Die Tempelanlagen von Angkor Wat sind ein touristischer Hotspot, der Menschen aus der ganzen Welt anzieht. Während vor der COVID-19-Pandemie jährlich 2 Millionen Besucher:innen die Tempel besichtigten, hat die kambodschanische Regierung nun Pläne, diese Zahl in den kommenden Jahren zu verdreifachen.
Doch neben den Tourist:innen, die mit dem Tuk Tuk von Tempel zu Tempel gefahren werden und meist in der nahegelegenen Stadt Siem Reap wohnen, war der Park von Angkor lange Zeit das Zuhause für Hunderte von Familien. Jetzt erinnern die Ruinen ihrer zerstörten Häuser an sie. Viele von ihnen mussten Angkor verlassen, damit das Weltkulturerbe geschützt bleibe. So begründet es die kambodschanische Regierung.
Angkor Wat: Die Seele Kambodschas
Der Tempelkomplex von Angkor im Nordwesten Kambodschas zeugt von den Überresten des Khmer-Reiches. Auf einem Gebiet von über 400 Quadratkilometern erstrecken sich zahlreiche Tempel und Wasseranlagen. Diese Tempel sind das Wahrzeichen Kambodschas und eng verbunden mit der kulturellen Identität des Landes.
1992 erklärte die UNESCO den archäologischen Park von Angkor einschließlich seiner Bevölkerung und seiner Wälder zum Weltkulturerbe. Denn Angkor ist nicht nur eine einzigartige Tempelanlage, sondern auch die Heimat von mehr als hunderttausend Menschen, die zum Teil seit mehreren Generationen das Land bewohnen und sich als die „Hüter von Angkor“ bezeichnen. Damals setzte die UNESCO Angkor auf die Liste der gefährdeten Kulturerbe und legte Auflagen fest, um den Schutz der Stätte zu gewährleisten. Denn die wachsende Bevölkerung auf dem Gelände und die täglichen Touristenmassen stellen eine Gefahr für den Erhalt der Anlagen dar.
Aus diesem Grund wurden damals 112 Dörfer identifiziert, deren Bewohner:innen schon seit mehreren Generationen vor Ort lebten und deren Lebensstil und traditionelle Landwirtschaft genauso zu Angkor gehören wie die Tempelanlagen selbst. Sie erhielten das Recht, im geschützten Park von Angkor zu wohnen und zu leben. Mitte der 1990er Jahre begannen jedoch immer mehr Menschen sich neu in dem Gebiet anzusiedeln und Konstruktionen mit mangelnder Sanitärversorgung zu errichten. Die Behörde APSARA, welche für den Schutz der Stätte und die Verwaltung der Region zuständig ist, spricht in ihren jüngsten Berichten von „illegalen Besetzer:innen“, „anarchischen Aktivitäten“ und betont die Zerstörung der Umwelt durch diese Menschen sowie die daraus resultierende Bedrohung für die kulturelle Identität des Landes.
Beginn der Zwangsräumungen unter zweifelhaften Umständen
Als die UNESCO 2017 von dem problematischen Bevölkerungswachstum in Angkor Wat erfuhr, erinnerte sie die Regierung Kambodschas an ihre Verpflichtungen. Daraufhin begann die Regierung mit der Zerstörung von Häusern und der Ausarbeitung von Plänen für die Umsiedlung der lokalen Bevölkerung. Das Problem dabei? Niemand war in der Lage, die geschützten Dörfer zu benennen, die als Teil des Weltkulturerbes bewahrt werden sollten. Die APSARA konnte keine Liste vorlegen, die die 112 geschützten Dörfer benennt. Bis heute ist nicht klar, wer das Recht hat zu bleiben und wer erst in den letzten Jahren neu zugezogen ist.
Es dauerte bis 2022, bis die Umsiedlungen in die Tat umgesetzt wurden. Vor drei Jahren begannen Beamt:innen der APSARA mithilfe systematischer Einschüchterungstaktiken wie der Zerstörung von Wohnhäusern oder der Androhung von Überflutungen und Haftstrafen, die Menschen zum Gehen zu bewegen. Eine Vertriebene erzählt: „Wir verstehen nicht, warum wir gehen müssen. Aber wir wissen, dass wenn wir unsere Heimat nicht verlassen, nichts bekommen werden. Wir hatten Angst vor Zerstörung, also suchten wir nach Frieden“. Die APSARA hat diesen Prozess als „freiwillige Relokalisierung“ bezeichnet. Doch niemand verlässt freiwillig sein Zuhause. Vor allem nicht ohne eine gute Alternative. „Nur, weil wir gehen, heißt das nicht, dass wir wegziehen wollten. Aber wir können nichts dagegen tun. Es ist sehr schwer, sich jetzt ein neues Leben aufzubauen“.
