Am 26. Juni 2025 endete in Bonn die 62. Sitzungsrunde der UN-Klimarahmenkonvention (SB 62) – ein entscheidender Moment, der den Weg zur COP30 im November in Belém, Brasilien, weist. Neben zentralen Fragen gerechter Klimafinanzierung stand vor allem die Rolle großer Emittenten im Fokus. Besonders China rückt dabei ins Zentrum: Mit dem anstehenden 15. Fünfjahresplan und der geplanten Vorlage aktualisierter nationaler Klimaziele (NDCs) steht das Land 2025 an einem Scheideweg in seiner Klima- und Energiepolitik. Im folgenden Beitrag beleuchten wir zivilgesellschaftliche Perspektiven auf Chinas Klimadynamik – zwischen globaler Verantwortung, innenpolitischen Spannungen und begrenzten Partizipationsmöglichkeiten.
Während sich die internationale Aufmerksamkeit in der Klimapolitik häufig auf staatliche Verhandlungen oder politische Kurswechsel großer Volkswirtschaften richtet, stechen die klimapolitischen Entwicklungen Chinas in den Jahren 2024 und 2025 sowohl in ihrer Größenordnung als auch in ihrer Widersprüchlichkeit hervor. Als größter Treibhausgasemittent und zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt spielt China eine zentrale Rolle für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive zeigt sich dabei ein ambivalentes Bild: Globale Führungsansprüche auf der einen, anhaltende strukturelle Herausforderungen auf der anderen Seite.
Mit der erwarteten Vorlage aktualisierter nationaler Klimaziele (NDC) und der Veröffentlichung des 15. Fünfjahresplans im Jahr 2025 stehen zentrale klimapolitische Weichenstellungen an, die Chinas Richtung bis mindestens 2035 mitbestimmen werden. Die Rahmenbedingungen sind dabei nicht eindeutig. Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass Chinas CO₂-Emissionen bereits ihren Höchststand erreicht haben könnten – nicht aufgrund eines wirtschaftlichen Abschwungs, sondern trotz weiter steigendem Energiebedarf, getragen vom rasanten Ausbau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig wird jedoch weiterhin in Kohlekraft investiert, und Kohle (u.a. aus Indonesien) importiert. Strukturelle Defizite im Strom- und Industriesektor, Sicherheitsbedenken oder planwirtschaftliche Herausforderungen - auch China fordert die Komplexität einer grünen Energiewende viel ab. Jüngste Analysen zivilgesellschaftlicher Akteure wie Greenpeace East Asia zeigen: Chinas Rolle in der internationalen Klimapolitik wird zunehmend von innenpolitischen Spannungen und internationalen Erwartungen geprägt.
Globaler Einfluss mit wachsender Verantwortung
China hat sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Akteur im Bereich der globalen Energiewende entwickelt. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) müssen etwa 80 % der weltweit zusätzlich benötigten erneuerbaren Kapazitäten bis 2030 aus dem Solarbereich kommen – und hier nimmt China eine dominierende Rolle ein. Allein im Jahr 2023 wurden in China 261 neue GW Photovoltaikleistung installiert – mehr als im Rest der Welt zusammen. Das Land kontrolliert heute bis zu 90 % aller Produktionsstufen entlang der Solarwertschöpfungskette.
Diese Entwicklung macht China unverzichtbar für die globale Umsetzung der auf der COP28 vereinbarten Zielsetzung, die erneuerbaren Energien weltweit bis 2030 zu verdreifachen. Gleichzeitig wirft diese Vormachtstellung Fragen nach globalen Abhängigkeiten, ungleichen Handelsstrukturen und der sozialen Dimension von Energiewenden auf.
Innere Widersprüche: Kohle, Gerechtigkeit und Teilhabe
Chinas Energiepolitik im Inland zeichnet ein komplexeres Bild. Zwar schreitet der Ausbau erneuerbarer Energien zügig voran, dennoch bleibt Kohle ein zentraler Bestandteil der nationalen Energieversorgung. In den vergangenen zwei Jahren wurden zahlreiche neue Kohlekraftwerke genehmigt – oftmals mit dem Verweis auf Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Stabilität. Da Versorgungssicherheit politisch dem Themenbereich Nationale Sicherheit zugeordnet wird, stellt es für NGOs eine Herausforderung dar, sich aktiv an dem Thema Kohle/-Ausstieg zu beteiligen.
