In Indonesien trat am 15. Mai 2023 eine neue Regierungsverordnung in Kraft, die das seit 20 Jahre bestehende Ausfuhrverbot von Meeressand aufhebt. Diese Entscheidung wird von NGOs stark kritisiert.
Drastischer Sandabbau vor 20 Jahren
Das Exportverbot für Meeressand wurde 2003 erlassen und 2007 erneut bestätigt. Damit sollte illegaler Sandhandel bekämpft und die Umwelt geschützt werden. Indonesien war zuvor der Hauptlieferant von Meeressand für Singapur und exportierte zwischen 1997 und 2002 im Durchschnitt mehr als 53 Millionen Tonnen Sand pro Jahr.
Die Regierungsverordnung Nr. 26/2023 über die Bewirtschaftung von Meeresablagerungen hebt dieses Verbot nun auf. Sie erlaubt Meeressand abzubauen und zu exportieren, solange der inländische Bedarf gedeckt ist und gesetzliche Bestimmungen eingehalten werden. Der Gesetzestext beschränkt den Sandabbau auf offene Meeresgebiete und schließt Küstengebiete sowie kleine Inseln vom Abbau aus.
Trotz der erklärten Sicherheitsvorkehrungen haben Umweltorganisationen Bedenken geäußert, dass die Wiederaufnahme des Sandexports marine Ökosysteme massiv schädigen und den Untergang kleiner Inseln beschleunigen könnte. Auch Meeres- und Fischereiaktivist:innen äußerten sich kritisch. Sie warnen vor einer Gefährdung der Lebensgrundlagen von lokalen Gemeinschaften und vermuten, dass der Abbau ausländischen Interessen mehr als den indonesischen Fischern und Küstengemeinden dient.
Regierung setzt neue Richtlinien für Umweltschutz und Wirtschaft um
Laut Sakti Wahyu Trenggono, dem Minister für maritime Angelegenheiten und Fischerei, solle der Sandexport unter strengeren Umweltschutzmaßnahmen geregelt werden, um den Schutz mariner Lebensräume gewährleisten zu können Ein Team des Fischereiministeriums soll daher zukünftig potenzielle Standorte für den Sandabbau erkunden. Das Ministerium stellt hohe Anforderungen an die Unternehmen, die Lizenzen für den Sandabbau beantragen möchten. Dazu gehören Erfahrungswerte in der Branche sowie der Besitz spezifischer Ausrüstung für den Abbau, den Transport und den Verkauf des Sands. Darüber hinaus müssen genehmigte Antragsteller:innen die inländische Nachfrage nach Meeressand priorisieren.
Anträge und Lizenzen konnten bis zum 28. März 2024 eingereicht werden. Die geplanten Abbaugebiete umfassen die Javasee, die Makassarstraße und die Natuna-Gewässer, die ein geschätztes Potenzial von insgesamt 17,65 Milliarden Kubikmetern an Seesandsediment aufweisen.
Wahyu Muryadi, ein Sprecher des Ministeriums sagte, dass der Zweck der Regelung darin bestehe, sicherzustellen, dass der Sandabbau den Umweltstandards entspreche. Exporte seien erst dann erlaubt, wenn die inländische Nachfrage nach Sand gedeckt sei. Die Regierung würde nur Baggerungen in Bereichen des Meeresbodens zulassen, in denen sich Sedimente aus dem Landabfluss (über Flüsse) angesammelt hätten. So solle auch der Schiffsverkehr erleichtert werden.
Proteste zur Wiederaufnahme des Sandexports
„Ich hoffe, dass diese Entscheidung revidiert wird. Die Verluste für die Umwelt werden viel größer sein. Der Klimawandel ist bereits spürbar und hat Auswirkungen. Er darf durch Sandabbau im Meer nicht noch verschlimmert werden.“
Susi Pudjiastuti
Die ehemalige Ministerin für maritime Angelegenheiten und Fischerei gehört zu den prominenten Stimmen, die sich gegen die neue Verordnung aussprechen.
