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No 'PRIDE' in China?

Pride-Flaggen
Pride-Flaggen © Daniel James@Unsplash

Anlässlich des International Pride Month und der kürzlichen Schließung des Pekinger LGBTQIA+ Zentrums werfen wir in diesem Artikel einen Blick auf die aktuelle Situation sexueller Minderheiten in China.

Das seit 15 Jahren bestehende LGBTQIA+ Zentrum Beitong Culture 北同文化 in Peking, kündigte vorigen Monat die Schließung wegen „höherer Gewalt“ an. Was mit höherer Gewalt gemeint ist, wurde nicht genauer erläutert. Mit der Schließung des Zentrums verliert die Pekinger LGBTQIA+ Community nicht nur einen seltenen safe space, sondern auch ein wichtiges Sprachrohr ihrer Rechte in der Volksrepublik.

Das Zentrum machte es sich zur Mission, das Umfeld für sexuelle Minderheiten in China zu verbessern, indem beispielsweise psychologische Beratung und Aufklärungsgespräche angeboten wurden. Das Pekinger Zentrum ist darüber hinaus dafür bekannt, Psycholog:innen über die Risiken von Konversionstherapie aufzuklären. Viele Ärzt:innen und Psycholog:innen in China halten an dem Glauben fest, man könne auf diese Weise gegen Homosexualität, Transsexualität und nicht-binäre Geschlechteridentitäten vorgehen. Das LGBTQIA+ Zentrum gewann außerdem an Aufmerksamkeit, als es einem jungen homosexuellen Chinesen mit Erfolg bei einer Klage gegen eine Organisation half, welche Konversionstherapie mittels Elektroschocks an ihm praktiziert hatte.

Der LGBTQIA+ Rechtsexperte Darius Longarino beschreibt das Zentrum als „einen Knotenpunkt, einen Zufluchtsort, ein Flaggschiff, ein Festival“. In der Schließung des Zentrums sieht er Anzeichen dafür, dass „was einst toleriert wurde, nicht länger toleriert wird“. Er glaubt nicht, dass das Zentrum eine Grenze überschritten habe, sondern dass die Grenze vielmehr das Zentrum überschritten hat.

Wo liegt also diese Grenze, wie hat sie sich verschoben und wie macht sich das bemerkbar? Welchen Einfluss hat solch ein Wandel auf die Leben der vielen Mitglieder der LGBTQIA+ Community in der Volksrepublik?

Was sagt die chinesische Regierung?

Obwohl in der chinesischen Gesellschaft eine gewisse Vielfalt in Bezug auf die Akzeptanz sexueller Minderheiten existieren mag, stellt die Haltung der chinesischen Regierung einen konkreten Anhaltspunkt dar, um die Lage der LGBTQIA+-Gemeinschaft im Land einzuschätzen. Wie sieht also die Regierung Chinas die LGBTQIA+ Community und wie positioniert sie sich zu ihrer Diskriminierung? Die Antwort ist wie viele Fragen zu China nicht eindeutig zu beantworten. Nathan Wei vom China Project erkannte, dass sich die Aussagen der Repräsentant:innen Chinas vor der U.N. zu diesen Themen nicht mit dem decken, was in den chinesischen Medien berichtet wird. Am 15. Februar hielt die U.N. eine vom Komitee für wirtschaftliche, soziale, und kulturelle Rechte (ICESCR) organisierte Besprechung ab, bei der sechs Länder vorgeladen waren und zur Implementierung der Rechte sexueller Minderheiten, Transsexueller und geschlechterdiverser Menschen befragt wurden. In diesem Zuge wurden auch die Vertreter:innen Chinas gefragt, ob und wie der Staat bemüht ist, aktiv die soziale Akzeptanz der LGBTQIA+ Gemeinschaft sowie der Diversität sexueller Orientierung und Gender Identitäten zu erhöhen. Der angesprochene Vertreter verwies auf die Transgender-Schauspielerin Jin Xing 金星, an deren Beispiel er veranschaulichte, dass weder in Massenmedien noch in der Filmbranche oder sonstigen kulturellen Darstellungsformen Diskriminierung stattfindet. Das Argument unterstützte seine Kollegin mit dem Verweis auf das in der Verfassung festgelegte Recht auf freie Meinungsäußerung, welches erkennbar sei an einer Befragung der Zivilgesellschaft anlässlich einer Änderung des Zivilrechts 2019. Sie erklärte, von über einer Million erhaltenen Vorschlägen widmete sich eine Vielzahl davon auch der Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen. In dem Moment aber, in dem die Vertreterin das Wort gleichgeschlechtliche Ehe aussprach, hielt sie kurz inne und kicherte vernehmbar. Viele Chines:innen interpretierten dies als Ausdruck der Absurdität, welche die Gesandte diesem Konzept zuschrieb.