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht bleibt insbesondere die mangelnde soziale und ökologische Ausgestaltung vieler Projekte problematisch. Nichtregierungsorganisationen und Grasswurzel- Initiativen betonen seit Langem die Notwendigkeit, Umwelt- und Klimapolitik partizipativer und gerechter zu gestalten. Vor allem in den westlichen Provinzen werden Großprojekte oft ohne umfassende Konsultation oder transparente Beschwerdemechanismen umgesetzt.
Die Anwendung des zentralen Prinzips der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (Free, Prior and Informed Consent, FPIC) bedarf deutlicher Verbesserungen. Das betrifft insbesondere Minderheitenregionen, in denen Infrastruktur- und Energieprojekte tief in lokale Lebensrealitäten und kulturelle Rechte eingreifen. Auch Gender-Aspekte spielen kaum eine Rolle in Chinas Klimapolitik. Chinesische NGOs wie Greenovation Hub (GHub) arbeiten diese Mängel für Entscheidungsträger:innen und die Öffentlichkeit auf und vernetzen sich global um Chinas Klimapolitik um bottom-up Perspektiven zu erweitern.
Grüne Finanzen: Politischer Fortschritt mit strukturellen Grenzen
Ein weiterer wichtiger Pfeiler der chinesischen Klimapolitik ist die Entwicklung grüner Finanzmärkte. In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung zahlreiche Instrumente geschaffen, darunter ein nationales Klassifikationssystem für grüne Anleihen, Offenlegungsstandards für Unternehmen und Strategien zur Transformation des Finanzsektors.
Trotz dieser regulatorischen Fortschritte bleiben strukturelle Herausforderungen bestehen. Ein Großteil der grünen Finanzströme fließt weiterhin in großangelegte Infrastrukturprojekte, während kleinräumige, gemeindenahe Initiativen kaum profitieren. Auch die Einbindung der Öffentlichkeit sowie die ökologischen und sozialen Standards und ihre Umsetzung sind weiterhin uneinheitlich.
Fragen wirft zudem der Zusammenhang zwischen Chinas grüner Finanzpolitik und seinen Investitionen im Ausland auf. Im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI) unterstützt China weiterhin große Energieprojekte weltweit – sowohl im Bereich der erneuerbaren als auch fossiler Energien. Zwar hat Peking angekündigt, den Bau neuer Kohlekraftwerke im Ausland zu beenden, doch fehlt es vielfach an verbindlichen Umsetzungsmechanismen. Zudem beruht Chinas finanzielle Unterstützung zumeist auf Krediten. Dies stellt häufig eine Hürde dar und verlangsamt den notwendigen Fortschritt in der Klimafinanzierung. Zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere in Partnerländern der BRI, kritisieren oft unzureichende Transparenz, ökologische Risiken und fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Auch im Kontext multilateraler Banken wie AIIB gilt es an der Aufrechterhaltung und Umsetzung hoher Klimastandards zu arbeiten. Hier könnte besonders Deutschland zukünftig eine größere Rolle spielen.
Klimadialog zwischen China und der EU: Kooperationspotenziale und Glaubwürdigkeitsfragen
Vor dem Hintergrund geopolitischer Verschiebungen gewinnt das Verhältnis zwischen China und der EU in der Klimapolitik an Bedeutung. Beide Seiten haben Interesse an verstärkter Kooperation bekundet – etwa in den Bereichen Energiewende, grüne Technologien und faire Transformation. Der EU–China-Gipfel könnte hierfür wichtige Impulse setzen. Doch konkrete Fortschritte hängen von politischen Prioritäten und strategischer Ausrichtung ab.
Aus Sicht europäischer zivilgesellschaftlicher Akteure bleibt der Austausch mit China wichtig, aber herausfordernd. Während direkte Kooperationen mit chinesischen NGOs aufgrund gesetzlicher Einschränkungen schwieriger geworden sind, bestehen weiterhin Chancen für themenbezogene Zusammenarbeit – etwa bei Fragen lokaler Energiewende, Umweltrecht oder Bildungsarbeit. Regionale und kommunale Initiativen sowie wissenschaftliche Netzwerke können als Plattformen für Austausch dienen. Es mangelt jedoch an Förderung und politischer Unterstützung, um den Erhalt und den Ausbau dieser Sphäre zu sichern.
