In den letzten Wochen sorgen Pläne für eine neue EU-Richtlinie innerhalb der Baubranche für Aufregung. Die EU-Kommission will die konzerninterne Entsendung von Mitarbeitern aus Drittstaaten in EU-Niederlassungen erleichtern. Die Gewerkschaft IG Bau und der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) fürchten eine „Überschwemmung' des deutschen Arbeitsmarktes mit Arbeitern aus Niedriglohnländern wie China. Die deutschen Bau-Facharbeiter könnten vom Arbeitsmarkt verdrängt und die tariflichen Mindestlöhne (von zurzeit 10,90 Euro/Westen und 9,50 Euro/Osten) durch Dumpinglöhne unterwandert werden, so die Befürchtung. Die Baubranche warnt vor einer wirtschaftlichen Katastrophe: „Unser Markt würde vor einem Kollaps stehen.', so ZDB-Präsident Loewenstein. China scheint sich auch in dieser Frage als Buhmann zu eignen.
Worum geht es in dem Richtlinienentwurf?
Die so genannte ICT-Richtlinie(ICT= Intra company transfer), die im vergangenen Juli von der EU-Kommission vorgeschlagen und zurzeit im europäischen Parlament und im Ministerrat diskutiert wird, soll die (vorübergehende) konzerninterne Entsendung von Drittstaatenangehörigen, die bei multinationalen Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU arbeiten, in eine Zweigniederlassung oder ein Tochterunternehmen, das innerhalb der EU sitzt, erleichtern. Die Erteilung der Arbeitserlaubnis soll vereinfacht und das Zulassungsverfahren mit einer Verfahrensfrist von 30 Tagen beschleunigt werden.
Die neue Regelung soll nur für hochqualifizierte Führungskräfte, Fachkräfte und Trainees, die Nicht-EU-Bürger sind und bei einem internationalen Konzern außerhalb der EU für mindestens ein Jahr gearbeitet haben, gelten. Innerhalb der EU dürfen die Arbeitnehmer dann für maximal drei Jahre arbeiten.
Die neue Richtlinie soll damit auf die Nachfrage multinationaler Unternehmen nach hochqualifiziertem Personal für ihre europäischen Zweigniederlassungen reagieren, zu einer größeren Wettbewerbsfähigkeit der EU beitragen und den konzerninternen Transfer von Know-how in die Union stärken. Zudem soll sie eine Lösung für die demografischen Herausforderungen (die Alterung und somit die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften) darstellen.
Den Kernpunkt der ganzen Auseinandersetzung innerhalb der Baubranche bildet jedoch ein Punkt in der Richtlinie, nach dem auch die Reise in andere EU-Mitgliedsstaaten erleichtert werden soll. So soll den Konzernen erlaubt werden, ihre Mitarbeiter in eine weitere Zweitniederlassung innerhalb der EU (für maximal 12 Monate) zu versenden, ohne dass dafür eine erneute Zulassung nötig wäre. Die ausländischen Arbeitnehmer fallen dabei allerdings nicht unter den Tarifvertrag des Unternehmens in dem Aufnahmestaat, sondern unter den des ersten EU-Staats, in dem sie gearbeitet haben. Ein Beispiel: Ein Chinese arbeitet in einem multinationalen Unternehmen mit Sitz in Peking. Durch das vereinfachte Zulassungsverfahren kann er nun in einer Zweigniederlassung des Unternehmens in einem EU-Land, wie etwa Polen, arbeiten. Von dort aus kann er für maximal 12 Monate in eine weitere Zweigniederlassung nach Deutschland versendet werden, dort allerdings nicht für den deutschen, sondern weiterhin für den polnischen Lohntarif arbeiten.
Kritiker an der Richtlinie melden sich zu Wort
Doch die neue Richtlinie birgt ein gewaltiges Missbrauchspotential, welches durch die in dem Entwurf nur vage definierten Begriffe noch befördert wird. So werden für eine „Fachkraft' lediglich „branchenspezifische Fachkenntnisse' vorausgesetzt, wodurch auch Arbeiter beschäftigt werden könnten, die hierzulande nur als angelernt gelten, wie etwa auch chinesische Bauarbeiter.
