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AK Rohstoffe zum Koalitionsvertrags der Bundesregierung

Das philippinenbüro und die Stiftung Asienhaus haben gemeinsam mit 22 weiteren Organisationen im Arbeitskreis Rohstoffe den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung kritisch bewertet. Der AK Rohstoffe fordert eine neue Legislatur im Zeichen der Rohstoffwende.

Am 24. November 2021 veröffentlichten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag (KV). Unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ haben die Verhandler*innen in sieben thematischen Kapiteln schriftlich festgehalten, auf welche Ziele sie sich für die kommenden vier Jahre einigen konnten. Die folgende Analyse nimmt die Positionierungen des AK Rohstoffe als Ausgangspunkt und bewertet, inwiefern unsere Themen und Positionen aufgegriffen wurden.

 

Rohstoffpolitik mit notwendigem Richtungswechsel, aber mangelnder Konkretisierung und fehlender Kohärenz

Indem die neue Bundesregierung „das Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und geschlossener Stoffkreisläufe“ deutlich benennt (1045, 1332), greift sie ein zentrales Anliegen der Zivilgesellschaft auf. Diese Zielsetzung ist eine wichtige Grundlage, um die notwendigen nächsten Schritte hin zu einer Rohstoffwende zu formulieren. Laut KV soll dazu der aktuelle rechtliche Rahmen angepasst, „klare Ziele“ definiert und „abfallrechtliche Vorgaben“ überprüft werden (1334). Der notwendige nächste Schritt ist nun, übergeordnete Ressourcenschutzziele zu erarbeiten, die den Ressourcenverbrauch auf ein sozial-ökologisches und global gerechtes Maß begrenzen. Sie müssen – ähnlich wie beim Klimaschutz – durch Unterziele ergänzt und in einem gesetzlichen Rahmen verankert werden. Dieser muss dem weltweiten Ressourcenschutz gerecht werden, einheitliche, konkrete und messbare Kennzahlen beinhalten und die Überprüfung sicherstellen (Netzwerk Ressourcenwende 2021). Zudem sollte sich die Bundesregierung klar zu einer Priorisierung der Rohstoffversorgung aus zirkulärer Wertschöpfung bekennen und den Sekundärrohstoffmarkt bzw. Zirkulärrohstoffmarkt stärken.

Eine Begründung, warum die Reduktion des Rohstoffverbrauchs notwendig ist, fehlt allerdings im KV. Es wird weder auf die immense Überbeanspruchung des Planeten (Stichwort planetare Grenzen) und negative menschenrechtliche und ökologische Auswirkungen beim Rohstoffabbau eingegangen, noch auf die Verantwortung Deutschlands als einem der größten Verbraucher metallischer Rohstoffe weltweit. Auch in anderen Kapiteln, die rohstoff-relevante Sektoren wie Mobilität, Bau oder Energie thematisieren, werden die materiellen Voraussetzungen vernachlässigt. In der zukünftigen Rohstoffpolitik Deutschlands sollte die notwendige Reduktion des Rohstoffverbrauchs gut begründet und kontextualisiert werden, um die Bedeutung und Unumstößlichkeit dieses richtungsweisenden Ziels zu unterstreichen.

Die neue Bundesregierung will zudem die Wirtschaft bei der „nachhaltigen Rohstoffversorgung“ unterstützen (1039). Dies ist zu begrüßen, wenn es eine Abkehr von der bisherigen, einseitig an Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Rohstoffstrategie der Bundesregierung bedeutet. Diese wurde zuletzt im Jahr 2020 aktualisiert und beachtet viele ökologische und menschenrechtliche Notwendigkeiten unzureichend (AK Rohstoffe 2020). Eine nachhaltige Rohstoffversorgung muss höchste ökologische sowie soziale Standards garantieren und schließt Menschrechtsverletzungen aus. Zu diesem Ziel sollte u.a. die verbindliche Einhaltung umweltbezogener und menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten inklusive Risikoanalyse entlang der gesamten Rohstofflieferkette vorgeschrieben werden. Außerdem verspricht die Koalition, dass die Rohstoffgewinnung innerhalb Deutschlands „erleichter[t]“, „ökologisch ausgerichte[t]“ und das „Bundesbergrecht modernisier[t]“ werden soll (1042). Was mit Modernisierung gemeint ist, bleibt offen. Die „Erleichterung“ und somit Stärkung des heimischen Bergbaus, kann im Kontext vorherrschender Narrative der „strategischen Souveränität“ und gegenüber „Rohstoffimporten“ interpretiert werden, die auf europäischer Ebene als Legitimation für mehr Bergbau genutzt werden (4432). Die Bundesregierung muss diese ökologische Ausrichtung des heimischen Rohstoffabbaus im Sinne einer Bindung an hohe Umwelt- und gleichzeitig auch soziale Standards definieren und dies in die Modernisierung des Bundesbergrechts integrieren. Hierzu gehört auch die Wahrung der demokratischen Beteiligungsverfahren und Selbstbestimmungsrechte für (potentiell) Betroffene in den Abbauregionen sowie die Einhaltung der Menschen-, Frauen-, und Arbeitsrechte.

