Unter dem Titel „Die Hälfte des Himmels stützen oder an die gläserne Decke stoßen?“ fand im Rahmen des China-Tags in Köln ein durch das China-Programm der Stiftung Asienhaus mitkonzipiertes und durch Joanna Klabisch moderiertes Diskussionspanel statt. Die Veranstaltung beleuchtete die Fortschritte, Hindernisse und multiplen binationalen Perspektiven im Streben nach Geschlechtergleichstellung im Beruf. Drei renommierte Expertinnen – Dr. Sisi Sung, Dr. Xinping Li und Julia Pedersen – brachten ihre Erfahrungen und Analysen ein, um die Situation aus wissenschaftlicher, kommunalpolitischer und praktischer Perspektive zu beleuchten, Handlungsoptionen zu reflektieren, und eruieren wie internationale Kooperationen, etwa durch Städtepartnerschaften, Räume für Austausch und Begegnung schaffen können .
China wird in deutschen Medien im Kontext von Klimapolitik, Globalstrategien oder Wirtschaft regelmäßig diskutiert, während dagegen die Lebensrealitäten der über 700 Millionen Frauen des Landes nur wenig Beachtung finden. Wer weiß schon, dass zwei Drittel der Millionärinnen weltweit Chinesinnen sind? Oder dass sieben der zehn Frauen, die vom amerikanischen CEO Magazine als wirtschaftlich erfolgreichste Selfmade Women der Welt gekürt wurden, aus China stammen? China hat in der Geschlechtergleichstellung enorme Fortschritte gemacht, vor allem im Zugang zu höherer Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarktbeteiligung. Dennoch bleiben Hindernisse wie der Gender-Pay-Gap oder die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen zentrale Herausforderungen, sowohl in China, als auch in Deutschland.
In Krisensituationen zeigt sich, dass Frauen von den negativen Auswirkungen stärker betroffen sind als Männer. Ob die COVID-19-Pandemie, globale Wirtschaftskrisen oder aber die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft: Die erzielten Fortschritte sind fragil, und die Gleichstellung bleibt ein globales Ziel, das noch lange nicht erreicht ist.
Der Wunsch nach einer modernen, gleichberechtigten Rolle der Frau ist in beiden Ländern verbreitet. Die in China jedem bekannte Metapher von Frauen, die „die Hälfte des Himmels stützen“, steht dabei sinnbildlich für ihr Potenzial – aber auch für die ungleiche Verteilung der Lasten. Gleichzeitig bleibt die „gläserne Decke“, die den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen, über das Middle Management hinaus, massiv reduziert, ebenso real wie der „klebrige Boden“, der viele Frauen an traditionelle Rollenbilder gebunden hält.
Fortschritte: Bildung und Unternehmertum
Das BIP Chinas stieg von nur 367,9 Milliarden Yuan (rund 47 Milliarden EUR) im Jahr 1978 auf 126,06 Billionen Yuan (rund 16,2 Billionen EUR) im Jahr 2023, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von rund 9 %. Dieser Wirtschaftsboom hat den Lebensstandard verbessert und unzählige neue Möglichkeiten geschaffen - auch für Frauen, die in vielen Bereichen bemerkenswerte Fortschritte gemacht haben. Dr. Sisi Sung, Autorin des Buches „Economics of Gender in China“, betonte die beeindruckenden Errungenschaften chinesischer Frauen in den von rapiden Veränderungen geprägten letzten Jahrzehnte:
- Bildungserfolge: Frauen stellen inzwischen mehr als 50 % der Universitätsstudierenden in China, was ihnen den Zugang zu professionellen und technischen Berufen erleichtert. Des Weiteren erlangen mehr Frauen als Männer in China die Doktorwürde.
- Hohe Erwerbsbeteiligung: Mit einer Frauenerwerbsquote von 60 % (Männer 72%) liegt China weiterhin über dem globalen Durchschnitt, auch wenn die Zahlen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten rückläufig sind.
- Führend im Unternehmertum: Über 55 % der neuen Unternehmer in der digitalen Wirtschaft sind Frauen, und China hat weltweit die höchste Anzahl an Selfmade-Milliardärinnen.
