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»Paraiso - Das verborgene Paradies«

Cover "Paraiso - Das verborgene Paradies" von Christoph Dehn
Cover "Paraiso - Das verborgene Paradies" von Christoph Dehn, Illustration von Joni Caparas

Der politische Roman »Paraiso - Das verborgene Paradies« von Christoph Dehn wirft ein Schlaglicht auf die dramatische Krise der philippinischen radikalen Linken nach der Marcos-Diktatur und ihre prägenden Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen bis in die Gegenwart.

Eine Rezension von Bernhard Hoeper

Vielleicht liegt es daran, mit welchem eigenen Hintergrund man »Paraiso - Das verborgene Paradies«, den Debütroman von Christoph Dehn, liest: als Beziehungsgeschichte einer verlorenen Jugendliebe, als politische Erinnerungskultur, als Versuch mit sich selbst im Alter zurückblickend ins Reine zu kommen, oder als Abschluss, um quälende Zweifel beiseitezulegen. Wer in der philippinischen Solidaritätsarbeit engagiert ist, wird sich hier und da auf der Reise wiederfinden, die wir mit Jan Grosz, dem Protagonisten des Buches, erleben, einem Roadmovie von den 1980er Jahren bis heute.

„Zwei Tote geistern nachts durch die Träume von Jan Grosz. Ein korrupter Bischof und die Chefin einer Entwicklungsorganisation kamen vor einem Vierteljahrhundert auf den Philippinen zu Tode. Jan hatte die Ereignisse in Bewegung gesetzt, bei denen sie ihr Leben verloren. Welche Schuld trägt er an ihrem Tod? Was haben die gestürzte Marcos-Diktatur und die Krise der linken Aufstandsbewegung mit den Todesfällen zu tun?“, so der Klappentext.

Jan bricht auf, über Internet unregelmäßig in Kontakt mit seiner Tochter Jule in Deutschland, die verstehen möchte was ihn antreibt. Die Kommunikation mit Jule mischt der Autor mit Informationen aus den Briefen seiner alten Vertrauten Diwa, Nachrichten per Telefon, Notizen und eigenen Erinnerungen, die dem historischen Zeitstrahl politischer Ereignisse gegenübergestellt und dann mit konkreten Orten, wie Manila, Cebu, Dumaguete und Davao verknüpft werden. Christoph Dehn nimmt uns mit seinen Beobachtungen mit auf seine Reise:

Manila. Keine Chance nachzudenken. Diese Stadt fordert mich ohne Erbarmen. Sie saugt mich auf und hält mich fest. In dem Moment, in dem ich das Flughafengebäude verlasse, schlägt die schwüle Hitze des frühen Abends mit ihrem schweren nassen Lappen nach mir. Ich drücke den Rücken durch und stemme mich der Schwüle entgegen. Wegducken hat keinen Sinn. Da ist er wieder, der Straßenlärm, die tausend Hupen, die blechernen Musikanlagen der Jeepneys, die Rufe der Dispatcher, immer wieder übertönt vom Dröhnen der startenden und landenden Maschinen. Und dann der Geruch, diese überwältigende Mischung aus Leben und Vergehen in dieser unglaublichen Stadt. (S. 7)

… und lässt uns geradezu intim an Jan Grosz teilhaben: „Die Erinnerungen drängen wieder an die Oberfläche. Wie Blasen aus einem gärenden Morast in lichtloser Tiefe steigen sie auf und drängen in meinen Kopf. Da platzen sie und stinken. Meine Erinnerungen. Bilder aus einer vergangenen Zeit.“ (S. 6)

Mit kurzen, fast dokumentarischen Sätzen skizziert Dehn das Milieu der 1990er Jahre, aus dem sich Jans weiteres Leben entwickelt hat.

Ob unsere Arbeit nur eine neue Form der neokolonialen Bevormundung sei, diese Frage beleuchteten wir immer wieder bis tief in die Nacht. Zwangen wir nicht unseren sogenannten Partnern unser eigenes Entwicklungsmodell auf, weil sie nur dafür von uns gefördert wurden. Wäre es nicht anständiger, statt von Entwicklungshilfe von Wiedergutmachung zu sprechen, unsere finanzielle Unterstützung von allen Bedingungen zu lösen und die Mittel zur freien Verfügung an unsere Partner zu geben. Reparationen für Jahrhunderte kolonialer und imperialistischer Ausbeutung der Dritten Welt. (S. 67/68)

Und dann ist da Paraiso, ein abgelegenes, einfaches Strandresort, zu dem hier nichts weiter verraten werden soll, außer dass es ein geschützter Ort mit Zeit für vertrauliche Begegnungen, Verabredungen, Reflexionen und Wiedertreffen, gemeinsames Essen und Trinken ist. Ob dort auch Geborgenheit zu finden ist, bleibt jedoch offen. Hier werden die Leser:innen in Dialoge und Rückblenden gezogen, die den politischen Teil der Geschichte, den politischen Teil des Romans und sein Anliegen zwischen zivilgesellschaftlichen Nichtregierungsorganisationen (NGO) und der New People‘s Army (NPA), dem bewaffneten Arm der kommunistischen Partei der Philippinen, ausmachen.

