Am 3. Oktober 2024 gab die Stiftung Right Livelihood Foundation bekannt, dass Joan Carling für ihren mehr als 30-jährigen Einsatz gegen systematische Marginalisierung und Kriminalisierung indigener Gemeinschaften in den Philippinen, in Asien und weltweit mit dem 2024 Right Livelihood Award geehrt wird, insbesondere „für die Stärkung indigener Stimmen angesichts des globalen ökologischen Kollapses und ihre Führungsrolle bei der Verteidigung von Menschen, Land und Kultur“.
Die Auszeichnung, auch als ‚Alternativer Nobelpreis‘ bekannt, wird seit 1980 jährlich an vier couragierte und innovative Persönlichkeiten und Organisationen verliehen, die sich erfolgreich für Frieden, Nachhaltigkeit und eine gerechte Welt für alle einsetzen.
Carling wurde 1963 in Baguio geboren und ist Angehörige der Kankana-ey, einem der indigenen Völker, die unter dem Sammelnamen ‚Igorot‘ (Menschen der Berge) im Zentralmassiv der nordphilippinischen Kordilleren leben und dort bis heute die Mehrheit der Einwohner:innen stellen. Die Sozialwissenschaftlerin wurde als 18-Jährige durch ihre Erfahrungen während des Widerstandes indigener Gemeinschaften gegen das Staudammprojekt am Chico River zur lebenslangen Aktivistin, zunächst lokal, später auf der regionalen Ebene in Asien und schließlich in global tätigen Organisationen und Gremien.
In ihrer vier Jahrzehnte umspannenden Arbeit ist Carling in den Philippinen verhaftet und bedroht worden; sie wurde Opfer von red-tagging1 und zeitweise ins Exil gezwungen. Ihr Heimatland liegt in den Jahresberichten von Menschenrechtsorganisationen über Opfer nachweislich oder mutmaßlich staatlicher Gewalt in vielen Kategorien weit vorne. In keinem anderen Land Asiens werden zum Beispiel so viele Umweltschützer:innen ermordet, darunter zahlreiche Indigene, das belegt erneut der Global Witness Report 2023. Seit einigen Jahren ist Joan Carling die geschäftsführende Direktorin des zehnköpfigen Vorstandes von Indigenous Peoples Rights International (IPRI), eine weltweit aktive Organisation, die sie 2019 mitgegründet hat. IPRI ist schwerpunktmäßig in sechs Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, darunter Indien und die Philippinen, tätig, um die dort in besonders eklatanter Weise gefährdeten indigenen Aktivist:innen zu unterstützen und zu schützen.
Es sind längst nicht mehr allein Holz- und Bergbaufirmen und die Agrarindustrie, die indigene Territorien ins Visier nehmen. Zunehmend wird indigenes Land auch im Namen von Umwelt- und Klimaschutz geraubt. Die grüne Transformation facht durch aufgezwungene erneuerbare Energieprojekte und die Ausweisung weiterer Schutzgebiete zum Erhalt der Biodiversität in zahlreichen Ländern des Globalen Südens neue Konflikte und Vertreibungen an. Carling zufolge geschieht dies häufig ohne jede Information, Konsultation und Zustimmung der betroffenen indigenen Gemeinschaften.
Allen Widrigkeiten, Angriffen, Fehlschlägen, auch bitteren Erfahrungen zum Trotz lebt und wirkt Carling nach dem Motto: Wir Indigenen sind Akteure, keine Opfer: „Die Veränderungen im Verhalten zu erleben, das wachsende Selbstvertrauen und die steigende Handlungsfähigkeit, der Glaube, dass wir uns gemeinsam und mit starkem Zusammenhalt zur Wehr setzen können, sind für mich Erfolge bei der Weiterentwicklung der indigenen Bewegung.“
Joan Carling ist sich der Bedeutung ihrer Mission sicher, sie hat nie daran gedacht aufzugeben. Was sie vor zwanzig Jahren in einem Interview sagte, gilt für sie auch heute: „Ich habe meine Kraft immer von den betroffenen Gemeinschaften bezogen, den Menschen. Wenn du siehst, wie sie trotz ihres Leids Zeit und Energie aufbringen, um ihre Kampagnen durchzuführen, berührt mich das… Wenn ich niedergeschlagen bin, überlege ich, was mit ihnen passieren würde, wenn wir aufgäben.“
Unterstützung von außen bleibt eminent wichtig. Während der Online-Pressekonferenz zur Preisverleihung am 3. Oktober wies Carling nachdrücklich darauf hin, dass viele Bergbaukonzerne ihren Sitz in Industrieländern haben, aber Rohstoffe eben auch in Entwicklungsländern abbauen. „Wir müssen unsere Solidarität stärken“ ist ihr klarer Appell an die internationale Zivilgesellschaft, „denn auf diese Weise können wir stärkeren Druck ausüben“. Ihre Auszeichnung kommentierte sie mit den Worten: „Diese Würdigung ist ein starkes Signal – nicht nur für mich, sondern für alle Aktivist:innen –, dass unsere Arbeit anerkannt wird. Sie ermutigt andere, weiter für die Menschenrechte zu kämpfen, und zeigt, dass das Eintreten für die richtige Sache weltweite Auswirkungen haben kann.“
In der mehr als vierzigjährigen Geschichte des Rights Livelihood Award ist Carling die vierte philippinische Preisträgerin. 2003 hatten der Soziologe und Politiker Walden Bello und der Agrarwissenschaftler und Umweltaktivist Nicanor Perlas den Preis für ihre „herausragenden Bemühungen um die Aufklärung der Zivilgesellschaft über die Auswirkungen der Globalisierung der Unternehmen und darüber, wie Alternativen dazu umgesetzt werden können“ erhalten; 1984 die Anwältin Winefreda Geonzon von der Free Legal Assistance Volunteers Association für die Betreuung von Häftlingen und die Förderung ihrer Resozialisierung. Die 2024 Right Livelihood Awards werden am 4. Dezember 2024 in Stockholm überreicht. Die Right Livelihood Foundation unterstützt und begleitet die Arbeit der Preisträger:innen ein Leben lang.
Neben Carling wurden ausgezeichnet:
- der Palästinenser Issa Amro mit der von ihm gegründeten Aktivist:innengruppe Youth Against Settlements (Palästina) „für ihren unerschütterlichen gewaltfreien Widerstand gegen die illegale israelische Besatzung und dafür, das zivile Engagement von Palästinenser*innen mit friedlichen Mitteln zu fördern“,
- die Umweltaktivistin Anabela Lemos/Justiça Ambiental! (Mosambik), „weil sie Menschen dazu befähigen, für ihre Rechte einzutreten, sich ausbeuterischen Großprojekten entgegenzustellen und ökologische Gerechtigkeit einzufordern“,
- und das interdisziplinäre Forschungsprojekt Forensic Architecture (Großbritannien) „für die Entwicklung interdisziplinärer und digitaler forensischer Methoden, im Namen von Gerechtigkeit und Würde für die Opfer von Menschen- und Umweltrechtsverletzungen“.
Geschrieben von Gebhard Körte (Vorstand philippinenbüro e.V.)
1 Red-tagging ist eine Praxis, bei der Individuen und Organisationen beschuldigt werden, Mitglieder oder Unterstützer:innen der kommunistischen New People’s Army (NPA) zu sein.