Im Sommer führte eine Fortbildung zu Menschenrechten Dorcy Roslya Daos von der Medieneinrichtung Casa de Produção Audiovisual (CPA) und Domingas Silva von Assosiasaun Chega! Ba Ita (ACbit) nach Deutschland. CPA engagiert sich in der Friedensarbeit und greift filmisch gesellschaftspolitische Themen auf. ACbit arbeitet mit Überlebenden von Menschenrechtsverletzungen während der Besatzungszeit durch Indonesien (1975 – 1999) und setzt sich ein für die Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Beide Organisationen sind Partner von Misereor; CPA arbeitet zudem mit AGIAMONDO im Programm Ziviler Friedensdienst zusammen.
In Köln waren die beiden jungen Frauen zu Gast bei der Stiftung Asienhaus. Auch uns verbindet eine langjährige solidarische Partnerschaft mit beiden Organsiationen. Timor-Leste ist ein Land mit einem großen Anteil an jungen Menschen: 35% der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, das Durchschnittsalter beträgt knapp 21 Jahre. Aber in der Politik dominiert weiterhin die alte Generation, die im Widerstand die Unabhängigkeit erkämpft hat. Auch die Parlamentswahlen im Mai 2023 brachten keinen Generationenwechsel. Monika Schlicher und Maria Tschanz sprachen mit den beiden über die Rolle der jungen Generation, über ihre Motivation und Möglichkeiten, sich wirkungsvoll für eine gerechte Gesellschaft und ihre eigene Zukunft politisch einzusetzen.
Möchtet ihr euch und euren beruflichen Werdegang zunächst kurz vorstellen? Was hat euch zu eurer Arbeit motiviert?
Dorcy Roslya Daos: Ich arbeite bei CPA -Casa de Produção Audiovisual als Kommunikationsmanagerin und unterstütze die Organisation dabei ihre Mission umzusetzen, auch bei der Filmproduktion. Wir verstehen uns als die ‚Stimme der Stimmlosen‘ und haben ein besonderes Augenmerk auf marginalisierte Gruppen, auf junge Menschen und Frauen im ländlichen Bereich.
Ich habe als Praktikantin angefangen und wurde von CPA rasch übernommen. Man hat mein Potential erkannt und mich in meinen Fähigkeiten sehr gefördert. Zunächst erhielt ich eine Schulung zur Illustratorin, ich war zur Fortbildung in Manila für Produktion und Drehbuch schreiben und als die Stelle der Kommunikationsmanager:in frei wurde, durfte ich sie übernehmen. Ich bin z.B. auch gut mit Sprachen.
Domingas Silva: Vor meinem vierjährigen Studium in Indonesien engagierte ich mich für sechs Monate als Freiwillige bei ACbit - Asosiasaun Chega! Ba Ita. Als ich mit einem Abschluss in International Relation Studies nach Dili zurückkehrte, konnte ich direkt dort anfangen. Meine erste Aufgabe war das Handbuch zu Frauen, Frieden und Sicherheit aus dem Englischen in unsere lokale Sprache Tetum zu übersetzen. Schon rasch fand ich meine Berufung in der direkten Arbeit mit Überlebenden von Gewalt während der indonesischen Besatzungszeit. Diese Frauen zählen zur verletzbarsten Gruppe, noch heute. Mich zusammen mit ihnen für ihre Rechte einzusetzen, ist mir ein ganz starkes Anliegen.
Das Erreichen der Unabhängigkeit war das übergeordnete Ziel der Generation im Widerstand. 1999, zum Zeitpunkt des Referendums, das die Vereinten Nationen zur Lösung des Konfliktes durchgeführt haben, wart ihr noch nicht in der Schule, ihr seid, wie ihr uns erzählt habt, Mitte der 90er Jahre geboren. Damit zählt ihr zur ersten Generation, die im unabhängigen Timor-Leste aufgewachsen ist. Welchen Bezug habt ihr zu den Zukunftsträumen und Visionen der vorangegangenen Generation, teilt ihr diese oder was sind Eure für die Entwicklung eures Landes?
Dorcy Roslya Daos: Auch wenn wir nicht aktiv vor 1999 gekämpft haben, bedeutet das keineswegs, dass es nichts mehr gäbe, wofür wir heute kämpfen könnten. Ganz im Gegenteil: Wir arbeiten in unseren Organisationen, weil es unsere Passion ist, uns für eine gerechte Gesellschaft einzubringen. Wir haben bei CPA die Möglichkeit, den direkten Kontakt zur Regierung und zur Gesellschaft zu halten. Die Regierung hat vielerorts den Kontakt zu Gemeinden in den ländlichen Gebieten verloren und nimmt deren Not nicht mehr ausreichend war.
