Spenden für die Stiftung Asienhaus

Umweltverbrechen in Kambodscha: Ein Journalist stirbt, das Schweigen bleibt

Beng Per Wildlife Sanctuary
Im November 2024 prangerte der Lokaljournalist Chhoeung Chheng die Passivität der Behörden angesichts der Abholzung dieser Fläche im Westen des Schutzgebietes Beng Per Wildlife Sanctuary an (Foto: Gerald Flynn).

Im Dezember 2024 wurde der Journalist Chhoeung Chheng ermordet. Warum? Eine Spurensuche von Forbidden Stories mit Léa Peruchon und Sinorn Thang.

Im ländlichen Kambodscha versuchen lokale Journalist:innen die Öffentlichkeit und Behörden auf die illegale Abholzung der Wälder aufmerksam zu machen. Im Dezember 2024 wurde einer von ihnen bei einer Recherche angeschossen und erlag seinen Verletzungen. Forbidden Stories begab sich an den Tatort, um die Umstände seines Todes zu untersuchen.

„Er wollte den Wald schützen.“ Chey Yeun hat Tränen in den Augen, als sie auf den kleinen Altar zeigt. Eine Urne, ein paar Opfergaben und ein Foto: Das ist alles, was ihr von dem Mann geblieben ist, mit dem sie 37 Jahre ihres Lebens geteilt hat.

Zwei Wochen zuvor, am 4. Dezember 2024, waren die Journalisten Chhoeung Chheng und Moeun Ny auf dem Heimweg. Den ganzen Tag über hatten sie mit dem Motorrad ein Waldgebiet erkundet. Gegen 18 Uhr, als die letzten Sonnenstrahlen des Tages die Bäume des Naturschutzgebietes Beng Per Wildlife Sanctuary im Norden Kambodschas streiften, trafen sie auf einen Bauern namens Si Loeuy. Er fragte, was sie denn täten und unterhielt sich kurz mit ihnen. Als sie nach einer Pause weiterfuhren, lauerte ihnen derselbe Bauer weiter hinten an der Straße auf. Mit einer selbstgebauten Pistole schoss es auf sie. Die Kugel traf Chhengs linke Körperhälfte, daraufhin brach er zusammen. Der 63-jährige Journalist wurde noch bei Bewusstsein auf einer behelfsmäßigen Bahre in das nächstgelegene Dorf getragen. Anschließend wurde er in ein Krankenhaus im 85 Kilometer entfernten Siem Reap gebracht. Dort erlag er drei Tage später seinen Verletzungen.

Chheng war ein ehemaliger Soldat. Er wurde Journalist, um den Wald zu retten. Wie 8.000 seiner Kolleg:innen besaß er einen vom kambodschanischen Informationsministerium ausgestellten Presseausweis. Bezahlt wurde er jedoch für seine Arbeit nicht. Das ist in Kambodscha durchaus üblich: Journalist:innen werden oft spärlich entlohnt und leben von anderen Gelegenheitsjobs, um ihr Einkommen aufzubessern. „Sie werden nicht bezahlt und sind nicht wirklich als Journalist:innen qualifiziert, aber sie sind entschlossen. Und sie arbeiten mit großer Leidenschaft“, sagt Nop Vy, Direktor der Cambodian Journalists Alliance Association (CamboJA). Chheng war Analphabet. Da er nicht schreiben konnte, drehte er Videos, die er an den Chefredakteur der Online-Website Kampuchea Apivhat schickte. Kampuchea Apivhat ist eine private Medienplattform, von denen es in Kambodscha Hunderte gibt.

Die Witwe Chey Yeun, 69, erzählt über ihren ermordeten Ehemann Chhoeung Chheng. Im Hintergrund lehnt ein Foto des Journalisten an seiner Urne (Foto: Léa Peruchon / Forbidden Stories).

Obwohl Kambodscha 1925 das erste Land in Südostasien war, das ein Netz von Naturschutzgebieten einrichtete, hat es große Schwierigkeiten, diese Naturräume zu schützen. Am Tag seines Todes suchten Chheng und sein Kollege Ny nach frisch gerodeten Flächen im Naturschutzgebiet Beng Per Wildlife Sanctuary. Das Schutzgebiet umfasste ursprünglich fast 2.500 Quadratkilometer, wurde im Laufe der Jahre jedoch immer mehr abgeholzt. Forbidden Stories hat vor Ort recherchiert, um herauszufinden, was den Journalisten sein Leben gekostet hat.