Im Gegensatz zu dem erwähnten Vertreter, der die Fernsehpräsenz der transsexuellen Schauspielerin als Beweis für Toleranz und Inklusion anführte, äußerte Jin Xing im Jahr 2022 in sozialen Netzwerken selbst ihren Unmut darüber, dass ohne Vorankündigung oder Benachrichtigung alle Szenen, in denen sie in Reality-Shows mitgewirkt hatte, herausgeschnitten worden waren. Sie bezeichnete dieses Vorgehen als Diskriminierung und Machtmissbrauch. Ihre Posts wurden kurz darauf von den Netzwerkbetreibern gelöscht.

Zum Ende der U.N.-Konferenz im Februar veröffentlichte die chinesische Delegation eine abschließende Stellungnahme. Darin erklärte sich die Regierung bereit zur „Popularisierung und Aufklärung über die Wissenschaft zur Förderung eines korrekten Verständnisses von Geschlecht und Geschlechteridentität, eines angemessenen Umgangs mit sexuellen Minderheiten sowie der Beseitigung von Diskriminierung in der Öffentlichkeit“. Wie Nathan Wei allerdings anmerkt, werden die Stellungnahmen vor der U.N. kaum in den chinesischen Medien wiedergegeben. Mit Ausnahme der LGBTQIA+ Community erfährt der Großteil der chinesischen Zivilgesellschaft also nicht von der offiziellen Positionierung der Regierungsvertreter:innen vor internationalem Publikum.

Auswirkung der Stellungnahmen

Für die Mitglieder der LGBTQIA+ Community allerdings stellen die Erklärungen der Vertreter:innen vor der U.N. etwas nützliches dar. Betroffene Chines:innen nutzen die offiziellen Stellungnahmen beispielsweise, um ihre Eltern an den Gedanken zu gewöhnen, ein nicht-heteronormatives Kind zu haben. Auch bei juristischen Prozessen nahmen LGBTQIA+ Angehörige und Repräsentant:innen oft die Stellungnahmen zur Hand, um gegen Diskriminierung vorzugehen und für ihre Rechte zu klagen.

Auf der anderen Seite folgen den Stellungnahmen oft im direkten Anschluss Bemerkungen der chinesischen Vertreter:innen, dass die internationale Gemeinschaft chinesische Traditionen zu respektieren habe und nicht eigene Werte auf die chinesische Gesellschaft projizieren solle. Mit Tradition wird vermehrt auch der Umstand begründet, dass die gleichgeschlechtliche Ehe noch nicht legal ist. Wie der erste in diesem Artikel erwähnte Vertreter erklärt, werden LGBTQIA+ Personen vom Rechtssystem Chinas nicht erfasst. „Das Zivilrecht und Heiratsgesetz gehen von einer Familie als einem heterosexuellen Paar aus, bestehend aus einem Mann und einer Frau. Dies entspricht unserer traditionellen Kultur.“ Longarino fasst die tatsächliche Handlungsbereitschaft der chinesischen Regierung als Gegenteil der offiziellen Stellungnahmen zusammen. Er schreibt: „China will nichts gegen Diskriminierung im eigenen Land unternehmen und schließt sogar Räume des freien Auslebens der Identität und der Verteidigung der Rechte der LGBTQIA+ Community mit juristischen und außer-juristischen Mitteln.“ Entgegen offiziellen Aussagen habe China „mehrere Gesetze und Regelungen, welche Mitglieder der LGBTQIA+ Community diskriminieren.“

