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Kambodscha: „Die Pandemie hat die Digitalisierung im Bildungswesen beschleunigt“

Schulhof der Banteay Dek Primary School in Kambodscha (Foto: Global Partnership for Education, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0)
Schulhof der Banteay Dek Primary School in Kambodscha (Foto: Global Partnership for Education, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0)

In den letzten Jahren gab es einige positive Entwicklungen in Kambodschas Bildungssektor. Dennoch steht das Bildungswesen weiter vor großen Herausforderungen. Ein Gespräch mit Ali Al-Nasani vom Raoul Wallenberg Institut über das kambodschanische Bildungswesen, die Auswirkungen der Pandemie und Hochschulbildung im Land.

Wie ist die Bildungslage in Kambodscha momentan?

Wenn wir über Kambodscha sprechen, müssen wir immer den Genozid der 1970er Jahre mitberücksichtigen. In dem Versuch, einen reinen Agrarstaat aufzubauen, haben die Roten Khmer damals gezielt Intellektuelle umgebracht. Schätzungsweise ein Viertel der Bevölkerung starb damals. Im Visier waren vor allem Verwaltungsangestellte, akademisches Personal, Lehrkräfte, Justizangestellte, Krankenhauspersonal, städtische Bevölkerung – all jene, die irgendeine Form von Ausbildung hatten. Bis heute macht sich dieser Genozid auch im Bildungsbereich bemerkbar, denn es fehlen in Kambodscha immer noch gut ausgebildete Lehrkräfte, gerade in der höheren Ausbildung. Ein Grund dafür mag auch sein, dass viele die Schule abbrechen. Laut UNICEF sind das in den höheren Klassen, z. B. 6, 7 und 8 bis zu 15% der Mädchen und 18% der Jungen, obwohl die Schulpflicht bis zur 9. Klasse gilt.

Wie ist die Situation von Frauen und Mädchen an den Schulen?

Nach der Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten erhofft man sich eine Rückkehr zu einem geregelten Schulalltag (Foto: Global Partnership for Education, CC BY-NC-ND 2.0)Es gibt immer noch traditionelle Stereotype, die vor allem Mädchen und junge Frauen in der Bildung benachteiligen. Das ist vor allem in den ländlichen Regionen der Fall. Sie können z.B. oft nicht an Abendklassen teilnehmen, da sie nach Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein sollen. Oder sie dürfen nicht in einer Stadt fernab der Familie studieren.

In den letzten Jahren gab es viele positive Entwicklungen mit insgesamt höheren Einschulungsraten und gleichen Zahlen für Jungen und Mädchen. Die Alphabetisierungsrate ist seit 1998 von 67% auf 82% gestiegen. Doch je höher die Ausbildung, desto geringer wird der Anteil an jungen Frauen. Übrigens ein Phänomen, das wir auch in so genannten entwickelten Ländern sehen.

Wie sieht es mit Unterrichtsangeboten für Minderheiten aus?

Die Einschulungsraten von indigenen Kindern ist in den letzten Jahren gestiegen. Vor allem Bildungsangebote in indigenen Sprachen tragen zu höherer Alphabetisierung bei. Allerdings bleibt das Gesamtniveau der Bildung unter dem Durchschnitt, mit höheren Raten von Schulabbruch.

Große Sorgen bereitet die Bildungssituation der ethnisch vietnamesischen Minderheit. Da sie aufgrund ihres ungeklärten Status oft keine Geburtsurkunden für ihre Kinder bekommen, können diese keine Schule besuchen. Langfristig trägt das zu Armut und weiterer Ausgrenzung bei.

Wie wird an Bildungseinrichtungen unterrichtet?

An staatlichen Schulen und Universitäten herrscht oft noch ein lehrkraftzentrierter Frontalunterricht vor. Private Schulen und Universitäten richten den Unterricht eher an den Studierenden aus, doch sind diese Institutionen für viele Familien, vor allem in den ländlichen Gebieten, schlichtweg unerschwinglich.

Welche Rolle spielen die kambodschanische Regierung und internationale Mittelgeber?

Die kambodschanische Verfassung sieht Bildung in Artikel 65 vor; 2007 wurde ein Gesetz zur Förderung von Bildung erlassen. Allerdings bleibt der Bildungssektor notorisch unterfinanziert, vor allem, wenn man Kambodscha mit anderen Ländern der Region wie Thailand oder gar Singapur vergleicht.

Menschenrechtstraining für Studierende in Kampot (Foto: RWI)Die internationale Gebergemeinschaft ist im Bildungsbereich nicht sehr stark präsent. Wer nur in parlamentarischen Zyklen von z.B. vier Jahren plant, scheut sich vor Aktivitäten in einem Bereich, der langfristige Planung und viel Geduld erfordert.

Ich habe in den vergangenen Jahren viele Projekte gesehen, auch solche der deutschen Entwicklungskooperation, bei denen für ein oder zwei Jahre eine riesige Geldsumme auf kleine Organisationen geworfen wurde, in der Hoffnung, damit etwas bewirken zu können. Das ist natürlich naiv und obszön zugleich, denn solche Projekte verpuffen wirkungslos und fördern höchstens eine Geberabhängigkeit. Gerade im Bildungsbereich braucht es einen langen Atem und langfristiges Engagement, das sich nicht durch Tagespolitik beeinflussen lässt.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf das Bildungswesen ausgewirkt?