Außerdem sind sowohl der entsendende Konzern als auch die Zweigniederlassung im EU-Raum in Bezug auf Größe, Beschäftigtenzahl usw. nicht genau definiert, was die Gründung von (Schein-)Niederlassungen allein zum Zweck der Billigentsendung erleichtern könnte und auch Leiharbeitsfirmen den Weg in die EU erleichtert.
Es könnte also, so befürchtet die IG Bau, zu folgendem Szenario kommen: Ein Unternehmen gründet eine Zweigniederlassung in einem europäischen Niedriglohnland wie etwa in Rumänien allein zu dem Zweck um nach 12 Monaten die Angestellten für drei Jahre in einen anderen EU-Staat (z.B. nach Deutschland) zu versenden und sie dort zu rumänischen Lohnkonditionen weiter zu beschäftigen.
Des Weiteren fördere die Richtlinie, so die Fraktion DIE LINKE des deutschen Bundestages in einem Antrag auf Ablehnung vom Dezember 2010, die „zirkuläre Migration' (= zeitlich begrenzte Wanderung aus z.B. wirtschaftlichen Gründen). Diese mache eine Integration der Bürger aus Drittstaaten unmöglich. So wird ein Rückkehrnachweis als Voraussetzung für die Aufnahme im EU-Land vorausgesetzt und die Mitarbeiter können jederzeit in ein weiteres EU-Land weiterentsendet werden.
Auch die Fraktion der SPD äußerte sich kritisch zu dem neuen Richtlinienentwurf. So fordert diese in ihrem Antrag auf eine sozial gerechte Gestaltung der konzerninternen Entsendung dazu auf, die ausländischen Arbeitnehmer mit mehr Arbeitnehmerrechten sowie mit einer für den jeweiligen Betrieb geltenden Tarifentlohnung auszustatten.
Was zunächst nach einer guten Idee klingt, welche den wirtschaftlichen Austausch zwischen der EU und Drittstaaten fördern sollte, birgt also zahlreiche Risiken sowohl für den europäischen Arbeitsmarkt (Lohn-Dumping) als auch für die Arbeiter aus den Drittstaaten, welche für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn erhalten. Das gilt nicht nur für die Bau-Branche, welche mit ihrer Forderung, diese aus der Richtlinie herauszunehmen, bislang allein dasteht, sondern auch für andere Branchen. Des Weiteren entzieht sie den Mitgliedsstaaten jede Regelungskompetenz bei der Migration und überlässt diese den multinationalen Konzernen, die die neue Richtlinie für ihre Zwecke ausnutzen kann.
Überschwemmen nun die Chinesen den deutschen Arbeitsmarkt?
Ob der deutsche Arbeitsmarkt nun von hunderttausenden chinesischen Billigarbeitern überschwemmt wird, wie von der Baubranche befürchtet, ist jedoch fraglich. Warum erwartet die Gewerkschaft ausgerechnet die massenhafte Migration von Chinesen und nicht von Arbeitern aus anderen Drittstaaten? Auf Nachfrage begründet die IG BAU dies mit den Erfahrungen aus Afrika, wo chinesische Arbeiter bereits jetzt massenhaft arbeiten. Die Gewerkschaft befürchtet nun auch deren Einsatz in der EU. Erfahrungen bezüglich eines massenhaften Arbeitseinsatzes von Drittstaatenangehörigen anderer Länder, so die Gewerkschaft, gebe es noch nicht. Die Frage, warum jedoch so explizit bei der Berichterstattung nur die Chinesen genannt werden, bleibt unbeantwortet. Eine solche, mehr von Panik als von Sachlichkeit geprägte Diskussion lässt die Chinesen dabei einmal mehr als Sündenböcke und als Bedrohung für die europäische Wirtschaft erscheinen.