Im Oktober 2024 trat der 72-jährige Ex-General Prabowo Subianto sein Amt als Präsident in Indonesien an. Politikerwissenschaftler Patrick Ziegenhain zieht im Interview mit der Stiftung Asienhaus ein erstes Fazit der ersten Monate seiner Amtszeit.
Wie sieht Prabowos Regierungsbilanz nach den ersten Monaten aus? Was hat er gemacht?
Interessant war ja erst einmal, dass Prabowo nach seinem Wahlsieg im Februar acht Monate bis Amtsantritt warten musste. Eine lange Zeit, aber viele Sachen wurden da schon vorbereitet. Generell ist allerdings in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit nicht so viel passiert. Er hat fast das gesamte Personal von Jokowi übernommen, so dass viele Regierungsposten immer noch von denselben Personen besetzt sind. Außerdem hat Prabowo mit über 100 Minister:innen und Vizeminister:innen das bisher größte Kabinett in der Geschichte Indonesiens zusammengestellt. Dabei hat er neben den verbündeten politischen Parteien vor allem seine Gefolgsleute aus dem Militär mit Ämtern versorgt.
Im Haushalt wurde weitreichend und fast überall gekürzt, auch z.B. im Bildungs- oder Forschungsbereich. Lediglich das Budget für das Militär wurde erhöht und es wurde recht öffentlichkeitswirksam das im Wahlkampf versprochene kostenlose Schulessen eingeführt. Selbst bei den Baumaßnahmen für die neue Hauptstadt auf Kalimantan wurde gekürzt. Die Umsetzung und der Umzug werden nun deutlich länger dauern als ursprünglich geplant. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung von Jokowi fortgesetzt wird, wobei ein stärkerer Nationalismus und Militarisierung hinzugekommen sind.
Wie zeigt sich dieser präsidial geförderte Nationalismus?
Prabowo betont immer wieder, dass Indonesien sich nicht länger von anderen Staaten ausnutzen lasse und endlich auch seine eigenen Interessen durchsetzen müsse. Er setzt auf eine starke wirtschaftliche Eigenentwicklung und wettert über angebliche Rohstoffausbeutung durch Drittstaaten. Argumente wie diese werden in der indonesischen Öffentlichkeit gern gehört, zur Wahrheit gehört aber aber auch, dass viele Staatsbetriebe bzw. politische Eliten kräftig beim Ressourcenabbau mitverdienen.
Durchaus sinnvoll hingegen ist die (bereits von Jokowi entwickelte) Idee, dass Rohstoffe erst im Land weiterverarbeitet werden sollen, bevor sie dann zu einem höheren Preis exportiert werden. In den Bereichen Energie und Nahrungsmittel soll Indonesien nach Prabowos Vorstellungen zukünftig komplett autark werden, d.h. alle Importe aus dem Ausland sollen schnellstmöglich eingestellt werden. Dies ist, meiner Meinung nach, ökonomisch unsinnig und wird viele Umweltschäden durch die Umwandlung von freien Flächen in Reisfelder sowie die verstärkte Nutzung von Kohlekraftwerken produzieren.
Armee wird aufgerüstet und bekommt mehr Posten
Du sprachst eben die zunehmende Militarisierung an. Wie zeigt sich diese?
Das Militär ist überall weitreichend beteiligt und sehr präsent. An den Plänen zur Nahrungsmittelversorgung, in den food estates (großflächige Agrarprogramme zum Anbau von Nahrungsmitteln wie Reis), sogar bei den kostenlosen Schulessen und in vielen Regierungsposten. Diese Militarisierung war zu erwarten. Prabowo investiert auch in die eigentliche Kernaufgabe des Militärs: D.h. er rüstet auf, um, wie er bei nahezu jeder Gelegenheit sagt, Indonesien vor seinen Feinden verteidigen zu können.
Symbolisch hat er zu Amtsantritt auch ein Zeichen gesetzt und das Kabinett und die Minister:innen zu Beginn seiner Präsidentschaft drei Tage in ein Militärcamp geschickt. Das hat in der indonesischen Öffentlichkeit für große Aufmerksamkeit gesorgt.
