonte erneut, dass man ihr ein Treffen mit Suu Kyi versprochen habe. Heyzer werde nicht nach Myanmar zurückkehren, bis dieses Treffen möglich ist.

Das Myanmar Accountability Project veröffentlichte eine Handlungsempfehlung an das Akkreditierungskomitee der Vereinten Nationen. Sie verlangen eine Anerkennung des National Unity Government oder zumindest eine Unterstützung des aktuell noch von der zivilen Regierung entsandten Vertreters. Daraus leitet sich auch die Forderung ab, dass die Vertreter der zivilen Regierung vor dem Menschenrechtsrat, dem Internationalen Gerichtshof, dem Internationalen Strafgerichtshof und der UN-Vollversammlung als legitime Repräsentanten anerkannt werden sollen.

Die UN äußerte sich im September mehrmals zu Myanmar. Am 12. September stellte der Independent Investigative Mechanism for Myanmar Ergebnisse vor dem Menschenrechtsrat vor. Dabei betonten sie erneut die zunehmenden Belege für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und stellen auch die Anwendung der Todesstrafe besonders heraus. Aber auch die Arbeit lokaler Organisationen und Individuen wird angesprochen, mit deren Hilfe der Mechanismus 67 Beweispakete erarbeitet hat, die gerichtlichen Behörden vorgelegt werden können.
Ein Bericht des Hohen Kommissar für Menschenrechte am 16. September unterstrich die Notwendigkeit weiterer internationaler Sanktionen, um der Junta den Zugang zu Waffen und Finanzmitteln abzuschneiden. Dies deckt sich mit den Empfehlungen anderer UN-Gremien. Alle Firmen, die in Myanmar aktiv sind oder deren Lieferketten durch Myanmar fließen sollten darüber hinaus darauf achten, dass ihre Aktivitäten nicht dem Militär zugutekämen.
Am 21. September berichtete Thomas Andrews, der Sonderberichterstatter für die Situation der Menschenrechte in Myanmar, dem Menschenrechtsrat, dass die Situation sich von ‚schlecht zu schlechter zu furchtbar‘ entwickelt habe. Er betonte dabei auch die Frustration und den Zorn der Bevölkerung über das fehlende Engagement der Mitgliedsstaaten. In der folgenden Debatte wurde auch der dringende Bedarf einer vereinten Koalition von Staaten angesprochen, die sich der Lage annehme. Vereinzelt traten auch Stimmen auf, die einwarfen, den betroffenen Staat von diesen Gesprächen auszuschließen sei nicht hilfreich. Am darauffolgenden Tag sprach Andrews auch über den Plan der Junta im nächsten Jahr Wahlen durchzuführen. Er betonte, dass die Staatengemeinschaft nicht versuchen solle die klar unfreien Wahlen durch technische Assistenz oder Unterstützung zu begleiten. Dies könne den Wahlen ein Trugbild der Legitimität verleihen.

Die Regierung Malaysias hat ihre Bemühungen gegen die Junta intensiviert. Die Jakarta Post geht in einem redaktionellen Beitrag auf die versuchte Kooperation mit Singapur und den Philippinen ein. Das malaysische Außenministerium hatte schon Treffen mit sowohl der Außenministerin der NUG wie auch lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen abgehalten. Dabei unterstreicht die Redaktion, dass ein stärkerer Einsatz der ASEAN und der Staatengemeinschaft notwendig ist um gemeinsam die Gesellschaft Myanmars zu unterstützen.
Die ASEAN Parlamentarians for Human Rights schlossen sich in einer Stellungnahme diesen Bestrebungen an und berichteten von einer Veranstaltung, die der malaysische Außenminister im Rahmen der UN-Vollversammlung veranstaltete. Auf der Veranstaltung waren auch die NUG Minister:innen für Menschenrechte und Kommunikation, Technologie und Information anwesend. Kyaw Moe Tun, der Repräsentant Myanmars bei der UN, sowie Repräsentant:innen der EU und mehrerer südostasiatischer Länder nahmen ebenfalls teil.

Das in der letzten Presseschau angesprochene Ausbildungsprogramm für Offiziere in Japan, wird, nach Angaben des japanischen Verteidigungsministeriums, ab 2023 kein Militärpersonal aus Myanmar mehr aufnehmen.

