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Das Märchen von Exportweltmeistern und Tigerstaaten

AEPF10 © Focus on the Global South

Ein Papier zu den Diskussionen zu Freihandel in den Panels und Workshops auf dem Asia-Europe People’s Forum vom 10. bis 12. Oktober 2014 in Mailand.

Hört man die Versprechungen, die Zahlenspielereien und die Rede vom vermeintlichen Reformzwang, die auch in Asien die offizielle Begleitmusik zu den verschiedenen Investitions- und Freihandelsabkommen bilden, dann klingt das genauso wie in Europa: Die Abkommen sollen Wachstum und Beschäftigung bringen, indem sie den Export ankurbeln und Investitionen ins Land holen. In Europa wie in Asien wird aber natürlich längst durchschaut, wie viel Propaganda im Spiel ist und dass sich das versprochene Jobwunder eigentlich nur als Niedriglohnfalle entpuppen kann.

Sich gegen das allgemeine Framing von „Exporte hoch – Arbeitskosten runter“ zu stemmen, kann sicherlich als eines der Anliegen des diesjährigen 10. Asia-Europe People’s Forum (AEPF) vom 10. bis 12. Oktober in Mailand benannt werden.

Wie dies im länder- und auch regionenspezifischen Kontext, aber eben auch im europäisch-asiatischen Zusammenhang gelingen kann, wurde in den verschiedenen Panels und Workshops zu Handel und Investitionen in Mailand ausführlich und mitunter auch kontrovers debattiert.

Für diesen Text haben wir drei der Fragen und deren Diskussionsergebnisse herausgegriffen: (i) Wie ist es einzuschätzen, dass sich das Handels- und Investitionsregime nicht mehr oder zumindest gerade nicht mehr innerhalb eines multilateralen Frameworks, sondern in vielen bilateralen Einzelabkommen zu verwirklichen sucht? (ii) Was – aber auch wer – steckt aus europäisch-asiatischer Perspektive hinter dem Handels- und Investitionsregime? (iii) Wo kann, sollte oder muss der Widerstand in Europa und Asien ansetzen?

„Civil society has to be plurifocused!“

Joseph Purugganan, Focus on the Global South

Der Widerstand gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen, kurz TTIP, hat europaweit merklich an Fahrt aufgenommen. Die dabei formulierte Kritik ist mittlerweile wohlbekannt: Unterwanderung der Demokratie, Angleichung von Standards nach unten hin („race to bottom“), Ausweitung von Konzernmacht und Privatisierung des Rechts (Investor-Staat-Klagemöglichkeit / ISDS).

In der europäischen Debatte wird selten herausgestellt, dass TTIP kein Einzelfall ist. Vielmehr ist es Teil eines weltweiten engmaschigen Netzes von Investitions- und Freihandelsabkommen zwischen einzelnen Staaten oder Regionen. Es bestand Konsens beim AEPF, dass damit die neoliberale Agenda durchgesetzt werden soll. Dabei ist zu beobachten, dass sich die EU (wie die USA) von der Idee abwendet, die neoliberale Agenda innerhalb der WTO durchsetzen zu wollen. Offensichtlich erscheinen bilaterale Abkommen vielversprechender oder zumindest machbarer. Wie sind der Abkommenspluralismus (Vielzahl und Vielfalt) zu bewerten? Und was heißt das für das weitere Vorgehen einer kritischen Zivilgesellschaft?

Das Abkommens-Geflecht kann als Kompensation für die Krise der WTO interpretiert werden. Mit dem Kollaps des WTO-Gipfels in Cancun war die 2001 begonnene Doha-Runde weitgehend und nachhaltig lahm gelegt, so Walden Bello (MC Philippinen/Focus on the Glo-bal South). Bali 2013 wurde in der Mainstream-Presse zwar als Rettung der WTO gefeiert. Der dort ausgehandelte Deal platzte dann aber am Ende doch, so dass es so aussieht, als hält die Schockstarre der WTO bis auf Weiteres an (was aber 21 WTO-Mitgliedstaaten nicht davon abhält, mit dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA) schon den nächsten Coup vorzubereiten). Die Verlagerung auf bilaterale Abkommen kann damit als Reaktion auf den Stillstand innerhalb der WTO gedeutet werden. Aber nicht nur. Mit ihnen wurde es auch möglich, die Schrauben noch enger zu ziehen. Die Bedingungen an die Partnerländer wurden härter, vorher ausgenommene Sektoren wurden Teil der Verhandlung und Unternehmen wurden mit den Investor-Staat-Schiedsgerichten (ISDS) ausgestattet.

