Repression und Widerstand
Die Junta kündigte Anfang Juni an, Todesurteile vollstrecken zu wollen. Betroffen sind Phyo Zeya Thaw, Politiker und ehemaliger Rapper, und Kyaw Min Yu, der in den Studentenprotesten 1988 als Ko Jimmy bekannt wurde. Gleichzeitig kündigte die Junta an, auch Hla Myo Aung und Aung Thura Zaw hinrichten zu wollen. Falls diese Urteile vollzogen werden, wäre dies die erste gerichtliche Hinrichtung politischer Dissidenten in Myanmar seit annähernd 50 Jahren. Diese Ankündigung rief internationalen Widerstand hervor und war auch in Deutschland in den Nachrichten. So berichteten beispielsweiße die taz und der Spiegel über die Pläne der Junta.
Auch rund um Aung San Suu Kyi kam es zu neuen Entwicklungen: Am 12.06.2022 wurden zwölf politische Gefangene in Einzelhaft verlegt, da sie zu ihrem Geburtstag Proteste in den Gefängnissen organisieren wollten. Während die Öffentlichkeit weiterhin vom Prozess gegen die ehemalige Regierungschefin ausgeschlossen ist, berichtete AP, dass ihre Anwält:innen einen Geburtstagskuchen ins Gericht brachten. Zu Aung San Suu Kyis Geburtstag kam es darüber hinaus wieder verstärkt zu Protesten. Im Obo Gefängnis wurden über 100 politische Gefangene in ein Lagerhaus eingesperrt, um eine symbolische Feier zu unterdrücken. Zuletzt wurde am 23.06. verkündet, dass Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest in ein Gefängnis in der Hauptstadt gebracht wurde. Dort befindet sie sich in Einzelhaft.
Auch die Gefechte verschärfen sich weiter. In der ersten Juniwoche 2022 mehrten sich Berichte, dass das Militär Ende Mai seinen Feldzug gegen die Bewohner:innen der Region Sagaing fortgesetzt hatte. Erneut wurden eine große Menge an zivilen Gebäuden unter Beschuss genommen und in Brand gesteckt. In Deutschland schrieben hierzu die taz und die Zeit. Am 07.06.2022 berichtete The Diplomat über neue Spannungen zwischen der Junta und der Arakan Army (AA). Dabei betonen sie einerseits die Bedeutung eines möglichen Einstiegs der AA in den bewaffneten Widerstand, beschreiben aber andererseits die Bedrohung, die durch die erneute Gewalt für die Bewohner:innen des Rakhine-Staats entsteht. Nachdem es zu einigen Kampfhandlungen kam, nahm die AA in der zweiten Junihälfte mehrere Dutzend Personen fest, denen sie vorwarf als Spitzel für die Junta zu agieren. Am letzten Wochenende des Juni 2022 wurden nach Aussage der Karen National Union (KNU) über 10.000 Menschen aus ihren Wohnorten vertrieben, als das Militär diese unter Artilleriebeschuss nahm.
Ein wichtiges Thema in der Berichterstattung über den Widerstand war der Versuch des Aufbaus alternativer Bildungssysteme. Die militärische Vereinnahmung der Bildungsstätten, die Gewalt und die Vertreibungen haben dafür gesorgt, dass viele Kinder in Myanmar aktuell keinen Zugang zum Bildungssystem haben. Dies versucht die NUG, gemeinsam mit Partner:innen, durch alternative Bildungsangebote abzumildern. Myanmar Now erklärt, weshalb Tausende Soldat:innen fahnenflüchtig geworden sind, aber dennoch so viele im Militär verfangen bleiben. Und schließlich veröffentlichte The Irrawaddy ein Interview mit Khun Be Du, einem Anführer der Karenni Nationalities Defense Force (KNDF). Er beschreibt seine Doppelrolle in der KNDF und NUG, die aktuelle Situation des Widerstands, die Rolle von Frauen in der Revolution und das Verhältnis der Karenni zu staatlichen Institutionen vor und nach dem Putsch.
