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Kambodscha: Wenn der Sand unter den F(l)üßen verschwindet

Digitale Kampagne gegen illegalen Sandabbau in Kambodscha
Ausschnitt eines viralen Videos gegen illegalen Sandabbau in Kambodscha (Foto: Screenshot Mother Nature Cambodia Video)

Mother Nature Cambodia setzt sich seit Jahren gegen unkontrollierten Sandabbau ein. Ihre kreativen Kampagnen erregten erhebliche Aufmerksamkeit und führten zur Verhängung eines Exportstopps für die Ressource.

Am Morgen des 27. Juli 2015 versammelten sich mehr als 100 kambodschanische Dorfbewohner:innen, Fischer:innen und Umweltaktivist:innen im Botum Sakor Distrikt der Provinz Koh Kong, um gemeinsam gegen illegal operierende Sandabbauschiffe zu protestieren. Laut den lokalen Fischergemeinden waren diese für den Rückgang der Fischbestände sowie die Zerstörung der Mangrovenwälder verantwortlich. Die Protestierenden verteilten sich auf 12 Fischerboote, enterten die Abbaukräne friedlich und schleppten sie aus der Flussmündung. In den folgenden Monaten erreichten die Aktivist:innen mit dieser Form des Protests, dass die Abbauarbeiten an vier der fünf Flussmündungen Koh Kongs gestoppt wurden.

Ähnliche Proteste und Aktionsformen gegen illegalen Sandabbau lassen sich in zahlreichen Ländern des Globalen Südens beobachten. Seit Anfang des Jahrtausends ist die Nachfrage nach der zunehmend knappen Ressource auf den internationalen Handelsmärkten stark angestiegen. Neben diversen Einsatzgebieten in der Glas-, Elektro- und chemischen Industrie ist vor allem der weiterhin florierende Bausektor auf Sand angewiesen. Dies führte dazu, dass Sand auf dem Weltmarkt kontinuierlich begehrter wurde, der Bedarf ebenso wie der Preis exponentiell stiegen und im Lauf der Zeit immer neue Abbaugebiete rund um den Globus erschlossen wurden.

Die unkontrollierte Entwicklung hat extreme Folgen für die Natur und die betroffenen Bevölkerungen: Verlust der Biodiversität aquatischer Ökosysteme und Artensterben auf der einen, Vertreibung, Landrechtskonflikte und Verlust der Lebensgrundlagen lokaler Gemeinden auf der anderen Seite.

Verheerende Umweltschäden und menschenrechtliche Folgen

Bei der Förderung von Sand durch Saugpumpen und Schwimmbagger werden jegliche Lebewesen am Meeresgrund bzw. Flussbett entfernt und ihr Lebensraum irreversibel zerstört. Dieser Umstand führt zu einer Verringerung der Vielfalt und Populationsgröße von Krebstieren, Muscheln, Algen und anderer wirbelloser Makroorganismen, die wiederum als Nahrungsquelle für diverse Fischarten dienen. Für die vom Fischfang lebende Bevölkerungen dieser Gebiete führt dies zu einer Gefährdung des Menschenrechts auf Nahrung.

Sandabbau in KambodschaDie Wasser- und Luftverschmutzung durch Öl, Abwasser und Abgase der Schwimmbagger sowie der anhaltende Abbaulärm verdrängen nicht nur Tierarten aus ihrem angestammten Lebensraum, sondern gefährden zusammen mit den austrocknenden Wasserquellen wiederum das Recht auf eine gesunde Umwelt sowie das Recht auf Wasser der angrenzenden Gemeinden.

Eine weitere Bedrohung entsteht durch die in Kambodscha zunehmend auftretende Ufererosion, da sich der Bodenabtrag – beispielsweise am Flussbett – mit Material der Uferkanten ausgleicht, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit von (Infrastruktur-) Einstürzen erhöht. Die so entstehende Instabilität der Uferkanten lässt ganze Ufer- und Strandabschnitte abrutschen, was zu vermehrten Überschwemmungen des Hinterlandes führt. Dies beeinträchtigt unter anderem das Recht auf Wohnen wie auch das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard.