Es gilt auch zu bedenken: Wer glaubwürdig ambitionierte Ziele von anderen einfordert, muss sie selbst vertreten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ihre eigenen Emissionsziele konsequent verfolgen, etwa das angestrebte 2040-Ziel mit einer Reduktion von mindestens 90 %. Nur so kann die EU ihre Rolle als klimapolitischer Akteur gegenüber China überzeugend ausfüllen. Auch Deutschlands Klimapolitik durchlebt nach dem Regierungswechsel einen strukturellen Wandel: Weg vom Querschnittsthema hin zu einem dem anvisierten wirtschaftlichen Aufschwung untergeordneten Ziel. Hier könnte die chinesische Herangehensweise, die Energiewende und den Kampf gegen die verheerenden Folgen des Klimawandels in die wirtschaftlichen Planung zu integrieren, Gelegenheit für Austausch schaffen. Auch wenn Chinas aktuelle wirtschaftliche Lage, insbesondere die Überkapazitäten im Sektor der Erneuerbaren Energien, Grund zur Sorge bei den politischen Entscheidungsträger:innen darstellen.
Rolle der Zivilgesellschaft: Strategien trotz enger Spielräume
Innerhalb Chinas bleibt der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen begrenzt. NGOs agieren unter strengen regulatorischen Auflagen und müssen politische Sensibilitäten berücksichtigen. Dennoch gelingt es vielen Akteuren, durch Umweltbildung, Beratung von Entscheidungsträger:innen in wirtschaftlichen und politischen Aspekten der Klimakrise, Rechtsunterstützung oder kleinräumige Nachhaltigkeitsprojekte Wirkung zu erzielen. In den letzten Jahren wurden beispielsweise Energieaudits, Öffentlichkeitskampagnen und lokale Workshops organisiert.
Außerhalb Chinas übernehmen zivilgesellschaftliche Organisationen ansatzweise eine Rolle im Monitoring chinesischer Auslandsinvestitionen, in der Süd-Süd-Kooperation und in der Vermittlung von Perspektiven marginalisierter Gruppen. Durch Forschungskooperationen, Fallstudien-Dokumentationen und digitale Austauschformate helfen sie, gemeinsame Anliegen sichtbar zu machen und zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume zu erhalten und wo möglich zu erweitern.
Dabei ist zu beachten, dass viele der Herausforderungen – etwa schrumpfende Räume, Sicherheitsdiskurse oder eingeschränkter Zugang zu politischen Räumen – nicht nur auf China beschränkt sind. Gerade deshalb sind solidarische, transnationale Netzwerke innerhalb Asiens besonders wichtig für eine sozial gerechte Energiewende.
Im Kontext unseres Projektes zu Chinas globaler Rolle im Bereich des Klimawandels unterstützen wir die Ausbildung solcher Netzwerke. Im September finden in Bangkok, Thailand, die Climate Action Week sowie die Asia Pacific Adaptation Network Veranstaltungen statt. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure aus Asien und der Welt finden zu dieser Gelegenheit zusammen, um in offeneren Formaten auch über die nächste COP zu beraten und ihre Forderungen und Netzwerke zu stärken. Gemeinsam mit unseren Partnern aus China, Indonesien, Nepal, Europa u.a. werden wir uns fokussiert auf die Bereiche "Dezentrale Energiewende Optionen" und "Lokalisierung von Klimafinanzierung" für eine transnationale Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure in der Klimapolitik einsetzen.
Ausblick: Beobachtungspunkte für 2025 und darüber hinaus
Mehrere politische Prozesse werden die Marschrichtung der chinesischen Klimapolitik in den kommenden Monaten prägen:
- Die Vorlage eines neuen, national festgelegten Klimaziels (NDCs) im Jahr 2025
- Die Ausarbeitung des 15. Fünfjahresplans mit klimapolitischen Zielvorgaben bis 2030
- Die Weiterentwicklung des nationalen Emissionshandelssystems und grüner Finanzstandards
- Die Umsetzung konkreter Energieprojekte auf lokaler Ebene
- Internationale Konferenzen wie COP30 in Brasilien oder die G20-Treffen
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist es wichtig, diese Prozesse nicht nur hinsichtlich ihrer Ambition, sondern auch hinsichtlich Teilhabe, Transparenz und sozialer Auswirkungen zu bewerten. Chinas Rolle in der globalen Klimapolitik wächst – und damit auch die Notwendigkeit für differenzierte, gerechte und vernetzte Ansätze, um globale Ziele mit lokalem Wandel zu verbinden.