Die ‚Stimme der Stimmlosen‘ zu sein heißt Fürsprecher und Informationsträger in beide Richtungen zu sein, - die Regierung auf Missstände aufmerksam zu machen und uns für die Belange der Gesellschaft einzusetzen. Uns mit aller Kraft einzubringen ist unsere Verantwortung.
Domingas Silva: In unseren Organisationen vervollständigen wir die Brücke zwischen Regierung und Gesellschaft. Unsere Aufgabe liegt darin, eine Verständnislücke zu schließen und die Stimmen der Marginalisierten einzubringen. Zudem ist der Graben zwischen älterer und jüngerer Generation zu überwinden. Die ältere Generation ist in der politischen Führung unseres Landes bestimmend. Wie können wir deren verinnerlichte Haltung bezüglich junger Menschen erweitern, damit auch wir die Möglichkeit der Mitsprache haben und Führung übernehmen können? Es gibt auch in unserer Generation viel Potential.
Dorcy Roslya Daos: Ich glaube an die Kraft unterschiedlicher Perspektiven. Wenn die Ideen und Haltungen der beiden Generation Raum finden, werden sie sich für unser nation-building bestmöglich komplettieren. Wir stehen für die Zukunft, die ältere Generation trägt die Geschichte.
Fühlt ihr euch von der älteren Generation eingeladen, euch mit euren Ideen und Fähigkeiten einzubringen?
Dorcy Roslya Daos: Ja, absolut! Vieles von dem, wofür in der Vergangenheit gekämpft wurde, hat auch heute seine Bedeutung beibehalten. Wir haben eine gemeinsame Mission: das Eintreten für Frieden, Menschenrechte und Gerechtigkeit. Aber um uns einzubringen, müssen wir vermehrt Präsenz zeigen können. Unseren Arbeitsplätzen sind die Orte, an denen wir uns momentan als junge Generation wirkungsvoll einsetzen können.
Domingas Silva: Wir arbeiten mit weiblichen Überlebenden von Gewalt aus der Besatzungszeit. Wir müssen hart dafür kämpfen, dass ihr Beitrag im Widerstand sichtbar und anerkannt wird. In der starken patriarchalen Haltung der von Veteranen durchsetzten Regierung und Gesellschaft zählen nur die männlichen Kämpfer als Helden. Wenn wir uns bei ACbit zum Beispiel stark machen für ein Gesetz für Reparationen, das alle Betroffenen miteinbezieht, so finden wir dafür keinerlei Gehör bei der Regierung. Es gibt ein spezielles System zur Unterstützung der Veteran:innen, auch ihre Kinder sind mit einer Vielzahl von Vergünstigungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich bedacht. Die zivilen weiblichen Überlebenden von Gewalt gehen leer aus. Dabei brauchen sie dringend therapeutische Hilfe – körperlich wie seelisch. Sie müssen mit den Folgen von Folter, von sexualisierter und anderer Gewalterfahrungen leben, zum Teil fehlt es ihnen am Nötigsten für sich und ihre Kinder. Viele sind von ihren Familien im Stich gelassen worden. Uns begegnen in der Arbeit häufig Frauen im Ländlichen, die sich nur eine Mahlzeit am Tag leisten können. Es bewegt mich unglaublich, dass sich für die Frauen das Gefühl von Machtlosigkeit bis in die heutige Zeit hinein hält. Auch darin spiegelt sich die Dominanz der patriarchalen Gesellschaftsordnung.
Dorcy Roslya Daos: Die Vernachlässigung der Anliegen der Menschen im Ländlichen geht soweit, dass der Zugang zu Bildung zwar da ist, aber es an grundsätzlicher Ausstattung in den Schulen fehlt. In einer unserer letzten Sendungen haben wir über den Fall berichtet, indem Kinder große Steine gesammelt haben, um sie in der Schule als Stühle zu nutzen. Wir fanden zudem heraus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den Stimmen für die Regierungspartei bei der letzten Wahl im Ort und der Frage nach Unterstützungswürdigkeit der Gemeinde gab. Wir haben die Behörden auf den Missstand aufmerksam gemacht, diesen Fall beim Ministerium vorgelegt und uns dafür eingesetzt, dass hier sofort Abhilfe geschaffen wurde.