In Kambodscha leiden im ganzen Land Gemeinden an den Folgen des Sandabbaus. 86 Prozent der Bevölkerung leben im Einzugsgebiet des unteren Mekongs, wo laut wissenschaftlicher Studien 2011 bereits 30 Millionen Tonnen Sand abgebaut wurden – knapp zehn Jahre später sind es bereits 50 Millionen Tonnen jährlich.

Die Leidtragenden sind etwa die Fischer:innen im oben angesprochenen Distrikt Botum Sakor oder die Bewohner:innen des am Mekong gelegenen Dorfes Roka Koang in der Nähe der Hauptstadt Phnom Penh. Allein 2021 gab es hier drei große Ufereinstürze von bis zu 200 Metern, infolgedessen viele Familien das Dorf verlassen mussten. Zuletzt wurden Ende April 2023 rund 30 Häuser in einem Dorf am Tonle-Sap Fluss – einem wichtigen Mekong-Zubringer in dem der Sandabbau ebenfalls floriert – beim Einsturz des Ufers zerstört.

Aktivist:innen von Mother Nature riskieren viel

Der hohe Sandexport der letzten 15 Jahre mit seinen ökologischen und sozialen Folgen hat zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die autoritäre Regierung Kambodschas ausgelöst. Denn die Profiteure dieser Industrie sind Regierungsangehörige sowie politisch gut vernetzte Geschäftsleute und Oligarchen. Diese nutzen den abgebauten Sand für großangelegte Infrastrukturvorhaben oder verkaufen den Sand am Staatshaushalt vorbei ins Ausland.

Abgerutschtes Haus Sandabbau KambodschaIn Kambodscha arbeitet zu illegalem Sandabbau insbesondere die Gruppe von Mother Nature Cambodia. Die Aktivist:innen deckten Handelsdiskrepanzen auf, indem sie die offiziellen kambodschanischen Exportangaben mit den Importdaten von Staaten wie Singapur oder Indien verglichen. Diese wiesen erhebliche Unterschiede in der Höhe der aus- bzw. eingefahrenen Sandmenge auf. Durch Film- und Fotoaufnahmen konnten sie beweisen, dass verschiedene Unternehmen mit staatlicher Beteiligung Sand abbauen, ohne die benötigten Lizenzen oder Umweltzertifikate zu besitzen. Mit kreativen Videos und Postings in den sozialen Medien zur Aufklärung der Bevölkerung erreicht Mother Nature teilweise Millionen Aufrufe. Sie nutzen verschiedene Kanäle auf Social Media um ihre regierungskritischen Positionen zu äußern und diese über die Grenzen Kambodschas hinaus zugänglich zu machen.

Dieser digitale Aktivismus verschaffte den Forderungen von Mother Nature eine sowohl landesweite als auch internationale Aufmerksamkeit. Der dadurch entstandene öffentliche Druck zwang die kambodschanische Regierung 2016 zunächst dazu, ein partielles und ein Jahr später ein vollständiges Exportverbot für Sand auszusprechen. In der Praxis wird dieses Gesetz jedoch kaum umgesetzt.

Repression nimmt zu

Aktivistinnen Keoraksmey und KuntheaAufgrund der öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen und direkten Kritik an der Regierung geriet Mother Nature immer wieder ins Fadenkreuz des kambodschanischen Regimes.

In den letzten acht Jahren wurden verschiedene Aktivist:innen der Gruppe verhaftet und einige mit Gefängnisstrafen belegt. Trotz Druck und Repressalien setzen sie sich weiter friedlich für Umweltbelange in Kambodscha ein. 2023 erhielt Mother Nature den Alternativen Nobelpreis.

 

Autor: Jannik Roters studiert Soziologie im Master an der Universität zu Köln. In einer wissenschaftlichen Untersuchung im Rahmen seiner Bachelor-Abschlussarbeit setzte er sich mit dem Aktivismus von Mother Nature Cambodia auseinander.

Der Artikel „Kambodscha: Wenn der Sand unter den F(l)üßen verschwindet“ von Jannik Roters erschien zuerst im Magazin Food First in der Ausgabe 2/2023 („Menschenrechte in Südostasien. Landkonflikte, Ressourcenhunger und lebendige Zivilgesellschaften“). Er wurde redaktionell angepasst und leicht gekürzt. Wir danken FIAN Deutschland und dem Autor für die Erlaubnis, den Beitrag hier wieder zu veröffentlichen.

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