Zudem stützt sich die neue Regelung ausschließlich auf See- und Investitionsgesetze, ohne Umwelt- und Naturschutzgesetze zu berücksichtigen, kritisiert Yonvitner, Leiter des Forschungszentrums für Küsten- und Meeresressourcen am Institut für Landwirtschaft in Bogor (IPB). Er betont die potenziellen ökologischen Verluste durch den Abbau. Darüber hinaus bemängelt er fehlende wissenschaftliche Grundlagen bei der Identifizierung potenzieller Baggerstandorte und der angemessenen Bewertung möglicher Umweltauswirkungen.
Auch Susan Herawati, Generalsekretärin der Advocacy-Gruppe Coalition for Fisheries Justice (KIARA), kritisiert die neue Verordnung, da sie die Interessen der Fischerei- und Küstengemeinschaften ignoriert und die kommerzielle Ausbeutung von Meeresressourcen fördert. Sie betont die Bedeutung der Fischerei für die indonesische Wirtschaft. Rund 2,7 Millionen Menschen sind darin tätig, hauptsächlich als Kleinfischer. Herawati warnt zudem vor bereits entstandenen Umweltschäden durch den Abbau von Meeressand. In der Provinz Südsulawesi protestieren Fischer:innen bereits gegen die Sandentnahme, die zum dramatischen Rückgang ihrer Fischfänge führte.
Uneinigkeit über Öffentlichkeitsbeteiligung
Yusri Usman, Direktor des Center of Energy and Resources Indonesia (CERI), betont die Notwendigkeit einer partizipativen und transparenten Meerespolitik, die die Stimmen der betroffenen Gemeinden berücksichtigt, indem transparente und umfassende Gespräche mit Fischern und Bewohner:innen kleiner Inseln geführt werden.
Victor Gustaaf Manoppo, Generaldirektor für Zonierung im Ministerium für Meeresangelegenheiten, verteidigt indessen die neue Verordnung. Öffentliche Konsultationen wurden im Vorfeld durchgeführt, so Manoppo. Jedoch bestand die konsultierte „Öffentlichkeit“ hauptsächlich aus Unternehmen und Bergbauverbänden. Das wirft Fragen zur Transparenz und zur tatsächlichen Einbindung der betroffenen Gemeinden in den Entscheidungsprozess auf und verdeutlicht die kontroversen Ansichten über die Legitimität der neuen Verordnung.
Kritik von Umweltorganisationen
Parid Ridwanuddin, Küsten- und Meeresreferent bei Walhi, einer der führenden Umweltorganisationen Indonesiens, kritisiert die Argumentation der Regierung, dass das Ausbaggern bestimmter Meeresgebiete den Schiffsverkehr erleichtern würde. Genau diese Art von Abbau hätte Kleinfischer bereits in Schwierigkeiten gebracht. Seiner Einschätzung nach dient die Verordnung vorrangig wirtschaftlichen Interessen, die hinter vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnissen verborgen bleiben. Die Gestaltung der Verordnung wäre sorgfältig ausgearbeitet, um den Eindruck einer vermeintlich positiven Regelung zu erwecken, obwohl sie tatsächlich nicht im besten Interesse der Umwelt und der betroffenen Gemeinschaften läge, so Ridwanuddin.
Alfadillah, Kampagnenleiter für die Ozeane bei Greenpeace Indonesien, teilt diese Kritik. Er wirft der Regierung vor, „Greenwashing“ zu betreiben, indem sie ein scheinbar umweltfreundliches Narrativ nutzt, während sie in Wirklichkeit hinter den Interessen von Geschäftsleuten und Oligarchen steht. Die Regierung sei nicht in der Lage, die Meeresressourcen vernünftig zu bewirtschaften, und greife stattdessen auf kurzfristige Lösungen zurück, um mehr Staatseinnahmen zu erzielen. Die Einladung des zuständigen Ministers, an Untersuchungen der Meeressedimente teilzunehmen, lehnte Greenpeace Indonesien ebenfalls als „Greenwashing“ ab. Die Regierung verstecke sich hinter Begriffen wie „Nutzung“ und „Management“, um die Ausbeutung von Meeressand zu verschleiern.
Autorin:
Saskia Loges absolviert derzeit ihren Master in International Political Economy of East Asia an der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Einfluss gesellschaftlicher Ideen und Interessen auf die Außenbeziehungen Ostasiens. In der Stiftung Asienhaus hat sie von September 2023 bis März 2024 ein Praktikum gemacht. Dabei beschäftigte sie sich auch mit Südostasien und Umweltthemen.