Hindernisse: Die gläserne Decke und strukturelle Barrieren
Obwohl Frauen in Bildung und Erwerbsleben erfolgreich sind, stoßen sie weiterhin auf massive Hindernisse, wenn es um die höchsten Führungspositionen oder politische Repräsentation geht. Dr. Xinping Li, stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte am Max-Planck-Institut (MPI), schilderte ihre persönlichen und beruflichen Erfahrungen:
- Karriereleiter mit Brüchen: Obwohl 55 % der Promovierenden am MPI Frauen sind, sinkt ihr Anteil auf Teamleitungsebene auf 33 %, und nur 27 % der Direktor*innenstellen sind weiblich besetzt. Dr. Sung ergänzt, dass nur 16 % der Sitze in den Aufsichtsräten chinesischer Unternehmen mit Frauen besetzt sind, und noch weitaus weniger es in inhaltliche oder kaufmännische Geschäftsführungspositionen schaffen.
- Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Dr. Li berichtete von den Herausforderungen, denen sie als Mutter während ihrer Promotion begegnete. In China bieten Institutionen und Unternehmen durch Kinderbetreuung in der Nähe der Arbeitsstätte Unterstützung, was in Deutschland häufig fehlt.
- Elternzeit und Arbeitskultur: In Deutschland nehmen Frauen durchschnittlich 12 Monate Elternzeit, Männer hingegen nur 3 Monate. In China besteht kein Anspruch auf Elternzeit für Männer, was die Belastung für Frauen erhöht. Diese Doppelbelastung behindert Karrieren und erschwert den Aufstieg in Führungspositionen.
Geschlechterrollen und kulturelle Erwartungen
Dr. Sung wies darauf hin, dass kulturelle Stereotypen eine zentrale Rolle spielen. In China werde die Familie (chin.:家 jia) traditionell auch als wirtschaftliche Einheit betrachtet, was die Geschlechterrollen stark prägt. Frauen gelten weiterhin als Hauptversorgerinnen und Haushaltsmanagerinnen. Dennoch sollen sie die Freiheit einer beruflichen Erfüllung und häufig auch die wirtschaftliche Notwendigkeit zweier Gehälter zusätzlich realisieren können. Diese Erwartungen führen zu einer „Doppelbelastung“, die ihre Zeit und Energie auf allen Ebenen einschränkt.
Julia Pedersen, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Köln, einerseits verantwortlich für die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes unter den über 22.000 Angestellten der Stadt Köln, andererseits aber auch mit zahlreichen Bildungsprojekten und Maßnahmen zu Verbesserung der Situation der Frauen in ganz Köln betraut, ergänzte, dass ähnliche Dynamiken in Deutschland zu beobachten seien. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, was sich negativ auf Einkommen und Karrierechancen auswirkt. Bis zu 60% langfristiger Gehaltsverlust ist bei Müttern im Vergleich zu Vätern zu beobachten. Gleichzeitig werde der private Bereich – wie häusliche Gewalt oder die ungleiche Verteilung von Betreuungsarbeit – in internationalen Studien wie dem Global Gender Gap Report, der Deutschland ein höheres Ranking zusichert und Fortschritt aufzeigt, oft nicht berücksichtigt.
Sektorspezifische Unterschiede
Die Herausforderungen für Frauen unterscheiden sich stark je nach Sektor, wie Dr. Sung und Dr. Li aufzeigten:
- Forschung und Entwicklung: In China sind nur 26 % der Beschäftigten im Bereich Forschung und Entwicklung weiblich, mit einem höheren Anteil in Unternehmen (44 %) und einem niedrigeren in Forschungseinrichtungen (9 %).
- Technologie und Finanzen: Frauen stoßen in männerdominierten Branchen auf besondere Hürden, darunter weniger integrative Unternehmenskulturen.
- Bildungs- und Gesundheitswesen: Frauen sind in diesen Sektoren besser vertreten, verdienen jedoch oft weniger und auch ihre Aufstiegschancen zu den höchsten Entscheidungsträgerpositionen wachsen nur marginal im Vergleich zu anderen Sektoren.