 

Kreislaufwirtschaft nähert sich der Circular Economy

Das Kapitel zur Kreislaufwirtschaft nähert sich dem ganzheitlicheren Verständnis der Circular Economy auf europäischer Ebene. Es setzt bereits beim Produktdesign an, geht über eine abfallseitige Betrachtung hinaus und versteht Kreislaufwirtschaft somit nicht mehr nur als Recyclingwirtschaft. Es werden produktpolitische Maßnahmen genannt, die auf Langlebigkeit, Wiederverwertbarkeit, Recyclingfähigkeit und Reparierfähigkeit setzen (1337). Damit bietet der Abschnitt Potential Stoffkreisläufe zu schließen und eine Reduktion des bislang viel zu hohen Rohstoffverbrauchs Deutschlands herbeizuführen.

Begrüßenswert ist, dass mit einer „nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ Kohärenz in die unterschiedlichen rohstoffpolitischen Einzelstrategien gebracht werden soll (1335). Dafür braucht es neben einer Kreislaufwirtschaftsstrategie eine gesetzliche verbindliche Grundlage. Außerdem ist es wichtig, dass bei Themen wie Herstellerverantwortung und festgelegten Quoten für den Rezyklateinsatz nicht nur die EU-Ebene adressiert wird, sondern auch auf nationaler Ebene alle Möglichkeiten ergriffen werden, um wirksame Maßnahmen zur Schließung der Stoffkreisläufe umzusetzen. Das bedeutet zum Beispiel eine Förderung des Reparaturhandwerks bei gleichzeitiger Festlegung eines Rechts auf Reparatur. Ebenso ist dafür nicht nur der Zugang zu Ersatzteilen, sondern auch ihr Preis entscheidend.

Auf europäischer Ebene muss sich die neue Bundesregierung im Rahmen des Circular Economy Action Plans für wirksame Maßnahmen einsetzen, u.a. für eine längere Nutzungsdauer von Produkten.

 

Widerspruch: Förderung des Rohstoffabbaus im Ausland soll ausgebaut werden

In einem offensichtlichen Widerspruch zur Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs und einer „nachhaltigen Rohstoffsicherung” stehen die Ambitionen, die sogenannten Ungebundenen Finanzkredite (UFK) durch die Beschleunigung der Genehmigungsprozesse zu stärken (1046). Dieses Instrument der Außenwirtschaftsförderung (AWF), das explizit der nationalen Sicherung des Primärrohstoffbedarfs außerhalb Europas dienen soll, stand in der Vergangenheit in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Eine Ausweitung der Nutzung dieses Instruments ohne einen wirkungsvollen Mechanismus zur Sicherung der Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes ist aus unserer Sicht hochproblematisch. Aufgrund der hohen menschenrechtlichen und ökologischen Risiken vor allem im Bergbausektor muss die AWF dringend reformiert werden. Ein entsprechendes Gesetz muss sicherstellen, dass nur Unternehmen in den Genuss der AWF kommen, die ihre menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten erfüllen. Es muss zudem Transparenz über beantragte und bewilligte Garantien herrschen. Kommt es zu Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten oder zu belegten Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung, müssen Mechanismen eingerichtet werden, um die AWF zu beenden. Andernfalls ist die Bundesregierung für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Tätigkeiten mitverantwortlich (AK Rohstoffe 2021a).