Ferner wurde in der Diskussion beleuchtet, warum die einzelnen Abkommen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen. Sie gehen Hand in Hand und ergänzen sich, weil Punkte, die in einem Abkommen nicht durchsetzbar sind, in einem anderen Abkommen festgeschrieben werden können. Die Diskussion um ISDS in TTIP und CETA (dem geplanten europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen) steht in eben dieser Relation: sollte ISDS in TTIP nicht, wohl aber in CETA aufgenommen werden, dann können amerikanische Konzerne über ihre Niederlassungen in Kanada klagen.

Aus dieser Perspektive manifestiert sich die neoliberale Agenda nicht immer wieder in jedem neuen Abkommen einzeln und tastet sich auch nicht zwangsläufig hin zu dem einen multilateralen Super-Abkommen, das dann ein für alle Mal die gesamte Wunschliste festschreibt. Vielmehr besteht sie gerade in dem Netz von Abkommen, bei dem die schiere Anzahl (auch in Zukunft) immer eine Hintertür für zunächst strittige Punkte öffnet. Eine andere Lösung dafür, dass in Bezug auf etwaige strittige Punkte doch nichts verloren gegeben werden muss, wurde nun jüngst mit TTIP als „living agreement“ vorgelegt: Im Prinzip kann nun unendlich nachverhandelt werden.  

„It´s all about investor rights and western values!”

Walden Bello, MC Philippinen/Focus on the Global South

Ein weiterer Diskussionspunkt der Handelsworkshops auf dem AEPF widmete sich weniger dem „Worum geht es beim Handels- und Investitionsregime überhaupt?“, sondern dem „Worum geht es eigentlich im europäisch-asiatischen Kontext?“ Im Einzelnen können in dieser Frage vier unterschiedliche Positionen ausgemacht werden.

Die erste Position versteht den gegenwärtigen Trend zur Bilateralität seitens Europas und der USA als ein neo-koloniales Programm. Durch bilaterale Freihandelsabkommen versuchen westliche Industrieländer, nicht nur ihre Kontrolle über den globalen Handel, sondern auch über Entwicklungsländer zu erweitern. Die bilateralen Abkommen zielen dabei auf sehr viel weitreichendere Liberalisierungsschritte des globalen Südens als innerhalb der WTO. So warnen AktivistInnen aus Asien etwa vor den negativen Folgen wie der Zerstörung einheimischer Industrien und verstärkter Ausbeutung durch die Öffnung einheimischer Märkte. Der Schlüssel für die Kontrolle über die Entwicklungsländer und deren weltweit nachgefragte Ressourcen liegt im InvestitionsschutzKapitel und der Festschreibung von ISDS. Damit wird transnationalen Unternehmen (TNCs), von denen 86.5% ihren Hauptsitz in Industrieländern haben, ein gefährliches Werkzeug an die Hand gegeben, mit dem die Souveränität und der politische Spielraum von Entwicklungsländern angegriffen respektive radikal beschränkt wird (Charles Santiago, MP Malaysia; Walden Bello, MC Philippinen/Focus on the Global South).

Die zweite Position liefert gewissermaßen einen Gegenentwurf zur ersten Position. Anhänger einer neoliberalen Investitions- und Freihandelspolitik gibt es natürlich auch in Entwicklungsländern. In Vietnam etwa vertreten sie die Auffassung, dass Präferenzschemata für LDCs (Least Developed Countries) und Diversifizierung von Waren und Absatzmärkten einen ausreichenden Schutz gegen die bekannten und auch diskutierten Risiken einer solchen Entwicklungsstrategie bieten. Man mag es daher kühn oder auch schlicht verantwortungslos finden, wenn sich ein Entwicklungsland – zusagen „proaktiv“ – um ein Freihandelsabkom-men mit der EU bemüht. Für die Analyse heißt das aber, dass wir differenzierter hinsehen müssen, wenn wir fragen, wer sind eigentlich die aktiven Kräfte in dem Spiel und wer sucht sich wen für ein Freihandelsabkommen aus (Bui Thanh Nam, USSH HN - Fakultät für interna-tionale Studien; Nguyen Anh, Diplomatische Akademie von Vietnam).