Insgesamt gab es eine Vielzahl von unterschiedlichen Tendenzen, die sich bisweilen nur zum Teil auf COVID-19 zurückführen lassen. Zunächst einmal mussten auch in Kambodscha Schulen und Universitäten geschlossen werden, um eine Verbreitung des Virus zu unterbinden.

Es hat wie in anderen Ländern auch eine Digitalisierung von Unterricht stattgefunden, die allerdings vor allem Studierende in den ländlichen Provinzen benachteiligte, weil dort einerseits die Netzabdeckung unzuverlässig und schwach ist und andererseits die Bevölkerung in den ländlichen Regionen eben oft nicht die finanziellen Kapazitäten hat, hochleistungsfähige Smartphones oder gar Computer zu kaufen. Diese Digitalisierung hatte zum Teil schon vor der Pandemie begonnen, wurde dann allerdings stark beschleunigt.

Gab es dabei Genderunterschiede in den Folgen?

Weibliche Lehrkräfte hatten zum Teil eine doppelte Last mit dem [digitalen] Unterricht vom Heimarbeitsplatz und Aufgaben im Haus, weil sie dort auch zusätzlich Sorgearbeit für die Familien übernehmen mussten. Es gab aber auch Berichte von Frauen, deren Ehemänner Teile dieser Arbeit übernahmen.

Was Schülerinnen und Studentinnen angeht, so kann man in Kambodscha feststellen, dass sie keinen generell schlechteren Zugang oder weniger Wissen über Online-Technologie hatten. Ausschlaggebend diesbezüglich ist weniger ein Genderaspekt, sondern mehr die Lokalität des Wohnorts und die finanziellen Kapazitäten der Familie.

Welche weiteren Entwicklungen hast du infolge der Pandemie beobachtet?

Aufgrund einer intensiven Impfkampagne und der sofortigen und langen Schließung der Landesgrenzen ist Kambodscha vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen. Interessanterweise hatte die Schließung von öffentlichen Institutionen den positiven Effekt, dass viele Familien von mehr Qualitätszeit und geringeren Ausgaben für tägliches Pendeln berichteten. Die Zahl von Verkehrsunfällen hat deutlich abgenommen, was in einem Land wie Kambodscha mit einer ziemlich hohen Zahl von Verkehrstoten nicht unerheblich ist.

Insgesamt war die COVID-Zeit aber auch mental eine starke Belastung. Es fehlt zwar valides Datenmaterial, aber es gibt Anhaltspunkte für eine Zunahme von Depressionen, Angstzuständen und Vereinsamung von Jugendlichen. Dies hört nicht einfach mit der Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten auf, sondern die Nachwirkungen bleiben spürbar in einer Gesellschaft, in der es viel zu wenig psychologisch geschultes Personal gibt.

Bis heute ist eine offene Frage, wie sich Unterrichtsaufzeichnungen mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten vertragen. Aber das wird auch in anderen Ländern noch beantwortet werden müssen.

Sprechen wir über deine Arbeit und Projekte. Wie unterstützt das Raoul Wallenberg Institut Hochschulbildung in Kambodscha?

Studierende aus der Provinz Battambang besuchen das Rote-Khmer-Tribunal (Foto: RWI)Seit 2013 ist das RWI in Kambodscha aktiv. Wir haben den bisher einzigen englischsprachigen Masterstudiengang zu Internationaler Menschenrechtspolitik an der Pannasastra-Universität in Phnom Penh eingerichtet und unterstützen ihn bis heute mit Stipendien, Curriculum-Entwicklung, und Gehältern für Lehrkräfte. Darüber hinaus stellen wir Stipendien an fünf weiteren Universitäten zur Verfügung und haben hier einen besonderen Schwerpunkt auf Studierende aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

Im Rahmen unserer Universitätsunterstützung fördern wir zusätzlich Übersetzungen von Menschenrechtstexten, Forschung zu aktuellen Menschenrechtsthemen und finanzieren Trainings für den Aufbau und Unterhalt von Bibliotheken.

Ist diese Arbeit erfolgreich?

Investition in Bildung ist ein langfristiges Programm, das keine Wirkung innerhalb von 2 oder 3 Jahren erzielt. Wir müssen in Kategorien von 10 bis 15 oder gar 20 Jahren denken. Doch schon heute können wir sehen, dass die Studierenden, die durch RWI gefördert wurden, problemlos auf dem Arbeitsmarkt integriert werden und dort Positionen erhalten, in denen sie ihr Menschenrechtswissen anwenden können. „Unsere“ Studierende arbeiten in zivilgesellschaftlichen Organisationen, in Forschungseinrichtungen, in der öffentlichen Verwaltung, an Gerichten und in Ministerien. Noch ist die Zahl relativ klein. Aber wir hoffen, dass wir mit der Fortsetzung unserer gezielten Förderung langfristig einen Unterschied machen können.

Ali Al-Nasani leitet seit 2020 das RWI in Kambodscha.Über den Interviewpartner:

Ali Al-Nasani leitet seit 2020 das Raoul Wallenberg Institut für Menschenrechte und humanitäres Recht (RWI) in Kambodscha. Zuvor war er Landesdirektor der Heinrich Böll Stiftung in Phnom Penh.

Das Gespräch führte Raphael Göpel von der Stiftung Asienhaus.

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