 

Zaghaftes Jein zum Tiefseebergbau formuliert

Ebenfalls im Widerspruch zu den Zielsetzungen der Reduktion des Primärrohstoffverbauchs und zu der Bekennung zu den Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) steht das Festhalten an Tiefseebergbauvorhaben (1247). Die Bundesregierung möchte sich bei den Verhandlungen bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) „für strenge Umweltstandards und die verbindliche Überprüfung der Umweltverträglichkeit im Tiefseebergbau“ einsetzen. Im Umkehrschluss könnte dies die Ausweitung von Bergbau in sensiblen Ökosystemen, etwa in Bezug auf den Meeresboden, bedeuten. Damit riskiert die neue Bundesregierung sowohl die irreparable Zerstörung von Teilen der Meeresfauna als auch die Verletzung von Rechten von besonders vulnerablen Gruppen, wie beispielsweise der Küstenbewohner*innen und Fischer*innen. Angesichts des 2023 beabsichtigten Beginns des Tiefseebergbaus muss die Bundesregierung sich bei der ISA für einen definitiven Verzicht des Rohstoffabbaus am Meeresboden einsetzen und ein Verbot der Nutzung oder Einfuhr von Rohstoffen aus der Tiefsee vorbereiten.

 

More to come: Verantwortung entlang von Lieferketten

Die neue Bundesregierung möchte sich für „ein wirksames EU-Lieferkettengesetz“ stark machen (1049). Dieses soll auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) fußen. Das ist positiv zu bewerten, denn das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz weist Lücken auf und fällt stellenweise hinter die UNLP zurück. Die Bundesregierung muss sich dementsprechend dafür einsetzen, dass das europäische Gesetz menschenrechtliche, umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten ohne Abstufungen für die gesamte Lieferkette festschreibt und durch eine zivilrechtliche Haftungsregelung den Zugang der Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu Abhilfe und Schadensersatz stärkt. Die europäische Regulierung muss außerdem die Mitbestimmung von Gemeinden stärken, die von Bergbauprojekten betroffen sind (s.u. „Internationale Stärkung der Rechte von Betroffenen erfordert kohärentes Handeln”).

Außerdem möchte die Ampel-Koalition das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz umsetzen, „gegebenenfalls“ auch verbessern (1052). Aus Perspektive des AK Rohstoffe ist dies dringend geboten, da die Wirksamkeit des Gesetzes im Rohstoffsektor und der Zugang von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen zu Abhilfe und Entschädigung bislang enorm eingeschränkt ist (AK Rohstoffe 2021b). Die Bundesregierung muss eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Sorgfaltspflichten in der gesamten Lieferkette und die Feststellung, Beseitigung oder Verhinderung von Verstößen gegen Sorgfaltspflichten durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sicherstellen. Sie muss außerdem garantieren, dass Betroffene im Schadensfall Zugang zu deutschen Gerichten und zur Entschädigung haben.

Leider fehlt im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zum UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte/UN-Treaty, das derzeit auf internationaler Ebene verhandelt wird. Die neue Bundesregierung muss sich konstruktiv in den Prozess einbringen, indem sie sich für ein Verhandlungsmandat der EU und eine aktive Beteiligung für ein starkes Abkommen einsetzt. Ein wirksamer UN-Treaty und somit ein global vereinbartes „Level Playing Field” muss im Sinne der deutschen Bundesregierung sein, um den Zugang zu Recht und Entschädigung für Betroffene weltweit zu stärken.

 