Die dritte Position basiert wohl vor allem auf europäischen Erfahrungen mit dem Investitionsregime. Sie nimmt ebenfalls stärker die aktive Rolle der Politik und ihrer VertreterInnen bei der Durchsetzung des neoliberalen Programms in den Blick. Staaten und andere politische Institutionen sind nicht einfach von den Konzerninteressen gekapert worden. Im Gegenteil, sie gestalten selbst die Agenda. Damit deutet sich auch schon an, dass es dann vielleicht gar nicht um „weniger Staat“ geht, sondern um einen durchsetzungsfähigen Staat. Die Grundidee hier ist, dass das neoliberale Projekt als eines gesehen werden muss, bei dem es um die Verschmelzung von Staat und Konzernen geht, wie sie lokal bereits in den Sonderwirtschaftszonen verwirklicht ist (Antonio Tricarico, Re:Common). Die Analyse muss daher auch herausarbeiten, wie die Staaten selbst systematisch mittun und zum Komplizen werden. Beim Einflüstern gibt es nicht nur den Einflüsterer. Sondern auch denjenigen, der entscheidet, wem er wann und wie oft sein Ohr hinhält. In Vorbereitung zu TTIP hat die Kom-mission ihr Ohr 20mal häufiger den Wirtschaftslobbyisten geliehen als Gewerkschafts- oder Verbrauchergruppen, wie die Auswertung von Konsultationsterminen nachweisen konnte (Kenneth Haar, Corporate Europe Observatory).

Die vierte Position identifiziert transnationale Konzerne als bestimmende Akteure und hauptsächliche Nutznießer des neoliberalen Programms. Diese Position sieht im massiven Lobbyismus den erfolgreichen Versuch der TNCs, ihren Machtbereich systematisch auf die Handels- und Investitionspolitik auszuweiten. In Brüssel treffen sich tagtäglich sogenannte „ExpertInnen-Komitees“, besetzt mit führenden VertreterInnen von TNCs und mit Mitarbei-terInnen der Europäischen Kommission. Aufgrund ihres privilegierten Zugangs – im Gegensatz zu zivilgesellschaftlichen Gruppen – können TNCs so Einfluss auf alle möglichen politischen Entscheidungsprozesse nehmen (Kenneth Haar, Corporate Europe Observatory). Der ISDS-Mechanismus in den bilateralen Handels- und Investitionsschutzabkommen ist ein Paradebeispiel für die Macht von TNCs: Damit können sie Regierungen weltweit über internationale Schiedsgerichte für Profitverluste verklagen (Brid Brennan, Transnational Institute).

Wo den Hebel ansetzen? Vorschläge aus dem Strategieworkshop

Die Anti-ISDS Kampagnen spielen eine maßgebliche Rolle in der Mobilisierung gegen TTIP, was im asiatischen Campaigning gegen die verschiedenen Freihandels- und Investitionsabkommen weniger im Fokus steht. Die Konzentration auf ISDS birgt zwar die Gefahr, dass ein Umdenken in der Handelspolitik nicht vehement eingefordert wird. Wenn es gelingt, ISDS aus TTIP und CETA rauszuhalten, dann eröffnen sich aber auch für den Widerstand Räume für weiterreichende Forderungen.

Ein erfolgreiches Beispiel des Widerstands ist die in Frankreich initiierte Kampagne “10.000 Kommunen TTIP-frei”, wo sich zahlreiche Kommunen und Regionen gegen das Abkommen positioniert haben. In diesem Rahmen spielten insbesondere BürgerInnenkomitees (people committees) eine wichtige Rolle, um die Debatte zu den Leuten zu tragen. Diese Initiative wurde auch in Deutschland übernommen und will BürgerInnen dabei unterstützen, sich für die kommunale Selbstverwaltung und gegen TTIP stark zu machen.

Um gerade auch zwischen verschiedenen Kontinenten wie Asien und Europa Brücken zu schlagen, wurde im Workshop ferner an eine „broad agenda, broad resistance“ appelliert. Zivilgesellschaftliche Gruppen, AktivistInnen usw. von beiden Kontinenten sollten also konkrete Gemeinsamkeiten herausarbeiten, wie etwa das Thema „Gegen die Senkung von Standards durch Investitionsregime und TTIP“, und damit breit und international mobilisieren.

 

Theresa Hanske & Christina Grein (Arbeitsgruppe Burma , Burma-Initiative)

6. November 2014

 

Die AG Burma trifft sich seit 2013 regelmäßig im Asienhaus und arbeitet zu verschiedenen entwicklungspolitischen Themen mit dem Fokus auf Burma. Unsere AG freut sich immer über Neuzugänge. Bei Interesse an der Mitarbeit können Sie Christina Grein unter christina.grein@asienhaus.de kontaktieren.

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