ASEAN-China Freihandelsabkommen: Trendwende oder Festhalten an Bewährtem?
Am 21. Mai 2025 wurde ein bedeutender Meilenstein in der Konsolidierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Volksrepublik China (VR China) und der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) erreicht: Nach insgesamt neun formellen Verhandlungsrunden erklärten beide Seiten die Gespräche über die Neuauflage der ASEAN-China Free Trade Area (ACFTA) offiziell für abgeschlossen. Das bereits seit 2010 bestehende Freihandelsabkommen erhält damit eine umfassende Erneuerung – mit dem Ziel, die wirtschaftliche und regulatorische Zusammenarbeit auf ein neues Niveau zu heben. Und dies sehr bald: Bereits vor Jahresende 2025 soll der offizielle Genehmigungsprozess abgeschlossen und ein entsprechendes Dokument unterzeichnet werden.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, welche wirtschaftliche Tragweite hinter dem Freihandelsabkommen steckt: Mit einem Handelsvolumen von über 234 Milliarden US-Dollar allein im ersten Quartal 2025 sind die zehn ASEAN-Staaten zusammengenommen mittlerweile Chinas wichtigster Handelspartner, die EU folgt auf Platz zwei. Dass die Verhandlungsrunden ausgerechnet jetzt abgeschlossen wurden, ist kein Zufall – Experten deuten das Abkommen auch als gezielte Reaktion auf die verschärfte Zollpolitik des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump.
ACFTA 3.0 geht dabei weit über klassischen Zollabbau hinaus: Neu hinzugekommen sind gleich neun Kapitel, die zukunftsweisende Themen aufgreifen: von digitaler und grüner Wirtschaft über die Stärkung globaler Lieferketten bis hin zu einheitlichen Zulieferstandards in Lieferketten.
Mit dem erneuerten Abkommen setzen beide Handelspartner wirtschaftspolitisch ein deutliches Signal: In einer Welt voller Handelskonflikte und geopolitischer Spannungen formiert sich in Asien ein ambitionierter Wirtschaftsblock – strategisch vernetzt, digital gerüstet und wachstumsorientiert.
ACFTA 3.0 – Potenzielle Handlungsspielräume für die zivilgesellschaftliches Engagement?
Mit der zweiten Erweiterung von ACFTA soll ein normativer Rahmen entstehen, der nicht nur auf Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Region abzielt, sondern auch nachhaltige Prinzipien ins Spiel bringt – zumindest auf dem Papier sieht man hierfür Ansätze. Es fehlen jedoch klare Verpflichtungen zur Einhaltung ökologischer und sozialer Standards. Ob dadurch noch Raum für zivilgesellschaftliche Organisationen nutzbar bleibt um Einfluss auf die Ausgestaltung der „Spielregeln“ in der Freihandelszone zu nehmen, ist nicht absehbar.
Laut dem Economic Research Institute for ASEAN and East Asia kamen zivilgesellschaftliche Stimmen in den bisherigen ACFTA-Runden kaum zum Tragen. Lokale und Community-basierte Organisationen in den ASEAN-Staaten hoffen künftig aktiv an Beratungen zu Lieferkettengesetzen teilzunehmen, stärker in Monitoringprozesse eingebunden zu werden oder Pilotprojekte in strukturschwachen Regionen mitzugestalten. Ein möglicher Zugang entsteht durch die in ACFTA vereinbarte Öffnung hin zu kleineren Produzenten, denen die Integration in globale Exportmärkte erleichtert werden soll – sowie die Unterstützung dieser bei der dafür notwendigen Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards. Hier könnten NGOs künftig beispielsweise als Brückenbauer agieren, die Produktionsbedingungen- und Standards dokumentieren und faire Marktzugänge z.B. für Kleinbauern- und bäuerinnen unterstützen.
Auch auf chinesischer Seite birgt der neue Rahmen Perspektiven: Trotz bestehender Einschränkungen erhoffen sich zivilgesellschaftliche Organisationen in China dass die von ihnen erstellten Studien und Handlungsempfehlungen wie auch die existierenden Corporate-Social-Responsibility-Initiativen für mehr Transparenz und höhere soziale Standards durch ACFTA verstärkt politischen Rückhalt erhalten. ACFTA 3.0 bietet – zumindest theoretisch – neue Bezugspunkte für Gespräche mit Unternehmen und Behörden über soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung. Allerdings sollte bei allem Optimismus realistisch auf aktuelle Entwicklungen geblickt werden. Mit China Labour Bulletin, schloss gerade erst eine der wenigen in China arbeitenden Organisationen, die aktiv die Umsetzung internationaler Arbeitsstandards und Lieferkettenschutzgesetze einforderte.
Herausforderungen: Restriktionen, Machtasymmetrien und schwache Institutionalisierung
Ein genauer Blick offenbart: Die strukturellen Spielräume bleiben begrenzt, sie existieren oft nur theoretisch, und sind selten praktisch umsetzbar.