Prabowo bedient nationale Interessen, das kommt gut an
Im Wahlkampf hat sich Prabowo ein neues Image (als netter Onkel) verpasst und schaffte es vor allem bei Jüngeren recht beliebt zu werden. Wie kommt er als Präsident bei den Indonesier:innen an?
Noch sehr gut. In Umfragen erreicht Prabowo bis zu 80% Zustimmungsraten für seine Politik. Das sind bessere Werte als Jokowi zu Beginn seiner Präsidentschaft hatte. Er bedient nationale Interessen. Das kommt bei vielen Bürger:innen gut an. Und es zeigt sich ein Umschwenken früherer Kritiker:innen. Viele Gewerkschaften sind ihm nun freundlicher gesinnt. Selbst indonesische Medien wie Kompas zeigen sich neuerdings weniger kritisch.
Erst als vor ein paar Tagen das ganze Ausmaß der Budget-Kürzungen bekannt wurde, haben Studierende Protest-Kundgebungen im ganzen Land organisiert und gegen Kürzungen im Bildungsbereich sowie gegen die zunehmende Rolle des Militärs demonstriert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den nächsten Wochen und Monaten die Popularität des Präsidenten wegen der Budget-Kürzungen abnehmen wird.
Wie steht es um religiösen Debatten in der Politik?
Das Thema politischer Islam wird, wie bereits bei Jokowi, klein gehalten. Sowohl im Wahlkampf als auch in den allgemeinen gesellschaftlichen Debatten spielt Religion derzeit keine große Rolle. Grob vereinfacht gesagt: In Politik und Gesellschaft haben derzeit die Militärs das Sagen.
Wie gibt sich Prabowo als Präsident?
Prabowo gibt sich als Mann von Welt. Ich denke, er sieht Indonesien in der internationalen Politik mittlerweile eine Liga höher, das eher mit Staaten wie Australien, USA und China agiert. ASEAN bzw. viele südostasiatischen Staaten und Nachbarländer haben für ihn weniger Gewicht. Nach Amtsantritt ist er im November 2024 direkt in die USA und nach China gefahren, hat Biden und Xi Jinping getroffen und im Januar 2025 war er auch bei Modi in Indien. Seit diesem Jahr ist Indonesien auch der BRICS beigetreten, was allerdings schon von Jokowi vorbereitet wurde.
Prabowo sagt, der "Westen" habe Indonesien nichts vorzuschreiben
Wie steht Prabowo zur EU beziehungsweise „dem Westen“?
Prabowo hat in den letzten Jahren mehrfach betont, der „Westen“ habe Indonesien nichts vorzuschreiben. Das kocht er z.B. bei kritischen Umwelt- und Klimathemen wie Abholzung gern auf. Im Narrativ arbeitet man auf die Vision „Goldenes Indonesien 2045“ (Indonesisch: Visi Indonesia Emas 2045) hin. Die Vision wurde bereits im Jahr 2019 vom damaligen Präsidenten Jokowi vorgegeben und sieht vor, dass das Land bis zu seinem 100-jähriges Bestehen im Jahr 2045 eine souveräne, fortschrittliche, gerechte und wohlhabende Nation ist. Jokowi äußerte mehrfach, dass das Ziel des Landes sein solle, Indonesien bis 2045 zur viert- oder fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt zu machen.
Kritik zu Westpapua bleibt unerwünscht
Inwieweit hat sich Prabowo bisher zu Westpapua geäußert?
Prabowo will auch in Westpapua den Einfluss ausländische Kräfte mindern, da er sie als Teil des „Problems“ sieht. Zudem hatte er im Wahlkampf angedeutet, dass er den Konflikt weiterhin mit militärischen Mitteln lösen wolle. Ansonsten führt er wirtschaftliche „Entwicklungsvorhaben“ von Jokowi fort. D.h. Wald abholzen und die geplanten food estates in Westpapua umsetzen.
Er hat auch schon laut darüber nachgedacht, entlassene Straftäter:innen nach Westpapua zu schicken, um Reisfelder zu bauen. Im indonesischen Alltag, in den Kaffeehäusern, Social Media und dem Großteil der Medien bleibt Papua ein Tabuthema. Denn wer sich zu Westpapua kritisch äußert, kann schnell Probleme bekommen.