Ein neues „Zuhause“ in Run Ta Ek
Als alternativen Wohnort wählte die kambodschanische Regierung das 25 Kilometer entfernte Gebiet Run Ta Ek und ein zweites noch größeres Gebiet namens Peak Sneg aus. Bäuer:innen aus den umliegenden Dörfern hatten Run Ta Ek zuvor für den Anbau von Maniok und Brandrodungsfeldbau genutzt. Doch die kambodschanische Regierung enteignete auch sie, um Platz für die ehemaligen Bewohner:innen von Angkor zu schaffen. Aus ihren Feldern stampfte sie das „Eco-Village Run Ta Ek“ aus dem Boden. Der Begriff „Eco-Village“ bezeichnet eigentlich Gemeinschaften, die ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig sind. Doch bei Run Ta Ek handelt es sich um brachliegendes kaum bewaldetes Land, das nicht vor Regen, Wind und Sonne geschützt ist und die Grundversorgung der Bewohner:innen nicht gewährleisten kann.
Als die ersten Menschen nach Run Ta Ek umgesiedelt wurden, war kaum Infrastruktur vorhanden. Die Schule, das Gesundheitszentrum und die Straßen waren noch nicht fertiggestellt und viele Familien mussten lange auf einen Wasser- und Stromanschluss warten. Nach Angaben von APSARA haben dort nur 20% der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser. Darüber hinaus erwartet die Regierung, dass die Bevölkerung ihre Häuser selbst baut und stellt pro Familie lediglich 30 Metallplatten zur Verfügung, die instabil sind, nicht für den Hausbau ausreichen und sich in der täglichen Hitze aufheizen. Viele der relokalisierten Bewohner:innen müssen deswegen zusätzlich hohe Kredite aufnehmen, um Materialien für den Hausbau zu erwerben.
Mit der Umsiedlung verloren die Menschen nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre Existenzgrundlage und leben jetzt unter prekären Bedingungen. Viele lebten vom Reisanbau oder von der Viehzucht, andere bewirtschafteten kleine Restaurants oder verkauften Souvenirs im Park von Angkor. Während die meisten Bäuer:innen ihre Reisfelder und Büffel zu Spottpreisen unter anderem an die Regierung verkaufen mussten und nun nicht mehr von ihrem Land leben können, bedeutet die Entfernung zu Angkor auch für die Gastronom:innen und Verkäufer:innen, dass sich ihr Geschäft nicht mehr lohnt. Gleichzeitig gibt es vor Ort in Run Ta Ek kaum Arbeit.
Die rechtliche Lage ist eindeutig
Internationale Konventionen, wie zum Beispiel das Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IESCR) denen sich auch Kambodscha verpflichtet hat, legen eigentlich Standards fest, denen die im Rahmen einer Umsiedlung zur Verfügung gestellten Orte entsprechen müssen. Auch die kambodschanische Verfassung schreibt eine angemessene Kompensation bei Umsiedlungen vor. Darüber hinaus hat sich die kambodschanische Regierung im Rahmen der UNESCO-Konvention dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit über potenzielle Gefahren für das Kulturerbe und ihre Aktivitäten vor Ort aufzuklären sowie die Menschenrechte einzuhalten. Die Durchführung von Zwangsumsiedlungen unter unwürdigen Bedingungen, ohne finanziellen Ausgleich und angemessene Aufklärung stellt hingegen eine gravierende Menschenrechtsverletzung dar.
Kulturerbe um jeden Preis?
