Hunger stillen und Nachhaltigkeit befördern - der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung
Mit wachsendem Wohlstand nimmt auch die Lebensmittelverschwendung in alarmierendem Maße zu. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) werden weltweit jährlich durchschnittlich 931 Millionen Tonnen brauchbare Lebensmittel entsorgt – eine Menge, die potenziell ausreichen würde, um den weltweiten Hunger zu bekämpfen. Der dabei entstandene wirtschaftliche Schaden beläuft sich zudem auf mehr als eine Billion US-Dollar, und schließlich wird rund ein Drittel der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche für letztlich verschwendete Lebensmittel beansprucht.
2022 betrug die weltweite Lebensmittelverschwendung in Haushalten, Gastronomie und Einzelhandel schätzungsweise 1,05 Milliarden Tonnen, was durchschnittlich 132 Kilogramm pro Person entspricht. Auf die Haushalte entfielen rund 79 Kilogramm pro Kopf. Gerade in Zeiten der Klimakrise bedarf es eines Umdenkens und nachhaltigeren Verfahrens mit Lebensmitteln.
Lebensmittelverschwendung in China und Deutschland: Zahlen und Strategien
In China beläuft sich die Lebensmittelverschwendungsquote laut dem "China Food and Nutrition Development Report 2023" auf rund 22,7 %. Dies entspricht in etwa 460 Millionen Tonnen pro Jahr (basierend auf Produktionszahlen von 2021). In Deutschland liegt die Verschwendung zwar deutlich niedriger, ist mit etwa 11 Millionen Tonnen pro Jahr jedoch nicht minder relevant, die Bevölkerungszahlen der Länder mitbedacht.
Beide Länder setzen bei der Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung auf die Mitarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen: Das chinesische "Anti-Food-Waste-Gesetz" (中华人民共和国反食品浪费法) schreibt so unter anderem vor, dass Verbände der Lebensmittel- und Gastronomiebranche die Lebensmittelverschwendung überwachen und bewerten und ihre Ergebnisse jährlich veröffentlichen. Auch chinesische Verbraucherorganisationen werden dazu angehalten, bewussten und abfallärmeren Konsum von Lebensmitteln zu fördern – beispielsweise durch Bildungsangebote. Deutschland verfolgt eine nationale Strategie, die Organisationen wie die Tafeln, Foodsharing-Initiativen oder aber Wohlfahrtsverbände einbindet.
Tafeln in China und Deutschland: Zwei Beispiele
Die Idee von Tafeln hat sich weltweit als effizientes Mittel zur Umverteilung überschüssiger Lebensmittel etabliert. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die Zeit der "Great Depression" in den USA, als Ernteüberschüsse an bedürftige Bevölkerungsgruppen verteilt wurden.
In China wurde 2014 die Green Food Bank (GFB) (绿洲盛食社) gegründet, die bis Ende 2023 auf 486 Verteilstationen angewachsen ist. In Deutschland gibt es seit 1993 die Organisation Tafel Deutschland e.V., die mittlerweile 970 lokale Tafeln betreibt.
Unterschiedliche Arbeitsmodelle
Die chinesische GFB kombiniert digitale und physische Verteilstrukturen. Empfängerinnen und Empfänger können Lebensmittel an bestimmten Verteilstellen abholen oder über chinesische E-Commerce-Plattformen zu symbolischen Preisen bestellen. Die Tafel Deutschland hingegen setzt auf ein dezentrales Modell: Jede lokale Organisation agiert eigenständig, orientiert sich jedoch an übergeordneten Leitlinien. Empfänger: innen müssen sich registrieren und eine geringe Gebühr entrichten, um vergünstigte Lebensmittel zu erhalten.
Während China verstärkt auf E-Commerce und urbane Liefernetzwerke setzt, nutzt Deutschland eine eher lokal orientierte Infrastruktur. Beide Arbeitsmodelle lassen deutlich kulturelle und infrastrukturelle Unterschiede erkennen, leisten aber gleichermaßen einen wichtigen zivilgesellschaftlichen Beitrag.
Kooperationen und Ressourcen – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Ein Schlüsselelement für den Erfolg der Tafeln in China und Deutschland sind sektorübergreifende Partnerschaften. Die chinesische GFB geht Partnerschaften mit privaten Unternehmen ein, insbesondere mit Einzelhändler:innen, wobei die Zahl der ausländischen Unternehmen die der inländischen übersteigt. Hervorzuhaben ist die Partnerschaft mit Walmart, die mittlerweile stark ausgebaut wurde. Viele Partner der GFB leisten ebenfalls einen Beitrag in Form von Lebensmittelspenden, ehrenamtlicher Arbeit oder aber finanzieller Unterstützung.
