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Die deutsche China-Strategie: Eine zivilgesellschaftliche Perspektive

Das chinesische Strategiespiel Weiqi (围棋) – in Europa auch bekannt unter dem Namen Go – gehört zu den ältesten bekannten Brettspielen der Welt. Foto: Elena Popova @ Unsplash
Das chinesische Strategiespiel Weiqi (围棋) – in Europa auch bekannt unter dem Namen Go – gehört zu den ältesten bekannten Brettspielen der Welt. Foto: Elena Popova @ Unsplash

Zivilgesellschaftliche Kooperation kann unter den aktuellen Bedingungen nicht das Fundament deutsch-chinesischer Beziehungen sein. Die China-Strategie der Bundesrepublik entwirft ein Wunschbild, das verglichen mit der tatsächlichen Anzahl deutscher zivilgesellschaftlicher Projekte in China, unrealistisch wirkt. Es bedarf aber mehr Aufmerksamkeit und sofortiger Unterstützung aus der Politik, um die wenigen noch existierenden Kooperationen zu erhalten. Eine Analyse von Joanna Klabisch.

Teil 1:

Am 13. Juli 2023 präsentierte Außenministerin Annalena Baerbock gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Nils Schmid (SPD), Nicolas Zippelius (CDU/CSU) und der Rechtsanwältin Sabine Stricker-Kellerer (SSK Asia) in einer Diskussionsrunde, moderiert von Mikko Huotari (Merics) im Mercator Institute for China Studies, die deutsche China-Strategie. Fast zwei Jahre vergingen, ehe dieses 61-seitige Dokument der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Es ist das erste Papier dieser Art und ein Ergebnis zahlreicher interministerialer sowie parteiübergreifender Abstimmungsprozesse.

Aus Sicht einer deutschen Stiftung, die seit zwei Jahrzehnten dialogbasiert mit chinesischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Projekte durchführt, widmet die nachfolgende Artikelserie sich drei Aspekten der China-Strategie:

  • der Rolle der Zivilgesellschaft im Kontext der deutsch-chinesischen Beziehungen,
  • dem Rahmen zur Stärkung menschenrechtlicher Positionen, den das Dokument skizziert,
  • den zukünftigen deutsch-chinesischen Kooperationsräumen für zivilgesellschaftliche Themen.

In vier der sechs Kapitel der China-Strategie findet die Zivilgesellschaft Erwähnung. „Ein möglichst breiter Austausch der Zivilgesellschaften sollte das Fundament der bilateralen Beziehungen bilden“, heißt es bereits zu Beginn von Kapitel 1.3. Wie weit entfernt die Realität von dieser Vorstellung ist, erörtert der nachfolgende Artikel. 

 

Die deutsche China-Strategie

Im Einklang mit der offiziellen Strategie der EU wird die Volksrepublik China als Partner, Wettbewerber und Systemrivale betrachtet, wobei der Aspekt der Rivalität immer häufiger im Fokus der breiten Öffentlichkeit steht. Das Dokument enthält neben der offenen Wertschätzung der deutsch-chinesischen Beziehungen auch kritische Bemerkungen zu den zunehmend autokratischen Strukturen des Landes, Menschenrechtsverletzungen, Verstößen gegen die Regeln des wirtschaftlichen Wettbewerbs und seiner aggressiven Außenpolitik.

Dennoch betont die Strategie, dass China „unverzichtbarer Partner“ sei, um globalen Herausforderungen erfolgreich entgegenzutreten. Daher sollen weiterhin Räume der  Zusammenarbeit erhalten und neu erschlossen werden, während ein De-Coupling von Seiten der Bundesregierung abgelehnt wird. 

Die China-Strategie legt einen deutlichen Schwerpunkt auf wirtschaftliche Angelegenheiten. Das von EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellte Konzept des De-Risking zur Einschränkung von Abhängigkeiten dient als zentrale Leitlinie. Insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Forschung und Entwicklung sowie nationale Sicherheit werden bereits bestehende oder geplante Instrumente zur Umsetzung der Strategie identifiziert.

Die Rolle, die der Zivilgesellschaft im Kontext der China-Strategie zugeordnert wurde, überraschte einige deutsche Akteur:innen dieses Bereichs.

 

Hürden zivilgesellschaftlicher Kooperation

Wie positioniert sich die deutsche Politik in Bezug auf den zivilgesellschaftlichen Dialog mit China? Anhand des Strategiepapiers, wie auch der Erfahrungen des China-Programmes der Stiftung Asienhaus suchen wir nach einer Antwort auf diese Frage und vergleichen die Entwicklungen der letzten Jahre mit der Perspektive der deutschen Regierung.