[Ben:] Du erinnerst dich an deine Jahre in den Philippinen. Nach der Erklärung des Kriegsrechts 1972 war ein guter Teil der radikalen Studenten in den Untergrund gegangen und hatte sich der NPA und der Partei angeschlossen. Viele andere wurden zu NGO-Gründern; in den späten 1970er und 80er Jahre schossen Organisationen wie Pilze aus dem Boden. Auf der kirchlichen Seite entstanden die Social Action Centers und radikalisierten sich. Viele dieser neuen Organisationen hatten nicht nur Sympathien für den bewaffneten Kampf der Partei. (S. 95)

Der historische Focus wird auf die sogenannten politischen Säuberungen innerhalb der Partei gelegt: [Kaloy:] „Und doch fand ich nach und nach die Puzzlestücke, die zusammen ein furchtbares Bild ergaben. Was ich im Camp-29 erlebt hatte war kein Einzelfall, kein schrecklicher Irrtum. Wie eine langsame, tödliche Flutwelle hatten sich die Säuberungen über die Philippinen ausgebreitet. Es hatte 1982 in Southern Tagalog begonnen. Über 30 Genossinnen und Genossen verloren dort ihr Leben. Am schlimmsten wüteten die Säuberungen in Mindanao, während das Zentralkomitee sein 10. Plenum in Manila abhielt. Bis Anfang 1986 kamen in der Kampanyang Ahos bis zu 1.000 Kader ums Leben. Es ist undenkbar, dass das Zentralkomitee nichts davon wusste. Und dennoch ging das Morden weiter. Takip Silim in Süd-Quezon, 30 Tote. Oplan Missing Link, 66 Tote. Olympia in Luzon, Leyte und Cebu zog sich noch bis 1989 hin, dann war endlich Schluss… Niemand weiß genau, wie viele Genossinnen und Genossen unter Verdacht gerieten, festgesetzt, gefoltert und nach erfundenen Geständnissen und Bezichtigungen erschlagen, erdrosselt, erstochen, erschossen wurden. Schätzungen gehen weit auseinander. Die Gräber wurden selten gesucht und seltener gefunden. Eine Aufarbeitung gab es nicht.“ (S. 192/193).

Das von Joni Caparas beeindruckend gestaltete Titelbild des Buches zeigt ein aus frischen, grünen Bananenblättern geformtes, gewickeltes Gewehr. Fragile Ironie der Vergänglichkeit, organische Erinnerungskultur, Verharmlosung des Untergrunds im Dschungel oder Revolutionsromantik? Der politische Roman von Christoph Dehn legt Finger in Wunden, lässt politisches Versagen anklingen:

[Diwa:] Es war eine dramatische Zeit. Die Bewegung hatte die People Power Revolution verschlafen. Marcos wurde gestürzt und vertrieben und wir schauten fassungslos zu. Was war passiert, wie konnte das geschehen? Auf einmal demonstrierten Hunderttausende, Millionen auf den Straßen von Manila, spontan, ohne die ordnende Hand der Partei? Wir waren so beschäftigt mit unserer Hexenjagd auf die DPAs [deep penetrating agent; eingeschleuster feindlicher Agent, Spion, Schläfer], aber der Wind hatte sich gedreht und wir hatten es nicht gemerkt. (S. 270)

Fazit: Ein spannendes Buch, mit viel Wärme, Sympathie und wacher Nachdenklichkeit. Auch über und zu sich selbst sowie der eigenen Verantwortlichkeit. Man hört das Rauschen des Meeres an der Küste von Paraiso. Ein aktuelles Buch mit historischer Perspektive, gerade auch nach den letzten Präsidentschaftswahlen 2022, die Ferdinand Marcos Jr., der Sohn des ehemaligen Diktator Ferdinand Marcos (1965-1986), gewann.

 

Eine Rezension von Bernhard Hoeper

 

»Paraiso - Das verborgene Paradies« ist 2021 bei AT Edition Münster erschienen und ist beim Verlag oder im deutschen Buchhandel unter der ISBN 978-3-89781-276-5 erhältlich.

Eine englische Fassung des Romans ist in Vorbereitung. Kontakt zum Autor: christoph(at)dehns.net

Christoph Dehn hat 35 Jahre für verschiedene Entwicklungsorganisationen gearbeitet, davon neun Jahre in den Philippinen und fünf in Vietnam.

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