Umweltjournalismus in Kambodscha: Der Fall Chhoeung Chheng

  • Der Journalist Chhoeung Chheng wurde im Dezember 2024 ermordet. Seine Videos über die Abholzung der Wälder könnten ein Grund für seine Ermordung gewesen sein.
  • Die gerodete Fläche, die er einige Wochen vor seinem Tod gefilmt hatte, erregte die Aufmerksamkeit der Behörden, die inzwischen eine Untersuchung eingeleitet haben.
  • Journalist:innen, die in Kambodscha über Umweltthemen recherchieren, sind zunehmend Repressionen ausgesetzt. Einige wurden kürzlich inhaftiert, anderen die Einreise nach Kambodscha verweigert.

Beng Per, ein Schutzgebiet nur auf dem Papier

Das Weltkulturerbe von Angkor Wat liegt nur zwei Autostunden von Chhengs Dorf Trapang Phloh entfernt. Doch hier ist das Leben anders. Es gibt keine Grabstätten, und noch weniger Tourist:innen. Entlang der Straße ist die Landschaft von abgeholzten Wäldern geprägt. Armut ist allgegenwärtig. Hinzu kommt die Omertà (Schweigepflicht der Mitglieder krimineller Organisationen gegenüber Außenstehenden). Es ist offensichtlich, dass das Beng Per Wildlife Sanctuary nur noch auf dem Papier ein Naturschutzgebiet ist – etwas, das Chheng entschieden kritisierte.

In Kambodscha ist es besonders riskant, über Umweltzerstörung zu berichten. Denn sie deckt die illegalen Aktivitäten der Holzmagnaten und die Korruption der Behörden auf.

Zu diesen Themen können investigative Journalist:innen heute kaum noch recherchieren. Die Berichterstattung ist daher abhängig von Journalist:innen wie Chheng: Menschen, die erst spät zu diesem Beruf gekommen sind und keine andere Möglichkeit haben, als das zu filmen, was sie sehen.

„Was sie tun, ist sehr gefährlich. Sie agieren wie Whistleblower. Wenn sie mitbekommen, dass etwas Illegales passiert, untersuchen sie es und melden es den Behörden“, sagt Vy. „Wir brauchen sie.“

Wenn man sich dem Naturschutzgebiet nähert, gibt es weder Bäume noch Schilder, die Besucher:innen willkommen heißen. Selbst wenn man genau hinhört, ist kaum Vogelgezwitscher zu hören. Nur ein paar Reiher sind zu sehen, die auf den Rücken abgemagerter Büffel stehen. Entlang der Straße sind die wertvollsten Bäume, vor allem Palisander (Rosenholz), längst abgeholzt worden.

 „Palisander wird für den Möbelbau abgeholzt“, sagt Ny. „Die kleineren Bäume werden nach dem Fällen verbrannt und zu Holzkohle verarbeitet. Auf den gerodeten Flächen werden dann Maniok und Cashewbäume gepflanzt.“

Laut Global Forest Watch wurden in den letzten zwanzig Jahren fast drei Viertel des Primärwaldes von Beng Per zerstört. Die Online-Plattform erstellt ihre Schätzungen auf der Grundlage von Satellitenbildern.

Am Tag von Chhengs Ermordung wagten sich die beiden Journalisten drei Kilometer östlich der Hauptstraße in den Wald. Auf einer Lichtung zeugen nur noch einige Baumstümpfe von den einst unberührten Waldflächen. Cheng war nicht zum ersten Mal an diesem Ort. Drei Wochen vor seinem Tod hatte er die Behörden öffentlich auf die Abholzung dieses Waldstücks aufmerksam gemacht. In einem inzwischen gelöschten Facebook-Video, das das Team von Forbidden Stories auf seinem Handy fand, prangert er die Untätigkeit und sogar eine Mitschuld der lokalen Umweltschutzbeamten an. „Wie konnten sie nicht hören, dass ein Traktor das Land rodet?“, fragt Chheng in die Kamera. Daraufhin rief ihn der für das Schutzgebiet zuständige Forstbeamte an.

Nicht einmal eine Stunde nach den Schüssen auf Cheng beschlagnahmten die Behörden das Telefon seines Kollegen Nys, angeblich um alle an diesem Tag aufgenommenen Fotos zu löschen. Obwohl Forbidden Stories dies nicht unabhängig überprüfen kann, glaubt Ny, dass dies ein Versuch gewesen sein könnte, Beweise für den Mord an Chheng zu vernichten.

Chheng war in seiner Arbeit unerbittlich. Er verfolgte und fotografierte alle, die illegal in der Nähe seines Dorfes Trapang Phloh abholzten. Dabei war es ihm egal, ob derjenige nur einen Baum oder einen ganzen Hektar rodete – auch, wenn er sich damit Feinde machte. Illegale Holzfäller gibt es hier überall. Aber die meisten roden im kleinen Stil und nur, weil sie schlichtweg keine andere Wahl haben.