Außenpolitik
Am 17.06. schrieb The Irrawaddy, dass der im April begonnene Prozess, in dem die Regierung des indischen Staats Mizoram temporäre Ausweise an Geflüchtete aus Myanmar verteilt, fortschreitet. Die Regionalregierung, geführt durch die Mizo National Front, setzte sich damit über die Weisung der Zentralregierung hinweg und versucht den Geflüchteten etwas Sicherheit zu geben. In der letzten Juniwoche kam es aber sowohl in Mizoram, wie auch in Manipur, zur Durchsuchung von Flüchtlingslagern durch Sicherheitsorgane. In Mizoram gibt die zentral geführte National Investigative Agency dabei an, gegen mögliche Unterstützung für Rebellengruppen in Myanmar und Indien vorgehen zu wollen. In Manipur ist es die regionale Polizei, die Hausdurchsuchungen durchführte, um aus Myanmar geflohene Menschen festzunehmen. Zivilgesellschaftliche Organisationen forderten die Regierung Manipurs auf, dem Beispiel Mizorams zu folgen und die Geflüchteten zu schützen.
Human Rights Watch forderte die thailändische Regierung auf, den geflüchteten Rohingya den Zugang zum Asylsystem zu gewähren. Der Aufruf erfolgte am 07.06. Dies war auch der zweite Tag des Besuchs des Polizeichefs der Junta in Thailand. Er sollte auf dieser Reise für eine stärkere Unterstützung der thailändischen Regierung gegen bewaffnete Gruppen in der Grenzregion werben. Am 10.06.2022 reiste auch ein Repräsentant des amerikanischen Außenministeriums nach Thailand, wo er das Flüchtlingslager in Mae Sot besuchte und sich mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen austauschte.
Wie oben bereits beschrieben, rief die Ankündigung der Hinrichtungen internationalen Widerstand hervor. Dies ging so weit, dass Hun Sen, Kambodschas Premierminister und aktueller Vorsitzender der ASEAN, in einem offiziellen Schreiben versuchte die Junta davon abzubringen. Nachdem dies keinen Erfolg gezeigt hatte, wurde der Brief auch internationalen Medien zugespielt. Ende des Monats rief Prak Sokhonn, Kambodschas Außenminister und der ASEAN Sondergesandte für Myanmar, auch dazu auf, Aung San Suu Kyi aus der Einzelhaft und dem Gefängnis zu entlassen.
Auf der Webseite von Progressive Voice kann die englische Version des Berichts der NUG-Außenministerin über ihre Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika abgerufen werden. Nach ihrer Reise in die USA, besuchte Zin Mar Aung am 08.06 auch die schwedische Regierung. Dabei trat sie mit der schwedischen Außenministerin in einen Austausch.
Vom 15. bis zum 18.06.2022 besuchte die Regionaldirektorin für Asien und Pazifik des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Myanmar. Sie wollte im Rahmen dieses Besuchs sicherstellen, dass die Aktivitäten des Roten Kreuz in Myanmar wiederaufgenommen werden können. Die Junta scheint keine Einsicht gezeigt zu haben. Insbesondere eine Untersuchung der Situation in den Gefängnissen scheint den Militärs nicht genehm zu sein.
Wirtschaft
Das Vereinigte Königreich hat am 16.07. die Sanktionen gegen mit dem Militär assoziierte Betriebe ausgeweitet.
Reaktionen und Meinungen
Eine interessante Entwicklung ist die zunehmende Anzahl an Artikeln und Kommentaren, die über eine mögliche Niederlage des Militärs spekulieren. Zwischen dem 30.05. und dem 23.06. veröffentlichten mit der Asia Times, dem Center for Strategic and International Studies und der Financial Times drei relevante Publikationen innerhalb kurzer Zeit Beiträge über einen möglichen Zusammenbruch des Militärs.
Auch der Beitrag in War on the Rocks vom 23.06. geht in diese Richtung, fokussiert sich allerdings stärker auf die bestehenden technischen und logistischen Probleme. Aber der von zwei Mitgliedern des Wilson Centers geschriebene Artikel endet mit der Einschätzung, dass eine vereinte und besser bewaffnete Opposition diesen Konflikt gewinnen kann.
Noch am 31.05.2022 schrieb Robert Bociaga in The Diplomat über die Ziele der Ethnic Resistance Organisations (ERO), sowie ihre Chancen und Möglichkeiten in einem befreiten Myanmar. Er geht dabei auf die Spannungen sowohl innerhalb, wie auch zwischen den Organisationen ein und beschreibt die Hoffnungen auf einen tatsächlichen Föderalismus.
