Für das Magazin VICE hat Viola Zhou über einen Wanderarbeiter in Peking geschrieben. Er wurde Anfang Januar positiv auf das Coronavirus getestet. Routinemäßig haben die Behörden dann, um eine weitere Verbreitung von COVID-19 einzudämmen, sein Bewegungsprofil veröffentlicht. Dabei wurden die Abgründe des Wanderarbeiterdasein offenbart: der Mann mit dem Familiennamen Yue ging in nur 14 Tagen 31 verschiedenen Jobs in der chinesischen Hauptstadt nach.
Netizens reagieren auf Weibo geschockt, vor allem auch als das Bewegungsprofil des Mannes mit jenen anderer, offensichtlich wohlhabenderen, Menschen verglichen wurde. So berichtet Zhou, wie auch die Journalistin Yan Cong, dass Herr Yue am 10. Januar von Mitternacht bis 1:45 Uhr in der Filiale einer Restaurantkette arbeitete. Um 2 Uhr ging es weiter in die nächste Filiale. Um 3 Uhr nahm er eine Arbeit im zentralen Handelsviertel Pekings auf und schon eine Stunde später war er in einer Industriezone am Stadtrand. Um 9 Uhr arbeitete Herr Yue dann in einem Villenviertel.
Der Fall löste nicht nur Entsetzen aus, sondern befeuerte die anhaltende Diskussion in China über die wachsende Schere zwischen Arm und Reich im Land, zwischen Stadteinwohner:innen und Wanderarbeiter:innen. Wie konnte es sein, dass Herr Yue von Job zu Job eilte, während andere von Boutique zu Café schlenderten? Zudem äußerten sich Netizens kritisch, ob nicht die Veröffentlichung eines persönlichen Bewegungsprofil, auch im Kontext der Coronabekämpfung, eine ernsthafte Verletzung der Privatsphäre bedeutete.
Deutsche, die nach Hongkong wollen, müssen je nach Impfstatus 14-21 Tage im Hotel in Quarantäne – wo sie täglich Wasserflaschen, Lunchpakete und Besteck aus Einwegplastik gelieferten bekommen, auch gegen ihren ausdrücklichen Willen. Der Pandemie-bedingte Ressourcenverbrauch steht in der scharfen Kritik lokaler Umweltschutz-NGOs, auch in Bezug auf den drastisch ansteigenden Plastikkonsum durch Online-Bestellungen. Im Jahr 2020 umfasste dieser in Hongkong 780 Mio. Verpackungsteile.
Auf dem Festland hingegen wurde schon vor Pandemiebeginn im Januar 2020 ein groß-dimensionierter Fünf-Jahres-Plan zum Verbot von nicht biologisch abbaubarem Einwegplastik in verschiedenen Wirtschaftsbereichen veröffentlicht. Im Januar 2021 traten seine ersten Schritte in Kraft, die jetzt bereits ein nationales Verbot von Strohhalmen in Restaurants und ein vorerst auf Großstädte beschränktes Verbot von Plastiktüten beim Einkaufen bedeuten. Trotz diesen Maßnahmen beobachten chinesische Wissenschaftler*innen auch den Plastikverbrauch auf dem Festland mit akuter Sorge, da dieser wie überall weltweit Pandemie-bedingt in die Höhe schoss. Boomende Lieferdienste verpacken die Bestandteile ihrer Lieferungen z.B. alle separat – in den 2 Monaten des ersten Lockdowns in Wuhan ließen sich die verbrauchten Essensverpackungen theoretisch zu 31 Mount Everests stapeln.
Immerhin agiert die Politik des Festlands schneller als die Regierung in Hongkong. Dort ist der Beginn der Eindämmung von Einwegplastik-Geschirr aktuell auf 2025 angesetzt – eine Aussicht, die im August von Hongkonger Umwelt-Organisation mit einer Petition und einem aus Einweg-Geschirr gebasteltem, 3 Meter hohem „Plastik-Monster“ angefochten wurde.