Internationale Stärkung der Rechte von Betroffenen erfordert konkrete Maßnahmen

Der Deutsche Bundestag hat im April 2021 das Gesetz zur Ratifizierung der Konvention ILO 169 über die Rechte indigener Völker verabschiedet und setzt damit ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Dazu beigetragen hat auch der jahrzehntelange Einsatz der Zivilgesellschaft. Das ist zu begrüßen, denn damit ist perspektivisch das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) indigener Völker gestärkt – insbesondere bei der Planung von Rohstoffabbauprojekten in ihren Territorien. Ein starkes Signal der Solidarität reicht allein allerdings nicht. Im KV gibt es keinen Verweis darauf, wie die Bundesregierung die Konvention umsetzen möchte. Notwendig wäre hierfür eine ressortübergreifende Strategie zur Stärkung der Rechte indigener Völker, die den vielfachen Bezügen der verschiedenen Bundesministerien zu den Lebensräumen und Belangen indigener Völker Rechnung trägt. Diese muss nun erarbeitet werden. Auch bei der AWF sowie bei den Sorgfaltspflichtenregulierungen/Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzen auf deutscher und europäischer Ebene und der EU-Batterieverordnung müssen beispielsweise die ILO Konvention 169 sowie die UNDeklaration über die Rechte indigener Völker sowie das Escazú Abkommen über Transparenz, Partizipations- und Klagerechte sowie Schutzmechanismen in Umweltkonflikten im Referenzrahmen genannt und in Lieferketten entsprechend eingehalten werden. Zu begrüßen ist, dass laut KV die Zivilgesellschaft, „insbesondere Journalistinnen, Aktivisten, Wissenschaftlerinnen und andere Menschenrechtsverteidiger“, weltweit gestärkt und geschützt werden sollen (4947). Auch hier sind konkrete Maßnahmen notwendig.

 

Einseitiger Ausbau der Elektromobilität statt ganzheitliche Mobilitätswende

Beim Thema Klimaschutz im Verkehrssektor beschränkt sich die Ampelkoalition v.a. auf die „Transformation der Automobilindustrie” (793) im Rahmen eines massiven Ausbaus der Elektromobilität - ohne jedoch eine umfassende Mobilitätswende anzustreben und umzusetzen. Für eine „nachhaltige Mobilität der Zukunft”, wie es als Ziel ohne konkrete Maßnahmen im KV steht, wird das nicht ausreichen: Der beabsichtigte Ausbau der Elektromobilität ist aus umwelt- und klimapolitischer Perspektive zu begrüßen, muss aber mit einer drastischen Reduktion der Gesamtzahl wie auch des Gewichts der Autos einhergehen. Andernfalls wird, während der Bedarf an fossilen Rohstoffen sinkt, zugleich der Bedarf an metallischen Rohstoffen durch die Elektromobilität weiter ansteigen und somit die mit dem Abbau und der Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe einhergehenden menschenrechtlichen und ökologischen Probleme in den Abbauländern weiter verschärfen.

Das notwendige Bekenntnis zur absoluten Reduktion des motorisierten Individualverkehrs und eine Strategie zur perspektivischen Senkung des Rohstoffverbrauchs in der Automobil- und Batterieindustrie sowie zur Etablierung eines ökologisch und sozial verträglichen Transport- und Verkehrssystems fehlt. Statt einer einfachen Antriebswende muss die Stärkung des ÖPNV und der Schienen-, Rad- und Fußgänger*innenmobilität noch stärker in den Fokus der Verkehrspolitik gerückt werden. Zumindest erwähnt der KV im Bereich der Kreislaufwirtschaft, dass „(...) ein Anreizsystem, um bestimmte Elektrogeräte und gefährliche Lithium-Ionen-Batterien umweltgerecht zu entsorgen und der Kreislaufwirtschaft zuzuführen” (1343f.) etabliert werden soll.

Kritisiert werden muss, dass die neue Bundesregierung im KV die für die Elektromobilität besonders bedeutsamen Batterie-Rohstoffe wie Eisen, Kupfer und Aluminium außen vorgelassen hat. Auch die gerade auf EU-Ebene verhandelte EU-Batterieverordnung wird nicht thematisiert. Hier muss sich die Bundesregierung für umfassende Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette einsetzen, die zügig gelten und alle Batterietypen umfassen müssen (AK Rohstoffe 2021c).

 