Im November 2023 machte Amnesty International in einem umfassenden Bericht auf das Vorgehen der kambodschanischen Regierung und die zahlreichen Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte aufmerksam. Die mangelhafte Vorbereitung von Run Ta Ek als neue Siedlung zwang viele Familien in prekäre Verhältnisse und verletzte ihre Rechte auf angemessenen Wohnraum, medizinische Versorgung und Schutz vor Arbeitslosigkeit. Die Organisation rief die UNESCO zur Verteidigung der Menschenrechte, zu unabhängigen Untersuchungen und zur Ausarbeitung eines angemessenen Umsiedlungsplans auf. Doch eine entschiedene Reaktion auf die Offenlegung dieser dramatischen Lage blieb aus.
Und die UNESCO?
Die UNESCO steht in dieser Auseinandersetzung zwischen kambodschanischen Institutionen und den Menschenrechtsorganisationen. Sie war es, die Angkor bereits 1992 aufgrund der dort lebenden Bevölkerung als gefährdet einstufte, sie forderte 2017 Reaktionen auf die Berichte über illegale Bewohner:innen und Strukturen. 2022 rechtfertigte der damalige Premierminister Hun Sen die Umsiedlungen mit „dem Druck der UNESCO, die Stätte zu schützen.“
Eigentlich hat sich die UNESCO als Organisation der Vereinten Nationen dem Schutz der Menschenrechte verschrieben und stellt diese „in den Mittelpunkt all ihrer Programme“. Doch ihre Reaktion auf den Bericht von Amnesty fiel überraschend zurückhaltend aus. Sie distanzierte sich von den Vorwürfen, Umsiedlungen vorgeschlagen zu haben und forderte die kambodschanische Regierung dazu auf, zu den Anschuldigungen Stellung zu nehmen. In dem darauf von der kambodschanischen Regierung verfassten Bericht, welcher nur auf Französisch vorliegt, erklärt sie, wer umgesiedelt wurde. Es heißt, dass nur die „illegale Bevölkerung“ von den Umsiedlungen betroffen sei und dass die 112 Dörfer unter dem Schutz des Weltkulturerbes bleiben dürften. Bis heute kann die APSARA jedoch keine Liste mit den Namen dieser Dörfer, geschweige denn Personen vorlegen. Das scheint die UNESCO allerdings nicht zu stören.
Auf ihrer 47. Jahrestagung hat sich die UNESCO im Juli 2025 zwei Wochen lang mit der Instandhaltung zahlreicher Weltkulturerbestätten beschäftigt – auch mit Angkor Wat. Basierend auf einer fünftägigen Monitoring-Mission im Dezember 2024 und einem bislang öffentlich nicht zugänglichen Bericht der kambodschanischen Regierung stellt die UNESCO einen zufriedenstellenden Umgang mit der Tempelanlage fest und sieht die Umsiedlungen nach Run Ta Ek im Einklang mit Menschenrechten und kambodschanischem Recht. Darüber hinaus empfiehlt sie freiwillige Umsiedlungen und stellt sich hinter die APSARA-Behörde, welche die Umsiedlungen und Drohungen durchführte. Zum Schluss fordert die UNESCO die Regierung auf, die Lebensbedingungen vor Ort weiterhin zu verbessern, die Menschenrechte einzuhalten und neue Siedlungen zu vermeiden. Es scheint, als sei die UNESCO nach zwei Jahren des Zögerns nun allzu voreilig, alle Bedenken unter den Tisch zu kehren und zum Status quo zurückzukehren. Doch neue Erkenntnisse oder ein klarer Kurswechsel bleiben aus. Und so bleibt die Unterstützung für die betroffene Bevölkerung nur ein leeres Versprechen.
Hier finden sie den Bericht von Amnesty International und eine Dokumentation von AlJazeera zu den Vertreibungen.
Bildnachweise: Foto 1, 4 und 5: Andrzej Rybak/Amnesty International. Wir bedanken uns für die Erlaubnis der Nutzung der Bilder. Foto 2 und 3: Imina Hecht, Foto 6: Anna Armstrong, Flickr unter CC BY-NC 2.0
Autorin: Imina Hecht studiert derzeit Kultur und Wirtschaft mit einem Schwerpunkt auf Südostasien. Sie hat von 2019 bis 2020 in Siem Reap bei Salvation Centre Cambodia einen Freiwilligendienst gemacht. Von Februar bis April 2025 war sie Praktikantin in der Stiftung Asienhaus. Für diesen Artikel sprach sie auch mit ihren Bekannten, die in der Nähe von Angkor Wat leben.