Gibt es erste Tendenzen wie die neue Regierung die indonesische Klimapolitik gestalten wird?
Prabowo macht öffentlich keinen Hehl daraus, dass, wenn er Wald abholzen will, abgeholzt wird. Da verbietet er sich Einmischungen von außen. Dass mit Donald Trump die USA aus dem Paris Abkommen ausgetreten sind, wurde in Indonesien aufmerksam verfolgt.
Einige Regierungsmitglieder, wie der einflussreiche Energieminister Bahlil Lahadalia, haben auch schon öffentlich über einen Austritt aus dem Abkommen nachgedacht. Aber es gibt natürlich auch Projekte oder Kooperationen, z.B. erneuerbare Energien, von denen Indonesien profitiert. Diese nimmt man dann doch gern mit.
Jokowi weiter im Hintergrund präsent
Welche Rolle spielt der abgetretene Jokowi?
Er hat keine offizielle Rolle, spielt aber weiter im Hintergrund mit. Viele Schlüsselpositionen sind noch von seinen Vertrauten besetzt. Sein Sohn ist Vizepräsident. Aber Prabowo bringt immer mehr seinen eigenen Stil rein, das fängt mit der Postenvergabe für Militärs an. Mit der Zeit wird Prabowo noch mehr auswechseln. Er hat bestimmt eine Warteliste „mit seinen Leuten“, und er wird generell eine sichtbarere eigene politische Handschrift etablieren.
Was sind die Nachwirkungen von Jokowis Rochade, sich im Wahlkampf auf Prabowos Seite zu stellen, seine eigene Partei PDI-P fallenzulassen, und seinen Sohn als Vizepräsident aufzustellen?
Die PDI-P ist weiterhin verständlicherweise angesäuert, vor allem ihre Vorsitzende und Ex-Präsidentin Megawati Sukarnoputri. Jokowi und seine Familienangehörigen wurden nun auch formell aus der PDI-P ausgeschlossen. Die PDI-P ist nach wie vor die einzige Partei, die nicht offiziell die Regierung Prabowos unterstützt. Dabei gibt es zahlreiche prominente Parteimitglieder, die lieber früher als später ins Prabowo-Lager wechseln wollen.
Und wie kommt Jokowis Sohn Gibran an? Etabliert er sich schon für zukünftigere höhere Aufgaben?
Gibran Rakabuming Raka fehlt Respekt und Rückhalt in der Gesellschaft. Auch unter der politischen Elite des Landes hat er nur wenige Freund:innen.
Zwar ist er die offizielle Nummer zwei, aber Prabowo hat auch seinen „Ziehsohn“ Sugiono als Außenminister besetzt. Mit Blick in die Zukunft wäre dieser eher ein potentieller Kandidat, den auch andere Politiker:innen unterstützen würden. Der unerfahrene Gibran hat zudem keinen Rückhalt im Militär. Die meisten Menschen in Indonesien sehen ihn daher nicht als für das Präsidentenamt geeignet an.
Über unseren Interviewpartner:
Patrick Ziegenhain ist Associate Professor für Internationale Beziehungen an der President University in Cikarang, Großraum Jakarta. Seine Forschungsschwerpunkte sind wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklungen in Südostasien und Europa sowie die internationalen Beziehungen beider Regionen. Im Asienhaus war er von 2000 bis 2018 ehrenamtlich im Vorstand der mittlerweile aufgelösten Südostasien Informationsstelle (Verein für entwicklungsbezogene Bildung zu Südostasien) tätig.
Das Gespräch führte Raphael Göpel von der Stiftung Asienhaus im Februar 2024.
Bildnachweise: Foto 1 Flickr/Ministry of External Affairs India unter CC BY-NC-ND 2.0, Foto 2 Sven Hansen, alle Rechte vorbehalten, Foto 3 Flickr/Ministry of External Affairs India unter CC BY-NC-ND 2.0, Foto 4 International Partnerships Facility EFI unter Flickr/ CC-BY-NC-SA 2.0, Foto 5 privat, alle Rechte vorbehalten.