Diskriminierung der LGBTQIA+ Community

Besonders in den letzten Jahren wurde eine zunehmende Diskriminierung sichtbar, vermehrt auch online. Auch die Maskulinitätskampagne, welche 2021 von staatlichen Radio- und Fernsehsendern verkündet wurde, trägt aus Sicht von Expert:innen und Betroffenen dazu bei, heteronorme Geschlechterbilder zu propagieren und befeuert so Diskriminierung. Das Ziel der Kampagne sei, den durchschnittlichen chinesischen Mann wieder maskuliner werden zu lassen. Dementsprechend sollten Make-up für Männer, „vulgäres“ Auftreten im öffentlichen Raum, und weitere „abnormale Ästhetik“ unterbunden werden. Verweichlichte Männer, von den chinesischen Sendern teils mit Schimpfwörtern bezeichnet, stünden gegen traditionelle Werte der chinesischen Kultur.

Zu den Opfern der Diskriminierung im Netz gehört auch die 28-jährige transsexuelle chinesische Influencerin Lorde Cai. Sie fand ihre Nische in Make-up Anleitungen, in denen sie sich vom bärtigen, ungepflegten Firmenangestellten zur schicken, kosmopolitischen und professionellen, im Büro angestellten Dame verwandelte. In wenigen Jahren gewann sie mehrere hunderttausend Abonnent:innen, bis sie erwähnte, dass sie die Damentoilette benutze, wenn sie sich als Frau in der Öffentlichkeit bewegte. Diese Aussage hatte eine starke Gegenreaktion der Netizens zur Folge, die sie im Anschluss monatelang mit ihrer mentalen Gesundheit ringen ließ. Die entrüsteten Internetnutzer:innen argumentierten, da Cai nie Hormontherapie oder geschlechtsangleichende Operationen erhalten habe, hätte sie kein Recht, Damentoiletten aufzusuchen. Heute gibt es viele transsexuelle Influencer:innen im chinesischen Netz, allerdings geben nicht alle ihre Geschlechteridentität offen preis. Viele verwenden Benutzernamen mit weniger offensichtlichen Anspielungen, beispielsweise „Ich bin wie Jin Xing“, die erwähnte Schauspielerin.

Resilienz im Angesicht der Diskriminierung

Trotz verschwindender Accounts transsexueller Influencer:innen und öffentlicher Anfeindungen weigert sich Lorde Cai, in Angst zu leben. Sie geht nun offen mit ihrer Geschlechteridentität um. „Wenn es wieder Gegenreaktionen gibt, dann sei es so. Wenn mein Account gelöscht wird, arbeite ich im Hintergrund weiter“, so Cai.

Ebenso standhaft zeigt sich die Organisation ShanghaiPRIDE, welche seit 2009 jährliche Events für die queere Community organisiert. Die NGO besteht ausschließlich aus engagierten Freiwilligen, die mit Unterstützung einzelner Medienoutlets, Firmen und in Shanghai ansässigen Konsulaten Aktivitäten und Festivals planen. Die Organisation machte es sich zur Mission, die Wahrnehmung und Sichtbarkeit der LGBTQIA+ Community in China zu erhöhen, sowie durch soziale, bildende und sportliche Aktivitäten Selbstakzeptanz unter ihren Mitgliedern zu fördern. Bis 2019 organisierten sie sogar eine kleine Pride-Parade und warben um mehr Akzeptanz in der Gesellschaft.

Die Räume freien Ausdrucks der Identität und Sexualität für Mitglieder der LGBTQIA+ Community in China werden zunehmend zum Schließen gezwungen. Das Ende des Pekinger Zentrums, die offenen Anfeindungen im Internet sowie die Maskulinitätskampagne sind sichtbare Indikatoren dafür. Es zeichnet sich eine deutliche Tendenz der systemischen Diskriminierung von Mitglieder der LGBTQIA+ Community ab, welche im starken Kontrast zu den Versprechen der Regierungsvertreter auf U.N. Konferenzen stehen. Safe Spaces werden sowohl im Internet als auch in der realen Welt eingeschränkt und sexuelle Minderheiten in China auch anderweitig nicht vor Diskriminierung geschützt.

 

Piet Kortenjan

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