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Gedenken an das Massaker in der Kirche von Liquisa 1999

Denkmal an der Kirche in Liquisa (Foto: Monika Schlicher)

„20 Jahre in Freiheit“ heißt es 2019 in Timor-Leste. Vor 20 Jahren, am 30. August 1999, stimmten 78,5 Prozent der Osttimores*innen in einem von den Vereinten Nationen durchgeführten Referendum für die Loslösung von Indonesien. Es war ein blutiges Jahr in Osttimor, da die Konfliktlösung ohne die nötige Prävention erfolgte. Das Massaker in der Kirche von Liquisa am 6. April 1999 bildete den traurigen Auftakt.

Osttimors Milizen - Handlanger des indonesischen Militärs

Es illustrierte das organisierte, gemeinsame Vorgehen von Militär und Milizen und es war der erste Angriff, bei dem die Miliz in eine Kirche eindrang. Die osttimoresischen Milizen agierten als Handlanger des indonesischen Militärs (TNI), sie verübten Massaker und terrorisierten die Bevölkerung. Ihren Einschüchterungskampagnen zum Trotz wagte es die Bevölkerung dennoch für die Unabhängigkeit zu stimmen. Daraufhin vertrieben die Milizen Hunderttausende ins benachbarte West-Timor und legten das Land in Schutt und Asche. Am 20. September 1999 landete die internationale Schutztruppe INTERFET (International Forces for East Timor) unter australischer Führung in Osttimor und beendete das Morden und Wüten.

Das Massaker in der Kirche von Liquisa

Anfang April 1999 hatten über 2.000 Menschen n der Kirche von Liquisa Zuflucht gesucht, nachdem die Besi Merah Putih Miliz (BMP) Jagd auf Unabhängigkeitsbefürworter gemacht und Häuser abgefackelt hatte. Am frühen Morgen des 6. April 1999 kam die Miliz zusammen mit indonesischem Militär (TNI) und mobilen Polizeikräften (Brimob) zur Kirche. Sie forderten Priester Rafael dos Santos auf, ihnen den Ortschef von Liquisa zu übergeben, da er als Pro-Unabhängigkeit Befürworter identifiziert worden sei. Nachdem es zu keiner Einigung kam, schossen Brimob Angehörige in die Luft und die Milizen drangen auf das Kirchengelände ein. Daraufhin warfen sie Tränengas in das Haus des Priesters. Als die Menschen in Panik vom Kirchengelände flohen, wurden sie vom Militär, der Polizei und den Milizen brutal attackiert. Die genaue Anzahl der Toten kann nur geschätzt werden, da die Leichen danach vom Militär auf LKWs fortgebracht wurden. Osttimors Wahrheits- und Versöhnungskommission (CAVR) geht von mindestens 60 Toten aus, es können aber auch mehr als 100 gewesen sein.

Erinnern und Gedenken

Zum 20. Jahrestag des Massakers kamen über 300 Menschen im Gemeindezentrum von Liquisa zu einem Symposium mit einer Ausstellung zusammen. Der Titel der Veranstaltung, „Der Weg zu Gerechtigkeit und zur Bewahrung der Werte unseres historischen Kampfes“, drückt aus, was für die Überlebenden und Angehörigen Anliegen ist. "Wir sind keine Opfer, denn als Volk haben wir die nationale Befreiung erlangt. Aber wir müssen über den Weg, den das Land in den letzten 20 Jahren eingeschlagen hat, reflektieren", betont Lucas Soares, Vizepräsident des Organisationskomitees zum Gedenken an das Massaker von Liquiça. Die Veranstaltung sei eine Gelegenheit für die Bevölkerung von Liquiça und für die Gäste aus anderen Gemeinden darüber nachzudenken.

„Die Erinnerung an das Massakers trägt zur Würdigung und Anerkennung der Opfer bei“, betont Hugo M. Fernandes, Direktor des Centro Nacional Chega! (CNC), der Nachfolgeeinrichtung der nationalen Wahrheitskommission. Transitional Justice umfasse das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit, auf institutionelle Reformen und Wiedergutmachung. CNC habe Formulare zur Erhebung von Daten zu Opfern entwickelt. „Aber bis heute hat sich die Regierung weder einer Datenbank angenommen, noch gibt es eine spezielle Regelung für die Gesundheitsversorgung von Überlebenden oder Opfern.“ Er ermutigte die Opfer ihren Kindern ihre Erinnerungen zu erzählen und sie von diesen aufschreiben zu lassen. So könne eine historische Erzählung über die Geschichte des Widerstandes festgehalten werden.

José Luis Oliverira, Direktor der Asia Justice and Rights Timor-Leste, mahnte, sich nicht nur die heroische Seite des Widerstandskampfes anzuschauen. „Wenn wir wollen, dass sich die Dinge aus der Vergangenheit nicht wiederholen, sollten wir auch der dunklen Ereignisse im Widerstand gewahr sein. Diese Geschichte begann mit einem Bürgerkrieg.“

Wertschätzung des kollektiven Widerstandes

Der Minister für Gesetzesreform und parlamentarische Angelegenheiten, Fidelis Manuel Leite Magalhães, hat selbst Familienangehörige verloren Die Wertschätzung der Geschichte des Widerstandes sei ihm Verpflichtung. Als Angehöriger der Regierung komme er dem nach, indem er für die Grundrechte der Bürger und Bürger*innen eintritt, sich nicht selbst bereichert und sich bemüht, mit den Opfern zusammen zu arbeiten. Überlebende des Massakers brachten gegenüber dem Minister ihre Forderungen nach besserer Gesundheitsversorgung und Arbeitsmöglichkeiten für die Familien der Opfer vor.

Das Jahr 2019 steht in Timor-Leste ganz im Zeichen von Erinnern und Gedenken. Der kollektive Widerstand gegen die indonesische Fremdherrschaft hatte die Menschen damals geeint. Heute ist Timor-Leste als Nation gefestigt und hat seine Identität gefunden. Wird die Regierung jetzt das Anliegen der Opfern und Überlebenden hören und sich nach 20 Jahren entschieden auch für deren Rechte einsetzen?

Monika Schlicher


Quellen

Hugo M. Fernandes, Direktor Centro Nacional Chega! (CNC): "Centro Nacional Chega! estabelese ona formuláriu uniku hodi halibur dadus kona-ba vítima sira, Liquica, Facebook, 3. April 2019

Lakohi repete masakre sira pasadu nian, AJAR husu Estadu labele diskrimina vítima sira, GMN, Diario Semenario, 6. April 2019,

Government participates in national seminar in the context of the commemoration of the 20th anniversary of the Liquiça massacre, Goverment of Timor-Leste, 25. März 2019,

„Wir wissen bis heute nicht genau, wie groß die Zahl der Opfer ist“, Monika Schlicher und Maria Tschanz im Gespräch mit Elisa da Silva dos Santos, Koordinatorin der Witwenorganisation Rate Laek – keine Gräber: Die Frauen der Gruppe halten die Erinnerung an das Massaker in der Kirche von Liquisa 1999 lebendig, sie fordern Aufklärung über den Verbleib ihrer Männer und Söhne, Reparationen und Gerechtigkeit.In: Myrtinnen,Henri, Schlicher, Monika, Tschanz, Maria (Hrsg.): „Die Freiheit, für die wir kämpfen…“, Osttimor in der Unabhängigkeit. Ein politisches Lesebuch, regiospectra Verlag, Berlin, 2011

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