The Irrawaddy führte am 30.05.2022 ein Interview mit Bertil Lintner. Es geht um die Rolle der ERO, die Unterschiede zwischen Föderalismus und Konföderation und ob bisher überhaupt ein realistischer Friedensprozess stattgefunden hat.
Am 01.06.2022 rief das Special Advisory Council for Myanmar die internationale Gemeinschaft auf, die revolutionären Systeme zu unterstützen, die in Abwesenheit eines funktionsfähigen Staats seine Aufgaben übernommen haben. Die medizinische Versorgung, die schulische Bildung und die soziale Grundsicherung werden in weiten Teilen des Landes nicht durch die Regierung gewährleistet. In ihrem Aufruf fordern sie die Staatengemeinde auf, alternative Systeme zu fördern, die versuchen das Leid der Menschen zu lindern.
Eine ähnliche Stoßrichtung hat der Beitrag von Mizzima am 08.06.2022. Er behandelt die Probleme, die entstehen, wenn humanitäre Hilfe in Kooperation mit der Junta bereitgestellt wird. Sie argumentieren, dass die Verteilung der Güter einer Militärregierung zu überlassen, die sich im offenen Konflikt mit ihrer Bevölkerung befindet, der Junta nur eine weitere Waffe zur Verfügung stellt. Dies könne nur durch die Bereitstellung der Hilfe in enger Kooperation mit lokalen, vertrauenswürdigen Partnerorganisationen verhindert werden.
Frontier Myanmar ging am 09.06.2022 auf die Corona-Politik der Junta ein. Aufhänger des Artikels ist ein Kurzartikel von Militärärzten, der im wissenschaftlichen Journal Tropical Medicine and Health unkritisch die ‚zeitigen Eindämmungsmaßnahmen durch die Regierung‘ lobt, die zur Reduzierung der Übertragungen in der dritten Welle unerlässlich gewesen seien. Frontier Myanmar wirft der Junta vor Revisionismus zu betreiben und sich mit selbsterhobenen Zahlen über den Ernst der Lage hinwegzusetzen. Tropical Medicine and Health wird von BMC herausgegeben, die ein Teil von Springer Nature sind.
Die ASEAN Parlamentarians for Human Rights kündigten am 15.06.2022 eine internationale parlamentarische Untersuchung der internationalen Reaktionen auf den Putsch an. Sie begründen dies damit, dass internationale Organe und Nationalstaaten zwar eifrig verkündeten an der Seite der Bevölkerung Myanmars zu stehen und die Rückkehr zur Demokratie zu unterstützen, aber keine ausreichenden Schritte eingeleitet wurden, um diese Entwicklung zu unterstützen.
Berichte und Studien
Amnesty International haben einen neuen Bericht über Kriegsverbrechen und Vertreibungen im Osten Myanmars herausgegeben. Er zeigt umfassend und gut dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen, denen die Menschen ausgesetzt sind.
Wie oben angesprochen, kommt es auch im Rakhine-Staat immer mehr zu Spannungen zwischen der Tatmadaw und der AA. Am 01.06.2022 hat die International Crisis Group einen längeren Hintergrundbericht herausgegeben, der sich damit beschäftigt, wie ein Krieg in der Region vermieden werden kann.
Fortify Rights hat im Juni die Studie ‚Genocide by Attrition‘ veröffentlicht. In dieser beleuchten sie die Bedeutung von Ausweisdokumenten in Genoziden, wobei Ruanda und Myanmar untersucht werden.
Auf new mandala wurde im Laufe des Junis eine Auswahl von Texten veröffentlicht, die für die People’s Power and Resistance in Southeast Asia Roundtable auf der Konferenz des Kanadischen Konzils für Südostasienstudien geschrieben wurden. Van Tran und Megan Ryan beschäftigen sich in ihrem Text mit Formen der digitalen Aushandlung der Meinungshoheit in Myanmar nach dem Putsch. Dazu untersuchen sie diskursive Trends und klassifizieren die Themen, die im digitalen Raum Aufmerksamkeit bekamen.