Junta-Chef Min Aung Hlaing hat zum zweiten Mal in zwei Monaten Russland besucht. Seit dem Staatsstreich wurde Min Aung Hlaing die Teilnahme am Großteil der internationalen Treffen verwehrt. Die Besuche sind eine Möglichkeit internationale Legitimität als Staatsoberhaupt zu beanspruchen. Moskau nahm den General bereits im Juni 2021 in Empfang und sicherte verstärkte militärische Kooperation zu. Russland ist eine wichtige Quelle für militärische Ausrüstung und Treibstoff für die Junta.

Mit dem Katarischen Konglomerat Ooredoo zog sich am 8. September ein weiterer Telekommunikationsanbieter aus Myanmar zurück. Es verkaufte die Ooredoo Asian Investments Pte Ltd. an eine singapurische Firma, die einem myanmarischen Investor gehört. Damit hat sich der letzte externe Anbieter aus dem Telekommunikationsmarkt Myanmars zurückgezogen.

Schon zu Beginn des Monats, am 5. September, wurde Myanmars Botschafter in Bangladesch einbestellt, nachdem Junta-Artillerie hinter der Grenze eingeschlagen war. Anhaltende Gewalt an der Grenze führt zu steigenden Spannungen. Bangladesch beschreibt die Angriffe in der Nähe des Rohingya-Flüchtlingslagers Cox Bazar als bewusste Provokation.

 

Rohingya

In einem weiteren Artillerieschlag des Militärs, der am 16. September auf bangladeschischem Gebiet landete, wurde ein jugendlicher Rohingya getötet und sechs weitere Menschen verletzt. Der Einschlag erfolgte an der Grenze zwischen Myanmar und Bangladesch, in einem Bereich in den sich viele Rohingya zurückgezogen haben. Die Flucht selbst birgt weitere Gefahren: Das Militär griff beispielsweiße Ende August ein Boot mit 66 Rohingya auf, die versuchten das Land zu verlassen. Von den sieben Todesfällen fiel mindestens einer in die Zeit nach der Festnahme.

In Bangladesch wurde ein Verfahren um den Tod des Rohingya-Aktivisten Mohibullah eröffnet. Er wurde am 29. September 2021 auf dem Gebiet eines Flüchtlingslagers umgebracht. Es wurden Untersuchungen gegen 29 Personen eingeleitet, die laut Gerichtsangaben zur Arakan Rohingya Salvation Army gehören.

Am 29. September veröffentlichte Amnesty International einen Bericht über die Mitschuld der Facebook-Mutterfirma Meta an den Verbrechen gegen die Rohingya. Sie argumentieren, dass der Algorithmus des sozialen Netzwerks zur Verbreitung von gewaltverherrlichenden und volksverhetzenden Inhalten beigetragen und somit das Risiko für den Ausbruch massenhafter Gewalt erhöht habe. Der Konzern schulde den Überlebenden eine effektive Wiedergutmachung.

 

Weiteres

Das Special Advisory Council Myanmar veröffentlicht einen Report über effektive Kontrolle in Myanmar. Laut ihrer Untersuchung kann die Junta keine effektive Kontrolle beanspruchen, während das National Unity Government den besten Anspruch erheben kann. Dabei zählen sie Widerstandsgruppen, die keinen Waffenstillstand mit der Junta geschlossen haben, als zum National Unity Government zugehörig. Darüber hinaus argumentieren sie, dass die Junta im Laufe der Zeit die Kontrolle über weitere Teile des Landes verliert.

Billy Ford und Aung Ko Ko argumentieren in einem Beitrag für das United States Institute of Peace, dass, um den Widerstand zu vereinen, die Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten beendet werden müsse. Auch wenn angesichts des gemeinsamen Feinds aktuell verstärkt Kooperationen stattfänden, habe der Widerstand sich noch nicht stark genug zu einer gemeinsamen Vision eines gleichberechtigten und freien Myanmar für alle bekannt. Den guten theoretischen Ansätzen müssten jetzt konkrete Inklusion und ein Bekenntnis besonders zu den nicht anerkannten Minderheiten folgen.

Die Women’s Advocacy Coalition Myanmar und die Women’s League of Burma reichten dem UN-Menschenrechtsrat einen gemeinsamen Bericht ein, der auf die besondere Gefährdungssituation für Frauen und Mädchen in Myanmar eingeht. Die Gewalt und zunehmende Unsicherheit, sowohl physisch wie auch ökonomisch, stellt eine besondere Bedrohung für Frauen dar. Es wird sowohl der Fortschritt in der Durchsetzung von Frauenrechten zurückgeworfen, wie auch ein Klima geschaffen, in dem Frauen sexualisierter Gewalt und Unfreiheit ausgesetzt sind.

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