Wasserstoff - eine Reihe widersprüchlicher Aussagen

Dass sich der Begriff „Wasserstoff“ 28 Mal im KV findet, zeigt, dass die Energiewende als wichtiger Bestandteil zur Erreichung der Klimaneutralität angesehen wird. Die politischen Pläne der Koalition in Bezug auf Wasserstoff werfen jedoch eine Reihe widersprüchlicher Aussagen auf: Die Elektrolysekapazität in Deutschland soll bis 2030 von 5 GW auf 10 GW erweitert werden. Dass der dafür notwendige Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden soll, ist zu begrüßen (1932 - 1943). Um den künftig erwarteten Energiebedarf Deutschlands zu decken, will die Koalition einen Teil der heutigen Öl- und Gas-Importe durch den Ausbau von Wasserstoff-Importen decken. Pläne, wie durch Effizienz und Suffizienz die Energienachfrage und damit der Wasserstoffbedarf minimiert werden können, werden im KV nur vage angesprochen. Ebenso fehlt eine Festlegung, in welchen Anwendungen Wasserstoff genutzt werden soll, also eine klare Priorisierung, wo der Einsatz sinnvoll ist. Ein Ausschluss der Verwendung im PKW oder – zumindest weitestgehend - im privaten Wärmebereich wäre wichtig, um unnötige Infrastrukturinvestitionen zu vermeiden. Stattdessen schließt die Bundesregierung zur Deckung der erwarteten hohen Nachfrage mit der Formulierung „technologieoffene Ausgestaltung der Wasserstoffregulatorik“ weder den Import noch die Förderung von „kohlenstoffarmem Wasserstoff“ aus Atomkraft und Erdgas aus (1935). Bei der Frage nach Importkriterien werden zudem nur Klimaauswirkungen beachtet, die sehr relevanten Kriterien Menschenrechte, Biodiversität und entsprechende Flächenkonkurrenzen werden nicht erwähnt (1948). Vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen im Rohstoffsektor, greift dies viel zu kurz. Die Kriterien müssen die soziale, menschenrechtliche und ökologische Situation der potentiellen Exportländer miteinbeziehen, um sicherzustellen, dass Wasserstoffimporte in keinem Fall die Energiewende vor Ort behindern und somit die global ungerechte Rohstoffnutzung und Produktion mit den damit einhergehenden negativen Folgen für Menschen und Umwelt verstetigen. Ein Ausstieg aus der Erdgasverstromung ist ebenfalls nicht (bzw. nur indirekt mit der Treibhausgasneutralität 2045) im KV enthalten. Stattdessen wird eine unverzichtbare Übergangszeit - ohne Enddatum - erwähnt. In diesem Zusammenhang sollen H2-ready Gaskraftwerke gebaut werden. Eine fehlende Präzisierung des H2-ready-Konzepts birgt die Gefahr des Greenwashings und von stranded investments. Der von der Bundesregierung unterstützte Kompromiss zur Taxonomie verstärkt dieses Risiko.

 

Handelspolitik: Ein bisschen mehr Nachhaltigkeit im Handel - Kehrtwende im Investitionsschutz?

In der Handelspolitik ergibt sich im Vergleich zur vorherigen Bundesregierung eine Akzentverschiebung - ohne dass eine Abkehr vom bisherigen Freihandelsmodell erkennbar ist. So sollen Freihandelsverträge mit wichtigen Rohstoffexporteuren (wie Australien und Chile) abgeschlossen werden (1064). Rohstoffe spielen in diesen Verhandlungen, insbesondere im Fall von Lithium im EUChile-Abkommen, eine zentrale Rolle. Positiv ist, dass der KV den Einsatz für „effektive Nachhaltigkeitsstandards unter Anwendung eines Streitbeilegungsmechanismus“ in diesen Abkommen verspricht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, im Rahmen der aktuell in der EU diskutierten Reform von Nachhaltigkeitskapiteln auf umfassende menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards sowie einen sanktionsbewehrten Streitbeilegungsmechanismus zu drängen. Bei dem bereits weitestgehend verhandelten Abkommen mit den rohstoffreichen Mercosur-Ländern (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay) setzt der KV hingegen eindeutiger Bedingungen, die eine Zustimmung unter den derzeitigen Voraussetzungen erschweren sollten (1089). Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass Handelsabkommen nicht die Rechte der Partner*innenländer verletzen, indem Exportzölle und andere Beschränkungen für Primärrohstoffe erhoben und somit die Wertschöpfung vor Ort und lokale Arbeitsplätze verhindert werden.

