Die Konferenz von Bandung im Jahr 1955 erreichte den Stellenwert eines mythischen Moments in der Geschichte des Globalen Südens. Zahlreiche Berichte haben auf die Schattenseiten hingewiesen: die Unterrepräsentation von Führungspersönlichkeiten aus dem subsaharischen Afrika, das völlige Fehlen von Teilnehmern aus Lateinamerika sowie das Eindringen geopolitischer Rivalitäten des Kalten Krieges in das Treffen. Weiterhin kritisiert wurden die Legitimierung des Nationalstaats als zentrale Einheit der Interaktion in der postkolonialen Welt, die ‚Rivalität‘ zwischen dem indischen Premierminister Jawaharlal Nehru und dem chinesischen Premier- und Außenminister Zhou Enlai sowie das ernüchternde Nachspiel, das sich im Grenzkrieg zwischen Indien und China im Himalaya im Jahr 1962 manifestierte.
Trotz dieser – durchaus diskutablen – Unzulänglichkeiten hat der „Bandung-Moment“ seither einen mythischen Status erlangt. Sein Ausdruck in den Konferenzberichten mag nicht perfekt sein, doch der Geist postkolonialer Einheit unter den aufstrebenden Völkern des Globalen Südens erfüllte die Konferenz. Für die politischen Akteure war der „Geist von Bandung“ ein Anreiz, ihn in idealisierter Form zu reproduzieren, was wiederum zu Spannungen in darauffolgenden Manifestationen von Dritter-Welt-Solidarität führte. Für die südostasien schreibt Walden Bello in Teil I des Artikels Mythischer „Bandung-Moment“ über den Beginn einer neuen Etappe der antikolonialen und Süd-Süd Solidarität.
In Teil II Von Bandung zu BRICS blickt Walden Bello in die Gegenwart und diskutiert das Erbe der Konferenz von Bandung im aktuellen globalen Kampf um Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Der Vorstoß des Globalen Südens zur Parität mit dem Globalen Norden seit Bandung hat Fortschritte und Rückschritte, offensive und defensive Phasen erlebt. Bandung entstand in einem Moment des antikolonialen Bewusstseins. Heute ist zwar der größte Teil der Welt von direkter kolonialen Kontrolle befreit, aber das Erbe des Siedlerkolonialismus behindert nach wie vor die Wirtschaft Südafrikas, Simbabwes und einiger anderer Länder in Afrika südlich der Sahara. Das ungeheuerlichste Beispiel für das Fortbestehen des Kolonialismus ist jedoch Israel, das nach wie vor mit massiver Gewalt die Rechte des palästinensischen Volkes verletzt, in Gaza einen Völkermord begeht und als äußerst destabilisierende Kraft im Nahen Osten wirkt. Israel wird von den Vereinigten Staaten, den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien sowie von Deutschland massiv unterstützt – wie hervorgehoben werden muss.
Die antikoloniale Mission von Bandung bleibt unvollendet. Jedoch hat der Globale Süden das Gleichgewicht zu seinen Gunsten verschoben. Das bedeutet nicht, dass das Nord-Süd-Gefälle keine Rolle mehr spielt. Aber es bedeutet, dass es durchlässiger geworden ist und wahrscheinlich zunehmend von anderen Beziehungen in einer definitiv multipolaren Welt aufgewogen oder überschattet wird, da sich die USA und Europa zunehmend voneinander entfernen und die USA unter Trump ihre Energien wieder auf ihre Rolle als Regionalmacht konzentrieren.
Beide Artikel sind in der Jubiläumsausgabe (1/2025) unseres Online-Magazins südostasien erschienen.