Spenden für die Stiftung Asienhaus

Leser:innenbrief an die NZZ

Am 09.06.2023, dem Tag vor den diesjährigen Festlichkeiten zum philippinischen Unabhängigkeitstag, erschien in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ein Artikel mit der Schlagzeile: ««Ich will ein Date zum Frühstück, Mittag- und Abendessen»: Einsame Männer reisen für eine Singles-Tour in die Philippinen. Eine Fotografin hat sie begleitet». Ein Leser:innenbrief wurde von studiyo filipino und einem breiten Netzwerk von Mitunterzeichnenden, wie dem philippinenbüro e.V., verfasst.

Zürich, 16.06.2023, von studiyo filipino und Mitunterzeichnenden

Leserbrief an Sina Niemeyer, Dario Veréb und die NZZ-Redaktion:

Dies ist eine Reaktion auf den Artikel, der am 09.06.2023 - ausgerechnet vor dem Wochenende der philippinischen Unabhängigkeitsfeier - in der NZZ erschienen ist: «’Ich will ein Date zum Frühstück, Mittag- und Abendessen’: Einsame Männer reisen für eine Singles-Tour in die Philippinen. Eine Fotografin hat sie begleitet; Wie junge Frauen aus den Philippinen an heiratswillige Männer aus dem Westen vermittelt werden». Offenbar stößt die Kunst von Sina Niemeyer auf großen Anklang und es freut uns, dass sie sich mit gesellschaftlichen Strukturen auf den Philippinen auseinandersetzen möchte. So, wie ihr Projekt im Artikel von Dario Veréb vorgestellt wird, sehen wir darin jedoch einige Problempunkte, auf die wir im Folgenden gerne hinweisen:

Der Artikel macht uns perplex und wirft viele Fragen auf. Zunächst fällt auf, dass die Berichterstattung und deren Rezeption sehr einseitig geschehen. Die Fotografin fungiert im Text als Sprachrohr, immer wieder wird über die Personen und ihre Gefühle spekuliert. Gleichzeitig weiß die Fotografin angeblich, wann ein Mann seiner Illusion erlegen sein will. Es soll sich für sie «bedrückend» angefühlt haben, als sie erfuhr, dass eine Mutter ihre Tochter bei der Singles-Agentur angemeldet hat. An der Stelle, wo ein Vater seinen Sohn angemeldet hat, bleibt dies dagegen unkommentiert. Mit (erotischen) Bildern wird eine Schockwirkung erzielt, ganz nach dem Schema «sex sells». Die Kombination von Bild und Text ist anstößig und in manchen Bildern sieht es so aus, als seien die Frauen unfreiwillig in diese Bilder gerückt worden. Man erhält den Eindruck, als würden einem Menschen sprichwörtlich vorgeführt. Die Darstellung der Frauen erinnert zudem an alte koloniale Praktiken und tragen einen voyeuristischen Beigeschmack.

Eigentlich haben das Thema Heiratsagenturen (oder sog. «mail order brides») und der damit einhergehend rassistische Diskurs keinen Neuheitswert (siehe z.B. Saroca, 1997). Ein solcher Diskurs setzt sich leider auch in Ihrem Artikel fort. Obwohl sich die Kunst der Fotografin als ‘feministisch’ und neuartig versteht, wird die Stimme der philippinischen Frau fast gänzlich übergangen. Die Erzählhoheit liegt allein bei der weissen Feministin. Wir Lesenden sollen ihre Gefühle von Ekel, Mitleid und Unverständnis nachempfinden. In der Schweiz wehren sich philippinische Frauenvereine aber bereits seit Jahrzehnten gegen diese Art der Berichterstattung, wo die philippinischen Frauen als «Opfer» und ohne Handlungsmacht dargestellt werden.

Ohne Einbezug der philippinischen Frauenstimmen oder NGOs und durch die fehlende historische, politische und soziale Einordnung reproduziert der Artikel somit lediglich sexistisch-rassistische Stereotypen, anstatt sie aufzulösen. Es wird z.B. überhaupt nicht erwähnt, dass diese Heiratsagenturen auf den Philippinen gesetzlich verboten sind. Durch diese Art des Sensationsjournalismus leiden nicht nur die abgebildeten Frauen, sondern es führt auch dazu, dass bikulturelle Familien hierzulande wieder vermehrt pauschalisiert werden. Dabei wird völlig missachtet, dass im deutschsprachigen Raum zahlreiche bikulturelle Identitäten und auch „Betroffene“ leben, für die eine solche Form der Darstellung äußerst verstörend und zugleich verletzend ist. Es signalisiert, dass die NZZ deren Präsenz überhaupt nicht wahrnimmt und sie offenbar nicht zu ihrer Leser:innenschaft zählt.

