Spenden für die Stiftung Asienhaus

Krise der Jugend in Timor-Leste: Institutionelles Versagen

Timor-Lestes Jugend auf dem Weg in die Zukunft (Foto: Monika Schlicher
Timor-Lestes Jugend auf dem Weg in die Zukunft (Foto: Monika Schlicher)

Fundasaun Mahein (FM) fordert Veränderungen bei Regierung, Kirche und Familie, um problematischen Verhaltensweisen bei Jugendlichen zu begegnen.

In Timor-Leste wächst die Besorgnis über das Phänomen der Jugendgewalt in den Stadtvierteln. Fundasaun Mahein (FM) hebt in ihrer Analyse dabei die Rolle von sozialen, politischen und religiösen Institutionen hervor und ergänzt damit die gängigen Erklärungen. Die in Dili ansässige NGO untersucht die Demokratisierungsprozesse, Entwicklungen staatlicher Institutionen und den Sicherheitssektor.  

Ursachen für die steigende Gewalt

Abseits der überwiegende Mehrheit von Jugendlichen in Timor-Leste gibt es eine Gruppe - vor allem junge Männer -, die in der Öffentlichkeit durch problematische Verhaltensweisen auffallen: durch Gruppenschlägereien auf den Straßen, Belästigungen und Ruhestörungen bis hin zu Terrorisierung von Gemeinden. Viele, so FM, betrachten diese Verhaltensweisen als öffentliches Ärgernis oder, schlimmer noch, als Bedrohung für die soziopolitische Stabilität Timor-Lestes und fordern ein hartes Durchgreifen.  Einige sehen in den Verhaltensweisen einen gesellschaftlichen Spiegel der konfliktgeprägten Geschichte Timor-Lestes oder machen die Kampf- und Ritualsportgruppen dafür verantwortlich. Andere argumentieren, dass die Jugend Opfer der schwachen Wirtschaft und des unzureichenden Bildungssystems geworden ist, und fordern, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Akademiker:innen weisen auch auf eine Krise der Männlichkeit als Ursache für die steigende Gewalt hin. 

Bei der Frage nach der Entstehung von Verhaltensweisen junger Generationen sollte zukünftig auch der Einfluss wichtiger Institutionen auf das alltägliche Leben berücksichtigt werden, fordert Fundasaun Mahein. Die politische Führung, die katholische Kirche und die Familie hätten es versäumt, Jugendlichen Zielsetzungen und Eigenverantwortung zu vermitteln und sie in sinnstiftende Programme oder Aktivitäten zu integrieren. Der Bruch zwischen diesen Institutionen und der jungen Generation trage zum gewaltvollen Verhalten insbesondere junger osttimoresischer Männer bei. Es zeigt sich in übermäßigen Alkoholkonsum und asozialem öffentlichen Verhalten, in Zerstörungen von Eigentum und der Missachtung von Gesetzen.

“Schmutzige Spiele” in der politischen Führung

Die Kritik FMs an der politischen Führung richtet sich auf die Vernachlässigung prekärer Lebensrealitäten der osttimoresischen Bevölkerung. Während Timor-Leste auf internationaler Ebene als eines der demokratischsten Länder Asiens gepriesen wird, lebt die Hälfte der Bevölkerung in Armut und Unterernährung ist weit verbreitet. Zusätzlich kommt es zu Belastungen durch eine stagnierende Binnenwirtschaft, fehlende grundlegende Infrastruktur und dysfunktionale öffentliche Dienste.

Mit der Unabhängigkeit und seit der Ankunft der internationalen Geberorganisationen nach 1999 sieht Fundasaun Mahein als wesentliches Merkmal der politischen Ökonomie die Dominanz des ‚Projekts‘. Heute stützt sich der Privatsektor stark auf Regierungsaufträge. Viele dieser Projekte seien nicht rechenschaftspflichtig und Zugang dazu erhielten Personen, die persönliche Beziehungen in die Politik pflegen und parteipolitische Interessen vertreten. Das verstärkt das Gefühl von Apathie, Entmachtung und Frustration in der jungen Generation, die aufgrund fehlender Beziehungen in die Politik keinen Zugang zu Projekten und damit einhergehenden monetären Mitteln erhalten. 

Während Politiker:innen damit beschäftigt sind, “schmutzige Spiele” zu spielen, um auf der politischen Bühne Timor-Lestes Erfolg zu haben, führt die Ignoranz politischer Institutionen gegenüber alltäglichen Problemen zu Nihilismus bei vielen Jugendlicher, die sich in ihren Zukunftsängsten nicht gesehen fühlen. Das gesetzeswidrige und teils korrupte Verhalten von Beamt:innen trägt zusätzlich zum Vertrauensverlust in die politische Führung bei und geht mit der Missachtung von Autorität und Rechtsstaatlichkeit bei der jungen Generation einher.

