Der vom Menschen verursachte Klimawandel gefährdet zweifellos Mensch und Umwelt auf der ganzen Welt. Auch das Mekong-Becken auf dem südostasiatischen Festland ist schwer vom Klimawandel betroffen. Dort stellt beispielsweise der Anstieg des Meeresspiegels eine ernsthafte Bedrohung für das Mekong-Delta in Vietnam dar.
Doch auch der Bau von Staudämmen am Hauptstrom des Mekong und seinen Nebenflüssen hat eine Reihe schwerwiegender negativer Auswirkungen auf die Natur und die lokale Bevölkerung.
Was ist schlimmer: Klimawandel oder Dämme?
Neulich fragte mich ein Journalist, was meiner Meinung nach negativere Auswirkungen auf das Mekong-Becken hat: der Klimawandel oder Wasserkraft-Staudämme. Die Frage überraschte mich. Erst im Juni 2022 hatte ich in der Provinz Stung Treng im Nordosten Kambodschas Forschungen am Mekong durchgeführt.
Diese Untersuchungen umfassten die Auswertung von hydrologischen Daten des Mekong aus fast 100 Jahren, Interviews mit einheimischen Fischer:innen und Feldbeobachtungen. Dabei gab es eindeutige Ergebnisse unterhalb der Mekongfälle, an der Grenze zwischen Laos und Kambodscha. Dort ist in den letzten 15 (oder mehr) Jahren der Wasserspiegel in der wasserärmsten und trockensten Zeit des Jahres, zwischen Februar und April, um einen bis 1,5 Meter gestiegen. Es ist unwahrscheinlich, dass der Klimawandel in absehbarer Zeit derartige Veränderungen verursachen wird.
Dies führt dazu, dass verschiedene spezielle Baumarten im Flussbett in großen Mengen absterben. Diese Bäume und Sträucher sind daran angepasst, viele Monate im Jahr unter Wasser zu stehen. Durch den Wasserstand, der während der Trockenzeit in der Regel deutlich sinkt, werden die Wurzeln dieser Bäume freigelegt. Damit können sie überleben und neue Setzlinge ansiedeln, deren Wurzeln sich um die Steine im Flussbett wickeln. In den letzten Trockenzeiten sind die Wasserstände jedoch nicht mehr in dem Maße zurückgegangen wie in der Vergangenheit, sodass diese Wälder das ganze Jahr über unter Wasser stehen. Das unterbricht ihren Lebenszyklus und führt zu ihrem Absterben.
Der Verlust dieser überschwemmten Wälder hat folgend weitreichende ökologische und soziale Auswirkungen. Dies schließt massive negative Folgen für eine Vielzahl von Vögeln, Fischen und anderen Wassertierarten, die auf diese Wälder als Nahrungs- und Lebensraum angewiesen sind, ein.
Staudämme beeinflussen massiv Flora und Fauna
Die Ursache für den dramatischen Anstieg der Wassermengen des Mekong in der Trockenzeit ist zweifellos der Bau großer Staudämme. Diese befinden sich unter anderem am Hauptfluss in China, aber auch an den Nebenflüssen des Mekong in Thailand und insbesondere in Laos. Die Dämme mit ihren großen Stauseen können während der Monsunzeit große Wassermengen auffangen und diese in der Trockenzeit zur Energiegewinnung wieder freisetzen.
Die großen Staudämme im Mekong-Becken haben somit zahlreiche gravierende Auswirkungen auf den Fluss. Erstens bedrohen die Dämme die Süßwasserfischerei im Mekong-Becken, die wichtigste Süßwasserfischerei der Welt, die die Ernährung und das Einkommen von mehreren zehn Millionen Menschen sichert. Zweitens gefährden die Dämme die reiche aquatische Artenvielfalt des Mekong-Beckens.
Der vom Menschen herbeigeführte Klimawandel verursacht auch im Mekong-Becken Umweltveränderungen, die langfristig zu schwerwiegenden negativen Auswirkungen führen dürften. Im Vergleich zu den dramatischen Veränderungen im Becken, die durch den Ausbau großer Staudämme in den letzten Jahren verursacht wurden, sind diese Veränderungen jedoch noch relativ bescheiden.
Über einen längeren Zeitraum hinweg ist jedoch zu erwarten, dass die Auswirkungen zunehmen und größer werden. Allerdings gibt es auch keinen Grund zu glauben, dass der Klimawandel jemals zu solch dramatischen hydrologischen Veränderungen führen wird, wie sie die Dämme im Mekong-Becken bisher verursacht haben. Wenn weitere Staudämme gebaut werden, könnte sich die Lage sogar noch verschlimmern. Um also auf die Frage des Journalisten zurückzukommen: Es besteht kein Zweifel daran, dass Staudämme für den Mekong viel schwerwiegendere Umweltauswirkungen haben als der vom Menschen verursachte Klimawandel.
