Die Entschleunigung der Klimakrise ist für die Philippinen dringlich. So reisten die Expert:innen der philippinischen Zivilgesellschaft mit großen Erwartungen im Oktober nach Glasgow. Die philippinische Bevölkerung ist auf die Wirksamkeit COP26-Beschlüsse angewiesen, da sie massiv unter den Auswirkungen des Klimawandels mit seinen Wetterextremen leidet.
Bei vorherigen COPs spielten die philippinischen Delegationen stets eine zentrale Rolle in den Verhandlungen und Diskussionen und wurden als Vorreiternation in der Umsetzung von Maßnahmen angesehen. Bei der diesjährigen 26. COP kam jedoch schon vor Beginn der Konferenz Kritik seitens der philippinischen Opposition und Zivilgesellschaft, da Präsident Rodrigo Duterte kein einziges Mitglied der Regierungsausschusses für Klimawandel, der CCC (Climate Change Commission) für die Delegation ernannte. Die CCC wurde 2009 im Rahmen des Klimaschutzgesetzes (Climate Change Act of 2009, Republic Act 9729) ins Leben gerufen und damit beauftragt, die Verhandlungen des Landes bei UN-Klimagipfeln zu führen. Stattdessen wurde die diesjährige 19-köpfige COP26-Delegation von Amtsträger:innen aus dem Wirtschafts- und Außenministerium dominiert, von denen nur zwei Delegationsmitglieder Erfahrungen in UN-Verhandlungen aufweisen. Anders als in vorherigen Jahren umfasst die Delegation außerdem keine Expert:innen aus der Zivilgesellschaft.
Aufgrund von Hindernissen durch die Corona-Pandemie, wie zum Beispiel der langsame Fortschritt der Impfkampagne in den Philippinen, war es vielen Organisationen wie beispielsweise Greenpeace Philippines nicht möglich, ihre eigenen Teams nach Glasgow zu schicken. Auch die finanziellen Kosten, wie Reisekosten, der mindestens fünftägige Aufenthalt im Quarantänehotel in Großbritannien sowie der COP26 Aufenthalt und die Teilnahme selbst waren im Vorhinein schwierig für Vertreter:innen der philippinischen Zivilgesellschaft zu organisieren und hätten von Einzelpersonen und Organisationen mit mehreren Tausend Euro zunächst selber getragen werden müssen.[1] Jefferson Estela, eine wichtige Stimme der philippinischen Klimabewegung, hat es jedoch nach Glasgow geschafft, indem er für seine Reise Spenden sammelte. Estela ist Gründer der youthstrike 4 climate Philippines Bewegung und Vertreter der Loss and Damage Coalition. Auch Aktivist:innen wie Marinel Ubaldo, Mitzi Jonelle Tan und Jon Bonifacio sind ebenfalls nach Glasgow gereist, gemeinsam mit vielen anderen jungen Klimaaktivist:innen reichten sie ein GLOBAL YOUTH STATEMENT POLICY TEAM ein und listeten darin ihre wichtigsten politischen Forderungen - wie die Notwendigkeit wirksamer Klimapläne, einer echten Vertretung bei der COP, einer Politik, die den Übergang zu erneuerbaren Energiequellen fördert, sowie die Forderung, dass die reichen Länder ihre jahrzehntealten Zusagen zur Klimafinanzierung einhalten - auf.
Im Interview mit taz.klima erklärt Estela, dass sich die Industrieländer zwar darauf geeinigt haben, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für einkommensschwache Länder für Klimaschutz oder „Anpassung“ bereitzustellen, jedoch Hilfe für bereits entstandene Schäden immer noch von vielen Delegierten aus dem Globalen Norden blockiert wird. Er erwähnte außerdem, dass er mit der Erwartung angereist sei, aktiv an den Verhandlungen teilnehmen zu können. Aufgrund von Teilnehmer:innenbegrenzungen am Tagungsort konnte er jedoch vorwiegend nur online zuschauen.[2] Zivile Vertreter:innen der Philippinen bei der COP26 kritisierten außerdem, dass die von Duterte geschickte Delegation weder Interesse noch irgendeine Reaktion auf Anfragen für ein Treffen mit ihnen gezeigt hätten.
Die offizielle philippinische Delegation legt in ihren Verhandlungen und Reden den Fokus auf Klimagerechtigkeit und drängt die Industrieländer mehr Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen, da sie den größten Anteil an Emissionsausstößen ausmachen. Gleichzeitig stellt Delegationsleiter Finanzminister Carlos Dominguez die Philippinen als Vorreiternation in Sachen Klimaschutz heraus und verkündete „das mutigste nationale Ziel von allen Ländern der Welt“, nämlich Treibhausgase bis 2030 um 75% zu reduzieren. Kritiker:innen von Greenpeace Philippines heben jedoch hervor, dass dieses Ziel zu 96% von internationaler Hilfe abhängt. Im Klartext: Wenn die Philippinen es nicht schaffen, finanzielle Hilfen der internationalen Gemeinschaft zu sichern, werden sie ihre Treibhausgasemissionen um lediglich 2,71% kürzen. Greenpeace Aktivistin Virginia Benosa-Llorin findet dazu klare Worte: "Die Führungsrolle der Philippinen beim Klimaschutz muss mehr als ein Lippenbekenntnis sein. Greenpeace ist der Ansicht, dass die Philippinen mehr tun können und auch bei der Eindämmung der Klimaemissionen eine Vorreiterrolle übernehmen müssen. In Wirklichkeit sind die aktuellen Energiepläne des Landes immer noch stark auf fossile Brennstoffe ausgerichtet, und die Regierung muss noch einen klaren Weg für einen dringenden und gerechten Übergang zu erneuerbaren Energien aufzeigen".