Mit dem Nachlassen der vierten Corona-Welle in Hongkong ist eine deutlich verringerte Akzeptanz für die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in der Öffentlichkeit zu beobachten. So liegt die Impfbereitschaft der Bevölkerung Hongkongs Umfragen zufolge bei weniger als 40 Prozent – und das trotz prägender Erfahrungen mit der Bekämpfung früherer Pandemien wie SARS, welche lediglich knapp 20 Jahre zurückliegen.
Auch andere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wie die Hongkonger Corona-App LeaveHomeSafe können nicht flächendeckend Fuß fassen. Für die Zurückhaltung der Hongkonger*innen sei insbesondere das tiefe Misstrauen gegenüber der Regierung verantwortlich zu machen. Dieses ist im Zuge der Massendemonstrationen gegen das Auslieferungsgesetz und das nationale Sicherheitsgesetz in den vergangenen zwei Jahren deutlich angestiegen und prägt die öffentlichen Reaktionen auf die Corona-Maßnahmen der Hongkonger Regierung.
Ein weiterer Grund für das stockende Voranschreiten der Impfkampagne liegt in dem vornehmlich verwendeten chinesischen Vakzin Sinovac. Die noch immer lückenhafte Datenlage zur Wirksamkeit des Impfstoffs verstärkt das ohnehin bestehende Misstrauen in Hongkong gegenüber chinesischen Pharmazeutika. So werden nur 72 Prozent der Impftermine zum Einsatz von Sinovac wahrgenommen. Verglichen hierzu liegt die aktuelle Aufnahmerate des Impfstoffes von Biontech/Pfizer bei 90 Prozent. Mit der kürzlichen Ausweitung des Impfprogramms auf alle Bürger*innen im Alter von über 30 Jahren und einer vermehrten Öffnung von Impfzentren zur Verabreichung des Biontech/Pfizer-Impfstoffes soll nun das Ziel der Hongkonger Regierung, alle 7,5 Millionen Einwohner*innen bis Ende des Jahres impfen zu lassen, weiter verfolgt werden.
Verstärkt unter externen Druck, sich mit Sinovac impfen zu lassen, könnten zukünftig vor allem reisende Hongkonger*innen geraten. Denn nur Personen, welche das chinesische Vakzin verabreicht bekommen haben, sollen ohne die bislang verpflichtende zwei- bis dreiwöchige Quarantäne nach China einreisen dürfen. Zum Nachweis der Impfung steht ein digitales Gesundheitszertifikat, welches als Miniprogramm in das soziale Netzwerk WeChat eingebettet ist, bereit. Es soll über den Scan eines QR-Codes Auskunft über PCR- und Antikörpertests sowie Impftermine und Namen des verwendeten Impfstoffs bieten. Expert*innen befürchten allerdings, dass die Fälschung derartiger Impfpässe zunehmend zum Problem werden könnte.
In der digitalen Sphäre verhindert weiterhin vor allem die Angst vor staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten eine flächendeckende Nutzung der Corona-Rückverfolgungsapp. So forderte unter anderem die Hospital Authority Employees Alliance (HAEA) zu einem öffentlichen Boykott der App auf. Die Gewerkschaftsgruppe äußert die Befürchtung, diese stelle ein Spionageinstrument der Regierung dar. Tatsächlich entscheiden sich immer mehr Bürger*innen gegen eine Installation der App, und versuchen deren verpflichtende Nutzung bei beispielsweise Restaurantbesuchen durch verschiedene Ausweichstrategien zu umgehen.
Auch Lockdowns als weitere zentrale Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie stießen verstärkt auf öffentliche Kritik. Zur Eindämmung von Infektionsherden in besonders dicht besiedelten Gebieten sperrte die Regierung Ende Januar ohne Vorwarnung ganze Wohnblöcke ab. Betroffen waren vor allem ärmere Gegenden, welche bereits besonders hart mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen hatten. Die Ausgangssperren wurden erst aufgehoben, nachdem alle Bewohner*innen sich obligatorischen Coronatests unterzogen hatten. Dass diese weitestgehend negativ ausfielen, warf darüber hinaus die Frage auf, ob derart drastische Maßnahmen angebracht seien.