Finanzsektor: Lukrative ‚erneuerbare‘ Energien
Ironischerweise hat jedoch die weltweite Besorgnis über den Klimawandel der Industrie für Wasserkraftwerke neuen Auftrieb gegeben. Sie ermöglichte den Entwickler:innen von Staudämmen und ihren Befürworter:innen in Regierungen und in der Privatwirtschaft, die von großen Staudämmen erzeugte Energie als ‚grüne‘ oder ‚erneuerbare‘ Energie zu definieren. Damit wird der Weg frei für internationale Finanzierungen. Dazu gehören auch europäische Banken, die einige der zerstörerischsten Wasserkraftwerke im Mekong-Becken unterstützt haben. Erschwerend kommt hinzu, dass der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung des Kyoto-Protokolls sogar dazu beigetragen hat, den Bau neuer großer und zerstörerischer Wasserkraftwerke in verschiedenen Teilen der Welt im Namen der Klimakrise zu fördern. Auch im Mekong-Becken. Verschiedene NGOs, allen voran International Rivers, haben versucht, das Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu schärfen, ohne jedoch genügend Aufmerksamkeit zu erhalten.
Die Zukunft des Baus von Staudämmen sah Anfang der 2000er Jahre düster aus, nachdem die von der Weltbank und der International Union for Conservation of Nature geförderte World Commision on Dams (WCD) ihren Abschlussbericht veröffentlicht hatte, in dem der Bau von Staudämmen für die weltweite Wasserkraftnutzung als sozial und ökologisch problematisch und aus einer Reihe von Gründen auch wirtschaftlich unattraktiv verurteilt wurde. Internationale Geber:innen und Finanzinstitutionen wagten es nicht, Finanzmittel bereitzustellen. Doch dann sorgte die – durchaus berechtigte – Besorgnis über den vom Menschen verursachte Klimawandel dafür, dass die Branche plötzlich mehr politischen Rückhalt und Finanzmittel erhielt, was zu einem dramatischen Wachstum der Dammbauten führte.
Und das, obwohl, in den letzten Jahren die Kosten für Solar- und Windenergie, geothermale und andere erneuerbare Energiequellen durch technologische Fortschritte drastisch gesunken sind. Das müsste Wasserkraft eigentlich unattraktiver machen, da es mehr billige erneuerbare Energiealternativen gibt als je zuvor.
Es braucht echte Lösungen
Trotzdem kam es in den 2010er Jahren zu einem beispiellosen Anstieg des Baus von Wasserkraftwerken im Mekong-Becken. Finanzierungen aus China haben bei diesem Boom der Wasserkraftentwicklung eine wichtige Rolle gespielt, aber auch Finanzierungen aus verschiedenen Teilen der Welt, die mit dem Versprechen gerechtfertigt wurden, dass die Entwicklung von Wasserkraftwerken ‚umweltfreundlich‘ sei. Fischer:innen im Nordosten Kambodschas, die das Sterben des saisonal überfluteten Waldes dort beobachten, würden dem sicherlich nicht zustimmen.
Der vom Menschen herbeigeführte Klimawandel ist zweifellos ein ernstes Problem, das all unsere Aufmerksamkeit erfordert. Aber die Verringerung der Treibhausgasemissionen auf eine Art und Weise, die noch schwerwiegendere ökologische und soziale Auswirkungen hat, ist nicht der richtige Weg zur Bekämpfung des Klimawandels. Wir brauchen echte umweltfreundliche Lösungen und keine grünen Scheinlösungen wie große Staudämme.
Gastbeitrag von Ian Baird.
Ian Baird ist Professor für Geographie an der University of Wisconsin-Madison, wo er auch Koordinator des Hmong Studies Consortium ist. Zu seinen Interessen gehören Staudämme im Mekong-Flussbecken und ihre Auswirkungen auf Fische und Fischerei, Landbesitzfragen in Südostasien und die globale Bewegung indigener Völker. Er hat umfangreiche Erfahrungen zu Laos, Thailand und Kambodscha, wo er lange gelebt und intensiv geforscht hat. Zuletzt erschien von ihm das Buch: “Rise of the Brao: Ethnic Minorities in northeastern Cambodia during Vietnamese Occupation (University of Wisconsin Press, 2020)”.
Übersetzung Talia Willig, Redaktion: Raphael Göpel