Was die philippinische Delegation bei der COP26 auf den Weg brachte:
Delegationsleiter Dominguez wiederholte in fast allen Stellungnahmen zur COP26: Industrieländer müssten finanzielle Hilfen für die Anpassung an den Klimawandel an arme und besonders gefährdete Nationen zahlen. Trotz dieser wiederholten Forderung nach konkreten Klimagerechtigkeitsmaßnahmen definierte die Delegation zu keinem Zeitpunkt einen Betrag, wieviel Klimafinanzierung die Philippinen verlangen. Insgesamt sicherten sie sich eine Gesamtsumme von ca. 350 Millionen US-Dollar durch die Zusagen verschiedener Projekte zu. Diese Summe deckt allerdings lediglich 12% der jahresdurchschnittlichen klimabezogenen Schäden der Philippinen ab. Abgesehen von der Klimafinanzierung stellte die philippinische Delegation keine weiteren Forderungen an die großen Verschmutzernationen oder emissionsreichen („carbon major“) Unternehmen, sich zu stärkeren Emissionssenkungen zu verpflichten.
Auch Pläne zur Stilllegung von Kohlekraftwerken in Mindanao kündigte Dominguez an. Durch die Einrichtung des Energy Transition Mechanism (ETM) der Asian Development Bank (ADB) könne die Stilllegung der Kohlekraftwerke in Mindanao um mindestens 10-15 Jahre beschleunigt werden.
Öffentlich-private Finanzierungsinstrumente der ETM Mittel sollen die Sanierung des Wasserkraftwerks Agus-Pulangi ermöglichen. Die ADB prüft in den nächsten zwei Jahren das Projekt in einer Machbarkeitsstudie.
Die Philippinen sind eine von 40 Nationen, die dem Global Coal to Clean Power Transition Statement zustimmten, jedoch mit entscheidenden Einschränkungen. Energieminister Alfonso Cusi teilte der britischen Regierung mit, dass die Philippinen die Paragrafen 2 und 4 nur teilweise unterstützen, Paragraph 3 wurde komplett rausgenommen. In den besagten Paragrafen wird auf neue Kohlekraftwerke sowie die staatliche Unterstützung internationaler Kohlestromversorgung verzichtet. Der Energieminister erklärte, dass die Philippinen die Energiesicherheit priorisieren und sie ohnehin keine großen Verursacher von Treibhausgasemissionen seien.
Die Philippinen befürworten außerdem eine neue Finanzierungseinrichtung für „Loss and Damage“ (Verluste und Schäden), welche Finanzmittel für Länder bereitstellen sollen, die unter den verheerenden Folgen der Klimakrise leiden. Expert:innen und Aktivist:innen, wie Jefferson Estela, setzten sich beharrlich für die Aufnahme der „Loss and Damages“ in die Abschlusserklärung ein, da dieses Instrument oftmals die einzige Möglichkeit sei, die Anliegen ärmerer Länder bezüglich Verluste und Schäden zu adressieren.
Die Sustainable Finance Roadmap, die Finanzminister und Delegationsleiter Dominguez auf der COP26 vorstellte, zeigt, dass sich die Strategie der philippinischen Regierung zur Bekämpfung der Klimakrise auf Marktlösungen wie ausländische Direktinvestitionen oder öffentlich-private Partnerschaften konzentrieren. Maßnahmen wie bedingungslose gerechte Entschädigung oder Schuldenerlass, die den eigentlichen Sinn der Klimagerechtigkeit vertreten würden, sowie „Rechenschaft über historische Ungerechtigkeiten und die dadurch entstandenen Verluste und Schäden ablegen“, finden keine Erwähnung.
All die Zusicherungen zu Null-Abholzung, Naturschutz oder klimagerechter Landwirtschaft sind im Endeffekt ein Weg zu finanziellen Mitteln. Diese Pläne beruhen jedoch auf der „Netto-Null“[3] Rhetorik von Ausgleichsmechanismen und Zeitplänen, die der Dringlichkeit des Themas in keiner Weise gerecht werden. Zusätzlich verfolgt die Duterte-Regierung auf nationaler Ebene Projekte, die im direkten Gegensatz zu den angestrebten Ergebnissen der Klimakonferenz stehen. Zum Beispiel plant sie fest damit, das Tagebauverbot aufzuheben, nachdem das Moratorium für neue Bergbauanträge aufgehoben wurde, um bis zu 100 neue große Bergbauprojekte zu ermöglichen.
Leon Dulce, Koordinator der Umweltorganisation Kalikasan People’s Network for the Environment (Kalikasan PNE) und Lia Mai Torres, Geschäftsführerin des Center for Environmental Concerns (CEC) beschreiben den Auftritt der philippinischen Delegation bei der COP26 als erbärmlich. Sie fürchten, dass die Präsidentschaftswahlen 2022 keine Veränderungen bringen und drängende Maßnahmen im Kampf für Klimagerechtigkeit weiterhin ausbleiben. Dulce und Torres appellieren daher an eine breite Öffentlichkeit mehr Druck auf lokale und nationale Akteur:innen auszuüben und sich für eine Agenda einzusetzen, die sich an den Menschen orientiert und eine gerechte und grüne Gesundung einläutet.
[1] Anfang November erließ die britische Regierung alle Länder von der Covid-19 roten Liste, sodass keine Quarantänehotelkosten entstanden. Zudem wurden die Reisekosten der Delegierten übernommen. Instagram Account @klima.taz
[2] Instagram Accounts @jepestela/ @klima.taz
[3] Globale Aufruf „Real Solutions – Not ‘Net Zero‘“, an dem sich auch das philippinenbüro und die Stiftung Asienhaus beteiligt haben.