Die Coronavirus-Pandemie hat einen Ansturm auf Einwegplastik ausgelöst. Insbesondere in Hongkong hat die Verwendung von Einwegartikeln wie Besteck und Kaffeetassen zugenommen. Cafés und Restaurants begannen, wiederverwendbare Behälter aus finanziellen Gründen abzulehnen, und die Lebensmittellieferungen boomten. Daten und Interviews mit Vertreter*innen der Industrie zeigen, dass in der Pandemie mehr in Plastik als in nachhaltige Kunststoffe investiert wird, was ein Rückschlag im weltweiten Kampf für mehr Umweltschutz ist.
Die beliebten Einwegmasken bereiten der Umwelt ein weiteres Problem. Im Februar 2020 begannen in Hongkong verwickelte, quallenartige Objekte an Land gespült zu werden. Umweltgruppen waren bestürzt, Hunderte von gebrauchten Gesichtsmasken zu finden. Das trägt zu den 13 Millionen Tonnen Plastik bei, die laut Berichten der Vereinten Nationen jährlich weltweit ins Meer gekippt werden.
Die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus geht mit einer medizinethischen Debatte einher. Regierungen auf der ganzen Welt erörtern, inwieweit sie die üblichen Protokolle zur Entwicklung von Medikamenten aussetzen würden, um so schnell wie möglich Impfstoffe auf den Markt zu bringen. Länder wie Deutschland und Südkorea erklärten schon früh, dass sie bei der Impfstoffentwicklung keine Abstriche machen würden. Im Gegensatz dazu haben in China bereits hunderttausende Menschen experimentelle Impfstoffe bekommen. Deren gesundheitliche Wirkungen und Risiken wurden noch nicht unabhängig überprüft. Der Vorgang wirft Unklarheiten zu schutzwürdigen Interessen der Empfänger*innen auf, die bei der Impfstoffsuche bedacht werden sollten.
Offiziellen Angaben zufolge wurden seit dem 22. Juli 2020 mindestens vier Impfstoffe an Menschen in China verabreicht. Keiner dieser Impfstoffkandidaten hat die medizinisch essentielle Phase 3 (Massentestung) bisher bestanden. Somit hätte China drei Wochen vor Russland damit begonnen, Impfstoffe an Menschen außerhalb der klinischen Prüfung zu verabreichen. Alle drei chinesischen Impfstoffhersteller sind entweder Staatsunternehmen oder kooperieren seit Langem mit lokalen und nationalen Regierungsbehörden. Zunächst werden wohl Personenkreise in essentiellen Bereichen, wie z.B. medizinisches Fachpersonal, für eine Impfung in Betracht gezogen.
Im Vordergrund der Kritik an diesem Vorgang stehen die gesundheitliche Sicherheit sowie die Freiwilligkeit der Empfänger*innen. Einen Impfstoff außerhalb der klinischen Prüfung zu verabreichen, widerspricht dem internationalen Standard. Fehlerhafte Impfstoffe können erhebliche Gesundheitsprobleme verursachen. Es ist nicht klar, ob die Empfänger*innen umfassend über die Risiken gewarnt wurden. Wenn sich der Impfstoff als fehlerhaft herausstellen sollte, dann könnte der übereilte Prozess ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber einer Impfung verursachen. Außerdem könnten sich infizierte Empfänger*innen fälschlich in Sicherheit wägen und weitere Personen anstecken.
Das Chinesische Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention versicherte zuletzt, dass keine*r der Empfänger*innen ernsthafte Nebenwirkungen gezeigt oder sich mit dem Coronavirus angesteckt habe. Die Sicherheit der Impfstoffe sei gewährleistet und die Wirksamkeit werde genau überwacht. Die Impfstoffhersteller und lokale Regierungen betonen, dass die Einnahme freiwillig sei. Viele hätten den etwa 126 Euro teuren Testimpfstoff aus eigener Tasche gezahlt. Gleichzeitig haben Mitarbeiter*innen eines Herstellers vor der Impfung eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben, welche es ihnen verbietet, an die Medien heranzutreten und über die Prozedur zu berichten.