Die Tafel Deutschland arbeitet mit klar definierten Rollen für ihre Partner: Einzelhändler wie Lidl und Rewe spenden Lebensmittel, andere wie die ADAC-Schutzbrief Versicherungs-AG unterstützen logistisch. Weitere Partner wie Mercedes-Benz und die METRO AG organisieren Benefizveranstaltungen, die REWE Group arbeitet bei einigen Projekten sogar inhaltlich mit.
Als Hauptverursacher von Lebensmittelverschwendung spielt der Einzelhandel eine doppelte Rolle: Er produziert Überschüsse und trägt durch verbessertes Bestandsmanagement und Lebensmittelspendensysteme dazu bei, diese zu reduzieren.
Auch die Finanzierungsmodelle unterscheiden sich: 2019 stammten 77 % der Einnahmen der chinesischen GFB aus privaten Spenden. Die Tafel Deutschland hingegen verfügt über diversifizierte Einnahmequellen, darunter staatliche Subventionen und Mitgliedsbeiträge. Aber auch die deutsche Tafel arbeitet mit Spenden: 2020 erreichten diese einen Höchststand von 18,36 Millionen Euro.
Freiwillige Helferinnen und Helfer als tragende Säule
Freiwilligenarbeit ist in beiden Ländern essenziell, jedoch wird die Rekrutierung ehrenamtlicher Helfer: innen zunehmend herausfordernder. Die GFB meldete rund 20.000 freiwillige Helfer: innen, während die Tafel Deutschland e.V. auf etwa 60.000 Ehrenamtliche zurückgreifen kann. Allerdings geht die Zahl der Freiwilligen in Deutschland zurück, während sie in China schwankt – ein Problem, das die Arbeit der Tafeln in beiden Ländern künftig erschweren könnte.
Empfänger: innengruppen und gesellschaftliche Wirkung
Die Empfänger:innen der Tafeln in China und Deutschland unterscheiden sich deutlich: In China werden die Empfänger:innen der "Good Food Banks" (GFB) in vier Kategorien eingeteilt: (1) Familien in plötzlicher Notlage, (2) Menschen, die staatliche Sozialhilfe beziehen, (3) andere schutzbedürftige Gruppen und (4) Personen, die freiwillig überschüssige Lebensmittel annehmen, um Abfall zu vermeiden. In Deutschland hingegen richtet sich die Tafel an Individuen mit geringem Einkommen, darunter Rentner:innen, Familien sowie Empfänger: innen von Arbeitslosen- oder Asylunterstützung. Hier müssen sich Bedürftige registrieren lassen und nach einer Prüfung einen Tafel-Ausweis beantragen. Der Anteil der Erwachsenen unter den Empfänger:innen liegt in Deutschland bei etwa 70 %, während 30 % Kinder sind.
Interessanterweise erreichen die Lebensmittel in China weniger Empfänger:innen als in Deutschland – obwohl das Land einen riesigen Markt hat. Expert:innen sehen die Gründe dafür in einer noch unterentwickelten Spendenkultur und einem geringen Bekanntheitsgrad von Tafeln. Die Infrastruktur für Lebensmittelspenden steckt vielerorts noch in den Kinderschuhen. Tafeln spielen in beiden Ländern eine wichtige Rolle, um Ernährungsarmut zu lindern und soziale Ungleichheit durch Umverteilung von Lebensmitteln abzumildern. Dennoch sind sie in keinem der beiden Länder offiziell in die nationalen Wohlfahrtssysteme eingebunden.
Fazit
Der Vergleich zwischen der GFB in China und der Tafel in Deutschland zeigt unterschiedliche Strategien im Umgang mit Lebensmittelverschwendung auf: Die Tafel Deutschland e.V. setzt auf ein dezentrales, gemeinwesenorientiertes Modell. Lokale Initiativen erhalten viel Autonomie, um flexibel auf die Bedürfnisse vor Ort reagieren zu können. In China dagegen orientiert sich die GFB stärker an staatlichen Vorgaben und Programmen wie dem Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung.
Beide Systeme stehen vor ähnlichen Herausforderungen: Sie benötigen langfristige finanzielle Ressourcen, engagierte Ehrenamtliche und niederschwellige Zugangswege für Bedürftige. Ein verstärkter internationaler Austausch könnte Synergien schaffen – etwa durch das Teilen von Best Practices, Finanzierungsmodellen oder technologischen Innovationen. So könnten beide Länder voneinander lernen und ihre Hilfsangebote weiter verbessern.
Dieser Artikel stammt von Yuhua Chen, derzeit Studentin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Göttingen, mit Forschungsinteressen im Bereich Umwelt und Zivilgesellschaft. Er wurde aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt und editiert.