In China sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten nach wie vor strikt reguliert, und oftmals nur im Rahmen staatlich geduldeter Projekte möglich. Trotz kreativer Bemühungen zivilgesellschaftlicher Akteure, die vorhandenen Spielräume zu nutzen, stoßen sie vielerorts an harte institutionelle und systemische Grenzen. Auch in weiten Teilen Südostasiens bietet sich ein ähnliches Bild: Ein verlässlicher Rechtsrahmen, der zivilgesellschaftliche Gruppen verbindlich in Entscheidungsprozesse einbindet – etwa durch Beobachterstatus, Konsultationspflichten oder Beschwerdemechanismen – fehlt in vielen ASEAN-Staaten.
Zwar öffnet ACFTA 3.0 wirtschaftspolitische Dialogräume, verbindliche Sozial- oder Umweltklauseln sucht man jedoch vergebens. Auch nach dem formulierten Wunsch von zivilgesellschaftlicher Teilhabe sucht man vergebens. Was bleibt, ist ein Graubereich – und die Hoffnung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Druck aufbauen, Missstände sichtbar machen und Unternehmen wie Staaten zu mehr Transparenz und Rechenschaft bewegen können. Doch wie weit kann man gehen, wenn der Zugang zu Informationen begrenzt ist, Ressourcen knapp sind und politische Risiken allgegenwärtig?
Erschwerend kommt die wirtschaftliche Asymmetrie hinzu: Zahlreiche Stimmen beteuern, dass die chinesische Regierung als dominanter Handelspartner die Investitionsflüsse vordiktiert. Für viele südostasiatische Regierungen ist besonders chinesisches Kapital unverzichtbar – das macht kritische zivilgesellschaftliche Interventionen umso heikler. Wo gegen ökologische Schäden oder soziale Ausbeutung durch große Infrastrukturprojekte protestiert wird, läuft ein Land möglicherweise Gefahr, wirtschaftspolitisch als „Standortnachteil“ abgestempelt zu werden.
Zivilgesellschaftliche Potenziale – Beispiele aus der Praxis
Trotz aller Hindernisse zeigen erste zivilgesellschaftliche Strategien in der ASEAN-Region, wie ACFTA 3.0 aktiv genutzt werden könnte. So arbeiten beispielsweise Organisationen wie Wild Asia in Thailand an der Zertifizierung nachhaltiger Landwirtschaftsprodukte – flankiert durch NGOs, die Umweltstandards prüfen und Schulungen für Produzent:innen anbieten. Dies könnte in einem größeren transnationalen Rahmen gedacht werden. Thematische Anknüpfungspunkte ließen sich hier beispielsweise unter dem neuen Kapitel „Wettbewerbs- und Verbraucherschutz“ verorten.
Auch im besonders sensiblen Rahmen der Infrastrukturprojekte könnten sich neue Partizipationsmöglichkeiten anbieten. So begleiten beispielsweise zivilgesellschaftliche Akteure aus den Philippinen lokale Beteiligungsverfahren zu inklusiver Infrastruktur, unterstützt durch internationale Netzwerke und Stiftungen wie die Asia Foundation. Sicherlich bieten derlei Beteiligungsformate einen guten strategischen Ansatzpunkt für eine Integration zivilgesellschaftlicher Akteur: innen in ACFTA 3.0.
Nicht zuletzt liegt in der Fokussierung von ACFTA 3.0 auf digitale Wirtschaft und grüne Entwicklung eine echte Chance für zivilgesellschaftliche Innovation. Was wäre, wenn lokale Start-ups aus Vietnam oder Kambodscha digitale Tools für grüne Lieferketten entwickelten? Oder wenn kleine Produzent:innen in Laos durch Online-Plattformen Zugang zu nachhaltigen Märkten in China fänden?
Fazit
Die Pressemitteilungen zu ACFTA 3.0 versprechen mehr als bloß ökonomische Integration. Sie formulieren den Anspruch, wirtschaftlichen Austausch mit normativer Verantwortung zu verknüpfen.
Themen wie Umweltgerechtigkeit, Lieferkettentransparenz oder die Teilhabe kleiner und mittlerer Unternehmen finden im Schatten internationaler Handelspolitik selten Gehör. ACFTA 3.0 jedoch öffnet – zumindest auf dem Papier – neue Räume: für Forderungen nach verbindlichen CSR-Standards, für transparentere Umweltverträglichkeitsprüfungen und für die nachhaltige Gestaltung digitaler Innovationen.
Doch der Weg dorthin ist steinig. In der VR China wie auch in vielen ASEAN-Staaten sind zivilgesellschaftliche Organisationen mit strukturellen Hürden konfrontiert: staatliche Kontrolle, rechtliche Grauzonen, politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten erschweren ihre Einbindung in handelspolitische Prozesse. Verschärft wird die Situation durch aktuelle globalpolitische Entwicklungen. So hatte die von Präsident Trump beschlossene USAID Auflösung verheerende Konsequenzen auf die zivilgesellschaftliche Arbeit in der Region. Auch die Pläne der deutschen Bundesregierung unter CDU/CSU und SPD, das dt. Lieferkettenschutzgesetz abzuschaffen und den BMZ Haushaltmassiv zu kürzen, entziehen genau jene Ressourcen, die in der Entwicklungszusammenarbeit dringend benötigt würden, um zivilgesellschaftliche Akteure in Asien und somit auch globale nachhaltige Entwicklungen zu stärken. All dies dämpft die Hoffnung auf transnationale Solidarität und wirksame internationale Einflussnahme.