Es benötigt keinen offensichtlichen Zwang, um die Freiwilligkeit der Empfänger*innen infrage stellen zu können. Die Kommunistische Partei Chinas spricht vom "Volkskrieg" gegen das Virus als patriotische Herausforderung. Druck vom Arbeitgeber, der Gesellschaft oder die Angst um Diffamierung könnten bereits die Entscheidungsfreiheit der Empfänger*innen einschränken. Es ist nicht bekannt, was passiert, wenn die Menschen eine Testimpfung ablehnen. Derartige spekulative, aber plausible Befürchtungen könnten nur von außenstehenden Expert*innen oder Zeug*innen bestätigt werden. In Anbetracht des beschriebenen Vorgangs bleibt jedoch die Frage offen, inwiefern solche unabhängigen Stimmen in einem autoritären System an die Öffentlichkeit kommen können.
Eine Rentnerin aus Wuhan erlebte den schlimmsten Alptraum einer Mutter, als im Februar 2020 ihr Sohn an den Folgen einer COVID-19-Erkrankung alleine im Krankenbett starb. Das Krankenhaus hatte ihn zuvor zwei Wochen lang abgewiesen. Die trauernde Mutter wollte daraufhin die lokale Regierung verklagen, die sie für seinen Tod verantwortlich macht. Ihre Klage wird jedoch nicht zugelassen. Das Gericht beruft sich dabei auf verfahrenstechnische Gründe.
Das Mittlere Volksgericht von Wuhan wies mindestens fünf weitere Klagen solcher Art ab. Die Familien beschuldigen die Regierungen von Wuhan und Hubei, den Ausbruch des Coronavirus verschleiert zu haben. Die Verantwortlichen hätten die Öffentlichkeit nicht rechtzeitig alarmiert, wodurch die Epidemie erst außer Kontrolle geraten konnte, so der Vorwurf. Die Hinterbliebenen sahen sich dem Druck der Behörden ausgesetzt, keine Klage einzureichen. Anwält*innen wurden nach Angaben der Beteiligten davor gewarnt, ihnen zu helfen.
Ähnliche Vorfälle lassen sich in einer tiefgründigen Reportage der BBC zum Ausbruch in Wuhan nachlesen. Demzufolge brachten lokale Behörden Bürger*innen, Journalist*innen und Mitarbeitende im Gesundheitswesen zum Schweigen. Bisher gab es keine freie und transparente Untersuchung zum Ursprung des Coronavirus und zu den Geschehnissen im Frühstadium des Ausbruchs in Wuhan.
Trotz des anhaltenden Grenzkonflikts zwischen Indien und China hoffen indische Auslandsstudierende bald wieder an ihre Universität in China zurückkehren zu dürfen. Nach Ausbruch des Coronavirus in China wurden sie in ihr Heimatland evakuiert. Da die chinesische Regierung Ausländer*innen bisher nur sehr eingeschränkt einreisen lässt, müssen die Studierenden ihr Studium virtuell fortsetzen. Das erneute Aufflammen des jahrzehntelangen Konflikts zwischen den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt besorgt sie. Mögliche Sanktionen könnten auch den Forschungsaustausch betreffen und die akademische Zukunft der indischen Studierenden aufs Spiel setzen. Mehr als 23.000 Inder*innen sind an chinesischen Hochschulen immatrikuliert, davon sind 21.000 in medizinischen Studiengängen eingeschrieben.
Die Pandemie trifft Indien besonders hart und zog einen der längsten Lockdowns der Welt nach sich. Derzeit gibt es mehr 4,8 Millionen registrierte COVID-19-Fälle, die weltweit zweithöchste Zahl. Seit Juli öffnet die Regierung wieder schrittweise das öffentliche Leben und die Wirtschaft. Dennoch war im August 2020 fast jede*r zehnte Stadtbewohner*in arbeitslos. Der Studie „COVID-19 Blues“ zufolge führt die Pandemie in Indien zu starken psychischen Belastungen und einem Anstieg der Suizidgefährdung.
Seit dem Ausbruch von COVID-19 haben Abermillionen chinesische Wanderarbeiter*innen ihre Jobs verloren. Georg Fahrion berichtet von einem "Arbeitermarkt" in Chengdu (Sichuan). Dort bieten Wanderarbeiter*innen regelmäßig ihre Arbeitskraft an. Aktuell ist die Nachfrage sehr gering. Drei von ihnen erzählen von wirtschaftlicher Unsicherheit, Migration, Tagelöhner-Jobs und Zukunftsträumen.