Repression und Widerstand
Anfang Juni gab es verschiedene Versuche den Widerstand auf lokaler Ebene besser zu organisieren. In Sagaing trat das Sagaing Forum zusammen. Dieser Zusammenschluss lokaler Organisationen und Aktivist:innen möchte regionale administrative Strukturen und die Bedarfe der Bewohner:innen stärker in Entscheidungsprozessen verankern. So soll Vertrauen aufgebaut und die Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen gestärkt werden. Dabei verfolgt die Gruppe einen bottom-up Ansatz, versucht also die Betroffenen direkt einzubinden. Ungefähr zeitgleich hat Kayah als erster ethnischer Staat eine revolutionäre Übergangsregierung ausgerufen. Das Karenni State Interim Executive Council soll dabei die administrative Verwaltung des Staates übernehmen und bis zum Ende der Kämpfe die Koordinierung der Anti-Regime-Kräfte in der Region übernehmen. Der Aufbau orientiert sich dabei an einer föderalen Landesregierung.
Die NUG kündigte Anfang Juni an, dass erstmals ein PDF-Bataillon für die Region Yangon geschaffen wurde. Das Verteidigungsministerium sagte, dies bedeute keinen sofortigen Beginn von Kampfhandlungen in der Großstadt, sondern sei eine vorbereitende Maßnahme um in Zukunft handlungsbereit zu sei. Die Sicherheit der Bewohner:innen habe den höchsten Stellenwert.
Politische Gefangene berichten, dass nach einem Gefängnisausbruch im Mai 2023 der Einsatz von Folter massiv zugenommen hat. Gleichzeitig hat das Militär die Lebensumstände der Gefangenen weiter deutlich verschlechtert: Die Gefangenen haben weniger Zugriff auf lebensnotwendige Güter, werden regelmäßig geschlagen und müssen häufiger Fesseln tragen.
The Irrawaddy veröffentlichte einen Gastartikel über die Entscheidung der Zivilgesellschaft mit offiziell registrierten internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten. Sie stehen in einer Zwickmühle: Lokale Organisationen, die die Menschen direkt erreichen können, brauchen die internationale Finanzierung. Große Organisationen, die UN und INGOs, haben Geld, aber keinen Zugriff in die Region. Wenn sie offiziell arbeiten möchten, müssen sie sich bei der Junta registrieren, Gebühren an sie zahlen und sind berichtspflichtig. So kontrolliert die Junta auch den Fluss von Hilfsgütern, so dass sie nicht in Widerstandsregionen gelangen können. Dieses Spannungsverhältnis bedeutet, dass beide Seiten in ihrer Zusammenarbeit vorsichtiger sein müssen.
Ein myanmarischer Botschaftsmitarbeiter in Thailand schrieb einen Kommentar in der Bangkok Post. Die Reaktion auf Zyklon Mocha zeige die Kompetenz der Junta. Ihre entschiedenen Maßnahmen und technologischen Fortschritte hätten das Leben Tausender in Rakhine gerettet. Die Junta habe frühzeitig reagiert und ihr effizientes Eingreifen und langfristige Planungen unter Beweis gestellt. Tatsächlich verweigert die Junta den UN-Organisationen, die Nothilfe leisten wollen, weiterhin den effektiven Zugang zu den betroffenen Regionen. UN-Mitarbeiter:innen weisen darauf hin, dass mehr Finanzmittel benötigt werden und humanitäre Hilfe entpolitisiert und entmilitarisiert werden müsse. Die praktischen Probleme des Zugangs wurde durch eine politische Entscheidung verstetigt. Der Zugang für lokale, zivilgesellschaftliche und internationale Organisationen wurde offiziell wiederrufen und die Reisegenehmigungen ihrer Mitarbeiter:innen nicht verlängert. Die Medien spekulieren, dass Widerstandsorganisationen in der Region gestraft werden sollen. Beschwerden und Verurteilungen wurden unter anderem durch ASEAN Palamentarians for Human Rights, Human Rights Watch und Amnesty International veröffentlicht.
Eine Gewerkschaftsführerin wurde verhaftet. Sie war gemeinsam mit Kolleg:innen entlassen worden, nachdem sie eine Erhöhung des Tagessatzes um ungefähr 34 Cent, auf 2,38 €, gefordert hatte. Über 600 Arbeiter:innen der Fabrik demonstrierten gegen die Entlassung. Sie wurde gemeinsam mit einer Kollegin in der Beschwerdestelle verhaftet, ist aber inzwischen die Einzige, die in Haft verbleibt. Die zu einem chinesischen Konzern gehörende Textilfabrik beliefert Zara.
Ende Juni stürmte die Junta ein Büro der Kachin Independence Organization (KIO) in Hpakant township. Sieben Menschen wurden in dem Angriff getötet, neben KIO-Offiziellen auch Gefangene, die wegen Drogendelikten verhaftet worden waren.
Rohingya
Das Burma Human Rights Network veröffentlichte eine Pressemitteilung, nachdem das World Food Program die Nahrungsmittelrationen für Rohingya in Bangladesch erneut gekürzt hatte. Im März war eine Kürzung von 12 auf 10 Dollar pro Monat erfolgt, die im Juni von einer Kürzung auf 8 Dollar gefolgt wurde. Dabei steigt die Zahl der Geflüchteten weiter. Diese Kürzungen werden zu deutlich verstärkter Ernährungsunsicherheit führen. Die Gruppe ruft Geberstaaten auf, ihre Beiträge zu erhöhen.