Zusammenfassendes Video zum Mord an Chhoeung Chheng

Holz: eine lebenswichtige Ressource für kambodschanische Bäuer:innen

In Kambodscha lebt fast ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Holz ist oft die einzige Enerqiequelle, die Menschen in Armut zur Verfügung steht, vor allem zum Kochen. Entlang der Straße, die zum Dorf Trapang Phloh führt, sind traditionelle, mit Stroh bedeckte Ziegelschornsteine zu sehen. Dies sind die Öfen, in denen die Bäume des Schutzgebietes zu Holzkohle verarbeitet werden. Einer davon steht im Garten von Si Loeuy, der wegen des Mordverdachts an Chheng verhaftet wurde.

Die meisten Bewohner:innen von Trapang Phloh sind arm. Auch Loeuy und seine Frau leben in sehr prekären Verhältnissen. Auf einer Fläche von nur wenigen Quadratmetern befinden sich ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche, darüber ein Holzdach. Viel zum Leben haben sie nicht: Loeuy versorgt die Kühe, während seine Frau auf den Reisfeldern arbeitet. Wenn das Geld mal nicht reiche, erzählt seine Frau, fälle ihr Ehemann illegal einige Bäume und verkaufe sie an lokale Zwischenhändler. Das sei hier üblich, sagt der Besitzer eines Lebensmittelladens im Dorf. Ihm zufolge täten das alle Einheimischen.

Loeuy befindet sich derzeit im Gefängnis von Siem Reap und wartet auf seinen Prozess. Seine Frau sagte, sie wisse nicht, warum er den Journalisten erschossen haben könne. Laut dem Staatsanwalt des Provinzgerichts von Siem Reap hat Loeuy gestanden, die Waffe nach einem persönlichen Streit abgefeuert zu haben. Als Grund für den Streit nannte Loeuy einen Erpressungsversuch Chhengs. Ihm drohen nun bis zu 15 Jahre Haft.

Forbidden Stories sprach auch mit Orn Reaksmey, dem lokalen Polizisten, der Loeuy verhaftet hatte. Er bestreitet, dass Loeuy eine Beschwerde über einen Erpressungsversuch eingereicht habe. Einige Einheimische erzählen hingegen, dass es nicht ungewöhnlich für Journalisten sei, für ihr Schweigen Gegenleistungen zu erhalten. Sie versprechen zum Beispiel ihre Videos aus dem Wald nicht zu veröffentlichen, wenn sie dafür im Gegenzug ein paar Riels (Kambodschanische Landewährung) erhalten. Einige Journalisten bekommen für ihr Schweigen etwas Holz, andere geringe Summen zwischen 10.000 und 20.000 Riels (3,50 Euro), um ihre Lebensmittel oder Benzin für ihr Motorrad zu bezahlen. Doch solche Summen seien zu gering, um einen Mord zu rechtfertigen, meint Vy, der Direktor von CamboJA.

„Wir glauben nicht, dass Chheng wegen etwas Kleingeld getötet wurde“, sagt er. „Die Frage ist, wer gibt den Journalist:innen das Geld und warum? Die Antwort lautet: Menschen die versuchen, Journalisten zu bestechen, weil sie etwas zu verbergen haben.“

Der mutmaßliche Mörder soll dem Provinzkoordinator der Menschenrechtsorganisation ADHOC gesagt haben, er sei „sehr wütend auf Chheng wegen seiner Facebook-Posts“. Die Angehörigen des Journalisten vermuten, dass Loeuy beauftragt wurde, den Journalisten zum Schweigen zu bringen. Eines steht fest: Dieser Mord hat im Dorf seine Spuren hinterlassen. Nur wenige Dorfbewohner:innen waren bereit, mit uns zu sprechen.

Pressefreiheit in Kambodscha zunehmend bedroht

Zusammen mit Chhengs Kollegen Ny kehrte Forbidden Stories zu der abgeholzten Fläche zurück. Dort ist nun ein Schild aufgestellt worden, worauf steht: „Auf diesem Land wird eine Untersuchung durchgeführt.“ 

Chhoeung Chheng kritisierte die Untätigkeit der Behörden nach der Rodung dieser Fläche. Nach seinem Tod wurde hier ein Schild mit der Aufschrift „Auf diesem Land wird eine Untersuchung durchgeführt“ aufgestellt (Foto: Léa Peruchon / Forbidden Stories).

Darüber wollten wir mehr herausfinden. Bei der Forstverwaltung trafen wir auf eine Handvoll Männer, die in Hängematten lagen. Keiner von ihnen wollte mit uns über den Fall sprechen. Sie verwiesen uns an ihre Vorgesetzten, 90 Kilometer entfernt.