Die China-Strategie unterstreicht, dass sich China verändert hat und repressiver nach innen und offensiver nach außen agiert. Insbesondere im zivilgesellschaftlichen Sektor werden diese Veränderungen sichtbar. In den letzten Jahren berichteten wir über rapide schrumpfende Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteure in China. Die sogenannten „roten Linien“, Abgrenzungen der Themen an denen nichtstaatliche Organisationen in China arbeiten dürfen, bewegen sich stetig und umfassen Bereiche wie Menschenrechte, Gendergerechtigkeit, ethnische Minoritäten, etc.. Dennoch existiert eine sehr diverse Akteurslandschaft von über 900.000 heute primär als „social organisations“ bezeichneten, offiziell registrierten chinesischen Organisationen.

Die Anzahl der in China tätigen deutschen zivilgesellschaftlichen Akteuren ist deutlich überschaubarer. Dies liegt an der Umsetzung des seit 2017 gültigen Gesetzes zur Regulierung ausländischer Nichtregierungsorganisationen in China (INGO-Gesetz). Die administrative Autorität über die ausländischen NGOs liegt nicht beim Ministerium für Zivile Angelegenheiten (Moca), unter dem der Großteil der chinesischen Nichtregierungsorganisationen registriert ist, sondern beim Ministerium für Innere Sicherheit. Nur wenige deutsche Organisationen waren bisher in der Lage ihre Arbeit unter den erschwerten rechtlichen Bedingungen in Chinas zivilgesellschaftlichem Sektor fortzusetzen oder neu aufzunehmen.

Die Strategie benennt den "breiten Austausch der Zivilgesellschaften" als Fundament der bilateralen Beziehungen (S. 11), eine begrüßenswerte Perspektive, in der Umsetzung ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Einerseits steht der administrative und finanzielle Aufwand der notwendigen Registrierung oft in keinem Verhältnis zu den Projekten, die umgesetzt werden können. Dies stellt für die Mehrheit der deutschen, insbesondere kleineren, weniger finanzkräftigen NGOs eine unüberwindbare Hürde dar. Andererseits entscheiden chinesische NGOs, die als Partner unverzichtbar sind, und die verantwortlichen Behörden aufgrund der angespannten politischen Lage sich immer häufiger dagegen, ausländischen NGOs Zugang in das Land zu ermöglichen. 

 

Deutsch-chinesische Zivilgesellschaftskooperation in Zahlen

Zwischen Januar 2017 und Juli 2022 erhielten 171 deutsch-chinesische Kooperationen die notwendige „Temporäre Genehmigung“, um Aktivitäten in China durchzuführen. Die größten Erfolge in der Beantragung solcher Genehmigungen erzielte das katholische Hilfswerk Misereor mit 98 Projekten, Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung und Brot für die Welt konnten 32 Projekte umsetzen, die restlichen 41 Projekte verteilen sich über eine Handvoll größere Privat- und Unternehmensstiftungen sowie Wirtschaftsverbände.

Insgesamt waren es somit nur 16 deutsche zivilgesellschaftliche Akteure, die diese 171 Kooperationsprojekte in China im Rahmen der Temporären Genehmigungen umsetzen durften. Hinzu kommen Organisationen, die ein Repräsentanzbüro in der Volksrepublik eröffneten, wie die Heinrich Böll Stiftung, die Konrad Adenauer Stiftung, Stiftung Mercator u.a. Insgesamt 32 solcher deutscher Repräsentanzen sind in der Volksrepublik registriert. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass auch Handelskammern und Branchenverbände unter das NGO-Gesetz fallen und daher die Mehrheit der registrierten Büros in China eigentlich wirtschaftsorientierte Branchenvertretungen sind.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass weniger als 50 deutsche zivilgesellschaftliche Organisationen innerhalb der von China geschaffenen legalen Rahmenbedingungen arbeiten können. Eine Statistik über die Anzahl derer, die an der Überwindung dieser Hürden scheiterten, ist uns nicht bekannt. Auch ist die Datenlage eine eher unsichere und schwer durchschaubare. Die Webseite des Ministeriums für Innere Sicherheit zeigt zum Beispiel Büroschließungen erst auf den tieferliegenden Datenebenen an. Auch begannen manche Akteure mit temporären Genehmigungen und eröffneten später Büros, was die genaue Aufschlüsselung ihrer Anzahl erschwert. Jedoch dürften sich eventuelle Abweichungen unserer Daten im einstelligen Bereich bewegen. Vergleicht man diese Zahlen mit denen der deutsch-chinesischen wirtschaftlichen Beziehungen, eröffnet sich eine andere Größenordnung: 2020 wurden 2.394 Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen in China registriert. Deutsche Unternehmen investierten 2022 11,5 Milliarden Euro in China.