Was habt ihr für euch als junge Generation schon erreicht, wo seht ihr Veränderungsprozesse?
Domingas Silva: Ich kann meinen Beitrag nicht losgelöst von meiner Arbeit betrachten. Durch unsere Mitarbeit in den Organisationen können wir ganz konkret unsere Impulse als junge Generation miteinbringen. Zum Beispiel habe ich mitgewirkt beim Aufbau eines Unterstützungsforums für und von Überlebenden von Gewalt, das jetzt von ihnen als Agentinnen des Wandels geleitet wird. Das heißt, Überlebende organisieren sich, sodass sie unabhängig der gesellschaftlichen Haltung gut für sich sorgen und sich gleichzeitig auch für ihre Rechte – individuell wie auch als Gruppe – einsetzen können. Dies Initiative war ein wichtiger Beitrag zu Kapazitätenaufbau und empowerment, der einen Veränderungsprozess in Gang gesetzt hat.
Ein weiteres Beispiel: Wir sind stark vernetzt in der Zivilgesellschaft, unterhalten auch enge Zusammenarbeit mit dem Ministerium für soziale Solidarität. Unser Anstoß zu Veränderung geht bis in den privaten Bereich hinein. Wir sorgen dafür, dass Betroffene und ihre Familien dringende Unterstützung erhalten, seien es Nahrungsmittel oder auch bei einem Todesfall die Bereitstellung eines Sarges. Wir stellen die Verbindung zum Justizministerium her und begleiten die Betroffenen bei der Beschaffung einer Geburtsurkunde oder eines Ausweises für Kinder, die aus einer Vergewaltigung hervorgegangen sind. Das wird dann notwendig, wenn die Problematik vorliegt, dass ein Vater nicht angegeben werden kann oder darf.
Dorcy Roslya Daos: Wir greifen in unserer Medienarbeit gezielt Probleme auf, mit denen junge Menschen auf dem Land konfrontiert sind: Wir bringen deren Anliegen auf gesellschaftlicher Ebenen wie auch bei der Regierung ins Bewusstsein. Dazu gehören Themen wie Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Zugang zu Märken wie auch Arbeitsmöglichkeiten. Ein gravierendes Problem ist auch die Situation von jungen Mädchen, denen in der Familie der Zugang zu weiterer Bildung zugunsten von Brüdern verwehrt wird. Auch ist es nicht selten, dass Mädchen die Schule wegen einer frühen Schwangerschaft abbrechen, obwohl sie von Rechtswegen die Möglichkeit der Fortsetzung hätten. Junge Menschen mit Behinderung haben oftmals keine Möglichkeit eine weiterführende Schule in der Hauptstadt zu besuchen; hier mangelt es an Unterstützungseinrichtungen.
Ihr habt uns anschaulich nähergebracht, wie ihr als junge Generation in euren Organisationen Raum zum Mitwirken habt. Wie sieht es auf der politischen Ebene aus? Wird es Möglichkeiten für Wandel geben solange die alte Generation und Garde aus dem Widerstand die Regierung dominieren?
Domingas Silva: Bei den nächsten Wahlen in 5 Jahren wird die junge Generation zwangsläufig eine größere Rolle spielen. Wir werden vor vielen Herausforderungen stehen: Die Öl-und Gasvorkommen gehen zur Neige, es fehlt weiterhin an gut ausgebildeten Arbeitskräften, mangels Arbeitsmöglichkeiten und aufgrund wirtschaftlicher Bedingungen verlieren wir viele junge Menschen ins Ausland. Um all diese Probleme anzugehen, müssen neue Ideen und Lösungsmodelle umgesetzt werden. Bislang sehen wir, dass politische Kräfte aus der jüngeren Generation, die in neuen Ansätzen denken, nicht gewählt wurden. Das Potenzial ist da, denn wir haben gelernt, uns mit dem, was wir vorfinden, selbst zu befähigen und zu motivieren.
Dorcy Roslya Daos: Wir dürfen aber nicht vergessen, wie viel wir als junge Generation von den Alten nicht nur gelernt haben, sondern auch wie stark wir dadurch geprägt sind. Viele von uns stehen nicht zwingend für eine neue Haltung. Dazu kommt, dass bisher viele junge Menschen noch sehr zaghaft sind, ihre Fähigkeiten zu zeigen und einzubringen. Wir können uns gegenseitig ermutigen, uns auch mit einer Stimme einbringen. Wir haben einen gemeinsamen Traum und umso wichtiger ist es, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu entwickeln.