Beim Investitionsschutz deutet sich eine Kehrtwende an. So sollen sich substantielle Schutzstandards in Zukunft nur noch auf „direkte Enteignungen und Diskriminierungen konzentrieren” (1094). Diese Bedingung erfüllen bisher weder deutsche bilaterale Investitionsabkommen noch EU-Verträge mit weitreichenden Investitionsschutzkapiteln. Auch die von der neuen Koalition angestrebte Reform des Energiecharta-Vertrags wird diesem Kriterium nicht gerecht werden (2070). Andere Investitions- und Handelsverträge, die Investor*innen weitreichende Rechte einräumen, wie die derzeit geplanten Abkommen mit Chile, Indonesien und Mexiko, erfüllen diese Bedingung nicht. Wenn die neue Bundesregierung ihre eigenen Maßstäbe ernst nimmt, muss sie einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag anstreben und darf neuen Verträgen mit weitreichenden Investor*innenrechten nicht zustimmen. Beim Freihandelsvertrag CETA mit Kanada wurde die Positionierung der Bundesregierung aufgeschoben (1087). Der Vertrag wird zwar bereits vorläufig angewendet, das Investitionskapitel benötigt allerdings die Zustimmung des Bundestags (und aller weiteren Parlamente der EU Mitgliedsstaaten). Hier liegen besonders große Gefahren für den Rohstoffsektor, da Investitionsklagen von kanadischen Bergbauunternehmen besonders häufig angestrengt werden, oftmals gegen Umweltregulierungen.

 

Fazit: Koalitionsvertrag wird den rohstoffpolitischen Herausforderungen nicht gerecht

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP aus rohstoffpolitischer Perspektive Widersprüche aufweist. Auf der einen Seite kann es die Zivilgesellschaft als großen Erfolg verbuchen, dass sich die Parteien zu einer Reduktion des primären Rohstoffverbrauchs bekannt haben und Kreislaufwirtschaft progressiv auslegen. Das ist nicht nur für den Klima-, Umwelt- und Menschenrechtsschutz unabdingbar, sondern legt auch die Basis für die notwendige und von der Zivilgesellschaft geforderte umfassende Rohstoffwende. Ebenfalls positiv zu bewerten sind der Einsatz für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz gemäß der UNLP und die Ankündigung, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „gegebenenfalls“ zu verbessern. Auf der anderen Seite soll die Rohstoffsicherung mit zweifelhaften Ungebundenen Finanzkrediten gestärkt und die potentielle Ausweitung der Bergbaubestrebungen in der Tiefsee fortgeführt werden. Eine Unterstützung der Abbauländer, ihre Rohstoffvorkommen selbst weiterzuverarbeiten und somit Arbeitsplätze zu schaffen und Armut abzubauen, wird nicht erwogen. Mit dem massiven Ausbau der Elektromobilität will die Ampelkoalition der Klimakrise entgegenwirken. Ohne eine Reduktion von Anzahl und Größe der Autos und eine umfassende Mobilitätswende werden sich die sozialökologischen Konflikte beim Abbau metallischer Rohstoffe aber weiter verschärfen. Die geplante Wasserstoffproduktion soll zwar einen Pfad hin zu Klimaneutralität unterstützen, stellt aber nicht sicher, dass es keine Lock-ins von mit den Klimazielen nicht vereinbaren Gas- oder hochriskanten Atomkraftwerken gibt. Außerdem will die neue Bundesregierung einerseits Klimaneutralität fördern, hält gleichzeitig aber am Energiecharta-Vertrag fest, der ein massives Hindernis beim Ausstieg aus den fossilen Rohstoffen ist. Diese Widersprüche, aber auch die erwähnten Auslassungen offener Fragen und Probleme, gilt es in den nächsten vier Jahren anzugehen. Menschenrechts- und Umweltschutz sowie das Ziel globaler Gerechtigkeit müssen die Leitplanken für die deutsche Rohstoffpolitik sein, um die sozial-ökologische Transformation und somit auch die notwendige Rohstoffwende einzuleiten.

Die Bewertung ist mitgetragen von Brot für die Welt, BUND, Christliche Initiative Romero, INKOTA-Netzwerk, infoe, FDCL, Forum Umwelt & Entwicklung, Germanwatch, Kritische Aktionär*innen, Misereor, philippinenbüro, PowerShift, Stiftung Asienhaus, Weed, WWF und anderen.

Der Arbeitskreis (AK) Rohstoffe ist ein Netzwerk deutscher Nichtregierungsorganisationen, welches sich für höchste menschenrechtliche und ökologische Standards entlang metallisch-mineralischer Rohstofflieferketten einsetzt und eine Wende der deutschen Rohstoffpolitik einfordert. Seit 2008 trifft sich der AK Rohstoffe regelmäßig und diskutiert angesichts der negativen Auswirkungen des Rohstoffabbaus über Ansätze einer zukunftsfähigen Rohstoffpolitik.

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