Als Journalist:innen, Historiker:innen und Vertreter:innen von People of Color und Menschen mit Bezug zu den Philippinen geht es uns nicht darum, die Existenz von Heiratsagenturen zu leugnen. Wir fordern im Jahr 2023 aber eine kultursensible Herangehensweise an das Thema (siehe z.B. Bichsel et al., 2017; Tenorio, 2020; Casteñada & Chan, 2022; Knöpfle 2023). Wieso müssen immer andere unsere Geschichten erzählen? Weshalb werden alte Macht- und Denkstrukturen weiter aufrechterhalten? Strukturen, die sich gem. Text sogar in den Worten der Fotografin spiegeln: “Als weisse Person wurde auch ich für sie zur Möglichkeit für ein besseres Leben." Schließlich kritisieren wir das mangelnde Diversitätsbewusstsein der NZZ-Redaktion, die mit diesem Artikel weder Rücksicht auf unsere Perspektive genommen, noch Interesse an der Erfahrung unserer Minorität gezeigt hat. Vielmehr hat sie damit gezeigt, dass sie unsere Existenz gänzlich ausklammert.

Hoffentlich verstehen Sie unsere Perspektive und damit unsere Kritik. Wir gehen davon aus, dass anderswo bereits genügend Ressourcen vorhanden sind, um die von uns angesprochenen Problempunkte bezüglich Rassismus, Feminismus und Qualitätsjournalismus zu kontextualisieren. Gerade weil sich gezeigt hat, dass unsere Stimmen in den letzten Jahrzehnten immer wieder ignoriert wurden, würden wir einen transparenten Umgang mit unserer Kritik begrüßen und wir hoffen auf eine Richtigstellung. Wir sind bereit, uns mit Ihnen über unsere Ideen auszutauschen, in welcher Form dies geschehen kann, und wünschen Ihnen für Ihre Arbeit weiterhin das Beste.

 

 

 

 

Im Namen der Mitunterzeichnenden
studiyo filipino

 

Die Mitunterzeichnenden:

Samahang Pilipina – Philippinischer Frauenverein (CH)

Noi-P.ch – Network of Integrated Pin@ys (CH)

Halo-halo.de (D-A-CH)

philippinenbüro e.V. im Asienhaus, Köln (D)

Gabriela Germany – Progressive women’s movement (D)

 

Einzelpersonen:

Jasmin Asis – Mitglied bei Halo-halo.de (D)

Annemarie Bernhardt – Öffentlichkeitsarbeit & Community Building (D)

Anna Dangel – Journalistin Hessischer Rundfunk (D)

Dr. Vigile Marie Fabella – Mitglied bei Halo-halo.de (D)

Analie Gepulani Neiteler – Community Organizer und Journalistin (D)

Christine-Joahn Meier – Systemische Beraterin und Mitglied bei Halo-halo.de (D)

Jennifer Merx – Jurastudentin und Mitglied bei Halo-halo.de (D)

Mirjam Overhoff – Geschäftsführung philippinenbüro (D)

Lisa Ante Pangan – Künstlerin Diaspora Art und Mitglied bei Halo-halo.de (A)

Andreas Schmitz – Mitglied bei Halo-halo.de (D)

Marina Wetzlmaier – Journalistin Print/Radio und Mitglied bei Halo-halo.de (A)

Stephanie Willi – Mitglied bei ZH Kolonial und studiyo filipino (CH)

Hannah Wolf – Bildungsreferentin und stv. Geschäftsführung philippinenbüro (D)

 

Literaturhinweise:

Bichsel, M., Bugayong, L. & Fen, L. C. (Hrsg.) (2017) Bending without Breaking: Thirteen Women’s Stories of Migration and Resilience. Bern: Samahang Pilipina.

Bride to Order. (2023) [Künstlerische Performance]. Performt von Kathrin Knöpfle. München: Filmwerkstatt Tracing Mother Lines.

Casteñada, A. D. & Chan, R. (Hrsg.) (2022) Common Diversities: Junge Filipin@s im deutschsprachigen Raum. Berlin: Regiospectra.

Saroca, N. (1997). «Filipino women, sexual politics and the gendered racist discourse of the mail order bride». Journal of Interdisciplinary Gender Studies, Vol. 2 (2). Online: hdl.handle.net/1959.13/1049019 [Zugriff am 13.06.2023]

Tenorio, L. (2020) The Son of Good Fortune. New York: Ecco.

Zugehörige Dateien

Mehr zu Philippinen

Zurück