Wir konnten einen der Männer ausfindig machen, der die Bäume gefällt hatte. Seine Frau empfing uns vor ihrem Haus. Unter der Veranda stand ein Traktor. Der Mann gab vor, krank zu sein, um nicht mit uns sprechen zu müssen. Allen schien unsere Anwesenheit unangenehm zu sein.

Auch für die kambodschanische Justiz ist der Mord an Chheng eine heikle Angelegenheit. Nachdem der Sprecher des Staatsanwalts der Provinz Siem Reap zunächst einem Gespräch zugestimmt hatte, sagte er später mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen ab.

Das kambodschanische Informationsministerium ließ durch einen Sprecher seine Unterstützung für das laufende Gerichtsverfahren ausrichten, damit die Familie von Chheng Gerechtigkeit erfahren könne. „Journalist:innen dürfen ihre Arbeit nicht über die Grenzen und Pflichten des Journalismus hinaus ausdehnen. Sie müssen mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten und ihnen angemessenen Informationen zur Verfügung stellen. Dann können alle sensiblen Fälle, über die berichtet wird, bearbeitet werden“, fügte der Sprecher hinzu.

Zuletzt wurde 2014 ein Journalist in Kambodscha ermordet. Taing Try hatte ebenfalls über Abholzungen recherchiert. Seitdem sind viele seiner Kolleg:innen zu Haftstrafen verurteilt worden. Dies gilt auch für Soeu Sochea, den Forbidden Stories für diesen Artikel getroffen hat. In seinen Videos prangert der Journalist die Ineffizienz und Korruption der lokalen Behörden in der zentral gelegenen Provinz Kampong Thom an.

Im Mai 2024 wurde er aufgrund einer Anzeige wegen „Anstiftung zu Straftaten und Diskriminierung“ inhaftiert. Der örtliche Leiter des Umweltschutzes hatte sie eingereicht.

„Vor meiner Verhaftung riefen mich [die Behörden] an, um mir zu sagen, dass ich [der Holzmafia] nicht gewachsen sei und dass wir einen Kompromiss finden könnten“, sagt Sochea. „Aber ich weigerte mich, also wurde ich festgenommen.“

Auf Anfrage teilte das kambodschanische Informationsministerium Forbidden Stories mit, dass ihm der Fall nicht bekannt sei. Es betonte daraufhin, die Einhaltung ethischer Standards für Journalist:innen. Sochea ist seit November 2024 auf Bewährung. Doch er ist entschlossen, seine Arbeit wiederaufzunehmen. „Wenn ich es nicht tue, wer dann?“, fragt er.

Auch ausländische Journalisten wie Gerald Flynn stehen im Visier der Behörden. Der britische Journalist war bis Januar 2025 einer der letzten, der über die Abholzung in Kambodscha berichtete. Nur wenige Tage nachdem France 24 einen Dokumentarfilm über die Abholzung des Regenwaldes in den Kardamom-Bergen ausgestrahlt hatte, wurde ihm die Einreise nach Kambodscha verwehrt. Im südlichen Teil der Kardamom-Berge gibt es ein Klimakompensationsprojekt (REDD+), das Emissionszertifikate an ausländische Unternehmen verkauft. Damit sollen die Waldgebiete geschützt werden, um den ökologischen Fußabdruck von Unternehmen zu reduzieren. Mit seiner Drohne hatte Flynn jedoch die großflächige Abholzung dieses Waldes aufgedeckt.

„Seit der ehemalige Premierminister Hun Sen 2017 hart gegen unabhängige Medien vorging, hat sich die Pressefreiheit in Kambodscha stetig weiter verschlechtert“, schreibt Reporter ohne Grenzen. In Kambodscha bleiben lokale Journalist:innen die letzte Stütze unabhängiger Informationen, aber zu welchem Preis? Einer von ihnen bringt es auf den Punkt: „Heute wurde Chheng getötet, morgen könnte ich es sein“.

Artikel von Léa Peruchon und Sinorn Thang. Übersetzung von Raphael Göpel/Stiftung Asienhaus. Er wurde ursprünglich auf Forbidden Stories veröffentlicht. Forbidden Stories ist eine gemeinnützige Organisation, die bedrohte Journalist:innen schützt und Recherchen von Reporter:innen fortsetzt, die zum Schweigen gebracht wurden. Wir danken herzlich für die Bereitstellung von Text und Bildern und  die gute Kooperation.

Bildnachweise – Foto 1:Gerald Flynn, Foto 2 und 3: Léa Peruchon / Forbidden Stories

Mehr zu Kambodscha

Zurück