Kooperative Projekte zwischen chinesischen und deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen außerhalb Chinas werden nicht registriert und fallen daher aus dieser Aufzählung heraus. Jedoch sind uns nur wenige solcher Projekte bekannt.

In der China-Strategie benennt die Regierung Städtepartnerschaften als Raum für zivilgesellschaftliches Engagement. Tatsächlich werden NGOs jedoch überaus selten in diese Form des Austausches miteinbezogen. Weder auf chinesischer noch auf deutscher Seite. Auch hier sind es eher unter Zivilgesellschaft eingeordnete wirtschaftliche Akteure, die diesen Eindruck vermitteln, zum Beispiel Wirtschaftsverbände die Fachkräfteaustausch fördern.

Das Potential des Deutsch-Chinesischen Dialogforums, welches in Kapitel 3.2 als einzige Plattform für zivilgesellschaftlichen Austausch Erwähnung findet, ist sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Eine Ausweitung auf ein breiteres Akteursspektrum ist hierfür notwendig.  

Weiter steht in Kapitel 3 des Dokumentes, dass die eingeschränkten Handlungsspielräume politischer Stiftungen in China der Bundesregierung bekannt sind und die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen angestrebt wird. Konkrete Pläne und Instrumente werden noch nicht benannt. Wir fragen uns, warum diese Bemühungen nur für politische Stiftungen und nicht für alle deutschen zivilgesellschaftlichen Akteure gelten.

 

Relevante China Kompetenz

Zuletzt findet die Zivilgesellschaft noch einmal Erwähnung in Kapitel 6 zum Thema China-Kompetenz. Sie solle ihre China-Kompetenz weiterentwickeln, als Ressource für unabhängige und diverse China Kompetenz wird sie nicht hervorgehoben. Eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Akteure kommen einem Bildungsauftrag im Themenbereich China nach. Die zivilgesellschaftliche Expertise ist besonders wichtig, um eine pluralistische Sicht auf das Land zu erhalten. Das Negativbild Chinas erlebte während der Corona Pandemie deutlich verstärkt. Dies wirkt sich auch auf Mitglieder der Diaspora in Deutschland aus. Anti-Asiatischer Rassismus ist inzwischen Teil ihrer Alltagserfahrung. Auch hier arbeiten NGOs und Initiativen gemeinsam daran, dehumanisierende Praktiken und rassistische Vorurteile abzubauen.

Die Relevanz zivilgesellschaftlicher Arbeit mit und zu China wird in der China-Strategie der Bundesregierung gewürdigt. Die Realität der Problematik ihrer Umsetzung scheint jedoch noch nicht sichtbar genug zu sein.

„Zivilgesellschaftlicher Austausch ist das Fundament, das unsere Beziehungen zu China breit und tragfähig macht.“ So steht es in der Einleitung der China-Strategie. Ein Fundament, das aus weniger als 50  Akteuren besteht, ist nicht ausreichend. Eine stärkere strategische Unterstützung seitens der deutschen Politik ist erforderlich, um die Kooperation mit reformaktiven Kräften wie z.B. Frauenrechtsorganisationen, Bildungsstiftungen, Umweltaktivist:innen etc. in der chinesischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten, globale Herausforderungen anzugehen und das Fundament zu bilden, das die China-Strategie skizziert.

 

Die Autorin

Joanna Klabisch ist seit 2016 im China-Programm der Stiftung Asienhaus tätig. Sie studierte Ostasienwissenschaft mit China-Fokus sowie Interkulturelle Kommunikation an der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg, Nankai Universität in Tianjin und der Shifan Universität in Taipei. Der Schwerpunkt ihrer Studien lag auf dem Engagement von Nichtregierungsorganisationen. 2013 war sie für die giz in Peking tätig und arbeitete im Public Policy Dialogue Fund zu Inklusion und Migration von Wanderarbeiter*innen. Ihr Arbeitschwerpunkt liegt auf zivilgesellschaftlichen Entwicklungen, Gender und Umweltschutz in China.

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