Nach AFP-Berichten hat Bangladesch versprochen, dass die Rohingya nicht gegen ihren Willen nach Myanmar zurückgeführt werden sollen. UN-Beamte fordern, die Geflüchteten sollten klare und wahre Informationen bekommen, damit sie eine freie Entscheidung treffen können. Niemand dürfe gezwungen werden zurückzukehren. Bangladeschs Außenminister sagte wenig später in einem Interview, es gebe keinen Grund einer testweisen Repatriierung der Rohingya im Weg zu stehen. Es sei ein Testprojekt in dem Rohingya in kleinem Ausmaß nach Rakhine zurückkehren. So bestehe eine Möglichkeit sie zurückzubringen, falls sie sich dort unwohl fühlten.
Am 21. Juni wurden im Rahmen des UN-Menschenrechtsrats über eine langfristige Lösung für die Rohingya und den Schutz von Minderheiten in Myanmar diskutiert. Der Vertreter des Hochkommissars für Menschenrechte der UN, Nada Al-Nashif, gab ein Statement ab. Ein Video der Diskussion ist ebenfalls verfügbar.
Außenpolitik
Die myanmarische Botschaft in Weißrussland richtete eine Stelle für einen militärischen Attaché ein. Sie soll die Kooperation in allen militärischen Angelegenheiten stärken. Beide Seiten betonen, dass sie hoffen, dies würde die bisherige Kooperation mit praktischen Inhalten füllen.
In Thailand sind Schulen, die Migranten und Flüchtlinge aufnehmen können, überlastet. Es mangelt an Geld und Personal. Myanmarische Lehrer:innen, die geflohen sind, dürfen nicht arbeiten, da sie nicht anerkannt sind und die Unterstützung des Schulsystems durch die NUG ist nicht ausreichend.
Thailand hielt erneut ein regionales Treffen mit Repräsentanten der Junta ab. Indonesien, Malaysia und Singapur nehmen nicht teil. Die Einladung betont, dass die ASEAN auf einer Führungsebene wieder vollen Kontakt aufnehmen solle. Das wiederspricht dem Fünf-Punkte Konsens. Das Treffen führt zu Spaltungen in der ASEAN und der thailändischen Gesellschaft. Indonesien kritisierte, dass diese Gespräche mit nur einem Akteur in Myanmar nicht zielführend seien. Indonesien habe mehr als 75 Treffen mit verschiedenen Akteuren abgehalten und der Prozess solle nicht gefährdet werden. Singapur äußerte, dass Treffen mit der Junta oder Außenministern verfrüht seien.
Russland und Myanmar planten gemeinsam ein Treffen und eine Antiterrorübung. Seit 2021 sind die beiden Länder Vorsitzende der der ASEAN Defence Ministers‘ Meeting Plus Experts‘ Working Group on Counter-Terrorism. Anfang Juni waren Mitglieder verschiedener ASEAN-Staaten nach Russland gereist um die finalen Planungen der vorzunehmen. Die Übung soll im September in Russland abgehalten werden.
Noeleen Heyzer verließ ihren Posten als UN-Sondergesandte für Myanmar. Sie war im Oktober 2021 auf die Stelle berufen worden. In diesen 20 Monaten konnte sie keine großen Fortschritte erreichen. In einer Rede vor der UN hatte Heyzer konstatiert, dass beide Seiten des Konflikts einen militärischen Sieg anstreben und nicht verhandlungsbereit sind. Berichte über ihre Amtszeit fokussieren sich hauptsächlich auf die unklare Aufgabe einer Sonderberichterstatterin und ihre eingeschränkte Autorität.
Wirtschaft
Justice for Myanmar berichtete, dass die indische Bharat Electronics Limited zwischen November 2022 und April 2023 Güter für den militärischen Gebrauch im Wert von 5,1 Millionen Dollar nach Myanmar exportiert hat. Die Lieferungen gingen dabei teils direkt ans Militär, teils an myanmarische Zwischenhändler. Der größte Anteilseigner des Unternehmens ist die indische Regierung.
In staatlichen Medien veröffentlichte Bilder bestätigten, dass die italienische Firma Danieli weiterhin in Myanmar aktiv ist. Auf dem Bild überreicht Min Aung Hlaing ‚ausländischen Experten‘ einen Fruchtkorb. Die Fachkräfte tragen Uniformen, auf denen das Firmenlogo zu sehen ist. Danieli ist eines der größten Unternehmen im Aufbau und Unterhalt von Stahlwerken. Obwohl sie ein Büro in Myanmar hat, listet ihre Webseite das Land nicht als einen ihrer Einsatzbereiche. Die Zivilgesellschaft verdächtigte Danieli schon lange mit dem Militär zu kooperieren, aber nun gibt es Belege für Mitarbeiter in einem staatseigenen Stahlwerk.
Laut Untersuchungen von Nikkei Asia hat Russland begonnen Militärgüter zurückzukaufen, die vorher nach Indien und Myanmar geliefert wurden. Sie vermuten, dass Russland die Komponenten im Zuge des Angriffs auf die Ukraine selbst benötigt.
Die Militärregierung hat die Lizenz für den Onlineverkauf von Lotterielosen an die Telekommunikationsfirma Mytel vergeben. Die Firma selbst ist ebenfalls in den Händen des Militärs, das durch den Onlineverkauf Budgetlücken füllen möchte.