- Staatliche Unternehmen und private Wirtschaftsunternehmen: Staatsunternehmen spiegeln Parteistrukturen in China, private Unternehmen werden häufig durch familiäre Strukturen geprägt. Quoten für die Beteiligung von Frauen finden sich häufiger in den ersteren wieder. Obgleich besonders Führungspositionen in den traditionell eher weiblich gelesenen Bereichen wie Personalwesen diese Quoten erfüllen.
Globaler Kontext und wirtschaftliche Auswirkungen
Die Diskutantinnen betonten, dass viele der Herausforderungen für Frauen in der Arbeitswelt nicht auf China oder Deutschland beschränkt sind. Dr. Sung verwies auf globale Daten:
- Der Frauenanteil in Führungspositionen liegt weltweit bei nur 32 %.
- Während der COVID-19-Pandemie erlitten Frauen in China Einkommensverluste zwischen 22 % und 81 %, was ihre besondere wirtschaftliche Verwundbarkeit zeigt.
Julia Pedersen führte aktuelle Zahlen aus dem Global Gender Gap Report an, wonach Deutschland auf Platz 7 und China auf Platz 107 rangiert. Dass diese Daten oft keine umfassende Perspektive auf die private Situation von Frauen bieten, sei jedoch stets zu bedenken. Der gesellschaftliche Druck, der auf Frauen lastet, Familien zu gründen, die Care-Arbeit, ob für Kinder oder Eltern, zu verrichten und längere Karriereauszeiten in Kauf zu nehmen, spiegelt sich nicht sichtbar in diesen Rankings wieder.
Empfehlungen: Gesellschaftspolitischer Wandel
Die Panelistinnen formulierten konkrete Handlungsempfehlungen, um die Gleichstellung in beiden Ländern voranzutreiben:
- Flexibilisierung der Arbeitswelt: Teilzeitmodelle sollten auch in den höchsten Führungspositionen möglich sein, um Frauen den Zugang zu erleichtern.
- Unterstützungsstrukturen: Arbeitgeberinstitutionen sollten Kinderbetreuungsangebote ausbauen und Zugangshürden wie z.B. hohe Betreuungskosten abbauen, in China existieren schon viele Modelle dieser Art.
- Mentoring und Netzwerke: Frauen benötigen gezielte Unterstützung, um sich in männerdominierten Bereichen durchzusetzen. Solidarisierung und Allyship sollte stärker umgesetzt werden.
- Partizipation: Mehr Frauen müssen die Möglichkeit haben Strukturen von Grund auf mitzugestalten. Dies würde Verbesserungen hin zur Geschlechtergleichstellung rapide beschleunigen.
- Städtepartnerschaften: Der internationale Austausch – insbesondere über Städtepartnerschaften – kann dazu beitragen, innovative Ansätze für Geschlechtergleichstellung zu entwickeln und zu erproben.
Dr. Sung hob hervor, dass Umdenken in der breiten Gesellschaft institutionelle Verbesserungen und diese wiederum gesellschaftlichen Wandel mitbedingen. Beides ist notwendig, um traditionelle Geschlechterrollen aufzubrechen. Gleichzeitig könnten Maßnahmen wie Quotenregelungen, die in staatlichen Unternehmen Chinas bereits greifen, auch in Deutschland stärker Anwendung finden.
Schlussfolgerung: Gemeinsam für Gleichstellung eintreten
Die Diskussion zeigte, dass die Arbeitswelt von Frauen in China und Deutschland trotz signifikanter Fortschritte weiterhin von strukturellen und gesellschaftlichen Hindernissen geprägt ist. Ein zentraler Appell der Expertinnen lautete, mit China, statt über China zu sprechen und den Austausch zwischen den Ländern zu intensivieren.
Nur durch Zusammenarbeit und innovative Ansätze könne die gläserne Decke durchbrochen und Frauen dabei unterstützt werden, die Hälfte des Himmels - und mehr - zu tragen, wenn sie dies möchten.