Die Verantwortung der katholischen Kirche

Fundasaun Mahein würdigt die bedeutende Rolle, die die Kirche bei der Unterstützung der Unabhängigkeit von Timor-Leste gespielt hat. Sie war für unzähligen jugendliche Aktivist:innen der Zufluchtsort. Auch heute kommen viele Aktivitäten der Kirche jungen Menschen im ganzen Land zugute. Doch nimmt die Bedeutung der Kirche in ihrem im alltäglichen Leben seit Jahren ab. Dennoch sieht Fundasaun Mahein auch das Potenzial kirchlicher Institutionen: aufgrund ihrer Legitimität und ihrer Erfahrung in der Jugendarbeit sollte sie wieder verstärkt eine Rolle bei der Unterstützung der Jugend spielen. Die Kirche könnte sich in Friedensprogrammen engagiert, ökonomisches Wachstum und Kompetenzen bei jungen Menschen durch gemeinschaftliche Entwicklungsinitiativen fördert, Jugendliche in Umweltschutzprogramme einbindet und Fortbildungen anbietet, um junge Menschen nicht nur bei der beruflichen Entwicklung, sondern auch bei der Stärkung sozialer Kompetenzen zu unterstützen.

Familiendynamiken als Teil des Problems

Viele Kinder in Timor-Leste wachsen in bildungsfernen Haushalten und Armut auf. Eltern gelingt es durch die strukturellen Bedingungen oftmals nicht, die Kreativität und Motivation ihre Kinder zu fördern. Viele in der heutigen Elterngeneration konnten, bedingt durch die unruhigen Zeiten, in denen sie selbst aufgewachsen sind, in ihrer Kindheit nicht die Fürsorge erfahren, die sie gebraucht hätte. In ihrer Elternrolle fühlen sie sich überfordert und erziehen ihre Kinder so, wie sie selbst erzogen wurden. Die Normalisierung von Gewalt zwischen Ehepartner:innen aber auch Eltern und Kindern fördert den Kreislauf der Gewalt noch zusätzlich, der nun in der jungen Generation zu Tage tritt.

Der Bruch zwischen den Generationen führt dazu, dass sich zig Jugendliche und Kinder alleine beschäftigen oder sich Banden anschließen. Fundasaun Mahein sieht die Verantwortung für die steigende Jugendgewalt jedoch weniger bei individuellen Familienmitgliedern, sondern versteht die prekären Familiendynamiken als Ergebnis von Armut, vergangenen Konflikten und fehlender Bildung. Letztlich fehlt es jungen Menschen nicht zuletzt aufgrund unbeständiger Elternhäuser an familiären Vorbildern und Orientierung. Physische und psychische Erkrankungen sind in der jungen Generation keine Seltenheit mehr.

Es muss sich etwas verändern

Die Krise der Jugend geht mit einer allgemeinen sozialen Krise in Timor-Leste einher. Doch die Verantwortung für die steigende Jugendgewalt liegt auch beim Versagen verschiedener Institutionen, wie Politik, Kirche und Familie, die es bisher nicht geschafft haben, der Jugend ein Gefühl von Verantwortung und Teilhabe zu vermitteln. Umso mehr sollte es Fundasaun Mahein zufolge die Aufgabe dieser Institutionen sein, etwas an der derzeitigen Situation der jungen Generation zu verändern. Wenn Politiker:innen nach ihren eigenen Gesetzen handeln, junge Menschen in Entwicklungsprozesse einbeziehen und politisierte Projekte durch nachhaltige Planungen ersetzen, wenn junge Menschen durch berufliche Perspektiven motiviert werden, zu studieren und zu arbeiten, wenn die Kirche in Programme und Einrichtungen für Jugendliche investiert und stellvertretend für die Familie soziale Kompetenzen vermittelt, und wenn durch eine nationale Jugendpolitik nachhaltige Jugendprogramme koordiniert werden, dann können Gefühlen von Frustration, Apathie und Nihilismus langfristige Perspektiven entgegengesetzt werden.

Nina Dederichs

Zur Analyse auf der Website von Fundasaun Mahein:  The crisis of the Timorese youth as institutional failure to promote responsibility, creativity and inclusion

Mehr zu Timor-Leste

Zurück